Predigt im ökumenischen Gottesdienst zum 80. Geburtstag der Stadt Wolfsburg am 1. Juli 2018 open air vor dem Rathaus
Liebe ökumenische Wolfsburger Stadtgemeinde, liebe Gäste des 80. Stadtgeburtstages,
zum Gottesdienst sind wir heute aus unseren Kirchen herausgegangen. Hier auf dem Rathausplatz wollen wir der Stadt als dem Geburtstagskind ganz nahe sein. So macht man das ja bei Geburtstagen. Man lässt den Jubilar nicht zu sich kommen, sondern man geht zu ihm hin. Und man bringt etwas Gutes mit. So wie es Wilhelm Busch gesagt hat: „Ein Onkel, der Gutes mitbringt, ist immer besser als eine Tante, die bloß Klavier spielt.“ Weil wir als Christen jetzt nicht für die kirchlichen Klaviertanten gehalten werden wollen, haben wir etwas vom Besten und vom Feinsten mitgebracht, das wir aus unserem christlichen Glauben im Gepäck haben.
Pastorin Stecher hat das eben schon ausgepackt: „Selig sind …“ In acht Sätzen spricht Jesus Menschen ein „selig“ zu. Ich kann auch sagen: In acht Variationen denkt Jesus gut von uns Menschen. Jesus spricht gut von dem, was Menschen sind. Und Jesus redet gut von dem, was Menschen Gutes tun können. Acht Mal. Wer mag, kann das für jedes Wolfsburger Stadtjahrzehnt also ein Mal hören. Acht mal zehn, also 80 mal gut.
Und das gehört dann schon zum Besten und Feinsten, was wir für die Gemeinschaft in einer Stadt und in einem Land tun können: Dass wir als Menschen gut übereinander denken und gut voneinander sprechen. Nicht nur zu Geburtstagen. Sie und ich, wir alle haben das jeden Tag nötig, dass gut über uns gedacht und gut über uns gesprochen wird. Denn es weiß jede und jeder: Wenn schlecht über dich gesprochen wird, dann hast du kaum Zukunft im menschlichen Miteinander.
Jeder von uns hat es verdient, dass gut über ihn gesprochen wird. Und Wolfsburg hat das auch verdient. Erst recht in diesen Zeiten. Und nicht nur zum Stadtgeburtstag. Über die Menschen, die hier leben und die hier arbeiten, ist gut zu denken und gut zu sprechen. Sie haben Zukunft.
Warum haben sie Zukunft? Sehen Sie sich dazu die Menschen an, von denen Jesus spricht: „… die da geistlich arm sind“ und „… die da Leid tragen“ und „… die um der Gerechtigkeit verfolgt werden.“ Sehen Sie, das alles sind Menschen, die anderer Menschen bedürftig sind. Das alles sind Menschen, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Es sind Menschen, die für ihre Zukunft ein Kümmern nötig haben.
Die Stadt Wolfsburg hat Zukunft, weil man hier vor Augen hat: Es braucht Kümmerer. Für einen allein ist das Leben immer zu schwer. Die Ehrenamtsbörse bei diesem Stadtfest mit den vielen Vereinen und Institutionen gibt Zeugnis davon, wie sich hier gekümmert wird. Und es können immer noch mehr werden, die sich kümmern – in der Heimatpflege und im Hospiz, in der Kindernothilfe und im Seniorenring, bei der Tafel und der Telefonseelsorge, um nur ein paar zu nennen, die sich in der Porschestraße an diesem Wochenende präsentieren und gestern auf der Helfermeile präsent waren.
Übrigens: Für einen allein ist das Leben immer zu schwer. Wer bei diesem Satz nur an die Lasten des Lebens denkt, der liegt falsch. Auch die fröhliche Feier eines Stadtgeburtstages kann keiner für sich allein. Die Wolfsburger wollen das auch nicht allein. Deshalb sind an diesem Wochenende alle Gäste aus den Partnerstädten willkommen und die, die hierher zum Leben oder zum Arbeiten, auf Dauer oder auf Zeit aus anderen Ländern kamen, sind es ebenfalls. Nur in der bunten Vielfalt von Menschen können wir das miteinander lernen, von dem Jesus auch gut spricht: Das friedliche Miteinanderauskommen in einer oft friedlosen Welt. „Selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Sie werden Zukunft haben.
Das gilt für die Menschen, und das gilt auch für die Religionen. Wir werden dafür nach dem Segen dieses Gottesdienstes ein schönes Zeichen bekommen. Nämlich dann, wenn Vertreter der jüdischen Gemeinden und des Islamischen Kulturzentrums Wolfsburg hier ein Gebet für diese Stadt sprechen werden. Wo Menschen füreinander beten, verändert sich die Welt. Denn wer füreinander betet, kann nicht mehr schlecht voneinander denken, der kann nicht mehr schlecht voneinander sprechen. Und nur das hat Zukunft – in Wolfsburg, in unserem Land, in der ganzen Welt. Beten wir also füreinander! Stiften wir so Frieden untereinander! Werden wir so zu Gottes Kindern, die diesen Namen auch verdienen. Damit wir alle als Gottes Kinder Zukunft haben.
An Gottes Kinder im ganz wortwörtlichen Sinn darf bei einem Stadtjubiläum auch noch eigens erinnert werden. Denn eine Stadt, die Zukunft haben will, wird besonders an die Kinder denken. So wie Jesus in seinen Seligpreisungen auch an Kinder gedacht haben wird, als er von denen gut sprach, „die reinen Herzens sind“, also noch ohne Berechnung, noch ohne verschlagen zu sein, mit viel Vertrauen und noch ohne alle unsere erwachsenen Vorbehalte, „denn sie werden Gott schauen“, das heißt auch, sie werden Zukunft haben.
Kinder sind unsere Zukunft, sagen wir ja manchmal. Aber das stimmt nicht ganz. Denn Kinder sind ja doch schon unsere Gegenwart. Und nur da, wo Kinder jetzt in der Gegenwart, nur da, wo Kinder hier und heute gern leben, gut lernen und vor allem „schön spielen“ können, nur da werden sie auch gern erwachsen werden wollen. Alle Kinder wollen das. Und so werden wir ihren fröhlichen Lebenskrach gern hören, ihr Lernen gut begleiten, ihr Spielen mit Freude ansehen. Und unsere Ohren spitzen werden wir da, wenn eines von diesen Kindern vielleicht nur ängstlich leise rufen kann, weil ihm etwas angetan wird, was nicht gut ist, sondern ganz böse und nur noch gemein. In einer Stadt mit dem Siegel „kinderfreundliche Kommune“ wird man sich das immer wieder sagen, wird man sich immer wieder daran erinnern.
Liebe Festgemeinde, jetzt habe ich den Seligpreisungen entlang gut von den Menschen gesprochen, von denen auch Jesus gut spricht. Von den Kümmerern, von denen, die zum Frieden beitragen, von den Kindern. Aber Jesus spricht von noch mehr. Jesus spricht auch noch gut von denen, „die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit“. Ich könnte sagen, er spricht gut von denen, die noch Luft nach oben sehen in unserem größeren gesellschaftlichen Zusammenleben. Und da mögen die einen daran denken, was im Sozialen an Gerechtigkeit noch auf den Weg gebracht werden muss. Dass wir denen materiell gerecht werden, die kranke und alte Menschen pflegen hier bei uns im Land. Dass wir in anderen Ländern materiell mit dafür sorgen, die Ursachen für Kriege und für Flucht von Menschen beiseite zu schaffen.
Die anderen werden eine Liste aufmachen, wo unsere Arbeits- und Wirtschaftswelt, wo unser Produzieren und Konsumieren noch nach mehr Recht und Gerechtigkeit dürsten, noch nach mehr Ehrlichkeit und Offenheit hungern. Und das an vielen Orten. In den Hallen, wo Autos gebaut werden und auf den Höfen, von denen unser Essen kommt. In den Netzen, wo wir unsere Daten hinterlassen und auf den Kanälen, die politische Meldungen in die Welt senden. Da dürfen wir an Ehrlichkeit und an Transparenz nie genug haben. Da darf uns nach Recht hungern und nach Gerechtigkeit dürsten. Von denen, die das tun, spricht Jesus gut. Sie preist er selig.
Liebe Gemeinde, wenn in der Bibel über Gerechtigkeit geredet wird, dann meint das aber noch mehr als die ehrliche Verteilung von Gütern oder den gerechten Ausgleich von Interessen. Wer sich im biblischen Sinn gerecht verhält, der verhält sich in erster Linie treu zur Gemeinschaft, in der er lebt. Und die Gemeinschaft verhält sich treu zu ihm. Die Beziehung ist wechselseitig. Der Einzelne trägt etwas zur Gemeinschaft bei, und die Gemeinschaft verhält sich mit ihm solidarisch, wenn es nötig ist. Nie kann es gerecht sein, wenn Einer sich auf Kosten der Gemeinschaft bereichert, noch kann es gerecht sein, wenn eine Gemeinschaft unfair mit Einzelnen umgeht. Das ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
Das ist dann so ähnlich wie bei einem Bürgerfrühstück, zu dem die Wolfsburger Bürgerstiftung nach diesem Gottesdienst einlädt. Ein Geben und ein Nehmen von vielen Einzelnen für die Stadtgemeinschaft. Und diese Stadtgemeinschaft kümmert sich dann wieder um Einzelne. Dieses Mal sind es Kinder zusammen mit Senioren. Und denen mag dann nicht erst ein „selig“ zugesprochen werden müssen, die werden dann im wahrsten Sinne des Wortes selig sein.
Jesus, liebe Gemeinde, hat in den Seligpreisungen gut von den Menschen gesprochen. Also gut von uns. Möglicherweise hat er besser von Menschen gedacht als sie es wirklich sind. Also, besser von uns gedacht als wir es eigentlich sind. Aber vielleicht brauchen wir gerade das am meisten. Dass einer noch mal besser über uns denkt als wir eigentlich sind. Das gibt unserem Leben doch gute Luft nach oben. Wir können immer noch besser werden. Denn wir sind ja alle keine perfekten Menschen, die alles super hinbekommen, so sehr wir das manchmal auch vermitteln wollen.
Ich, zum Beispiel, habe zu Beginn etwas abschätzig von klavierspielenden Tanten gesprochen. Bei Ihnen, liebe Damen, die sich da angesprochen fühlten, muss ich jetzt Abbitte tun. Da fällt mir kein Zacken aus der Krone, die ich nicht habe und die ja keiner von uns hat. Denken wir also barmherzig im Blick auf Verfehlungen von anderen. Sprechen wir also barmherzig über Menschen, deren Tun wir zu tadeln haben. Das ist auch ein Geben und Nehmen, weil: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Amen.