Gottes Ebenbild - Eröffnung der Predigtreihe "Reformation und Bild"

Predigt von Landessuperintendent Dieter Rathing am Sonntag, 23. August 2015, in der St. Johanniskirche Lüneburg. Die Rede bildete den Auftakt zu einer Predigtreihe des Bischofsrates der hannoverschen Landeskirche zum Themenjahr der Evangelischen Kirche in Deutschland "Reformation und Bild". 

Liebe Gemeinde, ich gehe wohl nicht fehl mit der Annahme, dass Sie heute Morgen schon in den Spiegel geschaut haben. Wen haben Sie da gesehen? Ich sage es ihnen.

  • Sie haben in ihrem Spiegel gesehen ein Exemplar des auf dieser Erde rund 7,3 Milliarden Mal vorkommenden Lebewesens.

  • Sie haben gesehen ein Musterstück des Menschen, der Choräle singt, der leise spricht „Ich liebe dich“ – und der Schießbefehle erteilt und schlüpfrige Geschichten erzählt.

  • Sie haben gesehen ein Beispiel des homo sapiens, der sogenannte „ewige Werte schafft, Bilder malt, Sinfonien komponiert, Gedichte schreibt – und der zugleich ganz und gar im Augenblick aufgeht, schreit, um sich schlägt, foltert, mordet und am Ende selbst stirbt.

  • Sie haben gesehen ein Exemplar der Gattung Mensch, die sich dadurch auszeichnet, dass sie sehr hoch und sehr tief über Gott und die Welt und über sich selbst nachdenken kann – und zugleich bedarf es nur eines mittleren Zahnschmerzes, und alle erhabenen Gedanken sind sogleich aus dem Kopf.

Ich frage Sie, dieser Mensch soll Gottes Bild sein? Mich selbst im Spiegel zu sehen und daraus zu schließen, das sei Gottes Bild, mutet einem schon etwas zu. Und das nun auch noch für all die anderen Menschen – für alle Menschen! – zu denken … Wie soll ich das glauben?

„Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei … Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie als Mann und Frau.“ (1. Mose 1,26f.) Was ist das für ein Bild, Abbild, Ebenbild Gottes, von dem die Bibel beim Erzählen über die Schöpfung spricht?

Es mag hilfreich sein, sich zunächst einmal kurz in die Welt der orientalischen Großkönige zu begeben. Sie hießen Nabopolassar oder Nebukadnezar, nannten sich Kyros oder Krösus, und sie herrschten über riesige Reiche. In allen Gegenden ihres Reiches konnten sie leibhaftig kaum oder gar nicht präsent sein. Und so ließen sie in den entlegenen Provinzen ihrer Riesenreiche Bilder von sich aufstellen. Statuen als Zeichen ihrer Herrschaft. Hoheitszeichen als Ausdruck ihrer zu denkenden „Anwesenheit“. Die Botschaft: Das hier ist mein Revier. Hier habe ich das Sagen. Mein Bild, Abbild, verweist auf mich, vertritt mich, repräsentiert mich.

In Entsprechung dazu dürfen wir uns vorstellen: Gott sieht in „seinem Bilde“, das er schafft, Gott sieht im Menschen seinen Repräsentanten in der Welt. Der Mensch macht Gott in der Welt gegenwärtig. Er ist das Wesen, das mit seinem Leben Gott widerspiegelt. Nicht für einen ist diese Aufgabe vorgesehen, sondern für alle. Nicht ein einzelner ist dazu bestimmt, sondern jeder gleichermaßen.

Und sofort ist damit klar: Es ist nicht etwas an uns – Auge, Nase, Mund oder Ohr -, das uns zu Gottes Bildern macht. Das bis zur Unkenntlichkeit entstellte Unfallopfer ist genauso Gottes Ebenbild wie das makellose Modemodel. Und sofort ist damit klar, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen besteht nicht in irgendetwas, was unsereiner ist oder kann oder tut. Jedes ärmste und schwächste, jedes gottloseste und verkommenste Menschenkind verweist genauso auf Gott wie das Genie in der Kunst, der Athlet des Sports oder der Begabte im Geist. Als Himmelstürmer und als Erdenwurm, Übermensch oder Underdog, in Größe und in Elend sieht Gott in uns sein Abbild.

Kann ich mich, können wir uns selbst auch so sehen? Will ich mich, wollen wir uns so sehen? Liebe Gemeinde, ich bezweifele das. Und mit diesem Zweifel will ich gar nicht zuerst auf andere zeigen, von denen ich das bezweifele, sondern mit diesem Zweifel gehe ich selbst andauernd schwanger. Ich selbst kann das für mich so schwer glauben, dass in mir Anwesenheit, Verweis und Repräsentanz Gottes stecken soll. Und wie ich sie aus mir heraus darstellen, aus mir heraus gebären, aus mir heraus in diese Welt bringen soll, bringen kann.

Denn das ist ja auch klar, nur durch’s Behaupten, allein dass ich damit predigtmäßig auf der Kanzel stehe oder gesprächsweise damit durch die Welt ziehe, übe ich als Gottes Bild in dieser Welt noch keine Kraft aus. Ich „wirke“ noch nicht. Und eine Wirkmacht sollen die Bilder doch haben. Leute, die achtlos mit „Hoho“ und „Haha“ an der Statue eines orientalischen Großkönigs, links liegend lassend, vorbeigehen …- so war das ja nicht gedacht. Sondern „Hey, das ist mein Revier, hier habe ich das Sagen, dieses Bild ist meine königliche Stellvertretung“ – so soll es doch sein.

Wie werde ich meiner Aufgabe als Ebenbild Gottes gerecht? Als erstes vielleicht dadurch, dass ich mir einen Wunsch versage. Ich versage mir den Wunsch aus dem Herzen, dass Menschen etwas Endgültiges angetan werden soll. Ebenbilder Gottes dürfen nicht angetastet, nicht aus der Welt geschafft, nicht umgebracht, nicht getötet werden. Das ist ein Wunsch, der in einem ja immer wieder einmal hochsteigen kann. Wenn ich sehe, was Menschen alles an Unmenschlichkeit anderen Menschen antun können. An Körper und Geist. An Kindern und Frauen. Wie viel menschliche Schuld an Unschuldigen ist in der Welt!

Dass diese Banden von Bösen am besten ausgerottet gehören, diesen Wunsch sich zu versagen. Das ist das erste, und das ist nicht leicht. Es ist ja sogar ein Wunsch, dem Gott selber einmal verfallen ist. Da ließ er aus Wut und Ärger über alles Böse in der Welt die große Flut über die Erde kommen, und bis auf Noah und die Seinen in der Arche mussten alle ersaufen.

Vielleicht müssen wir in unseren Gebeten Gott gelegentlich daran erinnern, dass die Menschen seine Ebenbilder sind, und dass er es nicht zu weit treiben soll, wenn schon Kinder von Krankheit zerfressen werden und einen Tod sterben, ehe sie gelebt haben. Aber zuerst ist es natürlich eine Erinnerung an uns selbst. Den Tod von Menschen herbeiführen ist die große Aufkündigung des Glaubens daran, dass wir Gottes Ebenbilder sind.

Wir tun in der Kirche manchmal so, als würden wir unserem Glauben vor allem dann untreu, wenn wir bestimmte Glaubenssätze nicht teilen. Ich glaube: Wir verleugnen den Glauben weniger durch das Bestreiten von Glaubensinhalten, sondern wir verleugnen den Glauben weit mehr im praktischen Tun – durch Todesstrafen, durch Todeshilfen, durch Kriege, die Leben auslöschen, durch Lebens- und Arbeitsbedingungen, die das Antlitz von Menschen schänden. Zum Bilde Gottes bin ich geschaffen und jeder, jeder andere Mensch ist es auch. Deshalb soll jeder den anderen so hoch achten wie Gott. Und alles ist gottlos, was Menschen kaputtmacht, was sie kränkt, knechtet, erniedrigt, beleidigt und damit Gottes Ebenbild entstellt. Bei jedem Menschen haben wir es mit Gott selbst zu tun.

Wie werde ich meiner Aufgabe als Ebenbild Gottes gerecht? Ich sehe ein Zweites. Und es ist kein Widerspruch zum Ersten: Es ist die Erinnerung, dass wir trotz der Größe, trotz der Bedeutung, die Gott uns als Menschen verleiht, auch als Ebenbilder seine Geschöpfe bleiben. Ich bin eine endliche Kreatur, mit Fehlern behaftet, Schmerz und Leid unterworfen. Ich bin zuzeiten unerträglich mit meiner Halbheit und Unehrlichkeit.

Wir neigen dazu, das verleugnen. Wir neigen dazu, uns selbst zu verherrlichen. Und manchmal verraten das unsere Bilder. Die Bilder, die wir uns von uns selbst machen. Sie kennen wahrscheinlich die beliebte Mode, mit dem Smartphone sogenannte Selfies zu machen. Bilder von sich selbst vor dem Brandenburger Tor oder beim Feierabendbier oder einfach nur auf dem heimischen Sofa, um sie dann von Handy zu Handy oder über das Internet Freunden in die Welt zu schicken. „Seht, das bin ich, so bin ich jetzt gerade.“

Charakteristisch für solche Selfies ist: Es gibt keine, auf denen der Selbst-Fotograf unglücklich schaut. Keine Momente, in denen einer allein daheim sitzt und an der Welt verzweifelt, keine Situation, in der einem in der Arbeit, in der Liebe, in der Familie vielleicht zum Heulen zumute ist. Wir sehen stets glückliche Gesichter, nette Gesellschaft, schöne Umgebung. Die Bilder zeigen nicht Menschen, wie sie wirklich sind, sondern sie zeigen das eigene Glück, den eigenen Erfolg, die eigene Schönheit, die herrliche Seite des eigenen Lebens.

Als Ebenbild Gottes aber bin ich geschaffen auch mit dem, was ich gerade an mir hasse. Im Ebenbild Gottes sind einbegriffen die Kargheit mancher Stunde und mein mächtiges Versagen in manchen Momenten, ist einbegriffen meine Bedürftigkeit nach Liebe und nach allem sonst, was mir fehlt. Genauso wie ich glauben will: Jedes andere ärmste und schwächste, jedes andere unglückliche Menschenkind ist Gottes Ebenbild, so darf ich es auch von mir selber glauben.

Wie werde ich meiner Aufgabe als Ebenbild Gottes gerecht? Ein letzter Gedanke. „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie als Mann und Frau.“ Das ist noch wichtig zu hören. Gott schafft sein Ebenbild von Anfang an in der Mehrzahl, einen Mann und eine Frau. Das heißt: Ein Mensch ist kein Mensch, oder einer allein ist höchstens ein halber Mensch. Und so brauchen wir von der Kinderzeit bis zum Greisenalter andere Menschen, um selber ganz Mensch zu sein, um ein ganzer Mensch werden zu können.

Aus dem einen Mann und der einen Frau am Anfang muss man wahrhaftig nicht gleich eine ganze Ideologie der Ehe ableiten. Es gibt unzählige Beispiele erfüllten Menschseins ohne Ehe, so wie es unzählige Beispiele gibt für unerfülltes, für unglückliches Menschsein in der Ehe. Trotzdem bleiben wir gesellige Wesen. Einsamkeit ist eine Tragödie für uns. Wir brauchen es, dass wir den Glanz im Auge eines Menschen sehen – und das nicht nur, wenn wir in den Spiegel schauen. Wir brauchen es, dass eine Träne im Auge des Menschen gesehen wird – und das erst recht nicht nur im eigenen Spiegel. Wir brauchen diese ganze Palette des menschlichen Umgangs - Freude bereiten und sich Sorgen machen, das Ansehen und das Aufrichten, Ansprechen und Anhören. Sonst ist es nichts mit uns oder doch nur etwas Halbes.

Und ja, am Ende müssen wir uns sogar Gott als einen vorstellen, mit dem es nichts oder doch nur etwas Halbes wäre, müsste er ohne sein Ebenbild auskommen. Ohne den Menschen, das wäre ein zutiefst einsamer Gott.

Und so dürfen wir ihn glauben als den, der ohne den Glanz unserer Augen nicht sein will. Dürfen ihn glauben als den, der die Tränen der Menschen sieht, der Freude bereitet, sich Sorgen macht. Ansehen und Aufrichten, Ansprechen und Anhören seiner Ebenbilder, das ist seine Sache. Auf dass wir ganz mutig und ganz getrost das von uns glauben können, wozu wir bestimmt sind: Gottes Ebenbilder zu sein. Amen.