Predigt von Dieter Rathing über die Liebe im Aussendungsgottesdienst für Dorfhelferinnen am 10. November 2018 in der St. Martini-Kirche Rehburg.
Liebe Dorfhelferinnen-Gemeinde, jetzt haben wir eben von der Liebe gesungen. Und davor haben wir diesen großen, bekannten Text aus dem 1. Korintherbrief der Bibel über die Liebe gehört.
Wir lesen und hören dieses Hohelied der Liebe in unseren Kirchen gern bei Trauungen, wenn zwei Menschen einander ihre Liebe in der Ehe zum Ausdruck bringen. Und wir werden von diesen Worten dann meistens romantisch gestimmt. „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Ach, ja. Das ist ja auch schön.
Ich glaube allerdings, das, was da über die Liebe gesagt wird, das ist nicht nur schön bei Hochzeiten und zu Hoch-Zeiten unseres Lebens. Da können wir Liebesromantik herauslesen, ja. Aber ich glaube in diesen Worten stecken ganz viele handfeste Beschreibungen für unser Tun und Lassen, die sehr alltagstauglich sind.
Als erste Beschreibung lese ich: „Die Liebe ist langmütig …“ Was heißt das? Vielleicht: Einem anderen Menschen Zeit geben … Mit ihm einen langen Atem haben … Auf ihn warten können …, in seiner Einsicht, in seiner Entwicklung.
Da kann jeder mal überlegen, was das für ihn heißt, wenn er an seine Frau, seinen Mann denkt, an Partner oder Partnerin, an seine Kinder oder auch die Kollegen. Dorfhelferinnen werden an ihre Arbeit in den Familien denken. Was diese Beschreibung von Liebe für sie in dieser Arbeit heißen kann: Kindern Zeit geben, mit ihrer Mutter, ihrem Vater, mit einer Genesung einen langen Atem haben, auf sie warten können. Manchmal kann dieses Warten-Können ganz direkt mit einer verabredeten Uhrzeit verbunden sein („Wann kommen die denn endlich?“) Dann aber auch weiter gedacht: Warten können in der Entwicklung eines Einzelnen, oder auch warten können in der Entwicklung einer Familie.
Nächste Beschreibung: Die Liebe „sucht nicht das Ihre …“
Für andere den Mund aufmachen, für andere ein Wort einlegen und für sie sprechen. Da hat man gleich die Arbeit der Einsatzleitungen der Dorfhelferinnen vor Augen. Die tun genau das: sie machen den Mund gegenüber den Kostenträgern auf. Legen ein Wort für die Einsatzfamilie ein. Legen sich für die Rechte von anderen ins Zeug, „suchen nicht das Ihre“, das Eigene, sondern das, was anderen Menschen hilft und ihnen zum Wohl ist. Und wir als ganzes Dorfhelferinnenwerk versuchen das auch: Immer wieder die Notsituationen von Menschen im Dorf oder in der Stadt anderen Menschen vor Augen führen und für die Dorfhelferinnenarbeit zu werben. Die Liebe „sucht nicht das Ihre …“
Dann heißt es da im Hohelied: „Die Liebe rechnet das Böse nicht an.“ Wieviel gehört dazu, um in einer Liebe keine Rechnungen aufzumachen nach dem Motto: Wie viele Unverschämtheiten habe ich noch gut, weil ich deine Unverschämtheiten gezählt habe. Oder ich rufe erst wieder an, wenn du angerufen hast. Ich mache das erst, wenn du jenes getan hast. Wie du mir, so ich dir. Solche Rechnungen sind „Liebestöter“ – in privaten Beziehungen – und auch in der alltäglichen Arbeit. Nein, „Die Liebe rechnet das Böse nicht an.“
Und dann stehen da diese starken Spitzenworte: „Die Liebe glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“
„Alles glauben“ - das heißt nicht, lammfromm und dumm sein. „Alles glauben“ heißt alles für möglich halten, auch das für möglich halten, was jetzt im Moment noch unmöglich ist. Ein beeindruckendes Beispiel dafür habe ich vor ein paar Tagen in Uelzen erlebt. Ich war dort im Gespräch mit einem Mitarbeiter im dortigen Wohnungslosen-Treff. Dorthin kommen obdachlose Frauen und Männer zum Frühstück und Essen, zum Wäschewaschen oder Duschen und bringen dabei auch ihre persönlichen Probleme mit. Der Mitarbeiter sagte: In diesem Treff hat jeder, der zu mir kommt eine Chance und er hat eine zweite, er hat eine dritte, eine vierte, eine fünfte, eine sechste …
Als er das sagte, musste ich an dieses „alles glauben“ denken, wie weit das gehen kann. Und ich denke: Wenn wir nicht einen Rest von diesem „alles glauben“ in uns tragen, dann würde immer das, was heute ist, gewinnen und nie das morgen. Dann würde immer das, was da ist, oben auf sein, und nie das, was noch kommen kann. Bei jedem Menschen! Und dann denke ich: Dieses „alles glauben“ ist auch eine Haltung für Dorfhelferinnen; wenn sie verzwickte und verfahrene Familiensituationen miterleben. Dass dieses alles Verzwickte und Verfahrene noch nicht das Ende und Endgültige in der Familie sein muss. Dass noch mehr sein kann als das, was heute ist. Dass das, was morgen oder übermorgen sein kann, dass ich daran „glauben“ kann.
Und „alles hoffen“ genauso. Bei mir und bei anderen Menschen etwas entdecken, was noch keiner entdeckt hat. Noch etwas rauskitzeln aus dieser Welt an Möglichkeiten, noch etwas rauskitzeln aus einem Menschen … Kitzeln Sie mal einen Menschen, wenn er gerade etwas träge und stumpf ist, und wenn er sich dann wehrt, dann spüren Sie, und dann spürt er selbst, was für eine Kraft in ihm steckt. „Alles hoffen“ das hat etwas davon - „Kraftpotential“ entdecken – in einer Familie und daran und damit arbeiten, eine große Aufgabe.
Und dann soll die Liebe noch „alles dulden“. Und damit ist nicht die Engelsgeduld gemeint, die alles mit sich machen lässt, die zu allem und jedem „Ja und Amen“ sagt. Es gibt auch ein „NEIN“ neben dem „JA“ in der Liebe. Es gibt auch ein Widersprechen in der Liebe.
Aber das gehört dann vielleicht schon zu dem Stärksten und Mutigsten, was Liebe kennt: Ein Aushalten dieses Widerspruchs: Dass ich einen anderen Menschen liebe und zu ihm ein „Nein“ sagen muss. Dass ich geliebt werde und trotzdem von diesem Menschen, der mich liebt, ein „Nein“ zu hören bekomme. Und dann mit diesem „Ja“ und dem „Nein“, mit diesem Widerspruch fertig zu werden. Da reizen wir die Liebe, die Nächstenliebe schon bis an ihre Grenzen aus.
Liebe Gemeinde, jetzt ist es im Reden über die Liebe mit einem Mal ernst geworden. Aber von dem Dunklen und dem Rätselhaften spricht das biblische Lied im 1. Korintherbrief von der Liebe ja auch. Davon, dass unsere Liebe immer nur Stückwerk bleibt und wir sie immer nur wie in einem Spiegel haben können und nie in voller Gestalt.
In voller Gestalt war diese Liebe nur einmal auf der Welt. Aus Gottes Liebe heraus wurde sie, besser gesagt wurde er geboren. Jemand hat einmal entdeckt, dass wir überall da, wo im Hohelied des Neuen Testaments das Wort „Liebe“ steht, dass wir da auch den Namen „Jesus“ einsetzen könnten und dann bekommt diese Liebe ihre schönste Anschauung und ihre schönste Gestalt.
Jesus Christus: langmütig und freundlich …
Die Liebe sucht nicht das Ihre …, so wie Jesus nichts für sich selbst gesucht hat, sondern immer dem hinterher war, dass die Menschen etwas für sich finden konnten.
Die Liebe rechnet das Böse nicht zu ... – so wie Jesus nicht zuerst mit einem Sündenregister durch die Welt gelaufen ist, um Menschen etwas zuzurechnen. Sondern er hat Menschen gut sein lassen, er hat sie gut sein lassen vor Gott, gut und besser, viel besser vielleicht als sie es waren und selber von sich glauben konnten.
Liebe Dorfhelferinnen, vielleicht fragen Sie sich und ich frage das für mich auch: Sind diese biblischen Worte über die Liebe nicht eigentlich zu groß für uns? Dürfen wir solche großen Worte überhaupt in den Mund nehmen? Können wir sie mit unserer Person eigentlich ausfüllen? Passen diese großen Worte eigentlich für unsereinen.
So wie wir uns das bei einem Kleidungsstück manchmal fragen: Zu groß? Zu teuer? Zu schön? Steht es mir, darin zu laufen? Kann ich mir das leisten?
Nein, eigentlich leisten können wir uns diese Liebe nicht. Eigentlich ist diese Art von Liebe im Himmel geschneidert. Wir hängen sie uns aber um. Und wir versuchen zu laufen darin. Manchmal kommen wir mit dieser Liebe ins Stolpern. Wir sind da alle keine geborenen Grazien wie die Models auf dem Laufsteg.
Aber manchmal gelingt es uns auch. Ein, zwei, drei, vier Schritte darin. Und dann strahlen wir. Dann strahlen wir diese Liebe aus. Und die Menschen neben uns und um uns herum strahlen auch. Weil sie unsere Liebe erreicht.
Und dann können wir sicher sein: Gott selber steckt in dieser Liebe drin. Wir teilen von seiner Liebe etwas aus und geben sie weiter. Ich wünsche Ihnen als Dorfhelferinnen und uns allen: Möge uns das viel und oft gelingen. Amen.