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Christus spricht: "Meinen Frieden lasse ich euch"

Pfingstpredigt am 27. Mai 2012 in St. Johannis Lüneburg

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. (Johannes 14,23 - 27)

Woran, liebe Gemeinde, halten sich Christen? Eine merkwürdige Frage angesichts von 2000 Jahren Geschichte christlicher Kirche? Eine Frage, die einen aber auch umtreiben kann. Woran halten sich Christen?

In den zurückliegenden Wochen war die Zeit der Konfirmationen. Der kirchliche Unterricht ging zu Ende. Und wer diesen Unterricht selber erteilt, der spürt bei jedem Jahrgang am Anfang immer wieder eine Spannung. Ob es einem wohl diesmal gelingt, etwas von dem sichtbar zu machen, was der christliche Glaube weiß und was er bedeutet. Und man spürt auch die Erwartung von den Jugendlichen. Die Erwartung, ob man da wohl etwas zu fassen kriegt von dem Geheimnis, das die Kirche Gott nennt. Und dann ist es wie ein leiser Schmerz, wenn dann irgendwann in einer Stunde - manchmal sieht man es förmlich - der Augenblick der ersten Enttäuschung kommt.

Im Grunde begleitet einen diese Enttäuschung ein Leben lang. Sie begleitet einen, wenn man seinen Kinderglauben hinter sich läßt und seinen Weg orientiert an dem, was ich greifen, messen und handhaben kann. Sie begleitet einen in der Kirche, in der oft so groß geredet wird, und in der man so hilflos sein kann vor den einfachsten Fragen. Sicher ist ein Haus wie hier St. Johannis mit seinen hohen Maßen und weiten Dimensionen entstanden nicht nur aus dem Vollgefühl des Glaubens oder dem Stolz der Bürger, sondern auch aus der Sehnsucht heraus, es möchten die Steine reden und die Steine sichtbar machen, was so schwer zu sehen ist: Das Ungreifbare in die Nähe zu rücken, daß man sich daran halten kann. Halten und anlehnen.

Aus dem Evangelium dieses Pfingsttages, das wir heute gehört haben, weht schon etwas herein vom ersten Schmerz, von einer ersten Enttäuschung, von der Kühle späterer Erfahrung. „Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht“ so legt Jesus mit seinen Worten gewissermaßen die Hand auf die Schulter. Nicht erschrecken und sich nicht fürchten vor den Momenten, in denen mir ein Halt des Glaubens entschwindet, in denen Gott mir entrückt, in denen seine Unbegreiflichkeit mir zur Anfechtung wird.

Und was gibt Jesus ihnen – ihnen den Jüngern und uns – zum Daran-Halten, Daran-Festhalten weiter? Drei Worte sind es, die ich aus dem Pfingsteveanglium hervorstechen sehe. Sie sprechen von der Liebe, vom Wort und vom Frieden.

Mit der Liebe beginnt’s. Ganz einfach: Wer mich liebt. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“. Mit der Liebe beginnt’s. Ganz einfach: „Wer mich liebt.“Offenbar gibt es das in der Zeit der langen Wege und in der Kühle der Erfahrung, dass ein Mensch angerührt wird von der Gestalt Jesu, und dass er sich dessen weder zu wundern noch zu schämen braucht.Wir sind nüchterne Leute, und was da im Evangelium steht, ist ein nüchterner Text. Aber offenbar gibt es das, dass die Liebe Gottes einem Menschen dort begegnet, wo sein Herz bewegt wird, sei es aus einer Geschichte, aus einem Satz, sei es auf einem Moment tiefer Einsicht oder einem besonderen Erlebnis.

Offenbar gilt auch hier, was von aller Liebe gilt, dass sie vor allem Begreifen ist. Wir werden also das, woran wir uns halten können, einander nicht andemonstrieren können. Aber vielleicht genügt es, einander Mut zu machen, uns an genau das zu halten, was man einander nicht andemonstrieren kann, nicht vorzeigen wie anderes, nicht auszählen. Dass es lohnen kann, sich an das zu halten, was keinen Lärm macht und nicht großspurig daherkommt.

Für gewöhnlich halten wir uns bei all unserer Gescheitheit ja seltsamerweise immer wieder am ehesten an das, was dick aufträgt und was gewaltig imposant ist. Die Liebe Gottes ist wehrlos. Ich kann sie verlachen, vergessen und mit Füßen treten. Aber ich kann mich auch darin bergen.

Woran halten sich Christen? Meine erste Antwort: Ich halte mich daran, dass immer noch, auch in der Unrast und in mancher Kühle unserer Zeit, sich um die Gestalt Jesu die Liebe Gottes ausbreitet, daran, dass ich - wie Jesus es sagt - als Mensch ein Hausgenosse Gottes werden kann.

Das Zweite: Das Wort.  Das Wort! Auch wenn man Mißtrauen haben mag, ob denn nicht schon längst die Währung des Wortes verfallen ist. Wenn ich nachschlage, was in früheren Zeiten und Jahrhunderten geschrieben oder gesagt wurde, dann habe ich das Empfinden: Das alles hatte größeres Gewicht, es ist stärker bedacht und mehr beachtet worden, und die Fähigkeit zu hören ist stärker noch verloren gegangen als andere unserer Fähigkeiten und Gaben. Und doch leben wir aus dem Wort und mit dem Wort. Und doch verrät uns das Wort immer noch. Man hat Carlo Schmid, den ehemaligen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, einmal gefragt, woran er denn in den 1930iger Jahren den Ungeist der Zeit zuerst erkannt hätte. Er hat geantwortet: „An der Grammatik!“ Zuerst an der Art des Redens! An den Worten erkennen wir uns.

Das Wort verrät und das Wort verbindet uns. Dass einer zum anderen sagt: „Ich habe dich lieb“ ist durch allen noch so kräftigen Gebrauch hindurch bis zur Stunde durch nichts zu ersetzen. Und wiederum wird das Schicksal von zwei Menschen oft allein daran entschieden, dass einer vielleicht vieles getan hat, aber er hat versäumt, dieses eine zu sagen.

Gott vertraut sich dem Wort an. Dem gefährdeten, verfallenden, missdeutbaren, missbrauchten und unersetzlichen Wort. Und so zerbrechlich wie das Wort erscheint uns Gottes Gegenwart, und so nahe ist er uns wie das Wort, das alles trägt. Wer will das Wort Jesu aus dem Evangelium ersetzen: „Mein Vater hat diesen Menschen lieb“. Und wer wollte, wenn er dieses denn einmal wirklich gehört hat, nicht wieder und wieder hören und gesagt bekommen.

Woran halten sich Christen? „Wer mein Wort hält“, sagt Jesus. Und ich ahne, dieses Halten, das muss noch etwas ganz anderes sein als „aufbewahren“, mehr bedeuten als „stumm gehorchen“, was anderes meinen als „etwas aufsagen“. Dieses „Wort halten“ muss so etwas sein wie „an der Hand halten“ von zweien unter uns. Nicht Händchen halten, nicht so locker mal einfach so! Sondern fester, mit mehr Griff und mit mehr Konsequenz. Und es ist alles, diesen Halt zu haben, und loslassen willst du nie mehr.

Das Dritte: Der Friede. Mit dem Worten Jesu „Den Frieden lasse ich euch, meine Frieden gebe ich euch.“   Fast möchte man gar nicht über Frieden reden. Denn was ist dieser Friede, wenn die Völker weiter schlagen, der Menschenstreit nicht enden will und der Jammer immer noch weiter greift? Vermag dieser Frieden Jesu denn die Fragen des Unfriedens zu lösen? Vermag dieser Frieden überhaupt Fragen von Jammer, Krieg und Streit zu lösen?

Ich denke, so wie es der Liebe ergehen kann, so kann es auch dem Wort Jesu vom Frieden ergehen. Es kann verlacht werden, vergessen und mit Füßen getreten. Weil es auf direktem Wege Menschenfragen und Weltprobleme nicht löst. Aber werden denn überhaupt je so die wichtigen Fragen des Lebens gelöst? Muss ich nur glauben, muss ich nur „wortgläubig“ sein, und Fragen, Probleme, Bedrängnisse sind weg. So geht das doch nicht, auch wenn das immer wieder ein großes Dauermißverständnis des Glaubens ist, solch ein religiöses Glaubens-Wisch-und-weg.

Ich muss mir das immer wieder selber sagen: Dein Glaube löst nicht die Probleme. Aber dein Glaube kann dich, wenn es gut geht, von ihnen erlösen. Er kann dich in Abstand dazu bringen.

Hol dir vor Augen die Bedrängnis, die Frage, die dich beschäftigt, die dich umtreibt. Und sobald sie dich beschäftigt und dich umtreibt, merkst du, wie sie dich in ihren Bann zieht, dich in Fesseln nimmt. Kann sein du bekommst Angst, kann sein, du bekommst es mit Verzweiflung zu tun, mag sein, du wirst sogar irre an Gott, weil du den Sinn nicht verstehst, der dich das mit anschauen oder sogar miterleben läßt. Du steckst drin und wirst davon festgehalten.

Und jetzt versuch daneben einmal das andere zu denken. Du stündest daneben und du könntest draufblicken. Nicht: Das da hält dich. Sondern du hast deinen Halt daneben. Wie viele Gedanken hast du dann frei, wieviel Kraft des Herzens, wieviel Phantasie, wieviel Hände frei, ja sogar wieviel Gelassenheit kannst du dir vorstellen, um das, was dich eben noch gefesselt hat, selber nun an die Leine zu nehmen.

In dieser Richtung, liebe Gemeinde, versuche ich, den Frieden Jesu zu suchen. Er hat nicht die Lösung „Wisch und Weg“, aber er lockt dich auf einen Standort, der dich nicht in deinen Problemen und Bedrängnissen stehen läßt.

Daran halte ich fest. Dass wir gelöst, daß wir erlöst werden können davon, in dem Dreck von Not und Jammer und Streit stehen und stecken zu müssen. Dass wir mit Abstand davon, den Lappen in die Hand kriegen, um dann mit Kraft an diesem Dreck herumzubürsten und zu scheuern. Pfingsten, sehen Sie nur auf unsere Lieder, hat ja diese Bilder vom Geist, der reinigt und wäscht und mit Feuer sogar wegbrennt und verzehrt, was mit Schmutz bedeckt ist.

Pfingsten … Und ich habe jetzt nicht mit einem Satz gesprochen von dem Geist Gottes, von dem doch die Worte Jesu und dieser Tag reden. Oder habe ich ständig davon gesprochen?

Erfahren wir den Geist Gottes anders als in wehrlose Liebe? Erfahren wir den Geist Gottes anders als in zerbrechlichem Wort? Erfahren wir den Geist Gottes anders als in dem Frieden, der Kraft gibt, Not und Jammer und Streit anzugehen? Dieser Geist möge unsere Tage erfüllen! Amen.