„Unterwegs in eine neue Welt“ – unter dieser Überschrift feiert das Ökumenische Gemeindezentrum St. Stephanus 40 Jahre seines Bestehens. Und wenn man unterwegs in eine neue Welt ist, dann kann man zum Jubiläum vielleicht nichts Besseres machen, als zu einem hinzusehen, für den es eine Lebensaufgabe war, unterwegs zu sein in eine neue Welt. Hören Sie aus dem 1. Buch Mose 12, 1-4:
Und der HERR sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abraham aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte.
Für Abraham waren diese Worte der Ruf in eine lange und ungewisse Wanderschaft. Er wird heimatlos und zum Fremdling in unbekannten Ländern. Und es dauert viele Generationen bis sich der von Gott versprochene Segen einlöst. Hier in St. Stephanus ist man jetzt 40 Jahre ökumenisch unterwegs. Gut eine Generation. Erst eine Generation? Oder schon eine Generation? Die einen denken nach vorn und mögen dabei Ungeduld haben, weil viele ökumenische Vorstellungen noch nicht erreicht sind. Andere denken zurück und erinnern, was und wer vor gut vier Jahrzehnten im Vorfeld alles überwunden werden musste, um diesen ersten Schritt in das Ungewisse eines Ökumenischen Gemeindezentrums zu machen. Und eine gute Portion Selbstüberwindung wird bei dem einen oder anderen auch nötig gewesen sein.
Sich aufmachen, um etwas Neues anzufangen, Gewohntes verlassen, Losgehen, Aufbrechen, das ist ja immer auch mit Angst oder doch mit einer gewissen Scheu verbunden. Ich kenne das vor jeder Urlaubsreise. Die Koffer gepackt, die Kinder sind eingewiesen, die Katzen untergebracht, es könnte ganz unbeschwert losgehen. Und dann kommt der Gedanke „Eigentlich müsstet Du jetzt gar nicht verreisen, eigentlich könntest du auch gut zu Hause bleiben.“ Der Zweifel, ob es gut ist, und ob es gut wird. Und wie viele noch ernstere Zweifel sind mit wirklichen Aufbruchsentscheidungen eines Lebens verbunden. „Eigentlich müsstest du vielleicht gar nicht, eigentlich solltest du überhaupt nicht …“
Woher kommt diese Scheu vor dem Losgehen? Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, aber nicht den Hammer. Der Nachbar hat einen Hammer. Also beschließt der Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon hat er mich nur so flüchtig gegrüßt. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Was sollte er gegen mich haben? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen würde, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet die Tür, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ (aus: Paul Watzlawick, Anleitung zum Unglücklichsein, 19836, S. 37f.)
Das Unbekannte, der Unbekannte, die Unbekannten erscheinen uns als bedrohlich. Eigene Phantasien von dem, wie es sein könnte in der Begegnung mit Fremden, mit Neuem, machen Angst. Unzählige Alltagsgeschichten ließen sich davon erzählen, wie wir stecken bleiben zwischen „Geh los“ und „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“
So ist es schon ein Teil des Segens, wenn einer überhaupt losgehen kann. Und so war es hier in St. Stephanus schon ein Teil des Segens, als man vor 40 Jahren als katholische und evangelische Gemeinde zusammen losgehen konnte, aufzubrechen wagte. Es war ein Segen für den Weg unserer Kirchen, es war ein Segen für Menschen hier in Kaltenmoor. Wer den Nagel und wer den Hammer beigesteuert hat, lässt sich vielleicht nicht immer mehr sagen, aber es gibt schöne Bilder der Ökumene aus St. Stephanus heraus. Schöne Bilder davon, wie hier und da etwas wahr geworden ist davon: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein.“ Aber zur Ehrlichkeit gehört es auch, das zu sagen: Es hat auch Punkte gegeben, wo Hammer und Nagel nicht zusammen gekommen sind. Und es hat sogar solche Momente gegeben, wo bei einem Bild, das schon aufgehängt war, der Nagel wieder herausgezogen wurde.
Und wie ist es jetzt? Nach 40 Jahren? „Ich will dich zu einem großen Volk machen …“ Wie hören unsere ökumenisch gestimmten Ohren das heute? Müssen wir sagen: Auf allem, was „groß“ gedacht und geplant und gebaut ist in unseren Kirchen, da scheint gegenwärtig kein Segen drauf zu liegen? Beide Kirchen haben ihre Erfahrungen aus der letzten Zeit. Auch was wir ökumenisch zusammen einmal groß gedacht und geplant haben, bleibt im Moment ohne Segen. Die gemeinsame Überarbeitung der Einheitsübersetzung der Bibel ist vor Jahren schon abgebrochen. Wie wir ein groß gedachtes Gedenken an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren dann in 2017 ökumenisch begehen können, wissen wir noch nicht. Von einem großen gemeinsamen Tisch, an dem wir gemeinsam das Brot und den Kelch teilen, sind wir weit weg. Auch über die große Frage, wie wir zu einem gemeinsamen Verständnis unserer Ämter in der Kirche kommen, gibt es keine Verständigung.
Umso wichtiger und wertvoller ist es deshalb, was hier in St. Stephanus weiter in ökumenischem Geist im Kleinen geschieht. Eben nicht „Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!“ Sondern: Ich trage mein Anliegen über die Schwelle. Eben nicht „Die haben was gegen uns.“ Sondern: Ich will alles dafür tun, dass Hammer und Nagel zusammen kommen. Eben nicht: „Da bilden sich welche was ein.“ Sondern: Wir haben ein gemeinsames Bild von dem Land, das Gott uns zeigen will.
Wie war das noch mal bei Abraham? Am Anfang stand Gottes Segen für den Aufbruch und für das Ankommen „in dem Land, das ich dir zeigen will.“ Und dann auf dem Weg dahin? Gab es nicht auch den Zank zwischen Abraham und seinem Neffen Lot über die Verteilung des Landes? Waren da nicht die langen Jahre der Kinderlosigkeit von Abraham und seiner Frau Sara? War da nicht diese furchtbare Geschichte, wo Abraham meinte, seinen Sohn Isaak opfern zu müssen? Ja, da waren die Zeiten, wo Abraham gewissermaßen den einmal erhaltenen Segen durchtragen musste. Den Segen durchtragen durch segenslose Zeiten. Das gibt es wohl. Und das mag es auch geben, dass wir einen ökumenischen Gedanken durchtragen müssen durch bescheidene ökumenische Zeiten. Und das geht dann vielleicht nicht mit großem Denken, großem Planen und Bauen. Das geht dann besser so, dass einer sein Herz über die Schwelle trägt. Das geht dann besser so, dass zwei miteinander im Gespräch sind und ihren Glauben öffnen für einen neuen Gedanken. Das geht dann besser so, dass es eine kleine Gruppe an „Pfadfindern“ gibt, die ökumenische Zukunftswege, die für’s Große und Ganze gedacht sind, erst mal auf kleinen Trampelpfaden erkunden. Ganz ohne Segen kann das nicht bleiben.
Aber wo wird das hinführen? Wie wird es mit der Ökumene in Zukunft sein? In 40 Jahren? Nicht, dass ich den Gang der Dinge wüsste, aber ich sehe ein paar Wege. Und von manchen sind sie schon beschritten. Auf diesen Wegen gehen Menschen unserer beiden Kirchen, die eine Ökumene nicht mehr in den alten Grenzen suchen. Für sie werden die konfessionellen Trennlinien unwichtiger. Ich sehe katholische und evangelische Christen, die sich nicht mehr aus einer Verschiedenheit zur anderen Konfession heraus verstehen. Die sich selbst nicht mehr bestimmen von der Grenze, die sie trennt. Die nicht mehr fragen: Wer bin ich im Gegenüber zum anderen, oder wer sind die anderen im Gegenüber zu mir. Die sich nicht mehr aneinander abarbeiten. Die sich keinen Kopf mehr darum machen, „mit Gewalt“ ökumenisch zu sein. Aber sie sind es. Sie sind es durch ein gemeinsames Tun, das einem Dritten verpflichtet ist. Ich sehe Menschen, die weniger aufeinander schauen, sondern vielmehr gemeinsam auf ein Drittes, das man liebt, um das man sich kümmert und um das man besorgt ist.
Was ist dieses „Dritte“. Im Großen unserer Welt kann es die Frage nach Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sein. In der Sorge um die Not von Menschen und einen Schutz der Schöpfung liegt die Frage, ob einer evangelisch oder katholisch ist, schon hinter uns. Da ist man selbstverständlich beisammen. Der eine bringt den Nagel, der andere den Hammer.
Ganz beisammen können wir auch sein, wo es hier bei uns um eine Aufgabe im Stadtteil geht. Als ganz beisammen werden wir ja doch auch von außen angesehen. Wenn Stadtverantwortliche – Bürgermeister, Stadt- oder Ortsrat – an „die Kirche“ denken, dann teilen sie uns doch nicht auseinander. Nach dem Motto: Die Evangelischen sind für dieses zuständig, und die Katholiken sprechen wir auf jenes an. Nein, „Ihr seid als Christen doch gemeinsam auf etwas ansprechbar und für Menschen verantwortlich.
Aber ich will dieses „Dritte“ jetzt nicht nur im Blick auf die praktische soziale Arbeit verstehen. Als evangelische und als katholische Christen gemeinsam lieben wir den Schatz unserer biblischen Tradition, Jesus-Gleichnisse und Erzählungen, die Schönheit der Psalmen und den Erfahrungsschatz, der in den biblischen Schriften aufgehoben ist. Wir sehen aber, wie viel davon bei vielen Menschen schon verloren gegangen ist. So sind wir in der gemeinsamen Verantwortung, dieses „Dritte“ weiter zu geben, weiter zu tragen zu den Menschen. Nicht mehr als Katholiken den Katholiken, als Evangelische den Evangelischen, sondern als Christen den Menschen.
Und wir entdecken dabei manches „Neuland“. Ale Evangelische lernen wir die katholischen Heiligen kennen als Zeugen für wichtige Maßstäbe des Lebens. Wir entdecken das Wallfahrten oder Pilgern für das Sortieren unserer Gedanken und für das Erkennen von Verantwortung. Auch Fastenzeiten sind vielen wieder bewusst geworden. Und das sind ganz oft ökumenische Gruppen. Aber bei ihnen steht nicht mehr das eigene Evangelisch- oder Katholisch-Sein an erster Stelle, sondern ein gemeinsames „Drittes“.
Und es ist weiterhin spannend, was noch auf diesem Weg uns erwartet, gemeinsam zu entdecken und zu erfahren, gemeinsam zu glauben und es dann gemeinsam auch glaubwürdig für Dritte zu leben. Und es wird für unsere Kirchen zum Segen gereichen, wenn Sie uns hier im Ökumenischen Gemeindezentrum St. Stephanus auf diesem Weg auch immer wieder einen kleinen Schritt voraus sind. Amen.