Liebe Konventgemeinde, liebe Schwestern und Brüder, wie groß ist Ihre morgendliche Vorstellungkraft? Ein Raum von der Größe wie diesem hier. 300 Tiere darin. Gerade zusammengewürfelt. Die eine Hälfte Hunde, die andere Hälfte Katzen. Eine gewisse Art von Lebendigkeit für diesen Raum mag vor Ihrem geistigen Auge entstehen. Wer von Ihnen die Themenpunkte des heutigen Generalkonvents schon wahrgenommen hat, wird mich mit diesem Bild schon im Vorgriff sehen, im Vorgriff auf das, was wahrscheinlich Herr Hilse vom Landesbauernverband in seinem Impuls auch aufnehmen wird, artgerechte Tierhaltung.
Aber da sind wir noch nicht. Ich bin noch ganz bei uns. 300 in einem Raum, die eine Hälfte bestimmt von einer Lebensart der Hunde, die andere Hälfte katzenähnlich. Liebe Schwestern und Brüder, das sind Sie, das sind wir! Wir als Pastorinnen und Pastoren sind das, zumindest dann, wenn man Alexander Deeg glaubt. Der Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig beschreibt uns so, analog zu zwei Typen von jüdischen Rabbinern. Da gibt es die einen, die stürzen sich freudig in die Vielfalt der Sozialkontakte, genießen die unterschiedlichen Aufgabenfelder gemeindlichen Lebens. Das sind die bei jeder neuen Begegnung mit dem Schwanz wedelnden „dog rabbis“. Daneben die anderen, die ziehen eine stille Schreibtischexistenz des Tora-Gelehrten vor und sind dankbar für jeden Moment des Rückzugs, „cat rabbis“.
Jetzt weiß ich natürlich, wie bei allen Typisierungen liegt die Wirklichkeit irgendwo dazwischen. Gott sei Dank! Denn der reinrassige „dog Rabbi“ würde schnell zum Hansdampf in allen Gassen und der unvermischte „cat Rabbi“ zum kontaktgestörten Stubenschlauberger. Es läuft bei uns und mit uns also eher auf eine Art von geistlicher Promenadenmischung hinaus. Aber auch diese Spezies kann ja – katzenseitig – anständig fauchen und kratzen und – hundeseitig – aufmerksamkeitserregend jaulen und bellen.
Und da frage ich nun – ganz auf der Linie unseres heutigen Themas: „Welche ethischen Maßstäbe sind leitend, wenn wir uns zusammendenken?“ Hier und heute in einem Konvent, dann wieder zu Hause in den Gemeinden, darüber hinaus in der einen „heiligen christlichen Kirche“? Wie sollen wir uns da ethisch verantwortlich benehmen? Für solche Fragen weiß sich der Apostel Paulus zuständig. Und mit seinen Worten, die der Predigttext des kommenden Sonntags sind, gibt er darauf Antwort.
Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. Liebe Brüder, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern. Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen. Galater 5,25-26; 6,1-3.7-10
Was haben Sie gehört? In der Mitte natürlich der Spitzensatz über den Umgang miteinander: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Hund und Katze werden das in der Regel als Zumutung empfinden. Aber die leben – nach allem, was wir von ihnen wissen – ja auch „nach dem Fleisch“, wie Paulus es nennt, also geleitet von Instinkt und Beutetrieb, von Futterneid und Geltungsdrang. Instinkt? Beutetrieb? Futterneid? Geltungsdrang? Auf uns bezogen hieße so etwas, nur „mal so“ in Beispielen gedacht: Wir würden vom „Dienen“ reden und dabei doch von nichts mehr bestimmt sein als von der Frage, wer denn unter uns der Größte sei. Oder einer würde seinen pastoralen Dienst rechthaberisch für andere zum Gesetz machen wollen. Oder es würde uns schlechte Laune machen, wenn einmal der Erfolg ausgeblieben ist. Oder es hätte einer Freude daran, darauf zu achten, dass das Vollbrachte den Kollegen unter keinen Umständen verborgen bliebe.
Und alles das hieße, es würde tierisch menscheln unter uns. Tut es ja nicht. Wir leben ja nicht „nach dem Fleisch“. „Im Fleisch“ das reicht schon, denke ich vorm Spiegel. Aber „nach dem Fleisch“ leben wir doch nicht. Sagt Paulus. Ich gestehe, dass ich vorm eigenen Spiegel und in manchen Personalsitzungen versucht bin, über das Fleisch und das Menscheln unter uns eine andere Meinung zu haben. Aber ich bin Landessuperintendent und Paulus ist Apostel. So trachte ich nicht nach der „eitlen Ehre“ des Rechthabens. Paulus sagt – und damit hat er also Recht –„Wir leben im Geist“ und (so sein erster Satz) „Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln.“ „Wandeln …“ - das hört sich so leicht und so nach Schlendern, nach Spazierengehen und nach „Von der Freizeit eines Christenmenschen“ an. Martin Luther hat das griechische Verb „stoichein“ ziemlich kräftig weichgespült. Ursprünglich ist das ein militärisches Wort, es meint das Einhalten der Marschordnung, wir würden vielleicht sagen „Spur halten“.
„Einer trage des anderen Last…“ Damit halten wir also Spur. Spur zu Christus. Zu ihm, das wissen wir, ist es ein weiter Weg. Was die Länge betrifft, hat dieser Weg geradezu Marsch-Qualität. Aber wir sind ja zusammen unterwegs. Und – wie das bei langen Märschen helfen soll – Singen tun wir auch dabei. Wir werden also ankommen.
Wir werden ankommen! Wir! Nicht ich alleine. Nicht du alleine. Wir kommen an. Und dazu – pardon – braucht’s eben die Marschordnung. An krampfhaften Gleichschritt, an Uniformität oder an „Reih und Glied“ muss man dabei nicht denken. Die unter uns breit ausgestreuten dog- und cat-Anteile sorgen schon dafür, dass wir ein bunter Haufen bleiben. Und das ist wirklich auch gut so. Die Marschordnung, das ist nichts anderes als das „Einer trage des anderen Last…“
Ja, damit sind auch gemeint Vertretungsdienste und Vakanzzeiten, die Sie als Last miteinander und füreinander tragen. Ja, damit ist auch gemeint die Entscheidung, mit der wir kirchleitend einer Person oder einer Situation vielleicht immer nicht gerecht werden. Ja, zu den Lasten, die wir uns auflegen, gehört auch alles Unausgegorene, nicht zu Ende Gedachte von Landessuperintendent, aus Synode und aus Landeskirchenamt. Dazu gehören auch alle Positionen, die wir als pastorale Lasterkataloge kennen.
Eine Freundin im Dienst fragt mich am Telefon: Sag mal, gehört zu der Last an der wir tragen nicht auch die Last, die wir einander damit bereiten, dass wir die Freude über Gelungenes und immer wieder Gelingendes, dass wir Freude so schlecht teilen können? Ich gebe diese Frage an dieser Stelle einmal mal weiter. Oder ist das alles zu sehr „nach dem Fleische“ gedacht? Wir sind ja geistlich unterwegs. Wir! Nicht ich alleine. Oder du alleine. Wir! Sind wir das? Zusammen geistlich unterwegs?
„Einer trage des anderen Last…“ Sollte Paulus schon geahnt haben von so etwas Ungeistlichem wie einer individualistischen pastoralen Selbstgenügsamkeit? Schlecht besuchte Pastoralkollegs…? Gemiedene Pfarrkonvente…? Ein Generalkonvent, das sei eine absolut unerhebliche Veranstaltung, sagt mir ein Kollege. Ich antworte: Unerheblich ist das, was wir unerheblich sein lassen. Haben wir in unserer Kirche nicht die kostbaren Stellen, an denen wir einer Existenz von einsamen Lasteseln entkommen können. Gegen das „Immer nur tragen, was einem die anderen aufladen.“ Wir haben Zeiten, zu denen wir der Selbstgenügsamkeit entfliehen können. Gegen das „Ich weiß doch, wie es geht.“ Wir haben Menschen, an denen wir uns vergewissern können, ob wir noch „auf Spur“ sind. Keiner von uns weiß, wer er ist, wenn er nur mit sich selbst umgeht. Niemand weiß, was er tut, wenn er nur sich selber als Gesprächspartner hat. Weiter „in der Spur“ kommen wir nur, wo wir zusammen gehen. Als Menschen sind wir da sehr bedürftige Wesen.
„Einer trage des anderen Last…“ Wie leicht hört sich das an?! Wie schwer kann das sein?! Leicht die Last des anderen, wenn ich gerade selber nicht viel mit mir rumschleppe. Schwer wiegt fremde Last, wenn ich schon am eigenen Gewicht zu tragen habe. Bei mir kommt das vor, dass ich unter meinem eigenen Gewicht leide. Kennen Sie eigenes Übergewicht? Ich rede jetzt nicht „dem Fleische nach“, ich rede nicht vom Bodymaßindex. Aber dass man meint, man müsse sich selber Gewicht geben … Vor anderen mehr auf die Waage bringen … Gewichtig dastehen … Vor Gott und der Welt … Ich glaube, solche selbsterzeugte Gewichtigkeit, die belastet uns oft mehr als alles andere. Und manche Last eines anderen wäre wohl wirklich leichter mitzutragen, wenn man vorher selber etwas von sich abspecken könnte … Sich selber weniger Gewicht geben…
Wir können das. Ganz sicher können wir das, wenn wir unter uns cat-Rabbis und dog-Rabbis und allen Mischlingen dazwischen, wenn wir uns eine Gestalt noch hinzudenken. Hier im gottesdienstlichen Raum sollte uns das leicht fallen. Ich meine das Lamm. Man sieht es ihm ja wahrlich nicht an. Aber das Lamm, Gottes Lamm, ist ein wunderbares und einzigartiges Lastentier, ein wahrer Lastenträger. Denk ganz groß von ihm, und es mag dir leicht werden. Ihm ordentlich Gewicht geben, das entschlackt einen selbst. Von ihm getragen zu sein – das hält in der Spur. Amen.