Christ, der Retter, ist da

Predigt von Landessuperintendent Dieter Rathing am 25. Dezember 2018 in der St. Johannis-Kirche Lüneburg. 

Liebe weihnachtliche Gemeinde, in den vergangenen Tagen haben – aus gegebenem Anlass – Päckchen und Pakete unter uns eine besondere Rolle gespielt. Als Kauf oder als Geschenk, empfangen oder verschickt. Hier und da war auch von solchen Paketen die Rede, die zwar bestellt wurden, jedoch nicht mehr rechtzeitig zugestellt werden konnten. Andersherum habe ich es auch gehört: Da war etwas spät, zu spät, bestellt worden, „Liefertermin leider erst nach Weihnachten“. Und dann ist es, sogar am Sonnabend schon, vor Weihnachten doch noch gekommen. „Das war mein persönliches Rettungspaket“, freute sich die Empfängerin.

„Rettungspakete“ kennen wir sonst ja aus dem politischen Raum. Milliardenschwere „Rettungspakete“ haben die europäischen Regierungen vor Jahren in die Welt gesetzt, um Banken, um ganzen Volkswirtschaften in widrigen Verhältnissen wirtschaftlicher Not beizustehen und zu helfen, zu retten und Schlimmes für diese Länder - und vielleicht auch für uns - zu verhindern.

Auch um ein „Rettungspaket“ geht es zu Weihnachten. Sein Grund und Anlass war auch „um Schlimmes“ zu verhindern, Menschen beizustehen und zu helfen. Es ist – trotz allerhand widriger Verhältnisse – auch angekommen. Zwar nicht „milliardenschwer“ und auch nicht „von der Regierung“, das alles eher im Gegenteil. Durchaus „regierungskritisch“ und gar nicht „staatstragend“, wenn auch von „ganz oben“, aber doch aus ärmlichen Verhältnissen heraus, in die Welt gesetzt und ganz einfach geschnürt und zwar „in Windeln gewickelt“.

Kann man von Jesus Christus als einem „Rettungspaket“ sprechen? Hören Sie mal aus dem Johannesevangelium: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern, dass  die Welt durch ihn gerettet werde.“ (Joh. 3,17) „… dass die Welt durch ihn gerettet werde“.

Und singen tun wir’s ja auch: „Christ der Retter ist da“ (EG 46 „Stille Nacht, heilige Nacht“). Man kann sagen: Durch alle weihnachtlichen Texte und Lieder zieht sich dieser Gedanke von „Rettung“:

„Welt ging verloren – Christ ist geboren …“ (EG 44 O du fröhliche)

„Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer …“ (EG 36 Fröhlich soll mein Herze springen)

„Wahr“ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod …“ (EG 30 Es ist ein Ros entsprungen)

„Groß ist des Vaters Hild, der Sohn tilgt unsre Schuld …“ (EG 35 Nun singet und seid froh)

Die Geburt in Bethlehem ist als Gottes „Notmaßnahme“, zur Verhinderung „von Schlimmem“, ist als Rettungspaket für uns gemeint.

„Ja, bist du denn noch zu retten?“ Das war ein Standardsatz meines Vaters. Immer dann bekam ich den als Kind zu hören, wenn ich eine Dummheit begangen hatte: Eine einfache, gutmütige Dummheit, oder auch eine schlimme und unverzeihliche. Zu Weihnachten habe ich beide Varianten erlebt. Einmal war es ein ziemlich unvernünftig überdimensioniertes Weihnachtsgeschenk für ihn, den Vater, dann kam die gute Variante: „Ja, bist du denn noch zu retten?“ Ein andermal war es die schlimme Variante: Als ich so unvorsichtig war, eine brennende Wunderkerze aus der Hand und auf den Wohnzimmerteppich fallen zu lassen. „Ja, bist du denn noch zu retten?“

Eine Antwort kann man sich selbst auf diese Frage kaum geben. Was soll man sagen? Ja, ich bin noch zu retten? Oder: Nein, ich bin nicht mehr zu retten? Es liegt ja doch immer an dem anderen, hier am Vater, ob man noch zu retten ist. Beim deutlich zu teuer geratenen Weihnachtsgeschenk war das dann eindeutig leichter zu lösen, da wusste man schnell, dass man „noch zu retten“ war. Nach dem Vorfall mit der Wunderkerze hat die Gewissheit über die eigene Rettung schon eine ganze Weile, ein paar Tage und Nächte gedauert. Da war erst mal viel Schweigen. Für mich waren das, wie man sich vorstellen kann, sehr lange Tage und Nächte bis das rettende Wort dann doch noch floss.

„Du bist noch zu retten!“ „Ihr seid noch zu retten!“ Das ist das eindeutige Weihnachtswort des Vaters von Bethlehem. Sein Wort, das – wie wir vorhin im Evangelium gehört haben - Fleisch geworden ist, „in Windeln gewickelt“. Wie viele lange Tage und Nächte das menschliche Warten auf dieses „Rettungspaket“ gedauert hat, können wir nur ahnen. Die prophetischen Erwartungs- und Verheißungstexte durch viele Jahrhunderte haben wir im Ohr. In Variationen immer wieder dasselbe: Da muss doch mal was kommen von Gott. Er muss sich doch mal zeigen. Mal offenbaren, welche Meinung er von uns hat. Antwort geben darauf, ob wir denn noch zu retten sind. Ein Schweigen – sein Schweigen! – ist doch auf Dauer nicht auszuhalten. Wir müssen doch mal wissen, was er von unseren Dummheiten hält, von den einfachen, gutmütigen Dummheiten und auch von den schlimmen und unverzeihlichen. Beide kommen ja vor, beide nicht zu knapp und beide nicht nur einmal im Jahr.

Und dann das „Rettungspaket“. „Christ der Retter ist da.“ „Gottes Held reißt die Welt aus allem Jammer.“ „… rettet von Sünd und Tod …“ „… tilgt unsre Schuld.“ Mag sein, wir hören die Freude und den Jubel, den die Menschen mit diesem „Rettungspaket in Windeln gewickelt“ verbunden haben, mag sein, wir hören Freude und Jubel nur noch „wie von Ferne“. So zu bejammern, so in „Sünd und Tod“, so „in Schuld“ kommen wir uns ja meistens nicht vor. Auch wenn wir das mit den Dummheiten, den einfachen und den schlimmen, als „Schuldschein“ wohl unterschreiben würden. Aber dass wir von Gott einen Menschen, dass wir Gott als Mensch unter uns Menschen „zur Rettung“ nötig haben, das leuchtet uns vielleicht nur in den dunkelsten Momenten unseres Lebens ein.

Zumeist sind wir heller gestimmt, was die eigenen Möglichkeiten zur Behebung von Dummheiten angeht. Wir denken so:

Ich bin gestürzt und habe mir ein kaputtes Knie geholt. Da kommt dann der Orthopäde und operiert es. Oder setzt mir gleich ein neues Gelenk ein. Dann ist es repariert.

Oder: Das Klima ist eine Katastrophe. Dagegen wechseln wir die Glühbirnen gegen Energiesparlampen. Und dann wird’s wieder.

Oder: Mein Diesel-Auto erfüllt die Abgasnorm nicht. Dann lasse ich eine neue Software aufspielen und dann geht’s wieder.

Aber die Menschenwelt ist kein Auto. Wir mit unseren Dummheiten, wir sind nicht technisch zu reparieren. Unsere Rettung geht nicht per Operation, geht nicht über Maßnahmen oder nach Anweisungen, geht nicht mit Gebrauchsanweisungen. Uns zu retten, das geht, wenn überhaupt, nur mit Geduld, mit unendlich viel Geduld. Das kostet auch was. Das geht nur mit einem großen Vermögen, nicht an Geld, sondern an Einfühlungsvermögen. Das kostet Wahres, nichts Bares! Das kostet wahre Zeit, wahre Kraft, kostet wahres Leben. Und das geht nur in langen Tagen und manchmal noch längeren Nächten. Das geht auch nur ohne Gewalt. Eben nur auf menschliche Art. Ja, das geht überhaupt nur mit einem Menschen.

Hört sich das zu billig an: „Unsere Rettung geht nur mit einem Menschen“? Teuer scheint uns ja etwas zumeist nur, wenn es um Millionen oder Milliarden geht, fallende Punkte im DAX oder steigende Prozente bei den Steuern. Wenn da die Zahlen genannt werden, dann horchen wir auf. Aber ein Mensch? Das ist doch nicht viel. Wie teuer kann der sein? Wie teuer ist eine Rettung durch einen Menschen?

„Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern, dass  die Welt durch ihn gerettet werde.“ „Gott hat seinen Sohn gesandt …“ Was für Kosten, liebe Gemeinde, stecken in diesem „Rettungspaket“ – „… hat seinen Sohn gesandt“. „.„er wandt zu mir das Vaterherz, es war bei ihm fürwahr kein Scherz, er ließ's sein Bestes kosten“ singen wir in einem Choral. Sein Bestes ließ er’s kosten! Man muss dazu vielleicht keine eigenen Kinder haben, aber wer ein Kind hat, versteht das möglicherweise am ehesten. Sein Kind zur Rettung anderer irgendwo hinschicken, hergeben, opfern. Wir wissen ja: Am Anfang der Stall, am Ende das Kreuz. Kein billiges Rettungspaket!

Und auf unserer Seite. Was sind da die Kosten? Von unseren, den Rettungspaketen in der Wirtschaft wissen wir, dass sie auch auf der Empfängerseite Kosten machen. Die Griechen und die Iren, die damals etwas erhielten, mussten sich selbst auch anstrengen, wenn Schlimmes verhindert werden soll. Am Tag nach Heiligabend darf vielleicht auch schon mal von den Kosten, von der Anstrengung gesprochen werden, die das Kind aus Bethlehem uns macht. Da bleibt es ja nicht beim „Eiteitei“ über der Krippe. Das „herze Jesulein“, von dem wir Heiligabend zu singen pflegen, wird ja groß und erwachsen werden, und wir kennen das von unseren Kindern, es wird auch Ansprüche stellen.

Was sind das für Ansprüche, die Christus mitbringt, die er stellt?

„Du sollst nicht töten.“ Das galt schon vorher. Aber er sagt: allein damit ist die Welt nicht retten. Deshalb „Statt dass du schlägst, halt auch deine andere Wange hin. Bittet dich einer um ein Hemd, gibt ihm auch die Jacke.“

Mit Jesus ist der Krieg kein Mittel mehr der Politik: „Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.“ Er sagt: Mit Gewaltaktionen ist die Welt nicht zu retten.

Mit Jesus wird Vergebung unter uns ein anstrengendes Rettungsmanöver: „Nicht nur siebenmal sollst du vergeben, sondern siebzigmal siebenmal.“

Jesus erklärt das Richten und Bestrafen für eine immer entbehrlichere Notlösung: „Wer ohne Sünde ist, der, nur der, werde den ersten Stein.“ Einfach mit Strafmaßnahmen ist die Welt nicht zu retten.

Liebe Gemeinde, Frieden, Vergebung, Barmherzigkeit, das alles geht nicht umsonst, das alles kostet uns was. Kostet Mühe und Anstrengung. Und oft genug können wir das gar nicht einlösen, was an Ansprüchen mit diesem Rettungspaket verbunden ist. Oft genug bleiben wir kläglich dahinter zurück.

Mit dem Glauben an Jesus Christus ist es ja immer so ein wenig wie mit der Sehnsucht nach Schnee zu Weihnachten. Wir wünschen ihn uns herbei, doch kaum ist er da, wird’s anstrengend und wir maulen darüber, dass es unbequem ist.

Angesichts mancher Dummheiten, die wir begehen, mögen wir selbst uns gelegentlich fragen, ob wir denn noch daran glauben sollen, dass wir zu retten sind. Diese Frage mag immer mal wieder aufkommen, auf die Antwort müssen wir aber nicht mehr warten, wie vor Jahrhunderten das Volk vor Jesu Geburt oder wie vor Jahrzehnten der kleine Mensch mit den Wunderkerzen. Die Antwort wissen wir: Christ der Retter ist da. Amen.

Angesichts mancher Dummheiten, die wir begehen, mögen wir selbst uns gelegentlich fragen, ob wir denn noch daran glauben sollen, dass wir zu retten sind. 

Dieter Rathing