
Kanzelrede von Christine Hartmann, Leiterin des Lüneburger Gymnasiums Wilhelm-Raabe-Schule, am 6. September um 10 Uhr in der Reihe "Bürgerkanzel in St. Nicolai".
„Du sollst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen!“ ist das Sprichwort, das wir kennen. Es geht auf das Gleichnis in der Bergpredigt zurück, das wir gerade gehört haben. Jesus entsendet damit seine Jünger in die Welt und trägt ihnen auf, durch gute Werke ihr Licht leuchten zu lassen – zum Ruhme Gottes.Das Sprichwort benutzen wir meistens, wenn wir jemandem zu verstehen geben wollen, dass er seine Talente, Begabungen und Fähigkeiten nutzen und zeigen soll…. Oder wenn wir meinen, dass jemand etwas buchstäblich Bemerkenswertes getan hat, das er bekanntmachen oder über das er reden sollte.Wo oder was aber ist das Licht, das in uns leuchtet, das Gott in uns anzündet? Wie erkenne ich es und wie bringe ich es zum Leuchten? Was sind meine ganz besonderen Talente, Begabungen und Fähigkeiten, wodurch kann ich sie wecken und fördern?
Das sind Fragen, die uns sicher alle im Leben in bestimmten Phasen bewegen oder beschäftigt haben, zum Beispiel, wenn es um die Frage der Ausbildung oder Berufswahl ging oder auch einfach nur um die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Hobby.
Worin genau das Talent besteht, spielt letztlich keine Rolle. Ob es eine musische oder künstlerische Begabung ist, der naturwissenschaftliche Forscherdrang, das soziale Engagement und der Einsatz für andere – das Entscheidende ist, es zu erkennen und zum Leuchten zu bringen.
Eltern und Institutionen wie Kindergärten, Schulen und Universitäten haben ja praktisch von Berufs wegen die Aufgabe, gerade Jugendliche und Kinder hier zu stützen und zu fördern.
Manchmal wird damit ein bisschen übertrieben. Wir alle kennen die oft zugespitzten Geschichten von gut gemeinter aber übersteuerter Frühförderung. Von Kindern, die Fremdsprachen lernen sollen, noch bevor sie ihre Muttersprache beherrschen und eine Klarinette eigentlich lieber verwenden würden, um sich im Sandkasten durchzusetzen, anstatt darauf zu spielen. Und etwas zweifelhafte Blüten treibt die Suche nach Talenten ja oft auch, was wir alle täglich in unseren Medien erfahren/ sehen können. (Beispiel Castingshows)
Der Wunsch gesehen zu werden, wahrgenommen, mit seinem echten oder vermeintlichen Talent entdeckt zu werden, ist bei aller kritischen Betrachtung nach wie vor die Basis für den Erfolg solcher Sendungen.
Nun- in der Schule suchen wir nicht täglich den Superstar. Und hier sind wir natürlich viel bodenständiger und deutlich weniger glamourös unterwegs. Trotzdem – das Angebot, das Schule jungen Menschen macht, zielt in der fachlichen Bildung und Ausbildung und darüber hinaus auch genau ab auf dieses Fördern von Fähigkeiten und Begabungen.
Den Schülerinnen und Schülern nahe zu bringen, was ihnen fremd ist, ist dabei die Herausforderung, vor die Lehrerinnen und Lehrer sich gestellt sehen. Denn es geht immer auch darum, Interesse zu wecken für Sachverhalte, die zunächst mindestens wenig interessant scheinen, (wenn nicht sind) oder deren Bezug zum Alltag sich nicht auf den ersten Blick erschließt.
Dabei machen Schüler heute auch immer noch die Erfahrung, die Generationen vor ihnen gemacht haben, dass manches, was in der Schule so unsinnig erschien, sich im Nachhinein doch als wertvoll erwiesen hat, aber auch, dass man Vieles „nie wieder gebraucht“ hat. Im einen oder anderen Fall ist das Entscheidende aber, um die Dinge zu wissen. Denn wie kann ich für mich entscheiden, ob etwas wertvoll und hilfreich für meinen Lebensweg ist oder nicht, wenn ich es nicht kenne?
Was Schule Kindern und Jugendlichen auf ihrem Weg in das Erwachsenenleben mitgeben soll und kann, darüber streiten Fachleute, Bildungspolitiker und Stammtische landauf, landab quer durch die Republik.
Wir, die wir als Lehrerinnen und Lehrer oder Schulleiter in Schule tätig sind, erleben dabei seit Jahren, und auch das ist bekannt, dass die Gesellschaft, also wir alle, etliche Aufgaben an Schule weitergibt, – gerade auch, wenn es um Fragen der Erziehung, z.B. des angemessenen Verhaltens geht, was ja eine gemeinsame Aufgabe von Schule und Elternhaus ist.
Neben der Frage, was Schule jungen Menschen mitgeben kann, ist aber die Frage, was junge Menschen suchen, genauso wichtig. Worin wollen sie sich ausprobieren? Wie definieren sie für sich Talent oder Begabung? Entscheidend ist dabei erst einmal sicherlich der Spaßfaktor- wichtiger Motor bei all denjenigen, die vielleicht ohne viel Talent, aber mit viel Leidenschaft Fußball spielen oder an einer musikalischen Karriere arbeiten. Sich auf allen möglichen Spielwiesen ausprobieren zu können, ist das Privileg der Zeit des Erwachsenwerdens. Und wenn es auch nicht reicht zu einer Karriere als Fußballstar oder Sängerin, so ist hoffentlich etwas viel Wichtigeres entstanden, nämlich Selbstvertrauen. Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Freude an den manchmal auch kleinen Erfolgen, aber auch die realistische Einschätzung der eigenen Grenzen.
Bei der Suche nach dem Talent, der Begabung treffen wir leider aber oft auch auf Missgunst und Neid. Dass jemand herausragt aus der Masse, aufsteht und selbstbewusst zu seinen Fähigkeiten und Träumen steht, ist nicht immer gern gesehen. In der Schule ist der uns allen bekannte Begriff des „Strebers“ dabei noch eines der milderen Schimpfworte. Und in problematischeren Klassengemeinschaften machen wir auch immer wieder die Erfahrung, dass besonders begabte Schülerinnen und Schüler sich vermeintlich gezwungen sehen, ihr Licht eben doch unter den Scheffel zu stellen, dass sie Erfolge herunterspielen und sich klein machen, weil sie nicht herausragen wollen, nicht besser sein möchten als die anderen.
Zur Gruppe dazuzugehören erscheint wichtiger, als sich von ihr abzuheben. Und damit die Zugehörigkeit zur Gruppe nicht gefährdet wird, wird eine schnelle Auffassungsgabe oder ein breit gefächertes Leistungsvermögen dann gern verborgen.
Genauso verpönt wie das vermeintliche Strebertum ist auf anderer Ebene der Begriff der Elite oder der Elitenbildung.- Gerade in der Diskussion um Schulformen spielt das ja immer wieder eine Rolle.
Die Frage ist nur, woher denn die klugen Köpfe kommen sollen, die unsere Gesellschaft jetzt und in Zukunft so dringend braucht um bestehen zu können und sich weiter zu entwickeln? Das Erkennen von Talent und Begabung dient ja nicht nur der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, sondern geschieht auch zum Wohle der Gemeinschaft.
Wir wissen um die Herausforderungen, vor die gerade unser Land als eines der reichsten und einflussreichsten in Europa sich gestellt sieht. Wer soll die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte bewältigen?
Viele Branchen beklagen bereits Nachwuchssorgen, z. B. technische Berufe. Und die „große“ Politik braucht kluge, talentierte Köpfe ebenso wie jede Kommune, die sich in diesen Wochen vor die organisatorische und vor allem menschliche Herausforderung der zunehmenden Zahl von Flüchtlingen gestellt sieht.
Hier sind wir alle gefordert. Mit einer klaren Haltung gegen Fremdenfeindlichkeit und mit Hilfsbereitschaft, aber vor allem auch mit klugen, vorausschauenden und vor allem unbürokratischen Ideen. Der Ruf, unser Talent und unsere Begabung zum Wohl der Gemeinschaft nutzbar zu machen, geht an uns alle. So heißt es in der Bibel, das Licht soll auf einen Leuchter gesetzt werden, „dann leuchtet es für alle im Hause“.
Die Verse vom Salz und Licht beginnen mit dem Satz „Ihr seid das Salz der Erde“ und Jesus warnt davor, dass das Salz seine Wirkung verlieren könnte und dann nutzlos wird.
Hier in Lüneburg muss ich sicher zu der Kostbarkeit und dem Reichtum, den das Salz bedeutet, nicht viel sagen. In unserem Salzmuseum wird auf den Bibelvers mit einer Schautafel aufmerksam gemacht. In unserem Zusammenhang meint das Salz zunächst die guten Taten der Christen, die in der Welt spürbar und wirksam sein sollen.
Wir richten in unserer Gesellschaft unsere Hoffnung oft auf die jüngere oder die junge Generation, die den Fortbestand unserer Wertegemeinschaft und unserer Kultur sichern soll. Sie ist für uns „das Salz der Erde“, denn sie soll weitertragen, was wir geschaffen haben.
Oft genug wird dabei die berechtigte Kritik der jüngeren Generation an uns älteren Generationen laut, dass wir zu wenig tun, um sie (wen?) zu unterstützen und zu fördern. Wir müssen uns den Vorwurf gefallen lassen, dass wir mit dem Raubbau, den wir an der Natur unseres Planeten, der Schöpfung, betreiben, den nachfolgenden Generationen die Lebensgrundlage entziehen und ihr eine immense Hypothek aufbürden.
Und in der Tat sind die Fragen, was wir unseren Kindern als Erbe hinterlassen und was wir ihnen auf ihrem Weg mitgeben, entscheidend. Denn natürlich geht es bei Bildung und Erziehung nicht nur darum, individuelle Persönlichkeitsentwicklung zu betreiben und den jungen Menschen dabei zu helfen herauszufinden, wo ihre Begabungen und Talente liegen - wie ich es gerade beschrieben habe.
Sondern es geht auch darum, ein Bewusstsein zu schaffen für die Werte und Traditionen, die unserer Gesellschaft als einer des christlichen Abendlandes zugrunde liegen.
Das geschieht, indem wir Schülerinnen und Schülern zum Beispiel den Kern unseres Grundgesetzes mit der Unantastbarkeit der menschlichen Würde und der Gleichheit der Geschlechter vermitteln. Das geschieht auch im evangelischen und katholischen Religionsunterricht, der mit den Texten der Bibel die Fragen von Glaube, Nächstenliebe, Friedfertigkeit und Schuld und Vergebung aufwirft.
Wir hoffen dabei alle, dass das, was wir unseren Schülerinnen und Schülern oder unseren Kindern mitgeben, auf fruchtbaren Boden fällt. Dass es weitergetragen wird und im besten Falle ebenfalls zum Wohle unserer Gesellschaft nutzbar gemacht wird.
Wir freuen uns, wenn junge Menschen an Austauschprogrammen teilnehmen und als Botschafter unseres Landes mit Jugendlichen anderer Kulturen in Kontakt kommen, Freundschaften entwickeln und den Gedanken von Völkerverständigung und gegenseitigem Verständnis leben.
Unser Bemühen ist gelungen, wenn wir soziales Engagement bei den Jugendlichen finden, wenn sie sich einsetzen für Mitschüler oder Menschen in unserer Gesellschaft, die schlechter gestellt sind, als sie selbst. Das geschieht jedoch nicht von selbst. Was wir als Erwachsene der jüngeren Generation vorleben, spielt dabei eine wichtige Rolle. Wie wir mit Enttäuschungen, Zwängen und Begrenzungen des Enthusiasmus umgehen, ohne Ideale und Ziele aus dem Blick zu verlieren, ist dabei fast wichtiger als den Funken für ein Engagement zu entzünden.
Das gelingt - gerade bei jungen Menschen- leicht. Wenn es gelingt, dieses Engagement am Leben zu erhalten, auch über den Eintritt in die Erwachsenenwelt hinaus und mit Talent und Begabung zu verbinden, dann leuchtet unser aller Licht vor den Leuten und das Salz entfaltet seine Wirkung – es ist nicht kraftlos. In diesem Sinne ist jeder von uns aufgerufen, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern es zum Wohle von uns allen leuchten zu lassen. Amen.