Schmecken und sehen

Predigt von Dieter Rathing zum Sprengel-Praxistag "Gottesdienst" am 8. März 2014 in St. Marien Uelzen

 

(Mit dem Rücken zur Gemeinde) In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen. Gratia Domini nostri Jesu Christi, et caritas Dei, et communicatio Sancti Spiritus sit cum omnibus vobis. Fratres, agnoscamus peccata nostra, ut apti simus ad sacra mysteria celebranda. Confiteor Deo omnipotenti et vobis, fratres, quia peccavi nimis cogitatione, verbo, opere et omission …

Liebe Schwestern und Brüder, nein, nun doch nicht weiter die nächsten vier Stunden auf Latein und der Gemeinde den Rücken zugekehrt – so stellt sich der Entertainer Harald Schmidt in einem Interview den idealen Gottesdienst vor. Damit kann niemand etwas anfangen. Viel anfangen konnten Sie aber hoffentlich für den Gottesdienst mit dem Impuls am Anfang, mit den Workshops, die Sie besucht haben, mit den Anregungen und praktischen Beispielen in den vergangenen Stunden dieses Praxistages. Geschmeckt hat hoffentlich das Mittagessen und es schmeckt Ihnen nun auch dieser Gottesdienst.

„Schmecket und sehet …“ Wir sagen und wir singen das in unseren Kirchen zur Feier des Abendmahls. Aber der ganze Gottesdienst soll ja doch schmecken. Soll so gut schmecken, wie David die Schaubrote vom Altar schmeckten (vgl. 1. Samuel 21, 1-10). Auch wenn wir verschiedene Geschmäcker haben, Hunger haben wir alle. Und für diesen Hunger müssen wir nicht erst – wie David – drei Tage ohne Brot gewesen sein. Wir müssen uns auch nicht wie David erst irgendwo zum Affen gemacht haben (vgl. 1. Samuel 21 11-16). Wahnsinnig sind wir alle auch so schon genug.

Wahnsinnig der guten Worte bedürftig … Wahnsinnig dem Erleben von Frieden und Gerechtigkeit hinterher … Wahnsinnig angewiesen auf Bilder vom guten Ende aller Dinge ... Wahnsinnig und hungrig. Hungrig nach Musik, die uns zur Besinnung bringt … Hungrig nach einer Antwort, wie man die 1000 Rätsel dieser Welt aushalten soll … Hungrig nach dem Zuspruch, dass das bisher Erlebte noch nicht alles gewesen sein kann … Es ist, als hätten wir irgendwann einmal ein Versprechen dafür erhalten und hungerten nun danach, dass es eingelöst werde und wahr werde und sich erfülle. Wir wollen schmecken und sehen.

Und im Gottesdienst teilen wir die Menükarten dafür aus. Du darfst daraus wählen. Du musst nicht alles auf einmal goutieren. Das kannst du gar nicht. Du würdest dich nur verschlucken daran. Im Gottesdienst geht’s nicht um all you can eat. Dazu ist Gott zu groß, dazu sind seine Geschichten zu groß. Wie groß kommt allein David schon mit seiner Geschichte daher. Gegen 10.000 Philister gekämpft und Goliath erschlagen. Bei Achisch, dem König, zu Gast und ein Könner mit der Harfe. Vor Saul auf der Flucht und gerettet in der Höhle Adullam. So groß und bedeutend, so mächtig hört sich das an, als könnte es für das Leben von unsereins gar nicht stimmen. Als könnte sein Hunger am Ende gar nicht unser Hunger sein. „Als ich den Herrn suchte, antwortete er mir …“ (Psalm 34,5) Als könnte das für unsereins gar nicht stimmen.

Aber Vorsicht. Und nicht zu klein gedacht. Die großen Erfahrungen der Menschheit sind auch in unseren Köpfen. Wie wir am Körper noch die Spuren von Millionen Jahre Geschichte mittragen. Die Fingernägel waren früher Krallen. Selbst die wenigsten Haare sind noch der Rest vom alten Menschenfell. Die Töne von Davids Harfe tragen wir in uns. Auch die Angst vor Saul und Goliath ist in uns eingegraben. Und die Höhle Adullam kennen wir, ohne je dagewesen zu sein. Dein Gewissen schlägt dir. Dazu musst du nicht erst eine Horde Philister erschlagen. Die Träume und die Traumata der großen Menschengeschichte stecken dir in der Seele. Deshalb kann dich mitten am lichten Tage der Blues einholen. Und deshalb spukt des Nachts ein Alb durch deine Träume, und deshalb geht dir immer wieder mal ein Grusel durch den Schlaf. Und ganz reale Schrecken tun es auch. Aus Syrien und von der Krim. Menschen auf der Flucht oder im Suchen nach Rettung. Manche mutig, viele verzweifelt. Kinderpornos und versteckte Steuermillionen. Frech und scheinbar ohne Scham.

„Ich suchte den Herrn …“ singen und singen wir darum wieder und wieder. Wir nehmen die Leiden der Erde, nehmen fremde und eigene Not und pressen sie zusammen in den Ruf „Kyrie eleison – Herr, erbarme dich.“ Ganz aus dem Hunger kommt dieser Ruf, kommt ganz aus täglichem und nächtlichem Wahnsinn, kommt aus allen Verrücktheiten und allem Wahnsinn dieser Welt.
Wir wollen schmecken und sehen. Wie das murrende Volk in der Wüste Manna und Wachteln zu schmecken bekam, um dann wieder das gelobte Land zu sehen. Wie dem müden Gottesmann Elia Brot und Wasser hingestellt wurden und er wieder auferstand mit klarem Blick. Wie der Wein den Hochzeitsgästen in Kana, wie das Brot und der Fisch den 4000 und den 5000 schmeckte und sie im Schmecken den zu sehen bekamen, der das große Schaufenster Gottes ist, Jesus. Jesus Christus, Gottes Schaufenster für uns und für alle Welt.

„Schmecket und sehet wie freundlich der Herr ist.“ Darauf läuft alles Scmecken hinaus – sehen wie freundlich der Herr ist. Dafür machen wir unsere Gottesdienste lecker. Dafür küstern die Küster, singen die Sänger, predigen die Prädikanten. Damit wir sehen, wie freundlich der Herr ist. Dafür bilden wir unseren liturgischen Geschmack aus. Mit dem Michaeliskloster in Hildesheim, mit den Gottesdienstberaterinnen und –beratern im Sprengel. Sehen, wie freundlich der Herr ist, darum geht es. Dafür holen wir uns die besten Zutäter in den Gottesdienst: Bläser und Band, die Kantoren und ihre Chöre, Paul Gerhard oder den Gospel mit groove. Damit wir sehen, wie freundlich der Herr ist.

Und am Ende, liebe Schwestern und Brüder, am Ende legt dieser freundliche Herr selbst sich uns auf die Zunge, geht er selbst uns an den Gaumen. Im Brot und im Saft der Trauben ist er selbst ganz da. Will sich schmecken lassen von uns. Will übergehen in dein Fleisch und Blut. Mit aller Kraft, die aus seinem Geist kommt. Will füllen uns mit seiner Gottvertrauensenergie, die schon Millionen vor uns und neben uns beseelt hat. Will einnorden uns mit dem Kompass seiner Liebe, die den Nächsten nicht übersieht und den Fernsten nicht vergisst.
Wer von ihm einmal geschmeckt hat, der kann eigentlich gar nicht anders als zu sehen, der kann eigentlich nur noch zusehen, dass dieser Jesus, den er auf der Zunge und am Gaumen hatte, dass dieser Jesus in ihm groß wird, in ihm Gestalt gewinnt. Dass dieser Jesus in dir Hand und Fuß bekommt. Deine Ideen und Phantasien für seine Kirche. Deine Hilfe und dein Handeln für seine Welt. Segen und Trost für alle geschundene Kreatur. Dass du zu einer Filiale dieses Schaufensters Gottes wirst. Du klein, du, viel kleiner – natürlich – viel kleiner als das große Original. Aber du trägst ihn in dir. Du hast ihn ja doch geschmeckt. In diesem Gottesdienst. Und nun sieh zu. Amen.