Die wahren Tempel Gottes seid Ihr!

Predigt von Regionalbischof Dr. Stephan Schaede im Gottesdienst zur Wiedereinweihung der St. Pauli-Kirche Gilten am 1. August 2021

Wisst Ihr nicht, dass Ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt. Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, der wird Gott verderben. denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid ihr. (1. Kor 3,16f.)

Mit dem Bauen ist das so eine Sache. Wer von Euch schon einmal gebaut hat, kann da mitreden. Schon bei einem kleinen Haus: Die Idee muss stimmen. Die Gewerke müssen sich ineinander fügen, in der richtigen Reihe. Wehe wenn der Statiker sich verrechnet, der Schreiner die Fenster zu spät liefert, und der Putz nicht an die Wand kommt.  Beim Bauen klemmt es. Der Zeitplan stockt.  Bauen bringt Überraschungen mit sich, auch böse. Wasser, wo es nicht hingehört, Dichtungen, die nicht passen. Balkenwerk, das marode ist. Farbspiegel, die anders verabredet waren.  Überraschungen bleiben nicht aus, auch böse. - Wer baut, erlebt sein Wunder, manchmal ist es blau.   Oder noch viel abgründiger. - In diesen Tagen erleben das Menschen hart, wie es ist in Überflutungen sein Hab und Gut, sein Haus und Obdach zu verlieren, ja sich selbst, seine Liebsten zu verlieren. Nach der Trauer kommt die Wut, allein da zu stehen, und das, obwohl so viele helfen. Das Gefühl, allein gelassen zu bleiben, greift brutal um sich.

Mit dem Bauen ist das allerdings so seine Sache. Mit dem eigenen Heim. Was erst, wenn eine ganze Kirche gebaut oder renoviert werden soll. Gilten hat das Bauen angepackt.  Der Kirchenvorstand kann nun mitreden beim Bauen. Heiner Beermann, Friedrich Sternberg, Heidrun Nebel, Christa Backhaus und Ute Hülsmann. Ja, mit dem Bauen ist das so eine Sache. Und eigentlich müsste nicht ich, sondern Herr Sternberg hier oben stehen und erzählen, weil er eben hier war, und genau weiß, was so alles geschah und war in den vergangenen Monaten. Denn, so stand es auch im Walsroder Markt, die St. Pauli-Kirche durchlebte eine „Renovierung mit Überraschungen“, die St. Pauli eine der schönsten Kirchenbauten in der Leine-Region, der „Schatz der Gemeinde“.

Wie ich das las, kamen starke Bilder in mir hoch, von einem, der mich als Bauherr und Christ als erster beeindruckt hat, beeindruckt, wie kaum ein anderer. Dazu müssen Sie wissen. Aufgewachsen bin ich am Rhein, lebte Jahre in Mainz. Und Erzbischof Willigis von Mainz war es, der eine Kirche gebaut hat, die mir so ans Herz gewachsen ist wie kaum eine andere. Ich war 11 Jahre alt, als ich genauer davon erfuhr.  Der Dom zu Mainz, auch eine Kirche nahe dem Fluss, die schönste in der Region, zur Bauzeit die größte nördlich der Alpen. Kaum war Willigis im Amt, sein ganzes Herzblut hatte er hineingegeben, die Pläne mit konzipiert und korrigiert, legte er den Grundstein. 34 Jahre gingen ins Land, da ging die riesige Kirche, erbaut aus Holz, am Vortrag zur Weihe, in Flammen auf, brannte lichterloh, brannte ab. Bischof Willigs, Erzbischof von Mainz, war erschüttert. Härter konnte er es nicht erfahren. Mit dem Bauen ist das so eine Sache. Willigis zog sich zurück, dachte nach. Und noch am selben Abend gab er den Wiederaufbau in Auftrag. Da war er 69 Jahre alt. - Siebenmal ist der Mainzer Dom abgebrannt. Siebenmal wurde er wieder aufgebaut und umgebaut. Eine Kirche, überhaupt nicht aus einem Guss. Immer wieder wurde Neues angefügt und eingefügt, aus Holz wurde Stein, aus romanischen Bögen, gotische Fensterfronten, ein Rokokoturm erhob sich im Westen, eine eiserne Kuppel plötzlich im Osten, viel barocke Farbe im Innenraum, dann wieder, nach der Zerstörung 1945 alles mit Schiefer gedeckt und in warmes Sandsteinrot getaucht. Der Dom zu Mainz, für mich das schönste Bauwerk in der Region. Ich habe ihn gemalt und gezeichnet, mit Buntstift und Filzstift, mit Tusche und Tempera.  Eine Kirche, gefährdet, wieder und wieder aufgebaut und umgebaut, ja römisch-katholisch, nicht in jedem Winkel schön, aber mein Herz hängt an ihr. Und schon damals mit 11 Jahren, beim 1000jährigen Jubiläum, war meine Freude groß über dieses schöne Gebäude, und zugleich bewegte mich die Frage: Wieso machen Menschen das, bauen eine Kirche, wie schaffen sie das immer wieder, bauen sie eine Kirche wieder und wieder auf und um?

St. Pauli in Gilten, nicht weniger eine Kirche mit Geschichte, mit Bauherren, die sich um diese Kirche verdient gemacht haben: Henning von Gilten, Cordt von Bothmer, eine Sakristei, ein Chorraum, ein Turm, ein Kirchenschiff. Immer wieder gebaut, umgebaut und angebaut. Von Menschen mit Namen und solchen, deren Namen wir nicht kennen. Italienische Mosaikbodenleger vor 400 Jahren, die mit Leine-Kieseln einen einmaligen Boden schufen, mit Fisch und Evangelistensymbolen, einem Steuerrad und einem Netz, dass sich über den gesamten Boden aufspannt. Immer neues wurde eingefügt und angefügt, wie einst in Mainz. Manche von Ihnen werden sich noch erinnern, haben vielleicht mitgeholfen, als Siegfried Steege in den 70iger Jahren mit Leuten aus der Gemeinde Kiesel sammelte und den Boden erneuerte.

Und jetzt eben die Renovierung, andere Zugänge zur Kirche, die Kirche erstrahlt in Weiß und Gold. Und viele haben mit angepackt, die Feuerwehr die schweren Bänke hin und her gewuchtet, Fresken wurden entdeckt, und sogar die Ortsgemeinde hat Geld gegeben.  In atemberaubender Geschwindigkeit. Und der Kirchenvorstand, Herr Sternberg, Herr Beermann vor allem immer wieder da und zur Stelle. Sie haben geguckt, beraten, entschieden, und wie ich erahne, sich so manche schlaflose Nacht mit Bausorgen um die Ohren geschlagen. Und es ist wirklich beinahe, nein was sag ich, es ist ein wahres Wunder, dass wir heute nach so kurzer Bauphase zusammenkommen und feiern können. Und ich sage Dank an Euch alle. Die klugen Geister vom Amt für Bau und Kunstpflege und die Menschen vor Ort. Meine Dankbarkeit ist groß. Meine Freude ist groß. Bei vielen wird die Freude groß sein. So schön der Raum, die Atmosphäre das Licht.

Und vielleicht fragt sich die eine oder andere:  Wie haben wir das eigentlich geschafft, wieso machen Menschen so etwas, bauen Kirchen, bauen sie um, pflegen sie? Vielleicht ja, weil wir mit unseren Lebensfragen, mit unseren Sorgen und Sehnsüchten, ganz leibhaftig eine Herberge brauchen, einen Raum um uns herum, der anders ist, der uns zur Ruhe kommen lässt, der konzentriert, bewegt, uns vor Augen führt, wie lange schon und mit welchem Einsatz Menschen sich für einen solchen Raum eingesetzt haben, weil in einem solchen Raum das Herz, der Leib, die Seele, unser Geist ins Schwingen kommen kann, durch Wort, Gesang und Stille.

Paulus, der Apostel, wusste davon. Es kann kein Zufall sein, dass diese Kirche in Gilten auf seinen Namen hört.  Auch Paulus kann mitreden, erlebte, dass es mit dem Bauen so eine Sache ist. Mit Haut und Haaren hatte er sich dem Bauen verschrieben, dem Aufbau der Gemeinde, riskierte alles, seine Zeit, sein Leben, erlitt Schiffbruch, stritt mit Petrus, kam nicht überall gut an, mit dem, was er sagte, wurde aus der Stadt vor die Tore hinaus getrieben. Aber er gab nicht auf, zu bauen und nochmals zu bauen und drang vor mit seinem Bauwillen über Kleinasien bis nach Rom, zählt bis heute zu den entscheidenden Baumeistern unserer Kirche.

Nun war sein Baumaterial kein Stein, kein Holz. Er zog nicht mit Bauzeichnungen, Bleilot und Holzleeren durch die Lande. Das ist wahr. Aber auch ihm ging ohne Zweifel zentral ums Bauen, weshalb er den Menschen in der Gemeinde zu Korinth zurief: „Wisst Ihr nicht, dass Ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt. Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, der wird Gott verderben. denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid ihr.“(1. Kor 3,16f.)

Das sind auf den ersten Blick merkwürdige Gebäude, die Paulus im Blick hat. Diese Gebäude, das sind Menschen aus Fleisch und Blut, das seid ihr, das sind wir, mit Leib und Seele. Und der Bauherr, der sich ihrer annimmt, ist, nein, kein Apostel, kein Bischof oder Pastor, ist Gott selbst, sein Geist.

Ich selbst, mit meiner Geschichte, mit den verschiedenen Baustufen meiner Biographie, mit Aufgebautem, Abgebrannten, Umgebauten bin, davon ist Paulus überzeugt, Herberge Gottes, sein Tempel, sein heiliges Gelände, in dem Gott Tag für Tag Wohnung nimmt.

Solches heilige Gelände, das Gelände Eurer Person, braucht ein Umfeld, in dem es gedeiht, eben einen Raum, in dem schwingen, in lebendigen Austausch kommen kann, was unser Leben heilig macht. Und das nicht wirr und vage. Wie auf dem Boden hier niedergelegt, bedarf es des Steuerrades des Geistes Gottes und einer klugen Vernetzung all unserer Gedanken und Gefühle, in festlicher Feier, im Gesang, in lebendigem Austausch und Gebet. 

Das ist das, was Paulus damals den Korinthern in ihren Bauplan hineinschrieb, und das er auch heute uns und der Kirchengemiende in Gilten im August 2021 in den Bauplan schreibt. Die Kirche, die Herberge Gottes erstrahlt in neuem Glanz, weiß und golden, wunderschön hergerichtet. Manche trauern dem Gelb und dem Grün nach, ich weiß. Aber entscheidend ist eben dies. Die wahren Tempel Gottes seid Ihr. Es wird darauf ankommen, welche Farbtöne und Nuancen Sie und Ihr in den kommenden Jahren in diese so schön hergerichtete Herberge hineinbringt. Lasst Euch von Gottes Geist als Baumeister überraschen.