Weihnachtsfrieden

Andacht zum Heiligabend 2014

Am Heiligabend herrschte an der Front Stille. Feuerpause auf beiden Seiten. Es hatte geschneit …

Genau 100 Jahre ist das heute her: Der Heiligabend des Jahres 1914. Mit Begeisterung waren sie in den Krieg gezogen. Aber schnell waren die Vorstöße zum Erliegen gekommen, beide Seiten lagen sich in Gräben gegenüber. Dieser Stellungskrieg sollte noch Jahre gehen und Millionen Menschen das Leben kosten. Der I. Weltkrieg – die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Aber am Heiligen Abend 1914 geschah Unglaubliches. Die Soldaten lagen sich in ihren Schützengräben gegenüber. Und dann summte einer der deutschen Soldaten „Stille Nacht“. Nach und nach stimmten andere ein. Auch im französischen Schützengraben, nur dreißig Meter entfernt, wurde ein Lied angestimmt. Einige Mutige hoben den Kopf über den Grabenrand, um hinüberzuschauen. Kein Schuss fiel. Aus allen Gräben klangen schließlich laut Weihnachtslieder. Und auf beiden Seiten kletterten Soldaten aus dem Schützengraben und gingen aufeinander zu, singend und mit Kerzen in den Händen. Hier und da wurden im Niemandsland gemeinsame Tische aufgestellt, es wurden Geschenke getauscht oder Weihnachtsbäume aufgestellt.

Diese ergreifende Geschichte ist breit bezeugt. An manchen Orten wird sogar von gegenseitigem Haareschneiden oder gemeinsamem Fußballspiel berichtet. Natürlich soll man die Sache nicht idealisieren. Hinterher ging das Schießen und Töten weiter – noch jahrelang. Und bis heute, gerade in diesem Jahr, erschreckt uns die Zahl der Kriege und ihrer Opfer.

Und doch. In dieser Geschichte scheint etwas auf vom Frieden Gottes mitten in unserer Friedlosigkeit. Wir feiern die Geburt des „Friedefürsten“. „Ehre sei Gott – und Friede auf Ehren“: Das ist die Botschaft der Engel in der Weihnachtsgeschichte.

Mitten in unser friedloses Leben hinein kommt Gott selbst. Das ist der Grund für einen ungeahnten Frieden. Gott selbst überwindet den Graben zu uns – und wird ein Kind in einer Krippe. So kommen richtiger Friede und richtiges Menschsein zusammen. Ein Friede, der tiefer reicht als alle innere Unruhe, aller Streit und alle „Grabenkämpfe“, die wir uns manchmal liefern. Wer sich von diesem Gottesfrieden erfüllen lässt, muss weniger Angst um sich haben – und kann offener auf andere zugehen.

Und merkt: Auch innere Gräben sind nicht unüberwindlich.
So kann das Weihnachtsfest eine heilsame Unterbrechung unserer alltäglichen Grabenkämpfe sein. Ein Weihnachtsfriede, der höher ist als alle Vernunft. Er lädt ein, dass wir uns vom Frieden Gottes innerlich anrühen lassen. Rainer Maria Rilke dichtet: „Hättest du der Einfalt nicht, wie sollte dir geschehen, was die Nacht erhellt? Sieh, der Gott, der über Völkern grollte, macht sich mild und kommt zur Welt“

Das Weihnachtsfest kann uns anstiften, Wege des Friedens zu gehen. Vielleicht ist auch zu Weihnachten der eine oder andere Weg aus einem Graben heraus möglich, ein Weg aufeinander zu. Ich wünsche Ihnen friedvolle und gesegnete Weihnachten.

Dr. Hans Christian Brandy
Landessuperintendent in Stade