Landesarmutskonferenz: mehr kulturelle Teilhabe

Nachricht Hannover, 19. Oktober 2017

Petra Bahr: "Museen, Musikschulen oder Opern gehören allen"

Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr auf der Landesarmutskonferenz in Hannover (Foto: F. Gartmann).

Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr fordert mehr kulturelle Teilhabe für Menschen mit wenig Geld. "Museen, Musikschulen, Bibliotheken oder Opernhäuser gehören auch ihnen", sagte die leitende Theologin am Dienstag in Hannover. Beim Thema Armut werde oft über Statistiken und Gruppen geredet, aber nur wenige würden die Lebensgeschichten von Hilfebedürftigen in ihrer Nähe kennen. Daher seien öffentliche Orte als Treffpunkte für Menschen unterschiedlicher gesellschaftlicher Milieus und Herkünfte wichtig. „Neben den Museen, Theatern, Sportvereinen und Musikschulen liegen mir besonders die Chöre in der Evangelischen Kirche am Herzen. Da treffen sich noch Leute, die sich sonst im Alltag nicht mehr begegnen.“ sagte die hannoversche Regionalbischöfin. Bahr sprach auf einer Podiumsdiskussion zum Abschluss einer Tagung der Landesarmutskonferenz Niedersachsens.

In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum gab eine Teilnehmerin zu bedenken, dass es beim Thema Teilhabe nicht nur um Geld ginge. „Bei Freikarten für die Oper schämt man sich vielleicht dahinzugehen, weil man keine entsprechende Kleidung hat.“ Bahr entgegnete darauf, dass entscheidender als die Äußerlichkeiten die innere Haltung sei, die öffentlichen Räume für sich zu beanspruchen. „Die Überzeugung, dass mir das Opernhaus ebenso offen steht wie den anderen, ist viel wichtiger als die Frage, ob man sich einen langen schwarzen Rock kaufen kann.“

Wichtig sei es, gerade Kinder möglichst früh an Bildungsangebote heranzuführen, so Bahr weiter. Materielle Hürden seien für den Besuch oft nicht so hoch wie oft gedacht. In Musikschulen oder Posaunenchören müssten Instrumente nicht gekauft, sondern könnten ausgeliehen werden. Manche Museen seien für Minderjährige kostenlos. Es dürften aber keine zu großen Erwartungen an den Staat gestellt werden, warnte die Theologin. Die Zivilgesellschaft sei mindestens genauso aufgefordert, Armut zu bekämpfen wie die Politik. „Damit will ich den Gesetzgeber nicht aus der Verantwortung nehmen, aber Notlagen von Menschen sind eine gesellschaftliche Herausforderung, angefangen bei den Nachbarschaften, in denen wir leben.“, gab Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr zu bedenken.

Eine Solidargemeinschaft der bürgerlichen Mitte sei nötig, um Armut erfolgreich zu bekämpfen, sagte auch Thomas Uhlen vom katholischen Hilfswerk Caritas. Die Politik habe durchaus den guten Willen dazu, aber nicht immer die Möglichkeiten. "Wir alle müssen viel stärker Lobbyismus für die Armen betreiben", forderte er Kirchen, Gewerkschaften und Sozialverbände auf. Jeder müsse sich auch selbst fragen, was er oder sie der Gesellschaft schulde. Nötig sei es, wieder weitaus mehr soziale Beratungsangebote zu finanzieren, damit arme Menschen ihre Rechte besser nutzen könnten.

Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband forderte die Politik auf, der Armutsbekämpfung Priorität einzuräumen. In der letzten Legislaturperiode habe es keine einzige Maßnahme der Bundesregierung für arme Menschen gegeben, kritisierte er. Die Zahl der von Armut Betroffenen steige immer weiter. 1,7 Millionen Kinder und 2,5 Millionen Berufstätige seien derzeit auf Hartz-IV angewiesen. Hartz IV zementiere ihre Armut aber nur. Sie bräuchten ein anderes System. Die Regelsätze ermöglichten keine Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben.

Text: F. Gartmann / epd