Andrea Schröder-Ehlers ist seit 2008 Mitglied des Niedersächsischen Landtags. Zuvor war die Juristin Fachbereichsleiterin bei der Hansestadt Lüneburg und Dezernentin bei der Bezirksregierung Lüneburg. Schröder-Ehlers sprach am 1. Juni 2014 in der Reihe "Bürgerkanzel in St. Nicolai" über 2. Korinther 3,17, ihren Konfirmationsspruch.
Ja, das ist neu für mich, neu hier zu stehen und zu sprechen, eine Predigt zu halten. Und wie alles Neue ist es aufregend. Es war auch schon auf- und anregend mich vorzubereiten. Nach einem Thema zu suchen, Texte zu lesen - neue und auch wohlbekannte, neu zu entdecken, Gespräche zu führen, nachzudenken. Ja so eine Predigt, will wohl überlegt sein. Lange habe ich darüber nachgedacht, was sagen will, ich hatte die Freiheit, durfte das Thema selbst wählen. Und nach langem Hin- und Her und weil Pastor Merten, dann ja auch endlich eine Antwort brauchte, der ganze Gottesdienst musste ja langsam vorbereitet werden, da kam mir, Gott sei Dank, ganz plötzlich die Idee.
Während eines wunderbaren Konfirmationsgottesdienstes, für meinen Neffen, kam mir die Idee, über meinen Konfirmationsspruch zu sprechen. Mein Konfirmationsspruch lautet:
„Der Herr aber ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit.“
Viele von Ihnen werden jetzt bestimmt das denken, was auch Pastor Merten spontan sagte, oh, ein ungewöhnlicher Konfirmationsspruch. Ja, das ist wohl so.
Aber damals, als ich mich entscheiden sollte, da war ich ratlos, wusste nicht so recht, welchen Spruch ich nehmen sollte. Alle hatten schon so einen Klassiker, nur ich tat mich schwer, mit der Entscheidung. Also fragte ich meinen Vater um Rat. Mein Vater, selbst Diakon, und lange in der kirchlichen Jugendarbeit aktiv. Er, der meine Brüder und mich schon als kleine Kinder mit zum Vorkonfirmandenunterricht genommen hat, wenn sonst keine andere Kinderbetreuung möglich war, mein Vater wollte eine eigene Entscheidung von mir, gab mir eine lange Liste von Vorschlägen und erst nach einiger Zeit und einigem Drängen schlug er diesen Spruch für mich vor. Es ist erstaunlich, aber daran kann ich mich heute noch erinnern. Ich war etwas zögerlich, weil kein anderer in der Gruppe diesen Spruch ausgewählt hatte, musste darüber noch nachdenken, aber dann fand ich ihn irgendwie ganz gut. Geist und Freiheit, das hatte was, auch wenn ich nicht so genau wusste was.
Ja, Geist und Freiheit, darüber möchte ich sprechen. Und es passt ja auch in die Zeit. Heute ist der Sonntag zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, da geht es ja auch um das Thema Geist. Da geht es um den Geist Gottes. Nun habe ich nach dem Abitur nicht Theologie studiert, obwohl ich es sehr ernsthaft in Erwägung gezogen habe. Schließlich bin ich in der kirchlichen Jugendarbeit aufgewachsen und schon mein Opa, der nicht nur Bürgermeister, sondern auch Küster in Hermannsburg war, hat uns Kinder immer zum Kirche schmücken und zum Läuten mitgenommen.
Nein ich habe dann doch nicht Theologie studiert, sondern Jura und darum fällt es mir schwer, eine große theoretische Abhandlung zur Bedeutung des Geistes in der Kirche zu geben. Für mich ist das mit dem Geist in einem Text von Wilhelm Willms, einem katholischen Priester, gut beschrieben:Der große bunte Vogel
Ist der heilige Geist
Er ist nicht schwarzEr
ist nicht blauEr
ist nicht rot
Er ist nicht gelb
Er ist nicht weiß
Der heilige Geist ist ein bunter Vogel
Er ist da
Wo einer den anderen trägt
Der heilige Geist ist da
Wo die Welt bunt ist
Wo das Denken bunt ist
Wo das denken und reden und leben gut ist
Ich finde, dass ist ein Text über den man immer wieder neu nachdenken kann. Und Hanns Dieter Hüsch, der Kabarettist, hat es so gesagt:
„.. Gott schickt seit Jahrtausenden den heiligen Geist in die Welt, dass wir zuversichtlich sind; dass wir uns freuen, das wir aufrecht gehen ohne Hochmut; dass wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken und im Namen Gottes Kinder sind…in allen Teilen der Welt… eins und einig und Phantasten dem Herrn werden, von zartem Gemüt und fassungsloser Großzügigkeit und von leichtem Geist.“
Ja so ist das mit dem Geist. In meinem Konfirmationsspruch wird ja aber nun nicht nur vom Geist gesprochen, sondern hier geht es ja weiter, hier heißt es: „ Der Herr aber ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, ist Freiheit.“ Freiheit- ja, was heißt das eigentlich für mich?
Als Politikerin- da fallen mir die sozialdemokratischen Grundwerte ein, der Maßstab, an dem sich die politische Arbeit meiner Partei seit 150 Jahren ausrichtet. Sie lauten heute: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Freiheit bedeutet die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben. Jeder Mensch ist zur Freiheit berufen und befähigt. Ob er dieser Berufung entsprechend leben kann, entscheidet sich in der Gesellschaft. Er muss frei sein von entwürdigenden Abhängigkeiten, von Not und von Furcht, und er muss die Chance haben, seine Fähigkeiten zu entfalten und in Gesellschaft und Politik verantwortlich mitzuwirken. Nur wer sich sozial ausreichend gesichert weiß, kann seine Freiheit nutzen… So steht es in unseren Grundwerten.Als Juristin fallen mir die Grundrechte ein. Vor wenigen Tagen ist unser Grundgesetz 65 Jahre alt geworden (23.5.1949) und an den Grundrechten ist seither wenig geändert worden. Art 2 I GG: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsgemäße Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“ Und das Grundgesetz gewährt das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Religions- und Gewissensfreiheit.
Unser Grundgesetz schützt unsere Freiheit, wir dürfen uns entfalten, wir dürfen uns frei bewegen, wir dürfen (fast) alles tun und lassen, solange wir Rücksicht auf die anderen nehmen.
Ich bin sehr glücklich darüber, in einem Land zu leben, in dem diese Rechte gelten. Bei allen Problemen, die sich im Alltag dann doch ergeben, wir haben eine Verfassung, die mit ihren Regeln dazu beiträgt, dass wir seit fast 69 Jahren in Frieden und Freiheit leben. "nd was bedeutet Freiheit für mich als Christin?Da möchte ich ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer bemühen. Er hat einmal gesagt: „Das Freisein von etwas erfährt seine Erfüllung erst in dem Freisein für etwas. Freisein allein um des Freiseins willen führt zur Anarchie.“
Für mich fügt es sich hier zusammen. Politik muss Gesetze machen, Spielregeln schaffen, die Freiheit ermöglichen. Das tut unsere Verfassung und darum bemühen wir uns bei jedem weiteren Gesetz, dass wir im Landtag oder im Bundestag beschließen. Und es gelingt mal mehr oder mal weniger gut. Manchmal fühlt sich der eine stark eingeschränkt und der andere noch nicht richtig geschützt.Bei allen Vorschriften, die wir machen, geht es immer auch darum, die unterschiedlichen Interessen in unserer Gesellschaft zu sehen und einen möglichst gerechten Ausgleich zu schaffen, der Spielräume lässt, aber auch die Grenzen aufzeigt.Eine ständige Abwägung auch zwischen Vorgabe, Sicherheit und Freiheit. Letztlich geht es bei der Frage um den Mindestlohn, beim Datenschutz oder bei der Frage des Umweltschutzes immer wieder um diese Grundfrage. Aber letztlich werden mit den Gesetzen nur Möglichkeiten geschaffen.
Und jetzt stellt sich doch für jeden Einzelnen die Frage, wofür sind diese Möglichkeiten gut und wie will ich sie nutzen? Das steht nicht im Gesetz, das muss jeder für sich entscheiden....und leben. Das braucht aber die Kraft und die Fähigkeit, diese Möglichkeiten auch wirklich nutzen zu können. Und dabei ständig entscheiden zu können, was ist richtig und was falsch? Da steht man dann auf dem weiten Feld der Möglichkeiten und muss sich für etwas entscheiden. Für einen Konfirmationsspruch, für diese oder für jene Gesetzesfassung, für einen Predigttext.
Bonhoeffer hat sich während seiner Gefangenschaft in Nazi-Haft sehr intensiv mit der „Freiheit“, beschäftigt. „Stationen der Freiheit“ heißt der Text, den er dort geschrieben hat und indem er seine Vision von christlicher Freiheit entwickelt hat.
Die EKD hat vor ein paar Jahren eine Schrift herausgegeben, die diesen Text beschreibt und daran orientiere ich mich. Ja, er sitzt in Haft, weil er als Freiheitskämpfer gegen ein Terrorregime aufbegehrt hat und er weiß, dass ihn das das Leben kosten kann. Und er beschäftigt sich sehr intensiv mit der Frage, was ist Freiheit wirklich.Er sagt, die erste Stufe ist, wie er es nennt, die Zucht. Nun das Wort „Zucht“ schreckt uns heute vielleicht etwas ab, es ist sehr negativ belegt. Aber Bonhoeffer hat es nicht negativ gemeint. Heute würden wir es wohl mit Disziplin oder Konzentration „übersetzen“.
Er sagt, wer sich ständig von seinen Gefühlen, Stimmungen und Launen überwältigen lässt, wer absolut undiszipliniert ist, wer ständig ungebremst ist, der ist nicht frei. Sich im Zaum halten, auf langfristige Ziele hinarbeiten, seine Launen, Antipathien und spontane Gefühlswallungen einigermaßen unter Kontrolle zu halten, das macht innerlich frei. Das ist für ihn die erste Stufe der Freiheit. Und aus dieser Freiheit wächst in der nächsten Stufe die Fähigkeit zum Handeln.
Und zwar „nicht das Beliebige, sondern das Rechte zu tun und wagen, nicht im Möglichen schweben, das Wirkliche tapfer ergreifen, nicht in der Flucht der Gedanken, in der Tat ist die Freiheit“, so schreibt es Bonhoeffer in diesem Text.
Vielleicht kann man es auch so sagen, wir müssen die Möglichkeiten nutzen, indem wir an uns arbeiten, wir brauchen eine Haltung, dürfen dann nicht im Zuschauerraum sitzenbleiben, sondern müssen hinaus ins Ungewisse gehen und für unsere Positionen eintreten, dann verleiht uns der Geist Gottes Flügel und wir werden in unserem Tun getragen. Von guten Mächten wunderbar getragen.
Ich weiß, dass ist aus einem anderer Bonhoeffer-Text. Einem Text, den ich übrigens ganz besonders gern mag. Es war auch das Lieblingslied meiner Mutter, die vielmehr Einfluss auf mich hatte, als es nach den bisherigen Ausführungen erscheinen mag...Ja, mich berühren diese Texte sehr. Und sie helfen mir in meinem täglichen Tun. Gerade in meinem Beruf kann man nicht von einer Meinung zur anderen taumeln oder anderen ständig nach dem Mund reden und darauf warten, dass irgendwo, irgendwie, irgendwann irgendwas passiert.
Ich muss mich immer positionieren, mir eine Meinung zu den unterschiedlichsten Themen bilden, auch wenn es oft sehr schwierig ist, weil mir die Zeit oder die Muße fehlt. Die Entscheidung Mitglied in einer Partei zu werden, zu sagen, das ist eine gesellschaftspolitische Ausrichtung für die ich eintreten will. Gehört dabei für mich auch dazu.
Und als Politikerin hilft es nicht, sich nur seine Gedanken zu machen, man muss auch handeln. Man darf sich über die Wirklichkeit nicht zu viele Illusionen machen und man darf sich nicht achselzuckend oder ängstlich abwenden, sonst kann man nicht viel erreichen. Und da gibt es ja Themen an denen man verzweifeln könnte, die vielen Kriege in der Welt, den Klimawandel, die soziale Spaltung oder die massiven Veränderungen, die durch das Internet und die permanente Datenverknüpfung auf uns zu kommen.
Eine Frage, die mich zur Zeit sehr beschäftig. Wie bewahren wir unsere Freiheit in einer Zeit in der große Konzerne bald alles über uns wissen und für sich nutzen werden? Das erinnert mich an die Visionen von Aldous Huxley in seinem Buch „ Schöne neue Welt“, das er 1932 geschrieben hat und das bei uns in der Schule zur Pflichtlektüre gehörte. Und trotzdem haben viele oft keine andere Antwort als, lass sie doch, ich hab doch nichts zu verbergen. Das macht mir Sorge. Zu diesem Thema könnte ich noch viel sagen und ich bin mir sicher, dass ist ein wichtiges politisches Thema der Zukunft.Für heute möchte ich jedoch schließen mit einem Zitat von Nelson Mandela, dem großen Freiheitskämpfer, der im letzten Dezember starb. Ich fand den Text vor ein paar Tagen zufällig wieder, er ist etwas pathetisch, aber er passt zum Thema. In seiner Antrittsrede als Präsident von Südafrika 1994 hat er gesagt:
Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich sind, unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich machtvoll sind. Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit. Wir fragen uns.“Wer bin ich eigentlich, dass ich leuchtend, begnadet, phantastisch sein darf?“
Wer bist du denn, es nicht zu sein? Du bist ein Kind Gottes. Wenn du dich klein machst, dient das der Welt nicht. Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du schrumpfst, damit andere um dich herum, sich nicht verunsichert fühlen.Wir wurden geboren, um die Herrlichkeit Gottes zu verwirklichen, die in uns ist. Sie ist nicht nur in einigen von uns, sie ist in jedem Menschen. Und wenn wir unser eigenes Licht Erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir uns von unserer eigenen Angst befreit haben, wird unsere Gegenwart ohne unser Zutun andere befreien.“
Soweit das Zitat. Ich wünsche uns allen ein wenig von diesem Licht und dieser Freiheit.
Andrea Schröder-Ehlers