Predigt von Landessuperintendent Dieter Rathing im Gottesdienst zum Generalkonvent am 4. September 2019 - open air neben der Ole Kerk in Bispingen
Liebe Schwestern und Brüder, ich will mich vorweg gleich erklären. Dass ich Ihnen den Predigttext (Mt. 11,28-30) eben auf Griechisch zugemutet habe, hat nichts mit einem besonderen Faible für liturgische Gags zu tun. Ich wollte Ihnen schlicht und einfach aus dem Original zu Gehör bringen, dass die „Zeit für Freiräume“ bereits in den überlieferten Worten Jesu eingepreist ist.
Selbst wer seinen „Kaegi“ mit „paideuo, paideueis, paideuei“ usw. schon längst vergessen hat, oder wer die griechische Grammatik für sich ignoriert, kann die „Pause“ im Text wohl kaum überhört haben. „anapauso“ und „anapausin“. „Ich will euch erquicken“, und ihr werdet „Ruhe“ finden – „anapauso“ und „anapausin“.
Pause – Unterbrechung der Arbeit, Innehalten, Zeit zum Durchatmen – pausieren eben. Das steckt im „Heilandsruf Jesu“. „anapauso“ und „anapausin“ das gilt nicht nur für Anna und Anna– „anapauso“ und „anapausin“, das gilt für uns alle. „Zeit für Freiräume“. Als eine solche Zeit haben Sie hoffentlich diesen Generalkonvent in der Heide für sich wahrgenommen. So war er gedacht.
Ausdrücklich nicht gedacht habe ich bei der Wahl des Predigttextes, dass jetzt am Nachmittag des Generalkonvents unbedingt eine ganz abgeschlaffte und total ausgemergelte Korona von Mühseligen und Beladenen vor mir sitzen müsste. Und so ist es ja auch nicht. Sie sind noch gut beieinander, auch wenn manche schon früh los mussten, auch wenn Sie den Gang durch die Heide hinter sich haben. Sie können sich noch gut sehen lassen. Ich sage und wiederhole das gern auch im Blick auf Ihren Dienst in den Gemeinden und Kirchenkreisen. Auch da können Sie sich gut sehen lassen – trotz vieler Lasten von Verantwortung, trotz der Verpflichtungen, die Sie zuzeiten vielleicht nicht zur Ruhe kommen lassen, trotz der Mühen, die jemand mit sich rumträgt, auch ohne dass sie groß wahrnehmbar wären. Nicht jeder, der sein Päckchen zu tragen hat, ist deshalb schon ein Atlas oder ein Herkules, der das Himmelsgewölbe, der die Last der ganzen Welt zu tragen hätte.
Und dennoch: Wer auf dieser Erde nicht nur existieren, sondern leben will, wer in dieser Kirche nicht nur arbeiten, sondern Gebot und Verheißung Jesu mit Leib und Seele ernst nehmen will, der bekommt mit Lasten zu tun. Denn zu einem menschlichen Leben gehört die Sorge für ein menschliches Leben aller. Und diese Sorge beginnt mit der Fürsorge, die es einem Menschen möglich machen soll, ebenfalls menschlich zu leben. Diese Sorge geht weiter über die Fürsorge für ganze Gruppen und Projekte bis in die Sorge um Notstände des Friedens, der Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung hinein.
Man kann das nicht einfach von sich abschütteln. Nicht dadurch, dass ich mich mit dem Gedanken beruhige, wie wenig ich als Einzelner doch machen kann. Nicht dadurch, dass ich mich mit Worten radikal gebärde, aber eben – ach! – gebärde nur. Das Joch der Verantwortung für das Wohl unserer Welt können wir so und so nicht abschütteln. Wir haben Detailarbeit, ausgesprochene Kleinarbeit für den Fortschritt der Welt zu tun, obwohl wir wissen, dass ein großer Wurf mehr als notwendig wäre. Und das gilt für den Fortschritt in unserer Kirche genauso. Mehr Kleinarbeit als großer Wurf. Das weiß jeder von dort, wo er herkommt.
Wissen Sie, von wo Jesus herkommt, als er seinen Heilandsruf spricht von der Erquickung für alle Mühseligen und Beladenen? Jesus kommt gerade aus Galiläa. Sie wissen schon, Chorazin, Betsaida, Kapernaum. Und Jesus verflucht die Leute aus diesen Städten. Er wünscht ihnen mit „Weherufen“ die Hölle an den Hals. Warum? Ganz einfach: Er kam nicht an bei ihnen. Er hatte keinen „missionalen“ - so heißt das heute – keinen missionalen Erfolg. Die wollten ihn einfach nicht hören, trauten seinem Tun nichts zu. Ich sage Ihnen, Jesus war in diesem Moment der absolute Beratungskandidat für unsere Missionarischen Arbeitsstellen. Jesus muss irgendwie das Falsche getan haben. Überkomplexe Verkündigung? Unterkomplexe diakonische Sensibilität? Regiolokale Ignoranz? Ich weiß es nicht. Sonst kommt er doch immer als bekehrungsverwöhnter Überflieger rüber. Aber hier muss er Fehler gemacht haben. Jesses!
Und jetzt sagen Sie mal: Von so einem lassen Sie sich einspannen!? Soll das Ihre Erquickung sein, mit ihm loszutrotten? „Nehmt auf euch mein Joch ...“ Ein Joch, das ist diese gebogene stabile Stange, die über die Schultern gelegt wird, so dass man etwas daran hängen kann. An manchen Orten der Welt tragen Menschen ein Joch, um Wasser zu holen oder um Waren zum Markt zu bringen. Vor allem aber Tiere werden einzeln oder zu zweit ins Joch gespannt. Wir haben das hier bei uns wenig vor Augen.
Was wir aber hier in der Heide vor Augen haben können, das sind Pferde, die zusammen eingespannt werden, zum Beispiel, um eine Kutsche zu ziehen. Und dieses Einspannen, so habe ich mir von einem Kutscher erzählen lassen, ist eine Wissenschaft für sich. Weniger die technischen Handgriffe mit den Zügeln und Leinen, mit den Haken und Ösen. Umso mehr aber die Zusammenstellung der Pferde. Da müssen die Temperamente und die Erfahrungen austariert werden. Das ruhige und ausgeglichene Pferd läuft zum Beispiel immer links - auf der Straßenseite mit dem Gegenverkehr, das eher Schreckhafte dann rechts. Ein temperamentvolles Pferd neben dem trägen. Das Pflegeleichte neben dem Problemhengst.
Liebe Superintendentinnen und Superintendenten, Ihr hört das jetzt aufmerksam für eure Personalentscheidungen. Die verschiedenen Temperamente und Mentalitäten zusammenspannen für die Kirchenkreis-Kutsche. Die Wellenreiter mit den Wasserscheuen. Die Bergstürmer mit den Höhenängstlichen. So kommt man hier im Sprengel Lüneburg durch die Heide.
Und alle zusammen hören wir das hoffentlich als Erquickung. Wir sind mit diesem Jesus zusammengespannt, der offenbar auch mal keinen Erfolg hat. Wir sind mit diesem Jesus unterwegs, der missionarische Unvollkommenheit kennt und um Hindernisse beim Gemeindeaufbau weiß. Jesses, Halleluja!
Und unter diesem gemeinsamen Joch können wir etwas von ihm lernen. Das will er ja: „lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und demütig“. Wann lernst du Demut am meisten? Wenn du immer alles richtig machst? Wann lernst du Sanftmut am tiefsten? Wenn du fehlerfrei bist? Du kannst dich fragen, wozu deine Unvollkommenheiten gut sein sollen. Kannst fragen, warum Gott dir nicht mehr Einsicht, mehr Kraft und mehr Gelingen gegeben hat.
Ich glaube, und ich glaube das von mir sehr tief: Mein Unvollkommenes, mein Falschtun, mein Fehlerdenken und meine Irrtümer, das sind Gottes Lernlektionen für mich. Lernlektionen, nicht zuerst, um beim nächsten Mal besser zu sein, nicht zuerst, um demnächst etwas richtiger zu machen. Ja, ja, das alles auch. Aber zuerst, wirklich zuerst und wirklich vor allem: Mit meinen Fehlern lehrt Gott mich, mit den Fehlern anderer barmherzig zu sein. In meinem Misslingen sehe ich Gott in mir Verständnis wecken für manches Misslingen um mich herum. Durch alles, was ich falsch mache, komme ich hoffentlich zu der Einsicht, wie sehr ich selbst Güte und Verständnis, wie sehr ich Vergebung nötig habe.
Du lernst Gott nicht, indem du alles richtig machst. Du lernst Gott am tiefsten, wenn du ihn am meisten brauchst zur Vergebung. Und so geht es jedem von uns in der Gemeinschaft von Gottes Kirche hoffentlich auch: Wir lernen diese Gemeinschaft nicht im Stolz auf unsere Arbeit, wir lernen diese Gemeinschaft nicht im erfolgreichen Tun von einem von uns.
Wir lernen sie, wenn unser Herz weit wird und es versteht, dass Gott seine Sonne aufgehen und seinen Regen regnen lässt über jeden von uns. Wir lernen uns im Verstehen, dass Gott die Heide blühen lässt für uns alle. Gibt es ein sanfteres „Joch“? Gibt es eine leichtere „Last“? Anapausis! „So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Amen.