Predigt von Landessuperintendent Dieter Rathing in der Christvesper am 24. Dezember 2015 um 18 Uhr in der Lüneburger St. Johanniskirche.
Liebe Gemeinde am Heiligen Abend, für diese Minuten jetzt hier in der Kirche gibt es jedes Jahr wieder eine kleine Entscheidung zu treffen. Es will die Frage beantwortet werden: Soll bei der Predigt das Licht an sein, oder schalten wir es lieber aus?
Licht an oder aus? An den meisten Tagen des Jahres werden wir das – egal ob zu Hause oder in der Kirche – wohl ganz nüchtern entscheiden. Vielleicht mit einem Blick auf den Strompreis – und damit ist dann die Entscheidung eigentlich schon gefallen.
Am Heiligen Abend, ob in der Kirche oder zu Hause, da entscheiden wir weniger rechnerisch, da gibt anderes den Ausschlag. Da wollen wir es vom Äußeren her gern so haben, „dass es uns gut tut“, „dass es weihnachtlich ist“, „dass wir zur Ruhe und zu Besinnung kommen“. Oder wir richten es so ein, „wie wir es früher erlebt haben“.
Und so wünsche ich Ihnen abseits aller Lichtfragen jetzt erst einmal dieses: Dass Sie heute den Heiligen Abend so feiern und erleben können, dass es Ihnen gut tut, dass Sie zur weihnachtlichen Ruhe kommen, jetzt hier in der Kirche und dann zu Hause. Ganz gleich, ob Sie dort die Kraft der Stille erfahren, oder aber ein quirliges Leben Ihnen Freude macht.
Und niemandem muss es unangenehm sein, wenn ihn hier oder da eine Sehnsucht, ein Gedanke nach vergangenen Tagen beschleicht. Weihnachten damals als Kinder, erinnerst du dich? Das erste Weihnachten zu zweit, als Paar. Oder auch das erste Weihnachten allein. Weißt Du noch, als die Kinder klein waren?
Lass die Gedanken ihren Weg finden, wo es für Dich hell ist, wo du ein Licht in dein Leben hinein scheinen siehst, wo die Sinne gern verweilen an einem hellen Punkt deines Lebens. Vielleicht hilft es, dazu in der abgedunkelten Kirche zu sitzen.
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Landes scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.“ So haben wir die Worte des Propheten Jesaja gehört. Und nun? Sie sitzen im Dunklen, wo sehen Sie weihnachtliches Licht? – An den Lichterketten der Weihnachtsbäume hier, natürlich.
Manche haben ihre ganz besondere Freude an dieser Sorte Licht, mit dem wir es uns selbst hell machen. In den vorweihnachtlichen Zeitungen lesen wir Berichte über sogenannte „Weihnachtshäuser“. Da hat dann jemand im Dunkel der Jahreszeit sein Haus zum Beispiel mit 36.000 Lämpchen hell gemacht. 260 Arbeitsstunden, 85 6er-Steckdosen, 225 Trafos, 4.000 Euro Material. 300 Euro Stromkosten. Und es gibt noch größere „Weihnachtshäuser“. Ob da der Licht-Jubel zu Heilig Abend am lautesten ist, die helle Weihnachtsfreude jetzt dort am größten?
Aber so ist das ja nicht mit dem Dunkel und mit dem Licht. So geht das ja nicht mit Weihnachten: Stecker rein und Freude kommt auf. Denn wer erlebt sich schon so, dass er selbst der Entscheider über Hell und Dunkel wäre? Wer könnte schon über Hell und Dunkel in seinem Leben bestimmen? Das tun ja zumeist andere.
Der Prophet Jesaja beschreibt das mit dem Dunkel schon ganz realistisch: Das Volk im Finstern fühlt eine Jochstange auf seine Schultern gelegt, den Stecken eines Treibers im Nacken. Und es kennt die Stiefel, die mit Gedröhn übers Land und über Menschen hinweg gehen. Die im Finstern, so hört man heraus, werden von Anderen gelenkt und bestimmt, sie sind nicht frei, sie müssen tun, was sie gar nicht wollen, sie sind fremdbeherrscht. Und von Blut ist auch die Rede.
Wir wissen um die Gegenden der Erde, wo das auch heute noch wieder und wieder so ist. Und mal kennen wir den Machthaber, den Diktator, den Treiber im Nacken seines Volkes mit Namen. Mal sind die Fremdbestimmer anonym, und wir finden bestenfalls noch einen Stiefel von denen, die wieder einmal mit dem Gedröhn eines Bombenanschlags über Menschenleben hinweggegangen sind. Und wo nicht das Joch eines Krieges niederdrückt, da sind es Katastrophen von Dürre oder von Wasser, von einem Beben oder von einem Hunger, den unser weltweites Wirtschaften auch mit hervorbringt. Und es macht Vielen das Leben dunkel.
Was wundert es uns, wenn sie nach Licht suchen? Was sind wir überrascht, wenn Menschen von dort aus bei uns es hell für sich sehen? Und es als Flüchtlinge finden! Und es bei uns hell finden. Das muss ja für alle, die aus einem Kriegs- oder Hungerdunkel zu uns kommen, das noch viel größere Wunder sein, wenn sie hier bei uns das Licht von Schutz und Hilfe, von Quartier und Asyl wirklich finden.
Mag sein, hier nicht für immer, aber doch erst mal. Mag sein, hier auch nicht mit leichter Hand bereitet, aber doch mit Gelingen. Mag sein, hier auch mit Fremdeln, aber doch mit einem Willkommen. Mag sein, hier auch mit Befürchtungen, aber doch mit viel gutem Wollen.
Wer heute Abend hier unter Ihnen - wann und wie auch immer - seinen Anteil daran hat, dem sage ich gern Dank und Respekt. Ihnen als Einzelnen, Ihnen im Dienst einer Verwaltung, eines Vereins, einer helfenden Gruppe. Es ist keine Frage mehr: Jede und jeder kann das Gesicht unseres Landes, unserer Gesellschaft verdunkeln oder kann es hell machen.
Ob Sie überhaupt wohl wissen, dass wir 2015 alle zusammen im „Internationalen Jahr des Lichts“ gelebt haben? Dazu haben die Vereinten Nationen erklärt: Dieses Jahr „soll an die Bedeutung von Licht als elementare Lebensvoraussetzung erinnern.“ Ja, wir sind welche, die Licht brauchen. Wir leben davon. Und, weiß Gott, nicht nur vom Licht der Sonne!
Ist es nicht seltsam? Im Zeitalter unbegrenzter Elektrizität zünden wir immer noch das Licht von Kerzen an. Wir können alles superhell machen mit „Stecker rein“ - und wir tun das ja auch - aber wenn es uns ernst ist, zünden wir Kerzen an.
Im Januar für Paris, im November noch einmal. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.“ Es war das große Licht eines Meeres von Kerzen an vielen Orten. Es war das Licht von menschlichem Mitgefühl und Trost. Im März für die Opfer der abgestürzten Germanwings-Maschine. Waren viele Lichter dieser Kerzen auch ein Gebet? Ich glaube das. Auch wenn nicht alle, die eine Kerze angezündet haben, sich selber als religiös oder als Gläubige verstehen. Man kann auch ungläubig beten.
„Das Volk, das im Finstern wandelt …“ Es gibt viele Variationen davon, auch abseits der großen Katastrophen. Wo der eine mit düsteren Gedanken ringt, die ihn immer wieder überfallen, hat der andere unter der Last einer Schuld zu leiden. Wo dem einen die Bürde von Arbeit Mühe macht, kostet es einer anderen Anstrengung, mit Verborgenheiten in der eigenen Familie umzugehen. Wo hier das Leben von Krankheit bestimmt wird, hat dort jemand mit einem Schicksal zu kämpfen, das nicht jedermann vor Augen liegt. Und es muss getragen sein, und du wirst nicht gefragt. Mal heißt das Joch Hetze, mal heißt es wirtschaftliche Notwendigkeit, mal Sachzwang. „Es geht nicht anders“ wird gesagt. Was ist eigentlich dieses „es“, das nicht anders geht? Das Volk, das im Finstern wandelt, sitzt jetzt auch hier in St. Johannis.
Und es sieht neben den vielen Lichtern unten noch ein einzelnes anderes Licht darüber: Der Weihnachtsstern. Um dieses eine Licht oben gut leuchten zu sehen, dazu darf man es unten mit den Lichtern nicht übertreiben. Es darf unten nicht zu hell sein. So wie man es als eine Klage aus Astronomenmund hört. Die Sterngucker beschweren sich: Durch die grelle Beleuchtung in den Städten dieser Tage sei der Himmel darüber so erhellt, dann man die Sterne nicht mehr beobachten könne. Sie sprechen von „Lichtverschmutzung“. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Wenn wir zu viele Lichter anstecken, dann erkennen wir das eine besondere Licht nicht mehr. Für diese Beobachtung muss man kein Sternengucker sein: Wenn wir Weihnachtskekse im Oktober essen, dann schmecken sie uns Weihnachten nicht mehr. Wenn wir alle Tage zu Einkaufstagen machen, dann geht uns das Besondere eines Sonntags verloren. Wenn wir unsere Kinder bereits wie Volljährige leben lassen, dann nehmen wir ihnen den Reiz vom Erwachsenwerden.
Was treibt uns eigentlich dazu? Die Astronomen sagen: Mit zu viel Licht auf der Erde macht ihr das besondere Licht am Himmel dunkel. Was treibt uns eigentlich dazu, es uns selber dunkel zu machen? Was treibt uns dazu, uns selbst das Besondere wegzunehmen? Die besonderen Tage, die besonderen Traditionen, besondere Zeiten, das besondere Licht?
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht …“ Ist es nicht seltsam? Auch nach zwei Jahrtausenden verbinden wir das besondere, das eine große Licht immer noch mit dem Kind aus der Krippe, mit Jesus Christus. Es hat durch die Jahrhunderte nach ihm weiß Gott viele menschliche Leuchten gegeben. Mit viel Wissen und Verstand haben sie die Erde bis in den dunkelsten Winkel und das Leben bis in die tiefsten Tiefen hinein ausgeleuchtet. Aber „das Licht“? Keiner von ihnen!
Wir ahnen es: Einer von uns, Sie oder ich, können uns selbst „das Licht“ wohl auch nicht sein. Im Gegenteil: Immer wenn einer von uns sich für die Erleuchtung hält, da müssen wir Angst haben. Wo einer von uns allein mit sich und seinen Ideen alles hell zu machen gedenkt, da wird es meistens schattig für Viele.
Das Licht aus Bethlehems Krippe ist ja äußerlich besehen erst einmal ein ganz unscheinbares. Kommt am Rand der Welt, in einer kleinen Stadt, kommt ganz unten und als Kleines zur Welt. Aber in diesem Kleinen da steckt die größte Kraft.
Unsere St. Johannis-Kirche ist jetzt immer noch zu hell für eine Anschauung davon. Aber wenn es jetzt vollkommen dunkel, wenn es stockefinster hier wäre, das kleine Licht einer Kerze würde reichen. Von welchem Platz am Rand auch immer, Sie würden sein Leuchten wohl sehen.
Es braucht im wirklich Finstern nur ein Licht und alles verwandelt sich, alles wird anders. Denn du verstehst sofort: Die Dunkelheit, in der du sitzt, diese Dunkelheit ist dann nicht die ganze Wirklichkeit. Du weißt: Das Dunkel, dein Dunkel hat eine Grenze. Eine Grenze in der Zeit: Das Dunkel hat ein Ende. Eine Grenze im Raum: Neben dem Dunkel gibt es das Licht.
Ein Licht reicht aus, die Dunkelheit zu begrenzen. Und ein Licht kann dir das besser sagen als 36.000 Lampen, 85 6er Steckdosen, 225 Trafos.
Dieses eine Licht reicht. Mehr Licht brauchst du nicht. Keines aus Volt und Watt, sondern eines aus Fleisch und Blut. Wo du dich zu ihm hältst, da vertreibt’s die Finsternis. Wo du Einem aus Fleisch und Blut nahe bist, da stehst du in seinem Schein. Und selbst wenn du ganz am Rande stehst, bist du in der Mitte seines Herzens.
Jesus Christus: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst - auf dass seine Herrschaft groß werde, gehe uns allen sein Licht auf. Amen.
Dieter Rathing