Liebe eine Gemeinde aus vielen Gemeinden, liebe Schwestern und Brüder am Himmelfahrtstag, jetzt sind Sie heute Morgen aus Ihren Kirchen herausgegangen, hierher ins Freie auf den Klieversberg. Und das hat nichts damit zu tun, dass unsere Kirchbauten zu beengt wären. Wenn wir Gottesdienst im Grünen oder an anderen Orten feiern, dann zeigen wir damit eine wichtige Seite unseres Glaubens: Gott ist nicht einzusperren in die Mauern einer Kirche. Gott ist nicht festzulegen auf Dome und Kathedralen, Kirchen und Gemeindehäuser. Er ist Gott des Himmels und der Erden, und er ist Gott ganz nah deinem Herzen. Gott in dem einen Menschen Jesus Christus und Gott in der Blume, im Zwitschern der Vögel und im Rauschen des Wassers. So verschieden dürfen wir von ihm denken, in solcher Vielfalt dürfen wir ihn feiern.
Aber können wir denn alle zusammen und einheitlich etwas damit anfangen, Gott in verschiedenen Formen und Farben zu erleben, ihn an verschiedenen Orten und Plätzen, in verschiedenen Formaten zu feiern? Wir sind ja doch auch so verschiedene Menschen! Ach, die Verschiedenheit... Auf den ersten Blick sind wir wohl geneigt, das Beschwerliche an jeder Form von Verschiedenheit zu sehen. Und darüber zu klagen! Ist das mit Vielfalt und Verschiedenheit unter uns nicht wirklich eine Strafe?!
Das fängt schon in der Schule an, beim Vokabellernen. Warum muss es denn überhaupt so etwas wie geben wie english speaking, parler francais, lingua latina, verschiedene Sprachen? Das ist doch lästig und macht Arbeit. Und das ist erst der Anfang. Später fragen wir uns „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ oder „Warum Männer lügen und Frauen immer Schuhe kaufen“. Das ist nicht meine Meinung! Das sind zwei Buchtitel. Dann geht’s in den Generationen zwischen den Jungen und den Alten mit den Missverständnissen und Unverständnissen weiter. Dass die einen was sagen, was die anderen nicht verstehen. Und jene hören, was diese gar nicht gesagt haben. Und dann diese Verschiedenheit unter uns Christen! Die Evangelischen gibt’s lutherisch und reformiert, von den Freien und den Freikirchlichen gar nicht zu reden. Die Katholischen sind „römisch“ oder „orthodox“ und dann noch einmal wieder „griechisch-“ und „russisch-orthodox“. Auf die verschiedenen Religionen, die es auf der Welt gibt, will ich hier gar nicht eingehen. Muss das denn sein?
Alles wäre viel leichter, wenn wir nicht so verschieden wären. Könnte in den Ehen und in den Familien nicht alles noch viel besser laufen, wenn Frauen und Männer in gleicher Sprache sprechen und die Kinder in der Denke ihrer Eltern denken würden?
Aber irgendwie muss Gott im Himmel etwas anderes mit uns vorhaben, als dass Sie so sind oder so werden wie ich. Offensichtlich ist er der Meinung, dass es noch etwas Besseres gibt als Uniformität, dass es noch etwas Größeres gibt als dass alle gleich sind. Ihm scheint es zu wenig zu sein, wenn wir zusammen nur die Form eines Lebens leben! Ihm ist es zu einfältig, wenn nur ich möglichst viel von mir und von Meinem in diesem Leben unterbringe? Ein Mensch ist ihm zu wenig, ein Glaube ist nicht groß genug, um alles zu singen und um alles zu sagen, was von Gott zu singen und zu sagen ist.
Kann es sein, dass Gott uns mit den verschiedenen Weisen zu leben und zu glauben einen Reichtum zeigen will, den wir immer erst noch wieder aufdecken müssen. Und die Freude darüber auch? Die vielen Vokabeln der verschiedenen Sprachen sind nur das eine. Das andere ist es, darüber zu staunen und darüber froh zu sein, dass die Franzosen vielleicht eindrücklicher über die Liebe sprechen können als wir. Dass die Engländer in ihrer Sprache etwas haben, das uns etwas über den Himmel beibringen kann, wenn sie den Himmel, aus dem der Regen fällt (sky) unterscheiden von dem Himmel, der das Ewige meint (heaven). Dass es ein Geschenk der alten Lateiner ist, mit ihrer Sprache eine Sache einfach präziser auf den Punkt zu bringen.
Und die Verschiedenheiten zwischen Frauen und Männern? Ich will da jetzt keine Vorurteile pflegen. Aber: Was für ein wunderbarer Reichtum, dass die einen für die ganze Welt der Gefühle und der Sinnlichkeit die besseren Empfangsantennen haben! Was habe ich als grober Klotz für ein Glück, wenn meine Frau für die feinen Stimmungen und Atmosphären zwischen uns und in der Familie die besseren Worte hat! Wenn der eine schon aussprechen kann, was der andere noch gar nicht sieht! Und was das Schuhekaufen angeht: Manchmal bin ich richtig neidisch, dass mir der liebe Gott ein Gefallen an Farben offenbar vorenthalten hat, und ich immer nur in schwarz oder braun denken kann...
Wir verstehen Vielfalt und Verschiedenheit unter uns zumeist im Sinne eines unglücklichen Schicksals, mit dem wir mühsam fertig werden müssen. Im Neuen Testament kann der Apostel Paulus aber ganz anders von verschiedenen Gaben, verschiedenen Geistern, verschiedenen Erkenntnissen und Kräften reden. Er sagt: die Verschiedenheit ist gut „zum Nutzen aller“. Da hört man nichts von Unglück oder Schicksal. Vielfalt ist da eine Gottesgabe!
Deshalb muss man auch sagen: Hier in Wolfsburg, die in Detmerode und die in Westhagen, die in der Nordstadt und die vom Eichelkamp, die können bei sich selbst und für sich allein gar nicht alles feiern, was von Gott gefeiert werden kann. Eine Form des Gottesdienstes hat viel zu wenig Worte, um all das zum Himmel zu reden, was dort gehört werden soll. Die Farben einer Gemeinde und eines Glaubens und einer Kirche bringen gar nicht all das zum Leuchten, was es an Glaubensglanz auf dieser Erde gibt.
In unseren Bibeln haben wir ein schönes Zeichen für den Schatz der Vielfalt. Vier Evangelien finden wir im Neuen Testament. Niemand empfindet das als unangenehm. Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, sie sind so unterschiedlich wie Konfessionen und so verschieden wie unsere Gemeinden. Sie stehen nebeneinander, sie drängen sich nicht beiseite, sie neiden einander nichts. Vier Evangelien! Hätte nicht auch eins gereicht? Nein, es hätte eins wirklich nicht gereicht, um die Fülle und den Reichtum des Glaubens zum Leuchten zu bringen.
Eine Hautfarbe der Menschen hat Gott für seine Schöpfung, wie er sie sich vorstellte, auch nicht gereicht. Und nur die Schnelldenker und Schnellsprecher, die wollte er auch nicht haben. Die Nachdenklichen unter uns sind deshalb kein Fehler in der Schöpfung und die mit einem Handicap auch nicht. Gott will welche haben, die im Sauseschritt unterwegs sind und genauso solche, die vom Stolpern und von Schlaglöchern im Leben etwas wissen. Die mit den flinken Händen und die mit den zwei linken Händen. Die Überflieger und die Rundendreher. Sie alle haben unter diesem großen Himmel Gottes, und sie haben hier bei uns ihren Platz. Das steckt in unserem christlichen Glauben ganz tief drin: Vielfalt ist eine Gottesgabe! Und deshalb müssen wir streiten mit denen und gegen die, die meinen, es darf nur eine Hautfarbe geben, es darf hier nur die Deutschen geben, nur Schnelldenker, oder nur die Gesunden. Liebe Gemeinde, das ist keine Geschmacksfrage wie bei den Schuhen! Das ist eine Frage, die an Gott und an unseren Glauben rührt! Vielfalt ist eine Gottesgabe!
Jetzt habe ich viel von der Verschiedenheit gesprochen. Wer nun aber seine Nase in eines von den vier biblischen Evangelien steckt und einmal nachliest, was zum Nachdenken in der Predigt an diesem Tag vorgesehen ist, der wird im 17. Kapitel des Johannesevangeliums viel vom Eins-Sein lesen (Johannes 17,20-26). Da bittet Jesus seinen himmlischen Vater für die, die an ihn glauben, „dass sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, damit sie eins seien, wie wir eins sind.“
Eins-Sein damit die Welt glaube! Was können wir als Verschiedene für solches Eins-Werden und Eins-Sein tun? Ehrlich gesagt, liebe Gemeinde, ich glaube, wir können gar nicht viel dafür tun. Ich glaube, wir können auf jeden Fall erst einmal nichts Besseres tun als das, was wir heute getan haben: Aus unseren verschiedenen Kirchen einmal herausgehen und unter dem einen Himmel zusammenkommen. Das Verschiedene in unseren Gemeinden einmal schön verschieden sein lassen und gemeinsam Gottesdienst feiern. Neben allem, was die einen so und die anderen ganz anders machen, einmal das eine auszusprechen, was uns gemeinsam ist und was uns in aller Verschiedenheit eint: Jesus Christus, unser Herr, im Leben und im Sterben, und nichts und niemand sonst. Das reicht erst mal.
Und wem das erst mal reicht, dem stellt sich dann nicht mehr die große Frage, wie viel Gemeinsamkeit er machen muss. Dann fragt es sich nur noch: Wie viel Eins-Sein trauen wir uns zuzulassen? Und wie viel christliche Verschiedenheit ertragen wir? Ich spreche von „trauen“ und von „ertragen“, denn wir sind ja alle, woher wir auch kommen, christliche Gewohnheitstiere. Und was wir uns trauen, was wir ertragen, das hängt oft mehr mit den kleinen, von Kindheit an eingeübten Gewohnheiten zusammen als mit den vermeintlich großen christlichen Wahrheiten.
Kann ich es ertragen, dass nicht mein Glaube, den ich im Herzen trage, das Wichtigste ist, sondern unser gemeinsamer Versuch Christus nachzuleben? Kann ich es ertragen, dass „meine Gemeinde“, mein Laagberg oder mein Wohltberg oder meine Stadtkirchengemeinde etwas Zweites ist gegenüber den Worten und Taten Jesu, die uns zusammen bringen? Kann ich es ertragen, einen Zipfel Glaubenswahrheit in der Hand zu haben, ohne dem Anderen seinen Glaubenszipfel aus der Hand zu reißen? Kann ich es ertragen, dem anderen erst mal Seins sein und Seins sagen zu lassen? Wie schwer allein ist schon das? Versuchen Sie mal, nur zwei, drei Sätze von einem anderen so aufzunehmen, wie er sie wirklich sagen will. Und ich antworte erst dann, wenn ich sicher bin, es stimmt zu dem, was der andere meint. Das allein bewirkt schon Wunder. Sei es zwischen den Generationen, sei es beim Einparken oder vorm Schaufenster des Schuhgeschäfts. Ganz sicher aber zu Himmelfahrt, wenn wir hier und heute als Christen das eine tun, was wir aus verschiedenen Gemeinden für das Eins-Sein in Gottes Kirche tun können. Den zu feiern, der uns gemeinsam bewegt mit seinem Heiligen Geist. Amen.