Smartphone & Co.: Verändert sich unser Kommunikationsverhalten zum Besseren?

Kanzelrede Peter Koch in der Reihe "Bürgerkanzel in St. Nicolai" Lüneburg am 1. März 2015. Peter Koch war bis Ende 2014 Erster Stadtrat und Sozialdezernent der Hansestadt Lüneburg.

Liebe Gemeinde, vor zwei Monaten bin ich aus meinem beruflichen Leben als Sozialdezernent dieser Stadt ausgeschieden. Recht bald fiel mir eine Veränderung ganz besonders auf: es verändert sich mit dem Ruhestand von einem Tag auf den anderen die Kommunikation. Was meine ich mit diesem Fremdwort ? Nun, wann, mit wem und wie gehen wir miteinander um, durch Begegnung, Sprache, Austausch, auch mit Schweigen. Dieses Thema hat in meiner aktiven beruflichen Zeit eine ganz wichtige Rolle gespielt, Vieles konnte ich durch geschickte Kommunikation erreichen, manche ist natürlich auch gar nicht gelungen… Darüber möchte ich mit Ihnen einige Gedanken teilen.Das ist nicht nur ein weltliches Thema, sondern sicher auch ein zutiefst christliches. Denn wie Menschen sich begegnen, welche Absichten und Meinungen sie äußern, welche Eindrücke sie auf welche Weise teilen - all das bestimmt auch, wie sie ihren Glauben leben und weitergeben. Nicht umsonst heißt das „Neue Testament“ in heutigem Deutsch „die Gute Nachricht“.

Zurück zu meinem Berufsleben: Um viele wichtige Diskussionen und Entscheidungen an den Mann oder die Frau zu bringen, braucht man gute und gelingende Kommunikation. Ja, man muß mit den „Kunden“ (als „Untertanen“ sehen wir die Empfänger unserer Dienstleistungen wirklich schon lange nicht mehr) sprechen, telefonieren, mailen, schreiben, sie informieren, überzeugen…durchaus bisweilen auch mal „entscheiden“ oder gar „anordnen“. Freilich in oft völlig unterschiedlichen Situationen:

Da gab es den ratsuchenden Bürger, der sich gern für Flüchtlinge engagieren möchte, aber nicht weiß wie, da gab es aufgeregte Bürgerversammlungen, weil Mütter und Väter wissen wollen, wann endlich ihre ersehnte Kita fertig wird, da gab es auch hitzige Ratssitzungen, mit mehr oder weniger klugen Reden zu lokalpolitischen Anliegen, aber auch Vier-Augen-Gespräche mit Mitarbeitern in Konflikten.

An manchen Tagen war ich richtig „übersättigt“ vom vollen mail-Postfach, von vielen Telefonaten und Gesprächen, vom dringenden Handy-Anruf zur unpassenden Zeit, auch Briefe auf Papier wollen noch ab und zu beantwortet werden…an Unterhaltungen und Kommunikation war kein Mangel.

Aber es gab natürlich die „modernen Medien“, nicht nur „altmodisches“ Telefon und Fax, auch emails, Internet, facebook, WhatsApp…  Damit kann man ja – so sagen es uns alle – viel schneller Botschaften übermitteln, Informationen einholen, Meinungen verbreiten…erst recht im Zeitalter der vielen nützlichen mobilen Gerätchen: Handys, Tablets, Smartphones… Nach den letzten Statistiken wurden von diesen ganz besonderen kleinen ‚Helferlein’ vor 5 Jahren in Deutschland jährlich 5,7 Millionen Stück verkauft, im vergangenen Jahr waren es schon über 24 Millionen !

Dieser technische Fortschritt erhöht doch bestimmt den Arbeitserfolg und die Effizienz, die ständige Erreichbarkeit bringt mehr Lebensqualität, das ständige informiert-sein schafft den mündigen Staatsbürger…  Ja: so beschreiben es viele, vor allem natürlich die Hersteller, die uns diese Dinge als unverzichtbar verkaufen wollen.

Eine persönliche Anmerkung an dieser Stelle: ich bin ganz und gar nicht technikfeindlich. Ich gehöre vielmehr seit Jahren schon zu den Enthusiasten, die solche technischen Neuerungen gerne mit als erste besitzen wollen und benutze sie auch eifrig.

Aber in den letzten Jahren hört man doch vermehrt warnende Stimmen, die uns warnen, dass sich durchs Internet, vor allem durch Smartphone & Co. unsere Kommunikation schleichend aber nachhaltig verändert – und zwar zum Schlechteren !

Wie das ? werden Sie fragen. Ist es denn kein Gewinn, wenn ich dem telefonisch nicht erreichbaren Patner mal schnell eine mail oder SMS schicken kann ? Wenn der hier bei uns lebende thailändische Austauschstudent den Kontakt zu seiner Freundin in Bangkok per Skype-Videotelefonat (und das auch noch ohne Kosten !) aufrechterhält ? Wenn man die Entwicklung, gar den Alltag, der Kinder und Enkel mit vielen bunten Bildern laufend auf facebook verfolgen kann ?  „Nie mehr allein oder einsam“ wird uns versprochen, vorausgesetzt man hat den kleinen flachen schwarzen oder silbernen Freund in der Tasche…

Aber wirkliche menschliche Begegnung ist anders: nicht ein oberflächlicher Mausklick, nicht eine rasch mit dem Daumen getippte SMS… Das alles mache, so warnt man uns, in Wahrheit einsamer und entferne uns von den Mitmenschen.

Reumütig muß ich wohl eingestehen, dass ich mich vom Sog dieser technischen Zauberkästen auch nur mühsam freimachen kann. Es ist ja auch sooo verlockend, mal eben schnell die aktuellen facebook-Seiten anzuschauen, beim Mittagessen zu checken, ob nicht unter den Dutzenden Reklame-mails doch was Wichtiges eingegangen ist…  „Kopf hoch !“ höre ich dann schon mal von meiner Partnerin, was nicht tröstend-aufmunternd gemeint ist, sondern dass ich nun mal das Smartphone beiseitelegen soll – zu Recht !

Sogar die BILD-Zeitung, wirklich nicht im Verdacht besonders fortschrittsfeindlich zu sein, titelte letztes Jahr „Macht das Smartphone einsam ?“   Anlaß für den Artikel war ein kurzes Filmchen des jungen britischen Künstlers Gary Turk, das auf der Video-Plattform youtube inzwischen sagenhafte 50 Millionen-mal angeschaut wurde. Es steht –genau! - unter dem Titel „Look up“, also „schau hoch“. Der Autor spricht damit vor allem die junge Generation an, die nur noch den Kopf gesenkt trägt, nicht aus Trauer, sondern weil der Blick starr auf das kleine Display gerichtet ist. Ja, man spricht wirklich schon von der „Generation Kopf unten“. Und ich nehme das auch wahr: bei vielen Kids und Jugendlichen läuft ein Großteil des Austauschs mit Freunden, der Wahrnehmung der Welt, über Kurznachrichten, oft in verstümmelter Sprache mit Kurztexten, mit Twitter und WhatsApp, mit stayfriends und facebook – man hat Mühe mit ihnen Blickkontakt aufzunehmen. Wie manche junge Eltern berichten, sogar am Abendbrottisch…

Doch das „wirkliche“ Reden, Zuhören, Wahrnehmen…leidet dabei! Das kann ja auch wirklich noch keine Technik: all DAS übertragen, was zwischen Menschen außer dem Austausch von Worten und Bildern noch geschieht. Wir „sprechen“ nun auch mal mit der Körperhaltung, den Augen, mit Gesten. Ein leises Aufseufzen, ein verständnisvolles Nicken, durch das „hier-und-jetzt“-sein.

Das macht diese „neuzeitliche“ Kommunikation in so vielerlei Hinsicht ‚ärmer’, sprachlich wie inhaltlich, erhöht zudem noch die Gefahr von Missverständnissen. Dabei spielt auch eine große Rolle, dass die Unterhaltung vom Partner „getrennt“ ist, sei es dass er unsere Botschaft eben nicht zeitgleich, oder an einem ganz anderen Ort erhält.

Ich fahre gern und viel mit der Bahn und erinnere mich noch, dass man früher ganz nebenbei manchmal Reisebekanntschaften machte. Heute ist schon auffällig, wie selten sich Reisende im Zug oder Bus noch miteinander unterhalten. Sie sind stattdessen per Handy oder Laptop mit anderen, weit entfernten Gesprächspartnern in regem Kontakt. Viele Erfahrungen und Informationen, die man sonst vielleicht „zufällig“ bekommen hätte und die das Leben interessant machen, bleiben auf der Strecke…

Statt den eigenen Horizont zu erweitern, lassen Menschen stattdessen (oft unfreiwillig) Fremde bereitwillig an ihrem privaten Leben teilhaben. Jeder kennt das, wenn sich Leute im Bus via Handy streiten oder detailliert ihre Misserfolge beim Einkauf erzählen – und alle Unbeteiligten ringsum bekommen es mit…

Und was ist mit den Alten, Einsamen, Kranken ? Bieten denn nicht IHNEN die Chats und Foren, die privaten Kurznachrichten, eine Chance zu mehr Kontakt ? Es gibt leider Studien, die das Gegenteil belegen: der Mangel an echten Freunden, an Mitgefühl, am Miterleben, wird durch das „Aufgehen“ in diesen „neuen“ Medien eher noch größer…

Also: an diesem zweiten Sonntag der Fastenzeit nehme ich mir vor, aus dieser unpersönlichen Kommunikation für mehr als einen Augenblick auszusteigen, zu „entsagen“, und ich lade Sie ein, dabei zu sein.

Vielleicht machen wir dann interessante neue Erfahrungen. Ich weiß dann vielleicht nicht mehr, was jeder meiner Freunde gerade gefrühstückt oder auf youtube gesehen hat. Vielleicht besuche ich ihn einfach mal, erfahre dabei wie es ihm wirklich geht. Ich poste eben mal einige Zeit nichts auf facebook, die bloße Masse an Kommunikation bleibt auch so groß genug, die Inhalte werden sowieso immer leerer…gehe lieber mal auf einen Kaffe zur kranken Nachbarin.

Auffällig bei vielen Posts ist übrigens, dass die meisten Menschen sie ohnehin hauptsächlich als prima Mittel der (bereinigten, nur positiven…) Selbstdarstellung verwenden: „guckt mal, wen ich gerade getroffen habe…“ , „seht nur, wo ich gerade bin..“, „hier ist mein tolles Auto, mein süßer Hund, mein schicker Garten…“

Jesus, wie wir ihn aus der Bibel kennen, war anders. Ihm ging es nicht um sich. Er hätte wohl kaum gepostet „Habe gerade 5000 Leute sattgemacht“ oder „Heute Blinden mit Lehm und Spucke geheilt“. Er wollte nie, dass Menschen ihn bewundern. Seinen Jüngern hat er mehrfach sogar ausdrücklich verboten, von seinen Wundertaten weiterzuerzählen. Ihm ging es allein darum, auf Gott hinzuweisen und den Menschen zu dienen.

Er ging auf Menschen zu, ohne sich aufzudrängen (denken Sie an seinen gemeinsamen Weg mit den Jüngern nach Emmaus)

Er hielt nicht bloß Vorträge sondern nahm sich Zeit für das persönliche Gespräch auf Augenhöhe (denken Sie an seine Begegnung mit Zachäus, dem reichen Zolleinnehmer)

Er ließ sich unterbrechen und reagierte mit Verständnis auf Einwände seiner Gesprächspartner (ich empfehle den reizenden Wortwechsel mit der Frau am Jakobsbrunnen nachzulesen, den Johannes im 4. Kapitel seines Evangeliums wiedergibt).

Er redete nicht nur, sondern lebte was er sagte. Er berührte Menschen, nicht nur im übertragenen Sinne durch seine Gleichnisse, sondern ganz buchstäblich, auch durch Gesten

Er sorgte für eine Atmosphäre des Vertrauens und der Gastfreundschaft, indem er sich mit Menschen zum gemeinsamen Essen niederließ und mit ihnen das Brot brach.

Und er konnte schweigen, auch wenn es schwerfiel  aber vielleicht mal angebracht war. Etwa als die Schriftgelehrten ihn mit Fangfragen zum Steinigen der Ehebrecherin reinlegen wollten: da ließ er sich nieder und malte in aller Seelenruhe mit dem Finger ein bisschen auf der Erde, ließ die aufgeregten Pharisäer erstmal leer laufen. Wir haben es gerade in der Lesung gehört.

Es ließen sich noch viele Beispiele mehr nennen, die zeigen dass Jesus wahrlich ein „Kommunikationsprofi“ war, ja sogar, wie es in einem vatikanischen Lehrbrief aus den 70er Jahren heißt, ein „…Meister der Kommunikation“.

Nun können und wollen wir nicht alle solche Kommunikationsprofis werden. Es hat da ja noch andere besonders Begabte gegeben, der heilige Franz von Assisi soll sich der Legende nach ja sogar mit den Tieren unterhalten und den Vögeln gepredigt haben…

Aber nehmen wir uns doch mal kleine Schritte vor, raffen uns auf, nutzen nicht unsere Navi-App sondern fragen Menschen auf der Straße nach dem Weg, lassen das Smartphone in der Tasche wenn wir im Bus sitzen und sagen mal ein freundliches Wort zu unseren Mitfahrern.

Und denken Sie immer daran: „Kommunikation“ ist mehr als „reden“ ! Jesus hielt den Kindern, die man zu ihm brachte, keine ermahnenden Vorträge, sondern „herzte“ sie, wie es bei Markus heißt. Auch wenn der Pastor zum Abendmahl einlädt, macht er deutlich: bei den Teilnehmern sollen nicht nur Verstand und Gehör angesprochen werden, sondern ausdrücklich noch andere Sinne: er sagt nämlich mit den Worten aus dem vierunddreißigsten Psalm „…schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist…“ . Und dann kommen die „Kommunikanten“ (ja, so heißen die Abendmahlsgäste auch bei uns Evangelischen…) auch bereitwillig zusammen.

Lassen wir uns also nicht von Belanglosem ablenken, konzentrieren wir uns wieder mehr auf unsere Mitmenschen – mit allen Sinnen und nicht nur einer Wischbewegung auf dem Bildschirm – und freuen wir uns auf gute Unterhaltungen.

Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.

Peter Koch