Schöne Bescherung - Predigt zur Christnacht

Landessuperintendent Dieter Rathing am 24. Dezember 2014 in St. Johannis, Lüneburg

Liebe Gemeinde, jetzt ist es Nacht über Heilig Abend geworden. Wir sind mittendrin in diesem besonderen Fest. Die eine oder andere schöne Weihnachtsstunde liegt noch vor uns, mit dem Besuch, mit einem Essen, im Gespräch mit der Familie, mit Freunden. Wir können uns aber auch schon umdrehen und auf die ersten Stunden zurückblicken, auf ein Schenken und ein Empfangen, wo etwas an Überraschung gelungen ist, und wo vielleicht auch - leider - gute Mühe vergeblich war. Ich wünsche Ihnen, dass Sie eine schöne Bescherung hatten – im besten Sinn des Wortes!

Mit „schöner Bescherung“ im eher schlechteren Wortsinn verbinde ich einen Heiligen Abend, an dem bei mir ganz persönlich viel gute Mühe vergeblich war. Ein paar Jahre zurück, ich war gebeten, den Weihnachtsmann zu spielen. Es galt höchste Geheimhaltungsstufe. Ich gab mir viel Mühe für eine absolute Verwandlung. „Du musst dich total verändern“, habe ich mir gesagt. Armbanduhr ab, Handschuhe an, Gummistiefel, die an mir keiner kennt, zwei Kissen um den Bauch gebunden und natürlich: roter Mantel, weißer langer Bart, Mütze, Kapuze. Und weil ich für meine gelingende Verwandlung ganz sicher gehen wollte, habe ich mir – unter dem gedanklichen Vorwand von weihnachtsmännlicher Schneeblindheit – auch noch eine Sonnenbrille aufgesetzt. Ich habe das typische Weihnachtsmannbrummen geübt und meine Stimme um zwei Oktaven tiefer gelegt. Am Ende fand ich, die zweite Identität sei ziemlich perfekt gelungen und stapfte mit dem Geschenkesack in die weihnachtliche Gesellschaft.

Keine zehn Schritte bin ich gestapft, den Mund noch gar nicht aufgetan, da hörte ich es schon raunen: „Das ist der Pastor von nebenan.“ Schöne Bescherung! Ich war in meiner angenommenen Weihnachtsmann-Identität schwer getroffen und habe am selben Tag noch dieser Aufgabe lebenslang abgeschworen. Die angestrebte „Verwandlung“ hat sich mit der Verkleidung nicht erfüllt.

Mit rotem Mantel, Bart und Mütze bin ich wohl zu sehr an der Oberfläche geblieben, „so tun als ob“ war zu wenig, meine Veränderung missglückt. Ein harmloses Beispiel. Deutlich ernster ist es, wenn wir uns in anderen und wichtigeren Bereichen unseres Lebens Veränderungen vornehmen. Wir leben ja in einer Zeit, in der fast ununterbrochen über die Notwendigkeit von Veränderungen gesprochen wird. Im Gesundheitswesen, bei den Renten, in der Wirtschaft, in Schulen und in der Kirche. „Da muss sich zur Besserung überall ordentlich was ändern“, sagen wir.

Und gleichzeitig sind wir skeptisch. Denn was wurde nicht schon alles in Angriff genommen? Wie viele Reformen, Umwandlungen, Wechsel, Umbau, Veränderungen haben wir nicht schon erlebt? Manchem wird schwindelig, wenn er daran denkt. Aber hat sich die Erwartung an Besserung erfüllt? Ist da nicht allzu oft die Erfahrung: Die Veränderung, das war so ein Tun „als ob“, das ist nur „an der Oberfläche“ geblieben, und wirklich geändert hat sich kaum etwas.

Bei allem Reden über Veränderungen habe ich oft den Eindruck, dass der wichtigste Bereich ausgelassen wird. Könnte es sein, dass deshalb alle Veränderungen nicht die erhoffte Besserung bringen, wenn ich, wenn wir, wenn die Menschen bleiben, wie sie sind? Dass der Mensch sich ändern muss, dass wir uns ändern müssen, wenn sich etwas ändern soll? Es ist erstaunlich, wie beharrlich diese Frage ausgelassen wird.

Nur zwei Beispiele. Für die Wirtschaft wird immer wieder über verschiedenste neue Programme diskutiert. Aber wenn man lange genug in diese Diskussionen hineinhört, läuft es immer darauf hinaus, dass gesagt wird: Entscheidend ist das Vertrauen, was Menschen haben. Entscheidend ist das Vertrauen, das einer haben kann, wenn er mit anderen ein Geschäft macht, das Vertrauen, das einer in das Wort und in das Verhalten eines anderen setzen kann, der für ihn oder mit ihm arbeitet. Ich bin Börsen-Legastheniker, aber die Veränderungskraft liegt auch dort - sogar dort - im Vertrauen von Menschen. Gerade habe ich wieder gelesen: Das Höchste und Beste, was man an der Ney Yorker Börse von einem vertrauenswürdigen Handelspartner sagen kann, ist „He“ oder „she is a mensch.“

Oder: Wir klagen über Gewalt an Schulen, über Leistungsversagen und - verweigerung. Aber wir wissen auch, dass viele Gründe dafür in der Ungeborgenheit der Kinder, in mangelnder Zuwendung liegen. Was machen wir? Wir denken an mehr Gelder, fordern bessere Verordnungen, andere Gesetze, vielleicht sogar Strafen. Aber Veränderung geschieht nicht durch neue Gesetze und Strafen. Gesetze und Strafen hat die Welt immer genug gehabt. Und auch Geld verwandelt Menschen nur selten zum Besseren.

Zu der berühmten Mutter Theresa reiste ein Journalist nach Kalkutta, um eine Reportage über ihre Arbeit der Nächstenliebe zu machen. Während des Treffens kam ein abgerissener und zerlumpter Mann, um bei ihr Hilfe zu suchen. Mutter Theresa entschuldigte sich bei dem Journalisten und wandte sich dem Mann zu, nahm ihn in den Arm, tröstete ihn. Der Journalist war fassungslos: „Das könnte ich nicht einmal für 1000 Dollar tun“, sagte er. Sie wandte sich um und sagte: „Ich auch nicht.“ Veränderung des Menschen geschieht nicht durch Geld.

Ich füge gleich hinzu: Geändert wird der Mensch auch nicht durch Gewalt. Wir haben die Länder vor Augen, in denen – auch im Namen der Religion – Kriege geführt werden. Wir wissen auch, dass das Christentum zeitweise meinte, man könne die Menschen mit Gewalt zu ihrem Heil zwingen. Das war ein Irrtum.

Liebe Gemeinde, jetzt feiern wir Weihnachten, und wir haben auch heute Nacht wieder die alten großen Hoffnungen der Menschheit gehört. Das große Warten auf Veränderung, ausgesprochen von Micha und Jesaja, den Propheten. Und jeder von uns hat wohl wahrgenommen: Keine dieser Hoffnungen auf Veränderung ist mit einem neuen Gesetz, mit einer härteren Strafe oder mit Geld verbunden. Sondern: Ein Kind soll geboren werden, ein Mensch soll es richten.

Haben wir es nicht immer schon gewusst? Es braucht einen Menschen, wenn der Mensch sich ändern soll. Im Mittelpunkt der Weihnachtsgeschichte steht dieser Mensch, besser gesagt: Er liegt dort. „Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“

Und jeder, der diese Geschichte mit Verstand hört, kann verstehen: Kaiser Augustus, Maria schwanger, mit Josef nicht verheiratet, die Geburt im Stall, die Hirten vom Felde, das Kind in einer Futterkrippe … Das alles ist kein harmloses „so tun als ob.“ Da setzt sich der liebe Gott nicht nur mal schnell ein rotes Mützchen auf. Da klebt sich nicht einer einen alten Bart an, um mal ein Stündchen nett bei den Menschen zu sein, sondern da wird „ganz Mensch“ geworden. Der himmlische Gott wird ganz irdisch. Ein Menschenkind. Es braucht einen Menschen, wenn der Mensch sich ändern soll. Gott glaubt an den Menschen, deshalb wird er selbst Mensch.

Gott glaubt an dich, dass du selbstloser werden kannst als du bist. Er glaubt an dich: Du kannst frömmer werden als du bist. Gott glaubt an dich: Du kannst hoffnungsvoller werden als du bist, freundlicher und liebevoller. Mensch, glaub ihm das doch! Glaub doch mal, dass Gott an dich glaubt! Glaub mit Gott zusammen mal nicht an Gesetze und an Strafen, glaub‘ sowieso nicht ans Geld, das alles kann an der Oberfläche mal gut sein und auch mal gut tun. Aber wenn wir uns denn wirklich verändern wollen, dann muss es ans Eingemachte gehen, ans Menschsein, dann braucht es diesen Gott, der selber Mensch wird. „Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt …“ In Windeln gewickelt - jeder versteht, da geht’s ans Eingemachte, da wird’s sehr menschlich und konkret.

Auf ganz schlimme Weise menschlich konkret wird es immer wieder, wenn wir von Berichten über vernachlässigte und getötete Kinder bei uns erschreckt werden. Eine kranke Mutter, ein überforderter Vater, verzweifelte Eltern lassen ihre Kinder sterben, im Windelalter und darüber hinaus. Das bewegt uns.

Es tröstet wenig, wenn - statistisch gesehen - die Zahl der Kindstötungen in den vergangenen Jahren - entgegen unserem Eindruck - nicht zugenommen hat, sondern weniger geworden ist. Und es kann auch nicht ganz beruhigen, dass die allermeisten Mütter und Väter, allein erziehend oder gemeinsam, ihre Kinder mit Hingabe und Fürsorge großziehen. Auch unter schwierigen Bedingungen gibt es in kleinen und großen Familien viel mehr Gelingen als Scheitern! Mit großer Verantwortung leisten Eltern und Großeltern, Nachbarn und Kindergarten, Schule und viele Vereine einen ganz wertvollen Beitrag zum Erziehen und Großwerden. Viel mehr Gelingen als Scheitern!

Es bleibt der Eindruck: Das Wohl von Kindern, die Sorge um ihr gutes und gesundes Aufwachsen: Das ist einer der ersten und wichtigsten Bereiche für Veränderungen in unserem Land.

Als ich vor Wochen Berichte von Jugendlichen über ihr Freiwilliges Soziales Jahr gelesen habe, hat mich am meisten bewegt: Viele haben erzählt, sie hätten in diesem Soziales Jahr zum erstem Mal gespürt, dass jemand sie braucht. Da läuft etwas sehr falsch, wenn junge Leute in unserem Land den Eindruck haben: Wir brauchen euch nicht. Wie können wir „für Kinder“ zu Veränderungen kommen?

Die Weihnachtsgeschichte sagt es ganz schlicht. Der größte Beweger für uns Menschen ist ein Mensch. Jeder von uns hat das wohl selbst schon erfahren. Ein anderer Mensch kann uns am intensivsten berühren und bewegen, motivieren und eben auch verändern. Es braucht einen Menschen, wenn der Mensch sich ändern soll. Deshalb steht – oder besser gesagt liegt – im Mittelpunkt der Weihnachtsbotschaft ein Mensch.

Es braucht einen Menschen, wenn der Mensch sich ändern soll! Ein afrikanisches Sprichwort weiß es noch besser und sagt: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Eine Mutter und ein Vater sind zu wenig, sind nicht genug für ein Kind. Was können wir tun?

Zum Beispiel können wir das tun, was die Hirten von Bethlehem taten. Wir können hingehen, wenn ein Kind geboren ist. Sehr konkret: Im Haus, in der Nachbarschaft, in der Straße. Einfach hingehen und sagen, dass wir uns mitfreuen. Die Eltern damit bescheren: Euer Kind ist uns wertvoll. Es bedeutet uns etwas. Auch wenn wir nicht miteinander verwandt sind.

Zum Beispiel was die Könige taten, können wir tun. Sie haben das Kind beschert. Gold, Weihrauch und Myrrhe müssen es bei uns gar nicht sein. Ein Wort reicht schon. Sehr einfach: Tragen Sie doch mal ein gutes Wort dorthin, wo schlecht über Kinder geredet wird. Das ist Gold wert. Tragen Sie doch einfach mal ein lobendes Wort dahin, wo Erziehung gelingt. Das ist mehr als Weihrauch und Myrrhe.

Ja, und selbst das, was Ochs und Esel – der Legende nach – getan haben, können wir tun. Eine sehr menschliche Bescherung: Einfach mal dabei sein und Wärme ausstrahlen in der Nähe eines Kindes. Einfach mal gutmütig bleiben, wenn es vor der Ladenkasse Geschrei gibt. Einfach mal hingucken, wo junge Mütter und Väter Beistand brauchen.

Zu solcher Bescherung braucht es Sie, es braucht es Euch, liebe Gemeinde, als Menschen.

Schöne Bescherungen, manchmal mögen sie gelingen mit roter Mütze, Bart und Mantel. Die schönste Bescherung ist aber die mit einem wirklichen Menschen.

Das war so, als Gott Mensch wurde. Und das ist immer noch so, wenn wir einander zum Menschen werden. Beschert euch damit zu froher Weihnacht. Amen.