Schätze im Himmel sammeln

Predigt von Landessuperintendent Dieter Rathing im Hofgottesdienst in Langlingen am 29. September 2013

Liebe Gemeinde, wir sind heute nicht in der Kirche. Wir sind am „anderen Ort“. Wo sind wir? Was tun wir hier? Wir feiern Gottesdienst auf einem Bauernhof. In der Scheune von Herbert Bock in Langlingen. Das ist die geografische Antwort. Die geistliche Antwort heißt: Wir feiern da Gottesdienst, wo Menschen das Wort Gottes hören wollen, wo gebetet werden soll und wo gebetet werden darf, wo ein offenes Ohr ist, das Evangelium aufzunehmen, wo offene Sinne sind für eine Besinnung auf Gott, wo es willkommen ist, das eigene Leben und Arbeiten in ein Licht zu stellen, das wir uns selbst nicht anzünden können. Wir feiern da Gottesdienst, wo Türen aufgemacht, wo Einladungen ausgesprochen werden. Wir feiern Gottesdienste an Flüssen auf Feldern, in Scheunen und in Schulen, in Gefängnissen, auf Schützenfesten.

Mit Gottesdiensten an solchen Orten sehen wir uns Jesus Christus verbunden: Der Gottes Wort sagte am See bei den Fischern, zwischen den Lilien auf dem Feld. Der ein Gleichnis widmete den Arbeitern im Weinberg und ein anderes dem Landmann, der ausstreute den Samen. Verbunden Jesus Christus, der sich einladen ließ, zu Gast zu sein, am Tisch zu sitzen in den Häusern der Menschen. 

Da gab es Rede und Gegenrede. Da erntete er Freude und Widerspruch. „Von wem lässt er sich einladen?“ und „Bei dem ist er zu Gast?“ Jesus ließ sich einladen. Und so lassen wir uns als christliche Gemeinde einladen. Zum Beispiel hier auf den Hof. Herzlichen Dank an Familie Bock und an den Landvolk-Kreisverband Celle für diese Einladung heute.

Mit was kommen wir, wenn wir eingeladen sind? Heute hier auf dem Hof? Was bringen wir mit? Die einen sagen: Wenn die Kirche hier Gottesdienst feiert, dann wird sie doch ein deutlich gutes Wort sagen für die, die eingeladen haben, dann wird sie doch für eine ganz bestimmte Form des landwirtschaftlichen Wirtschaftens Fürsprache halten. 
 
Die anderen erwarten genau das Gegenteil: Ein kritisches Wort, eine Klage mindestens, wenn nicht sogar eine Anklage. Ein klares Wort „der Kirche“ dagegen. Ein solches Wort wird es von „der Kirche“ nicht geben. Wir sehen uns auch damit Jesus Christus verbunden. Zwei Beispiele.
 
Da brachten die Leute eine Frau zu Jesus, die man des Ehebrauchs beschuldigte. Da waren die einen in der Erwartung, dass Jesus doch für eine Steinigung der Frau plädieren müsse. Die anderen hofften vielleicht: Er solle besser sagen, die Tat der Frau sei doch nicht so schlimm. Jesus aber sagt: „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“ Jesus schickt die Menschen heim mit der Frage nach ihrer eigenen Verantwortung. Er schärft das Gewissen, selbst verantwortlich zu leben.
 
Oder: Da kommt einer zu Jesus mit der Frage „Was muss ich tun, damit ich so lebe, wie Gott es will?“ Die einen erwarten: Er muss doch sagen, erstens, zweitens, drittens, das und das musst du tun. Die anderen denken: Hoffentlich sagt Jesus gar nichts richtig Genaues, damit ich dann immer noch tun kann, was ich will. 
 
Jesus erfüllt beide Erwartungen nicht. Er sagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Wieder schickt er die Menschen nach Hause mit dem Auftrag, selbst darüber nachzudenken, selbst das eigene Gewissen zu befragen, selbst Verantwortung zu übernehmen, sich selbst zu fragen, wo muss ich für mein Handeln eine Entscheidung zu treffen. Wer ist mein Nächster, und wie will ich ihm begegnen?
 
Jesus setzt nicht darauf, dass Worte von außen die Menschen zum richtigen Tun bewegen. Er vertraut darauf:  Menschen können bewegt werden, aus sich heraus, das Richtige und Gute zu tun. In diesem Licht hören wir die Worte aus dem Matthäusevangelium (6,19-21), die nach der Ordnung unserer Kirche mit dem Erntedanktag verbunden sind, den wir am kommenden Sonntag feiern.
 
Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und wo die Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.
 
Auch hier wieder dasselbe Muster. Nicht: Dieses sind die eins, zwei, drei schlechten und „vergänglichen Schätze“, und jene eins, zwei, drei sind die „himmlischen“. Sondern „nur“: Es gibt solche und solche, und jetzt denk Du für Dich darüber nach, was sind solche, bei denen Motten und Rost drangehen können, Diebe sie stehlen. Welche deiner „Schätze“ taugen nichts. Und welches sind die anderen, die wirklich wertvoll sind, die Dir wirklich was bringen? Und: An welche willst Du Dein Herz hängen?
 
Wo gibt’s heute eigentlich noch Schätze, liebe Gemeinde? Wo kann man was Wertvolles sammeln, worin einen richtigen Gewinn haben? Eigentlich ganz einfach. Du musst nur an der richtigen Stelle dein Lottokreuz machen. Oder Du musst zu Günther Jauch ins Fernsehen gehen. Mit ein paar richtigen Antworten kannst Du da richtig was holen. Ich will jetzt kein Spielverderber sein und jedem, der da zu einem Geldschatz kommt, dem will ich es von Herzen gönnen.
 
Von einem darf uns diese Art des schnellen Schätzesammelns aber nicht abbringen: Von dem Wert des ganz normalen und treuen Arbeitens. Als vor Jahren die Börsenkurse in die Höhe schossen und manche nur mit ein paar geschickten Aktienkäufen ein Vermögen machten, da sah es ja mal so aus, als würde man über jeden lachen, der noch dumm genug ist, jeden Morgen zur Arbeit zu gehen oder sich jeden Tag neu an die Arbeit um Haus und Hof zu machen. Ein Schatz im Handumdrehen das ist eine Sache.
 
Eine ganz andere aber ist es, Tag für Tag sich an die Arbeit zu machen, verantwortlich zu sein für das Wohl von Menschen, das Wohl von Tieren, für gegenwärtige und nachfolgende Generationen im eigenen Haus, im eigenen Dorf und darüber hinaus. Und das alles nicht für einen glücklichen Moment des Zufalls, sondern mit Ausdauer und Energie, mit langem Atem, mit Kraft und Willen. Die Wertschätzung für solche Wertschöpfung darf uns nicht verloren gehen. Wir werden ganz arm, wenn wir uns untereinander und auch unseren Kindern und Jugendlichen vermitteln, dieser lange Atem, Ausdauer und Energie, das alles lohne sich nicht, das habe keinen Wert.
 
Ich habe in den vergangenen Tagen Höfe der Landwirtschaft und Orte des Arbeitens auf dem Lande besucht. Und ich habe dort sehr viel gesehen und gehört von verantwortungsvoller Arbeit mit Kraft und Willen und mit einem langen Atem. 
 
Verantwortliches Wirtschaften für Menschen, die als Nachfolgende in die Landwirtschaft hineinwachsen wollen. Verantwortliches Arbeiten für Tiere und ihre Produkte, die wir jetzt verbrauchen, für Pflanzen und Böden, die wir den nächsten Generationen übergeben. Verantwortliches Arbeiten für das, was jemand sein Eigen nennt. 
 
Aber genauso auch in Verantwortung für das, was wir als Kultur des ländliches Raums haben. Von der Kultur, die wir in Vereinen und Verbänden für’s  große Ganze weitertragen, bis hin zu der kleinen Kultur der Zubereitung von Nahrung und Ernährung des Einzelnen, wie ich es gestern auf dem Apfelfest in Celle erlebt habe. Das ist meine Ernte von „Schätzen“ in diesen Tagen.
 
Jesus unterscheidet zwei Arten von Schätzen. Die eine Art verbindet er mit Motten und Rost, die andere mit dem Himmel. Die eine Art von Schätzen taugt nichts, die andere hat Gottes Segen. Jetzt unterscheide aber mal! Entscheide aber mal! 
 
Ich weiß, Sie wissen: Zum Entscheiden, zum Unterscheiden und zum Beurteilen gehören Kenntnis und Sachverstand. Die Materialien kennen und wie sie sich entwickeln. Die Einflüsse und Einwirkungen auf die Sachen. Ob etwas wohl Rost ansetzt oder vielleicht Motten anzieht, oder was dauerhaft für die Zukunft ist.
 
Wenn ich in den vergangenen Tagen herzliche Gastgeber getroffen habe, Familien und Betriebsleiter, Kreislandwirte, Vertreter der Landwirtschaftskammer, dann kam man mir immer zuvorkommend, freundlich und höflich entgegen. Höflich und freundlich wurde mir aber immer wieder auch gesagt: Wenn „ihr von der Kirche“ oder auch „ aus der Politik“ oder „als Verbraucher“ zu landwirtschaftlichen Fragen etwas sagt, eine Meinung in die Welt gebt, dann macht das bitte mit etwas Kenntnis und Sachverstand. 
 
Niemand muss erst eine ganze Landwirtschaftslehre machen, aber vorher informieren, hingehen und sich selbst ein Bild machen, sich etwas sagen lassen von denen, die an der Sache dran sind, das erwarten wir. Und nicht nur auf das hören und das nachsprechen, was in der Zeitung steht oder im Fernsehen gesendet wird. Es gibt eine Holschuld vor dem Unterscheiden zwischen den „Schätzen“, die etwas taugen und den anderen, die nur für Motten und Rost gut sind. Es gibt eine Holschuld vor dem Unterscheiden von richtig und falsch.
 
Ich bin dann etwas kleinlaut geworden. Weil ich diese Holschuld zu wenig erfülle. Wie geht es Ihnen?
 
Aber gibt es nur eine Holschuld? Gibt es nicht auch eine Bringschuld? Diese Bringschuld der Landwirtschaft sehe ich in geöffneten Fenstern und Türen, in geöffneten Scheunen, Ställen und Schlachtanlagen. 
 
Die Bringschuld sehe ich in der Vermittlung von Zusammenhängen durch eigene Erfahrungen und eigenes Be-greifen, durch Aufklärung und Transparenz. Wenn Menschen nicht gezeigt werden kann, wie Tiere aufwachsen, wie sie behandelt und geschlachtet werden, dann werden diese Orte, wo Tiere sind, immer Orte bleiben, die in Frage gestellt werden, wo an den Türen gekratzt wird, Jesus würde sagen: Wo Motten und Rost fressen und Diebe einbrechen wollen.
 
Ein zweites Entscheiden und ein zweites Unterscheiden ist wohl wichtig, wenn wir auf Tiere sehen und mit Tieren umgehen. In einer Leitungsrunde unserer Kirche haben wir uns vor kurzem mit der Anfrage von Haustierbesitzern beschäftigt, beschäftigen müssen. Sie fragen an, ob kirchliche Friedhöfe nicht auch zur Beisetzung von Tieren vorgesehen werden können. Ob im Hintergrund dabei auch an eine kirchliche Tier-Trauerfeier gedacht ist, weiß ich nicht. Aber in dieser Anfrage steckt etwas, das mancher von Ihnen auch schon beobachtet haben mag. 
 
Dass es offenbar eine Neigung gibt, Tiere zu vermenschlichen. Zuerst dem eigenen Haustier, dann aber allen Tieren einen menschlichen Status zu geben. Im Blick auf Bewusstsein und Empfindungsfähigkeit, im Blick auf Fragen des Umgehens mit ihnen will man Tiere grundsätzlich genauso behandelt sehen wie Menschen. Und in der Folge sollen sie dann – lebend – in Gottesdiensten gesegnet werden wie Menschen, und – verstorben – in menschliche Friedhofskultur eingefasst sein. Haben wir den Mut, uns zur Unterscheidung zu entscheiden und zu sagen Tiere sind „nur“ Tiere? Aber gleich und sofort müssen wir dann auch sagen: Tiere sind Tiere! Tiere sind keine Sachen, keine Dinge, kein Irgendwas. Es ist nicht gleichgültig, wie wir Tiere behandeln.
 
Das Sprichwort „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz“ hat darin Unrecht, als ein Tier nicht „wie du“ den Schmerz fühlt. Dass es Schmerz fühlt, kann ich sehen, wie es Schmerz fühlt, weiß ich nicht. 
 
Das Leiden stellt Tiere nicht automatisch den Menschen gleich. Trotzdem gilt der Obersatz, dass man kein Tier „zum Scherz“ quälen soll. Deshalb verbietet das Gesetz, „einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden“ zuzufügen. Vielmehr sind „dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen“. 
 
Auch wenn wir Tiere von Menschen unterscheiden, auch wenn Tiere „nur“ Tiere sind, sie sind Geschöpfe Gottes. Als Mitgeschöpf stehen wir Menschen in Verbindung mit den Tieren vor diesem Schöpfer. In Verbindung und in Unterscheidung: Menschen sind Menschen, und Tiere sind Tiere.
 
Mit diesen Gedanken an Schöpfung und Geschöpf, mit dem Gedanken an Gott den Schöpfer haben wir den Übergang von den Schätzen auf der Erde zu den Schätzen im Himmel. Denn dieser Gedanke, der Glaube an Gott den Schöpfer im Himmel kann nicht von Motten oder von Rost angefressen werden, Diebe können ihn nicht stehlen.
 
Ich will nicht bestreiten, dass dieser Glaube auch schwerfallen kann. Er kann dort schwerfallen, wo jemand keine Verbindung vom Mensch auf Erden zum Schöpfer im Himmel mehr zu erkennen vermag. Wo Menschen anderen Menschen etwas antun und wir sagen: Das bringe ich mit Gott im Himmel nicht zusammen. 
 
Oder wo jemand Menschen mit Tieren so umgehen sieht, wie es ihm selbst fremd ist, wie er selbst es nicht verstehen kann, wie er es verurteilt, dass er sagt, dieses ist mit meinem Glauben an Gott nicht zu vereinbaren. Das sind ernste irdische Gedanken.
Aber in solchen Gedanken bitte ich Sie alle, den Gedanken Jesu zu hören „Macht euer Herz nicht an den irdischen Dingen fest.“ Mach Dein Herz nicht fest an Fehlern, die Du andere begehen siehst. Und an Deinen eigenen Fehlern auch nicht.
 
Mach Dein Herz nicht fest an Schwächen und Unvermögen – nicht an fremdem und an Deinem eigenen auch nicht. Mach Dein Herz nicht fest an Unbarmherzigkeit – nicht an fremder und nicht an eigener. Mach Dein Herz auch nicht fest an einer Krise, Katastrophe oder an einem Skandal.
Sag nicht, da gibt’s nichts Gutes und da kommt nichts Besseres mehr. Sag nicht, da gibt es nichts, was wir auch noch wieder gut machen könnten oder besser machen. Lass dich nicht gefangen nehmen von Misstrauen und schlechten Erwartungen.
 
Gerade die ernsten und vielleicht schlimmen und enttäuschenden Erfahrungen brauchen ein Herz, das sich nicht daran festmacht, sich nicht davon fesseln lässt, sondern eins, das noch einmal weiter seinen Anker auswirft.
Dieser Anker findet überall dort seinen Grund, wo Gottes Segensspur auf dieser Welt ihre Furchen zieht.
Wo Menschen den Segen der Hoffnung nicht wegwerfen, dass wir es immer besser lernen können; Schöpfung und Geschöpf in Einklang zu bringen.
 
Wo Menschen den Segen von Kraft und Willen aufwenden, diese Erde zu bebauen und zu bewahren. Wo wir mehr Vertrauen ins Gelingen haben als ins Verderben. Wo mehr Wohl ist als Wehe. Mehr Gut-sein-Können als Böse-sein-müssen. Mehr Einander-Aufrichten als bei anderen etwas anrichten. Mit dem kleinsten Glauben an solche Segensspuren haben wir den größten Schatz im Himmel.