Johanniter: Predigt zum Rittertag am 26.09.2015 in Lüneburg

Festgottesdienst in St. Johannis

Die Zweiundsiebzig aber kamen zurück voll Freude und sprachen: Herr, auch die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen. Er sprach aber zu ihnen: Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz. Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden. Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind. Lukas 10,17-20 (Evangelium zum Tag des Erzengels Michael und aller Engel)

Liebe Johanniter-Gemeinde, darf ich hoffen, Sie hatten einen sicheren Weg nach Lüneburg? Und dann heute Morgen hier her in die St. Johannis-Kirche. Konnten gestern mit dem Auto gut zufahren und jetzt eben fest zutreten auf dem Straßenpflaster und sind auch sonst schadlos geblieben. Frei von überraschenden Funkenentladungen, Teufelserscheinungen, Spinnentierbissen. Keine Wunden, Verletzungen? Na, dann freue ich mich mit Ihnen über diesen Erfolg.

Freue mich mit Ihnen, so wie ich mich mit den Jüngern Jesu freue über ihren Erfolg, von dem wir im Evangelium hörten. Die Zweiundsiebzig waren von Jesus losgeschickt in die Dörfer und Städte „wie Lämmer mitten unter die Wölfe“, also durchaus in gefährlicher Mission. Sie sollten Menschen Frieden zusagen, ihnen das Evangelium verkündigen, vom Reich Gottes predigen und Kranke heilen. Und das alles in Jesu Namen: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ Lk. 10,16)

Nun kommen sie von ihrer Mission zurück und …- und haben Erfolg gehabt. „Herr, auch (selbst) die bösen Geister sind uns untertan in deinem Namen.“ Jesus ist nicht überrascht. Ja, sagt er, „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“, und überhaupt, da seht ihr: „Ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes; und nichts wird euch schaden.“ Ihr habt Erfolg. Klammer auf: Was wollt ihr mehr? Klammer zu.

Wie ist das eigentlich auf einem Rittertag des Johanniterordens? Reden Sie da auch über Ihre Erfolge? Freuen Sie sich darüber? Ich hoffe doch! Im Jahresbericht 2014 der Johanniter-Unfall-Hilfe lese ich: Rund 31.000 Ehrenamtliche und 16.000 Hauptamtliche waren im vergangenen Jahr für die Johanniter im Einsatz – so viele wie noch nie. „Immer mehr Menschen nehmen die Dienste der Johanniter in Anspruch.“ „Die Umsatzerlöse aus den Hauptleistungen konnten wir um beachtliche 9,6 Prozent erhöhen.“ Im Flüchtlingshilfe-Ticker der Johanniter steht: Es werden noch weitere Helfer abgestellt für die Notunterkunft in Oerbke bei Fallingbostel, vorher schon in Oldenburg und in Bramsche.

Ich hoffe doch, Sie reden darüber. Und Sie freuen sich über die Erfolge in Altenhilfe oder Kinderbetreuung, in den sozialen Diensten oder im Katastrophenschutz. Und können sich auch freuen und stolz sein über eine gute Entwicklung der Hannoverschen Genossenschaft, der Kommende und den Subkommenden, den Diensten und Arbeitsgemeinschaften. Sie haben Erfolg. Klammer auf: Was wollen Sie mehr? Klammer zu.

Wollen Sie vielleicht noch über den Teufel reden? Böse Geister? Über Schlangen und Skorpione? Wahrscheinlich nicht. Schade eigentlich. Es bräuchte nämlich welche, die das Böse oder den Bösen noch beim Namen nennen. Denn dass Sie heute Morgen sicheren Weges hier her gekommen sind, dass Sie sich hier in Lüneburg keiner satanischen Attacken erwehren mussten, das ist noch lange kein Beweis dafür, dass es „ihn“ nicht mehr gibt. Wenn Sie eines zweckdienlichen Hinweises bedürfen, gern. Der renommierte Philosophiehistoriker Kurt Flasch hat in diesen Tagen gerade ein Buch mit „seiner“ Lebensbeschreibung vorgelegt: „Der Teufel und seine Engel. Die neue Biografie.“ Auf 400 Seiten: 2000 Jahre satanische Vitalität. Flasch bezweifelt, dass das Christentum eine Abschaffung des Teufels überstehen würde. Und wenn „er“ in Europa vielleicht doch schon einen Schwächetod gestorben sein sollte, dann müsste man mit Mephisto aus Goethes Faust festhalten „Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.“

Liebe Gemeinde, ich weiß, ich weiß: Vor einem Schwarz-Weiß-Denken, vor Freund-Feind-Mentalität, vor einem Beharren auf solchen Kategorien wie Gut und Böse wird allenthalben gewarnt. Bloß nicht zu sehr Partei ergreifen, bloß keinen Unterschied zwischen Richtig und Falsch anerkennen, bloß nicht die lauwarme Zone aufgeklärter Differenziertheit verlassen. Man muss sich, so wird gesagt, davor hüten, unvorsichtige Werturteile zu fällen. Ich glaube, es ist eher umgekehrt: Wir leiden nicht an moralischer Naivität, sondern an überschlauer Standpunktlosigkeit. Wir laufen nicht Gefahr, die Welt zu simpel zu sehen. Das Gegenteil ist viel verbreiteter: Dass man sich nicht einmal mehr zu einem Minimum an Entschiedenheit aufraffen kann. Heiner Geißler tut so etwas vielleicht noch, er hat kürzlich den ungarischen Ministerpräsidenten einen Rassisten genannt.

Ich halte dafür: In die Welt von Religion und Glaube gehört es, dass am Ende Gut und Böse nicht verschwimmen. Dabei eignen sich Religion und Glaube ganz gewiss nicht als Quelle moralischer Überheblichkeit oder Rechthaberei. Wir sind uns als Christen sehr bewusst, dass die großen Figuren der Bibel keineswegs perfekt sind, sondern komplex, schwierig und gebrochen. Jakob … – erschleicht sich das Erstgeburtsrecht, das ihn zum Chef seines Clans macht. David … – schickt einen treuen Offizier in den Tod, weil er es auf dessen Frau abgesehen hat. Petrus … – verleugnet seinen Herrn als das Bekenntnis zu ihm riskant wird. Paulus … – wütender Christenverfolger, bevor er sich bekehrt. Die Linie zwischen Gut und Böse ist nicht immer gerade und nicht immer klar, manchmal scheint sie zu verschwimmen, und man erkennt ihren Verlauf nicht. Aber sie gar nicht mehr zu suchen, das ist etwas anderes.

Wie oft ist die angebliche „Komplexität der Verhältnisse“ bloß eine Ausrede. Es ist doch nicht so, dass Entscheidungssituationen des Lebens uns dauernd nur in neblige Landschaften von Grau in Grau stellen. Sie sind meist nicht schwarz-weiß, aber Hellgrau und Dunkelgrau lassen sich in der Regel ganz gut auseinanderhalten. Wir wissen recht genau, wann uns ein berufliches Fortkommen wichtiger war als unsere Kinder, der Ehepartner oder die Eltern. Wir schämen uns insgeheim auch dafür, aber es ist nicht angenehm, sich das einzugestehen. Und so legen wir uns Theorien über die widersprüchlichen, gleichermaßen wichtigen Herausforderungen zurecht, die an uns zerren und nie aufzulösen sind.

Und auch im Größeren, im weltpolitischen Geschehen, gibt es nicht nur tragische Verstrickungen, die Recht oder Unrecht nun gar nicht mehr benennen ließen. Freilich kann es mühsam sein, alle Umstände zu recherchieren. Und wenn man dann vom einen eigentlich kein Öl mehr kaufen sollte und dem anderen vielleicht militärisch helfen müsste, dann wird die Angelegenheit richtig unbequem, und man fährt besser mit dem Gemeinplatz, dass nun mal jeder seine Interessen hat und die Verhältnisse zu unübersichtlich sind, um Position zu beziehen.

Jünger und Jesusleute, Glaubende und Christen sind keine besseren Menschen. Sie waren es in der Vergangenheit nicht, und sie werden es in der Zukunft nicht sein. Aber Gut und Böse sind auch keine Einbildung, sondern unter uns wirkende Kräfte. Wir dürfen sie beim Namen nennen, wie Jesus sie beim Namen genannt hat. Als Johanniter wissen Sie wahrscheinlich besser als manche andere, wo der Teufel steckt – und wahrhaftig nicht immer nur „im Detail“, sondern auch in größeren Verhältnissen und Dimensionen.

Jetzt sind Sie heute zum Rittertag zusammen, feiern hier Gottesdienst. Und es stehen manchem vielleicht auch Freude und Genugtuung ins Gesicht geschrieben: Ablauf und Programm sind zustande gekommen, der Zuspruch ist da, alles Organisatorische hat sich gefügt, am Ende wird uns wieder etwas gelungen sein. Die einen oder anderen skeptischen Geister konnten überzeugt werden, wir haben es wieder einmal in den Griff bekommen, so wie wir vorher, zuletzt, in den zurückliegenden Jahren schon manches in den Griff bekommen haben. Wir schaffen das. Gut, gut, gut!

So kommen ja auch die Jünger zu Jesus zurück, mit diesem wirklich guten Gefühl, etwas geschafft zu haben. Gut, gut, gut! Auch wenn es biblisch nicht überliefert ist, ich kann mir nichts anderes denken, als dass Jesus zu ihnen gesagt hätte „Gut, gut, gut.“ „Seht, ich habe euch (ja die) Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione.“ Also, alles ganz und gut in meinem Sinne. Und trotzdem, trotzdem ordnet Jesus das Gute, das seine Jünger tun, in seinem Sinne noch mit einem wichtigen Satz ein. Jesus bringt ihre Taten noch in Verbindung zum Himmel. Weil ich mich im Himmel nicht so gut auskenne, bringe ich es für uns einmal in ein ganz irdisches Bild:

Der Karren unserer Arbeit, unserer Dienste in dieser Welt, dieser Arbeitskarren läuft auf zwei Rädern. Das eine Karrenrad: Auf dem läuft das rund, was wir als Menschen tun und machen, Gutes tun und Gutes machen. Das andere Rad: Auf dem dreht sich das, was vom Himmel dazu kommt: Nennen Sie es Segen, nennen sie es Gottes Geleit, nennen Sie es sein Fügen, sein Gedeihenlassen. Und Jesus baut die Achse dazwischen. Mit seinen Worten: „Doch darüber freut euch nicht, dass euch die Geister untertan sind. Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“

Also, auf der einen Seite: Die eigene Tatkraft und der eigene Mut: Die Geister sind uns untertan. Auf der anderen Seite: Die eigene Demut, das Wissen, vielleicht nur die Ahnung: An Gottes Segen ist alles gelegen. Unsere Namen im Himmel geschrieben. Und Jesus baut die Verbindung, baut die Achse dazwischen. Denn beides gehört zusammen. Und das Zusammengehören bildet die tragende Achse. Zerbricht diese Verbindung nennen wir das Achsenbruch. Der Karren bleibt stecken. Wir kommen nicht voran.

Und das ist jetzt beileibe nicht nur eine christliche Einsicht. Sondern das kann ich mir aus ganz verschiedenem Mund sagen lassen. Zum Beispiel aus jüdischer Tradition von Rabbi Bunam. Der sagte zu seinen Schülern: Jeder von euch muss zwei Taschen in seiner Jacke haben, um bei Bedarf in die eine oder in die andere greifen zu können. In der einen Tasche liegt ein Zettel, auf dem steht: „Das Universum ist um deinetwillen geschaffen.“ Auf dem Zettel in der anderen Tasche steht: „Du bist Staub und Asche.“

Manchmal will es scheinen, als trügen wir nur einen dieser beiden Zettel in der Tasche. Unsere Welt leidet, wenn wir uns mit unserem Tun und Lassen nur auf uns selbst konzentrieren. Wenn wir uns selbst zum Maß aller Dinge machen. Wenn Mitmenschlichkeit und solidarisches Teilen nur leere Worthülsen sind. Aber unsere Welt leidet auch, wenn wir unsere oft geringe Kraft oder unsere Bedeutungslosigkeit absolut setzen. Wenn wir kein Zutrauen haben zu uns selbst und zu anderen Menschen. Wenn wir uns stumm und tatenlos allen kleinen und großen Teufeln dieser Welt ausliefern.

Jesus schreibt uns die Botschaften beider Zettel in die Herzen. Den Mut - und die dazu gehörige Demut. Den Drang hin zu den Taten - und das respektvolle Innehalten vor den Aufgaben. Die Unerschrockenheit vor den Skorpionen - und eine Ehrfurcht vor Gott.

Aber wem sage ich das?! Ich sage das: Helfenden Rittern, die von sich zugleich sagen „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn.“ Ich sage das: Johannitern, die sich von der Not des Nächsten rufen lassen und sich zugleich unter den Segen des fernen Gottes stellen. Ich sage das: Geschwistern im Glauben, denen der Erfolg über viel Böses in der Welt am Herzen liegt, und die sich zugleich freuen, dass ihre Namen im Himmel geschrieben sind. Gott segne Ihren Glauben und Ihr Tun. Amen.