21. September 2012 im Gasthaus Lim's in Lüneburg-Erbstorf
Sehr geehrter Herr Kreishandwerksmeister Aschenbrenner, sehr geehrte Damen und Herren der Kreishandwerkerschaft Lüneburger Heide, sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Ausbildungs¬meister, sehr geehrte Jung-Gesellinnen und Jung-Gesellen!
Ihnen, liebe Gesellenprüflinge des Jahres 2012, möchte ich zunächst einmal herzlich gratulieren zum erfolgreichen Abschluss Ihrer Ausbildung. Zu Ihrem Gesellenbrief, den Sie erworben haben, erhalten Sie mit der heutigen Prämierung Ihrer Ausbildungsleistung nun noch eine besondere persönliche Anerkennung, in die auch Ihre Ausbildungsmeister hineingenommen sind.
Und in dieser besonderen persönlichen Anerkennung erkenne ich etwas Kennzeichnendes für das Handwerk insgesamt. Diese Prämierungsfeier zeigt: Der Kreishandwerkerschaft geht es um mehr als um das Anfangs- und das Enddatum einer Ausbildung, geht es um mehr als um die Vermittlung von Fertigkeiten an eine junge Frau oder an einen jungen Mann in der Ausbildungszeit. Es geht auch um das Sehen und Wahrnehmen der besonderen Leistung von Einzelnen. Es geht auch um das Sehen und Wahrnehmen der Person, der besonderen Persönlichkeit, die jede und jeder von Ihnen ist. Es geht auch um Handschlag, um Einander-in-die-Augen-sehen, um die menschliche Beziehung zueinander, heute und später.
Und eben das erkenne ich im Handwerk insgesamt. Handwerkern geht es um mehr als um Auftragsempfang und Rechnungserstellung, geht es um mehr als um die fachliche Ablieferung einer Handwerksleistung, so wichtig und grundlegend das alles sein mag. Es geht aber auch um das Sehen und Wahrnehmen der Person und Individualität eines Kunden. Es geht auch um das Sehen und Wahrnehmen der besonderen Begleitung eines Auftrags, es geht um menschliche Beziehung und auch um Handschlag, um das Einander-in-die-Augen-sehen, heute und später. Diese zwischenmenschliche Seite ist neben einem Gesellen- oder einem Meisterbrief ein wichtiges Werkzeug im Kompetenzkoffer der Handwerker.
Ich wollte nun heute Abend nicht ganz ohne Handwerkszeug vor Ihnen stehen. Und deshalb habe ich mir zwei Werkzeuge mitgebracht, die auf dem wichtigsten meiner Arbeitsplätze immer mal wieder gebraucht werden. Als Landessuperintendent (Regionalbischof) habe ich die geistliche Leitung im Sprengel Lüneburg, d.h. von einer nördlichen Linie Hittfeld – Schnackenburg (Elbe) über die Lüneburger Heide bis nach Wolfsburg und Gifhorn im Süden. Da leben knapp 600.000 evangelische Christen in rund 250 Kirchengemeinen mit ca. 350 Pastorinnen und Pastoren und über 300 Kirchen. Zum Bauen und Restaurieren an diesen Kirchen sind Meißel und Knüpfel wichtige Werkzeuge der Steinmetze und Steinbildhauer. Ich freue mich, dass ein Geselle dieses Fachs hier heute Abend auch ausgezeichnet wird. Zur Arbeit an Steinen und Skulpturen wird er mit Knüpfel und Meißel gut umgehen können, ich kann sie mehr oder weniger nur in der Hand halten. Tischler und Zimmerer haben wohl auch ein vergleichbares Werkzeug.
Nicht einer, drei Steinmetze sind es, von denen ich mir heute Abend gern etwas sagen lassen möchte. Wie alle Handwerker sind Steinmetze sehr lebenspraktische Leute. Das heißt: Was sie zu sagen haben, sagen sie kürzer als Pastoren.
Der erste Steinmetz kommt mit ganzen drei Worten aus. Als er bei seiner Arbeit an den Mauern eines Doms, mit Meißel und Knüpfel in der Hand, gefragt wird, was er denn da gerade mache, antwortet er „Ich haue Steine.“ Richtige und gute Antwort. Bevor der Steinmetz dazu kommt, ein Relief, eine Figur oder Skulptur zu bearbeiten, muss er erst mal die grobe Arbeit machen, und die heißt „Steine hauen“.
Die allermeisten von Ihnen sind nun keine Steinmetze, aber „Ich haue Steine“ – sinngemäß haben Sie das in Ihrer Lehrzeit alle schon einmal gesagt. Ich vermute sogar mehr als einmal. Bei Ihnen hieß das dann vielleicht „Ich fege die Werkstatt“ oder „Ich putze die Verkaufstheke“, „Ich mache Ablage“ oder „Ich schreibe mein Berichtsheft“. Will sagen: Zu unseren Berufen gehört auch das dazu, was eben auch getan werden muss. Man tut es redlich, es ist aber nur das Drumherum, das Zurechtlegen vorher oder das Aufräumen im Anschluss. Man muss es eben machen, aber viel Sinn und Verstand steckt da nicht drin.
„Ich haue Steine“, das kann manchmal auch heißen, ich stecke Schweiß rein, aber ich sehe den Erfolg nicht. „Ich haue Steine“: Wo du dir Mühe gibst, und keiner merkt es. „Steine hauen“, das ist vielleicht auch der Moment, wo du am liebsten das Handtuch geschmissen hättest. „Steine hauen“ meint das, was einem die Arbeit, die man eigentlich gern macht, immer mal wieder auch vergrault. Ödes und Langweiliges, das Beschwerliche und das manchmal richtig Verfluchte.
Bevor Sie bis zum Gesellenstück und zur Gesellenprüfung gekommen sind, haben Sie auch erst einmal eine Menge „Steine hauen“ müssen. Aber Sie haben nicht das Handtuch geschmissen, Sie haben nicht nur Schweiß und Mühe reingesteckt, Sie haben den Gesellenbrief heraus bekommen! Und deshalb erst einmal mein Respekt vor jedem und jeder, die auch dieses „Steine hauen“ durchgestanden haben. Es gehört ja irgendwie zu jedem unserer Berufe, auch wenn es immer wieder andere Namen hat. Für einen Handwerksbetrieb kann das „Steine hauen“ auch heißen: Mit der Zahlungsmoral mancher Kunden fertig zu werden, oder mit der Billigkonkurrenz zu leben, mit den Folgen einer Öffnung der Märkte, mit den Anforderungen der Bürokratie oder die Eigenkapitalunterlegung von Krediten zu erfüllen.
Und für das Handwerk insgesamt heißt das „Steine hauen“, sich immer wieder auch zu sagen: Es sind nicht die Manager der Großindustrie und die Funktionäre der Gewerkschaften die tragenden Säulen unserer Wirtschaft. Sie stehen zwar oft in den Schlagzeilen, aber die Wirtschaft steckt vielmehr in den allgegenwärtigen handwerklichen Leistungen und Produkten, die uns jeden Tag begleiten von den Brötchen am Morgen bis zur Jalousie, die ich am Abend herunterziehe.
Vieles ist so selbstverständlich, dass es als wirkliches Handwerk gar nicht mehr wahrgenommen wird. Erst wenn, die Heizung mal ausfällt, denke ich an den Anlagenmechaniker, der mir die Stube schon vorher warm gemacht hat. Das was selbstverständlich ist, wird oft wenig geschätzt. Das ist so wie mit dem Atmen. Erst wenn die Puste mal Probleme macht, kommt der auch Gedanke an den lieben Gott, der mich schon Jahrzehntelang hat atmen lassen.
Auf der Dombaustelle wird dann noch ein zweiter Steinmetz gefragt, was er denn da mit Knüpfel und Meißel mache. Der hat eine andere Antwort, er sagt: „Ich verdiene Geld für meine Familie.“ Damit blickt er schon über das „Steine hauen“ hinaus. Wir arbeiten nicht aus Jux und Tollerei sondern um unser eigenes Leben und das Leben anderer zu erhalten. Jetzt ist das mit der eigenen Familie für die meisten von Ihnen vielleicht noch ein Stück hin. Aber dieser Gedanke muss doch mit jeder Arbeit verbunden sein und verbunden bleiben: Man muss davon – auch mit einer Familie – leben können. Ob das nun unter der Überschrift „Mindestlohn“ verhandelt wird oder als „Steuerquote“ mit „mehr Netto vom Brutto“. Es steckt immer dasselbe dahinter. Die Arbeit eines ganzen Tages muss so viel wert sein, dass man davon leben kann. Und es sind nicht nur die Steinmetze, die Familie haben.
Über das Geld hinaus denke ich bei der „Familie“ dann auch an die Beziehungen zwischen den Anbietern eines Handwerks und den Kunden. Als Auszubildende, als Gesellinnen oder als Meister haben Sie im Handwerk ja eine ganz intensive Verwurzelung bei den Menschen im Dorf, in der Stadt und der Region. Sie kennen die Stimmung dort, und sie tragen auch zur Stimmung von Leuten bei. Durch die Qualität Ihrer Arbeit, durch Ehrlichkeit und Verlässlichkeit, aber ganz sicher auch durch Ihre Erfahrungen und durch Ihre Sicht der Dinge in der Welt um uns herum.
Aus dieser Welt hören wir gelegentlich, welchen wirtschaftlichen Schaden die Schwarzarbeit in Deutschland ausmacht. Ich würde auch gern mal wissen, welcher Umsatz durch Schwarzseherei und Pessimismus verloren geht. Schwarzseherei ist eine besondere Form von Schwarzarbeit, Schwarzseherei nimmt anderen auch was weg, und zwar die Kraft sich einzusetzen, den Mut, dass sich Einsatz lohnt, die Hoffnung, schlechte Bedingungen auch verändern zu können.
Als junge Gesellinnen und Gesellen können Sie der Schwarzseherei entgegen wirken. Der Blick zurück auf das, was Sie geschafft haben, was Sie durchgestanden haben und was Ihnen erfolgreich gelungen ist, worauf Sie stolz sein können, das alles kann ein großes Gegengewicht sein gegen Mutlosigkeit und Pessimismus in schwierigen Zeiten. Geben Sie uns und anderen etwas ab von Ihrer noch ganz frischen Erfahrung: Du kannst das! Du machst das! Wir ziehen das durch! Mehr als wir Älteren haben Sie ein ganz frisches Gefühl und ein starkes Wissen um die Tatkraft und die Ideenenergie, die der Schöpfer in jedes seiner Geschöpfe hineingelegt hat, damit wir gut füreinander sorgen können, in der Familie und darüber hinaus.
Und jetzt soll noch der dritte Steinmetz zu Wort kommen. Seine kurze Antwort auf die Frage, was er denn da mit dem Knüpfel und mit dem Meißel in der Hand tue: „Ich baue am Dom.“ Und jetzt werden die Mechaniker und die Mechatroniker, die Metallbauer und die Fachverkäuferinnen nicht fragen: „Was gibt’s denn für uns am Dom zu arbeiten?“ Denn Sie alle verstehen dieses „am Dom bauen“ ja richtig. Es meint: Jeder einzelne von uns hat auch etwas mit dem großen Ganzen zu tun.
Die Malerin pinselt nicht nur Farbe, sondern gestaltet mit der Farbe auch die Schönheit eines Fensters, einer Tür, einer Wand, formt mit an dem Geschmack von Menschen, bildet ein Empfinden von Ästhetik. Die Techniker sorgen nicht nur dafür, dass etwas läuft, sondern geben uns Sicherheit, verhüten Unfall und Gefahr, verantworten Mobilität, sorgen mit für die Umwelt. Die Fachverkäuferin schiebt nicht nur etwas zu essen über die Theke, sondern verwaltet Lebensmittel, Mittel zum Leben, die aller Sorgfalt und Aufmerksamkeit bedürfen, um wirklich Mittel zum Leben zu sein und zu bleiben.
Und jeder Einzelne von Ihnen trägt etwas zum Klima in einem Betrieb und in unserer Gesellschaft bei, wenn er mit Zivilcourage den Mund aufmacht, wo ein Kollege von Kollegen schlecht behandelt wird. Jeder trägt etwas zum Gesamtklima unter uns bei, wenn er sich engagiert in der Handwerkerschaft, einem Verein, der Feuerwehr, der Kirche und auch wenn er bei den Wahlen seine Stimme abgibt.
Und jetzt denkt keiner von Ihnen: Was soll denn meine eine Stimme? Wie wichtig ist denn mein eines kleines Wort? Sie können ja eins und eins zusammen zählen. Gut 30 Gesellinnen und Gesellen hier, zusammen sind wir hier heute Abend vielleicht 100. Gehen Sie dann in eine unserer alten Kirchen, vielleicht in einen Dom, denken Sie sich an einer Säule mal über 100 Steine weg, dann hat der Dom ein Problem. Aber ganz persönlich wissen Sie’s ja noch besser. Wenn man in Ihrem Ausbildungsbetrieb vor drei Jahren gesagt hätte „Auf den einen Lehrling, den wir ausbilden können, kommt’s doch nicht an. Auf die eine und auf den einen können wir doch auch verzichten.“ Das 30 Mal gesagt und getan und keiner von Ihnen, niemand von uns säße heute Abend hier.
Deshalb baut auch jeder der Handwerksbetriebe mit jedem Ausbildungsplatz, baut jeder Ausbildungsmeister ganz persönlich mit am Dom, baut mit am größeren Ganzen, gibt seinen ganz wichtigen Beitrag zum Ganzen des Gemeinwohls. Auch wenn es sicher manchmal schwer ist, den großen ganzen Dom zu sehen. Aber an einem Dom wird ja länger als nur ein Jahr oder nur ein Jahrzehnt gebaut. Mancher Steinmetz hat sein Leben lang am Dom gearbeitet, und hat ihn selbst nie vollkommen fertig erbaut gesehen. Aber jeder einzelne von ihnen hat seinen wertvollen Beitrag dafür geleistet. Noch heute freuen sich Menschen an dieser handwerklichen Arbeit und Kunst und sind angetan von Domen.
Wenn wir uns hier heute mit Ihnen als Gesellinnen und Gesellen über die Prämierung Ihrer Leistungen freuen und davon angetan sind, dann segne Gott beides: Das Handwerk und jeden Dom, an dem gebaut wird. Beide sind ein starkes Rückgrat unseres Lebens. Halten Sie dieses Rückgrat in Ehren!
Landessuperintendent Dieter Rathing