Liebe Bauandachtsgemeinde, von Schafen und Ziegen, vom Viehtreiben über die Steppe hinaus haben wir vorhin aus dem biblischen Buch Exodus gehört, von der profanen Arbeit eines Hirten. Und am Ende heißt es: Der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. Wenige Schritte von hier entfernt sehen wir auf Baukran, Eisen und Beton. Profanes Baumaterial für das neue Zentralgebäude der Universität. Wir begehen eine Bauandacht. Tun wir das, weil da draußen so etwas wie „heiliger Boden“ entstehen soll?
Das wäre was, das wäre wirklich etwas, wenn wir mit menschlicher Hände Arbeit „heiligen Boden“ entstehen lassen könnten. Wir bräuchten dann wohl weniger Sorge haben um unsere Welt. Weniger Sorge um Frieden und um Sattwerden von Menschen, weniger Sorge um Verständnis und Toleranz. Auf heiligem Boden könnten wir uns viel davon versprechen.
Aber so entsteht heiliger Boden nicht. Nicht durch unserer Hände Arbeit, nicht durch Architektenplanung, nicht durch alle Fördergelder dieser Welt. Heiliger Boden entsteht nicht einmal dann, wenn jüdische und christliche Glaubensgemeinschaft interreligiöses Neuland betreten und an der Universität einen Raum der Stille fördern. Der Heilige bereitet sich seinen Boden selber. In ganz profaner Umgebung. Mag sein zwischen Schafen und Ziegen in der Steppe. Mag sein zwischen Eisen, Glas und Beton hier an der Universität. Für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers habe ich diese Hoffnung.
In der Nachbarschaft zum Großen Hörsaal, neben den Räumen für Forschung, Lehre und Lernen: Ein interreligiöser Raum der Stille. Was soll so ein Raum? Anstatt für die Stille zu bauen, müssten wir nicht dem Reden mehr Raum schaffen? Brauchen wir nicht mehr Rede-Raum, um miteinander weiter zu kommen? Mehr reden zwischen den Religionen für Frieden und Toleranz, noch mehr reden zwischen den Konfessionen für Verständnis und Versöhnung? Und: Müssten wir nicht mehr forschen, um mit unserer Welt voranzukommen? Noch mehr forschen, wie wir besser - noch besser - menschenfreundlich wirtschaften können, umweltfreundlicher mit der Technik umgehen, noch mehr forschen, um sicherer mit unseren Finanzen zurechtkommen?
Und erst recht: Müssten wir nicht mehr lehren und lernen, noch mehr lehren und besser lernen, wie wir Verständigung und Verständnis gewinnen zwischen den Nationen, zwischen Kulturen und Religionen? Dafür noch mehr lehren und das noch besser lernen? Ja, vielleicht, wahrscheinlich, mit Sicherheit alles das. Das alles auch.
Und dazwischen still werden. Einfach ganz still werden. Denn still muss unsereiner wohl werden, wenn er die Erfahrung macht von den Grenzen alles Redens. Wir machen diese Erfahrung - auch in unserem Reden zwischen den Religionen und zwischen den Konfessionen. Wir machen diese Erfahrung auch, dass alles Reden uns oft nicht weiter bringt. Vielleicht müssen wir dann einfach mal ganz still werden. Still werden um zu erkennen, da wo mein Reden beim anderen nicht weiterkommt, da ist bei ihm heiliger Boden. Und da hilft dann alles Weiterreden nicht mehr, da hilft nur noch stilles Hören.
Still mag jemand auch als Forschender werden. Still, wenn er an die Grenzen seiner Erkenntnis stößt. Da, wo bester Wille und bemühteste Wissenschaft einfach nicht weiterkommen. Da, wo Mose seine Schafe und Ziegen nicht mehr darüber hinaustreiben darf und wir wohl manche unserer Forschungen auch nicht. Da, wo Dornbüsche brennen, aber sie verbrennen nicht. Wo dann nichts mehr hilft – außer stiller Demut.
Und still mögen Lehrende und Lernende werden, wenn sie an die Grenzen dessen kommen, was lehrbar und was lernbar ist. Wo unser Wissen versagt, um einander etwas über den Verstand beizubringen. Wo anstelle des Hirns nur noch das Herz sprechen kann.
Der Wunsch, dass solches hier an der Universität seinen Ort habe, sei mit dem hier entstehenden Raum der Stille verbunden. In allem Reden Raum zum Hören. Im Forschen die Demut. Hirn und Herz. Inmitten des Profanen heiliger Boden.