Predigt am Ostermontag 2016, St. Wilhadi-Kirche, Stade

Predigt über 1. Korinther 15,12-20

Gnade sei mit euch von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Gemeinde,

„Wie sagen denn einige unter euch: ‚Es gibt keine Auferstehung der Toten‘“? So beginnt Paulus den Abschnitt für die heutige Predigt. Noch aktueller geht es kaum. „Einige sagen: ‚Es gibt keine Auferstehung der Toten‘.“ So ist es. Außerhalb und innerhalb der christlichen Gemeinde. So war es vor 2000 Jahren, dass Menschen innerhalb der Gemeinde die Auferstehung bezweifelten, und im Umfeld ohnehin. Und so ist es heute.

Das kennen wir aus Alltagsgesprächen. Das belegen Umfragen. Bei denen kommt es natürlich immer darauf an, was man genau fragt. Wenn man ziemlich offen fragt, wer an ein Leben nach dem Tod glaubt, dann antworten darauf zwei von drei Deutschen mit Ja. Immerhin, das ist für unsere angeblich so ungläubige, säkularisierte Zeit eine ganze Menge. Wenn man etwas genauer nach der christlichen Auferstehungshoffnung fragt, wird die Zustimmung - wie nicht anders zu erwarten - geringer, dann kommt man noch auf etwa ein Drittel. Auch das ist ja gar nicht so wenig, aber es ändert nichts daran: „Einige sagen: ‚Es gibt keine Auferstehung der  Toten‘“.

Komplizierter wird es dadurch, dass es diese Stimmen nicht nur bei anderen gibt, sondern dass ich sie auch in mir kenne. Auch mein Denken, mein eigener Glaube ist ja mehrstimmig. Und auch da gibt es die Stimme des Skeptikers. „Auferstehung. Ob das stimmt? Beweise gibt es ja keine, für unsere naturwissenschaftliche Weltsicht ist das schon nicht so einfach...“

Was macht Paulus? Er argumentiert gegen die Skeptiker an. Mit allen Mitteln der Rhetorik und der Logik will er ihnen nachweisen, dass sie im Unrecht sind. Nicht weniger als sieben Mal hat Paulus in unseren Versen die Verknüpfung „wenn … dann“, ganz streng nach der Logik.

Etwa: Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann ist euer Glaube vergeblich. Ohne Auferstehung Jesu – kein christlicher Glaube. Das ist für ihn und übrigens auch für alle anderen Schriften des Neuen Testamentes so. Ohne den lebendigen Christus kein Glaube. Das Christentum als eine Art Morallehre, zur Not auch ohne Christus, damit will Paulus nichts zu tun haben.

Und weiter: Wenn Christus auferstanden ist, dann kann man unmöglich sagen: Es gibt keine Auferstehung der Toten! Die Richtung ist bei Paulus ganz klar. Es geht ihm nicht allgemein darum, ob es nun eine Auferstehung der Toten gibt oder nicht. Sondern ihm ist die Auferweckung Jesu gewiss. Und deshalb ist es klar, dass auch wir auferstehen werden, dass auf uns ein ewiges Leben wartet. Wenn Christus auferstanden ist, dann gibt es auch die Auferstehung der Toten. „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.“ Aber so ist es ja nicht, denn Christus ist ja auferstanden. Dafür gibt es viele Zeugen, die hat Paulus vorher alle aufgezählt, und am Schluss ist er auch ihm, dem Paulus, begegnet.

Hilft uns das? Helfen uns Argumente zu österlicher Freude? Lässt logischer Diskurs bei uns Ostern werden?

Sicherlich genügt das nicht. Österliche Freude muss mich ja in der Tiefe erreichen, in meinem Herzen. Ostern gilt es zu feiern, zu spüren. Da sind Argumente nicht überflüssig, aber sie sind nicht alles. Zu Ostern gehört das Licht der Osternacht. Die ganz dunkle Kirche, die für den Tod steht, für die Traurigkeit. Und dann wird die eine Kerze hereingetragen mit dem Gesang „Christus ist das Licht“.  Wo Dunkel war, wird Licht, wo getrauert wird, ist die Botschaft zu hören: „Fürchtet euch nicht! Christus ist auferstanden!“ Wenn ich das erlebe, ergreift es mich in der Tiefe.

Ja, zu Ostern gehört das Herz. Zu Ostern gehören die Lieder, die Musik, die mein Herz ergreifen und begeistern. Zu Ostern soll etwas von der Zuversicht des Lebens mich ergreifen.

Zu Ostern gehört die Heiterkeit des Osterlachens. Da war doch in der Osternacht eine Taufe. „Wie soll das Kind heißen?" fragt der Pfarrer bei der Taufe. Der Vater antwortet "Clara Leonie Jaqueline Chantalle Lisa Marie!". Darauf flüstert der Pastor der Küsterin zu: "Wir brauchen mehr Wasser, bitte!"

Weil wir auf die Wirklichkeit Gottes vertrauen, die größer ist selbst als der Tod, können wir lachen. Die Heiterkeit des Glaubens gehört zu Ostern. Das ist mehr und anderes als Argumente.

Aber zu Ostern, so ist es nun beim Predigttext, gehören auch die Argumente. Auch sie gehören zu unserem Glauben. Glaube ist mehr als Vernunft, aber er ist nicht unvernünftig. Glaube gibt den Verstand nicht an der Kirchentür ab, sondern er will auch reflektiert und verantwortet werden.

Paulus argumentiert mit den vielen Zeugen, denen der auferstandene Jesus begegnet ist. Beweisen kann man die Auferstehung natürlich nicht, wie sollte man. Aber es gibt eine hohe historische Plausibilität.

Etwa: Die Evangelien nennen als die ersten Zeugen der Auferstehung Frauen. Das spricht sehr gegen eine Fälschung. Frauen waren damals – sorry, das ist jetzt gendermäßig nicht in Ordnung, aber so war es – Frauen waren als Zeugen vor Gericht nicht zugelassen. Wer eine Botschaft erfinden wollte, hätte nie ausgerechnet Frauen als Zeugen genannt. Die größten Glaubenshelden, Petrus voran, versagen, aber Jesus begegnet einzelnen Frauen. Und zunächst erkennen ihn alle nicht. So schreibt kaum, wer eine große Täuschung, ein „fake“, aufbauen will.

Das gilt auch im größerem Horizont. Jesus hat einige Jahre gewirkt und gepredigt. Er hat eine kleine Schar von Jüngerinnen und Jüngern gesammelt. Und dann ist er hingerichtet worden. Die Geschichte war zu Ende. Dann aber sind unabhängig voneinander viele losgezogen und haben immer und immer wieder von Jesus als dem Auferstandenen gepredigt. Und diese Botschaft hat in relativ kurzer Zeit weit um sich gegriffen. Es ist einfach historisch sehr unwahrscheinlich, dass das alles ohne einen realen, geschichtlichen Hintergrund geschehen ist, ohne die Auferstehung Jesu.

Wenn ich in die Gegenwart springe: „Einige sagen: ‚Es gibt keine Auferstehung der Toten‘.“ Da würden heute sicher viele als Grund angeben: „Widerspricht der Glaube an die Auferstehung nicht jeder naturwissenschaftlichen Sicht vom Menschen? Wir wissen doch, dass mit dem Tod das Leben zu Ende ist.“

Was kann man dazu sagen? Natürlich geht der Glaube an die Auferstehung über alle unsere irdischen Erfahrungen hinaus. Aber er richtet sich eben auch auf eine völlig andere Wirklichkeit, eine andere Dimension. Darüber kann Naturwissenschaft nichts sagen, sie kann ein ewiges Leben nicht beweisen, aber auch nicht widerlegen. Auferstehung, ewiges Leben ist ja nicht einfach eine Verlängerung dieses Lebens, sondern etwas komplett Neues. Paulus gebraucht dafür das Bild des Samenkornes: Das Korn stirbt, und es wächst etwas ganz anderes, Neues. „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich.“ Über dieses Neue kann die Naturwissenschaft nichts sagen. Deshalb kann der Glaube daran der Wissenschaft auch nicht widersprechen.

Als Studenten sind wir von Göttingen aus sonntags in ein Nachbardorf gepilgert, nach Herberhausen. Dort gab es einen schon älteren Pastor Schiller, man sprach von seiner Kirche auch als dem „Schiller-Theater“. Ich weiß nicht mehr viel von ihm, aber ich erinnere mich an ein Bild. Er verglich uns Menschen mit Ameisen, die in einen Fußball geraten sind. Sie erleben, dass er hin- und herschaukelt. Manchmal ist es ruhig, oft sehr turbulent. Aber sie wissen nicht, was um sie geschieht, sie wissen nichts vom Fußballspiel, nichts von den Leuten, die spielen,  oder den Regeln, nichts von der Freude am Spiel. Wenn eine Ameise sagt. „Da draußen ist es noch einmal ganz anders“, dann wird sie ausgelacht. So sei es auch mit uns und Ostern. Wir kennen nur unseren Horizont, und der endet mit dem Tod. Was danach kommt, was darüber hinaus kommt, das ist eine ganz andere Wirklichkeit, die unsere jetzigen Erfahrungen weit übersteigt.

Wunderbar hat dazu Joseph Ratzinger, Papst Benedikt XVI, gesagt, sozusagen zu dem Blick aus dem Fußball heraus: „Wir können nur versuchen, aus der Zeitlichkeit, in der wir gefangen sind, heraus zu denken und zu ahnen, dass Ewigkeit nicht eine immer weitergehende Abfolge von Kalendertagen ist, sondern etwas wie der erfüllte Augenblick, in dem uns das Ganze umfängt und wir das Ganze umfangen. Es wäre der Augenblick des Eintauchens in den Ozean der unendlichen Liebe, in dem es keine Zeit, kein Vor- und Nachher mehr gibt. Wir können nur versuchen zu denken, dass dieser Augenblick das Leben im vollen Sinn ist, immer neues Eintauchen in die Weite des Seins, indem wir einfach von der Freude überwältigt werden. So drückt es Jesus bei Johannes aus: ‚Ich werde euch wiedersehen, und euer Herz wird sich freuen, und eure Freude wird niemand von euch nehmen‘ (Johannes 16,22). In diese Richtung müssen wir denken, wenn wir verstehen wollen, worauf die christliche Hoffnung zielt; was wir vom Glauben erwarten, von unserem Mitsein mit Christus.“

Hier spüre ich, dass auch Argumente zu Herzen gehen können: „Eintauchen in die Weite des Seins, indem wir einfach von der Freude überwältigt werden…“ Beides gehört im Glauben - auch im Osterglauben - zusammen, Herz und Verstand. 

Der Verstand ist nötig, aber er allein wird es nicht richten. Ostern will uns ergreifen, will Lebensmut schaffen, neue Zuversicht, neue Perspektiven. Wo es nicht mehr weiterzugehen scheint, weist Gott uns einen neuen Weg.

Wo in unseren Tagen Grenzen gesetzt werden, neue Grenzen in Europa, neue Grenzen um Europa, Grenzen aber vor allem um Menschenherzen. Die Botschaft von Ostern will Weite schaffen, nicht Verengung.

Wo in unseren Tagen Angst geschürt wird durch den Terror und wo die Welt bedrohlicher zu werden scheint, da will Gott neuen Mut schaffen. Da ertönt das große „Fürchte dich nicht“, das der Auferstandene Jesus selbst spricht. Das will nicht nur unseren Verstand erreichen, sondern vor allem unser furchtsames Herz.

Heike Schmoll schreibt zu Ostern in der FAZ: „Mit dem Osterglauben, der für Christen auf Jesu Auferstehung gründet, ist und bleibt unauflöslich die starke Hoffnung verknüpft, dass Tod, Gewalt und Terror nicht das letzte Wort behalten.“

Gott will unser Herz erreichen. Dazu ein letztes Bild, aus einem Roman von André Herzberg: Er erzählt die Geschichte von Konrad, einem kleinen jüdischen Jungen Anfang des 20. Jahrhunderts. Er besucht zum ersten Mal die Synagoge, zusammen mit seinem Vater und seinem Großvater:

„Schon geht es los, alle erheben sich, das Lied, das sie um ihn herum singen, hat Konrad noch nie gehört, aber er kann das Brummen vom Großvater und von Vater heraushören. Der Großvater hat sogar ein Tuch umgehängt, er zieht es über den Kopf. Als das Singen vorbei ist, geht das  Sprechen und Nicken los. Der Großvater murmelt vor sich hin, aber dann schaut er zu Konrad, öffnet den Arm, nimmt ihn mit unter sein Tuch, zwinkert ihm zu. Es ist wie in einer Höhle, Baruch Atah Adonai, sagt er, dabei wiegt er sich, was Konrad ihm nachmacht. Das also ist mit Gott sprechen. Als der Junge die Augen schließt, nur noch das Murmeln um ihn herum hört, läuft ihm ein Schauer über den Rücken. Hat ihn gerade der liebe Gott gestreichelt?“[1]

Wo das geschieht, da wird es Ostern. „Hat ihn gerade der liebe Gott gestreichelt?“ Dieses Gefühl bleibt unverfügbar. Gott schenke es uns, er schenke Euch österliche Freude und österliche Zuversicht.

Amen.


[1] André Herzberg, Alle Nähe fern, Roman, Berlin 2015, 21, nach Alexander Deeg, in: Göttinger Predigtmeditationen 105 (2016), 220.