Predigt über Matthäus 28, 1-10, St. Cosmae Stade, 16. April 2017

Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
ich muss Sie warnen. Der Inhalt der Ostergeschichte könnten sie „potentiell beunruhigen“.  Er kann sogar, so wörtlich, „erschütternd“ wirken. Denn Ostern gibt es nicht ohne den Gekreuzigten, nicht ohne Karfreitag.

Karfreitag aber ist gefährlich. Jedenfalls findet das die Universität Glasgow und hat ihre Studierenden entsprechend gewarnt. An den Universitäten in den USA und Großbritannien gibt es seit einiger Zeit erregte Debatten um politische Correctness. Jura-Studenten müssen gewarnt werden, dass es in der Vorlesung zum Strafrecht auch um Verbrechen gehen könnte und das könnte zarte Gemüter belasten. Wenn in der Literaturwissenschaft ein Roman behandelt wird, in dem ein Selbstmord vorkommt – sagen wir Goethes Werther -, muss darauf hingewiesen werden, dass das für empfindliche Seelen eine Bedrohung darstellen könnte. Wer nicht gewarnt wurde, kann die Uni verklagen – und das geschieht. Und so kam es, dass die Universität Glasgow die Theologiestudenten warnte, sie könnten bei einem Bibelkurs durch die Kreuzigung Jesu erschüttert werden. Ihre Sorgfaltspflicht zwinge sie, die Studenten zu warnen, die Texte der Passionsgeschichte seinen „potentiell beunruhigend“ (FAZ 13.1.2017, 11).

Das alles ist natürlich absurd. Aber so tickt unsere Zeit. Nur es hilft nichts, wer Ostern bedenkt, kommt am Karfreitag nicht vorbei und nicht an dem Gekreuzigten. Wer sich auf den Weg zu Ostern macht, muss zuerst mit den Frauen den Weg zum Grab gehen. So beginnen alle Ostergeschichten und so beginnt auch die relativ spät entstandene Fassung bei Matthäus, die wir als Evangelium gehört haben und die der Predigt zugrunde liegt.

Die Frauen kamen, um nach dem Grab zu sehen. Ein trauriger Weg, mit dem Ostern beginnt, der denkbar traurigste. „Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht“, sagt der Engel zu den Frauen. Und das ist nicht nur „potentiell beunruhigend“, wie die Universität Glasgow sagt, das ist eine totale Katastrophe. Alles was sie mit ihm erlebt haben, alles was sie sich mit ihm erhofft hatten – alles das ist zerstört. Er würde Gottes Reich durchsetzen und Gerechtigkeit bringen, hatten sie gehofft, eine neue Zukunft Gottes mit den Menschen beginnen. Und nun können sie nur noch traurig zum Grab gehen. Das Grab, es steht für Ohnmacht, für enttäuschte Erwartungen, begrabene Wünsche, umsonst gelebtes Leben.

Der Weg zum Gekreuzigten und zum Grab gehört zu Ostern. Trauer und Kummer und Schrecken werden nicht überspielt. Nicht nur die Geschichte von der Kreuzigung ist „erschütternd“, sondern das Leben selbst ist höchst beunruhigend, in dem solche Geschichten ständig geschehen. Es ist Unfug, sich „politisch korrekt“ ein Leben ohne Sterben und ohne Scheitern und ohne Schuld vorzustellen. Die biblische Geschichte ist jedenfalls von einem nüchternen Realismus. Man kann auch sagen: Gott sieht unser Leben so, wie es ist. Denn der Weg zum Grab – er gehört auch heute für viele unter uns zur ganz persönlichen Ostergeschichte. Der Weg zum Grab eines Menschen, den man hergeben musste. Der einsame Weg zum Grab einer zerbrochenen Beziehung. Zu dem Grab unserer inneren Verletzungen und Verhärtungen, zum Grab der inneren Traurigkeit. Der Weg zum Grab gehört zu Ostern. Genauso wie der Blick auf die vielen Kreuze und Hinrichtungsstätten, von denen unsere Welt derzeit so voll ist, der Blick auf die Orte von Gewalt und Terror und ihre Opfer.

Das heißt aber auch: Auf alle diese Gräber fällt durch Ostern ein neues Licht, auf alle Opfer, auf alle Trauer. Über allem leuchtet durch Ostern ein neues Licht, das Licht des Lebens, das stärker ist als der Tod.

Damit man das gleich merkt, ist bei Matthäus nun einiges los in der Ostergeschichte. Die Frauen kommen zum Grab. Und als erstes geschieht ein Erdbeben. Total „beunruhigend“. Das Erdbeben ist eine göttliche Erschütterung der vertrauten Ordnung. Es ist ein kosmisches Ereignis, mit dem Gott selbst alles ändert. Normalerweise gilt ja eisern: Ein Grab ist ein Grab. Ein Fels ist ein Fels und bewegt sich nicht. Und vor allem: Tote sind tot und bleiben tot. Der Tod ist endgültig. Diese Ordnung wird nun „erschüttert“, alles wird auf den Kopf gestellt. Wahrscheinlich das einzige heilsame Erdbeben der Weltgeschichte, das Leben bringt und nicht Tod. Gottes neuschöpferisches Handeln erschüttert die Welt in ihren Festen.

Mit dem Erdbeben erscheint ein Engel, ein Bote Gottes. Er wälzt den Stein weg und setzt sich darauf. Der Engel macht deutlich: Hier handelt Gott selbst. Das hier ist also kein menschliches Geschehen, schon gar kein Raub des Leichnams, wie schnell geredet wurde, sondern ein göttliches Geschehen, direkt aus dem Himmel.

Ja, dass der Tod überwunden ist, ist keine menschliche Möglichkeit.  Den Tod  ist das Ende aller menschlichen Möglichkeiten. Aber Ostern eröffnet Gott neue Möglichkeiten. Es geht weiter. „Entdecke die Möglichkeiten“. Der Werbespruch von Ikea ist eigentlich eine wunderbare Zusammenfassung der Osterbotschaft:  „Entdecke die Möglichkeiten.“ Ostern ist die Zusage: Wo du keine Zukunft sehen kannst, da geht es doch weiter. Es geht nicht ohne Kreuzeserfahrungen, nicht ohne Kratzer und Verwundungen. Aber das Leben ist stärker. Darum lass dich nicht verrückt machen. Tod heißt: Ende aller Möglichkeiten. Das sprengt Ostern auf, es öffnet den Horizont, da gibt es neue Spielräume zum Handeln. Es gibt keine hoffnungslosen Fälle in den Augen des Glaubens. Wo ich mich selbst kaum noch im Spiegel anschauen mag. Wo ich andere sehe, bei denen nach menschlichem Ermessen nicht mehr viel zu erwarten ist. Im Licht von Ostern gibt es immer noch einen weiteren Weg. Sogar über die Grenze des Todes hinaus, Gott sei Dank.

Der Engel wird zum Boten, zum Verkündiger:  Fürchtet euch nicht! – das ist hier das erste Wort von Ostern: Fürchtet euch nicht! Wenn sich über 2000 Jahre seit der ersten Ostergeschichte etwas nicht geändert hat, dann ist es dies, dass es immer noch genug Grund zum Fürchten gibt – und ich erspare uns jetzt, die politische Landkarte einmal abzuschreiten. Grund genug zum Fürchten bietet das, was an Macht der Bomben derzeit gezeigt wird. Das erste Wort der Osterbotschaft aber ist Fürchtet euch nicht! Sie ist gerade an diesem Osterfest dringen.

Der Engel muss den Frauen erklären, was Sache ist. Die Osterbotschaft ist so fremd, so anders, dass sie einen Ausleger braucht: Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. Er ist nicht hier; er ist auferstanden. Das heißt übrigens auch: Das leere Grab als solches belegt gar nichts. Da könnte der Leichnam auch gestohlen oder versteckt worden sein. Auf der Ebene historischer Fakten ist nichts zu klären. Ostern lässt sich nicht beweisen. Entscheidend ist die Deutung: Die gibt der Engel: „Er ist auferstanden, wie er gesagt hat“

Und dann werden die Frauen in Bewegung gesetzt. Sie waren zu einem Grab gekommen. Ostern aber verändert die Blickrichtung und die Laufrichtung. Der Engel schickt die Frauen auf den Weg: geht eilends und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Geht eilends! Ostern setzt uns in Trab, Und sie gingen eilends weg vom Grab … und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. Ostern löst geradezu sportliche Dynamik aus: Sie liefen.

Die Bewegungen sind vielleicht das Entscheidende in dieser Geschichte: Die Frauen kamen, um nach dem Grab zu sehen. Und dann kam ein  Engel vom Himmel herab. Die Bewegung der Trauer wird durch den Himmel unterbrochen. Der Engel führt die Frauen als erstes zu dem Gab, das nun leer ist: „Kommt her und seht“. Und dann schickt er sie auf den Weg „geht eilends hin … Und siehe, er wird vor euch hingehen …Und sie gingen eilends weg vom Grab  … und sie liefen.

Darauf zielt die Ostergeschichte: Die Botschaft von der Auferstehung Jesu setzt seine Jünger und seine Kirche in Bewegung, um den Sieg des Lebens zu verkündigen und auszubreiten. Was als Weg zum Grab begann, wird durch die Auferstehung zum Weg in alle Welt, zum Weg zu den Menschen, als Zeugen des Lebens. Ostern setzt uns in Bewegung im Reden und Tun: Wir sind Zeugen des unbedingten Lebenswillens Gottes.

„Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen“, ein altes Lied. Das kennen wir, das ist unsere Alltagserfahrung. Martin Luther, an dem wir uns in diesem 500. Jubiläumsjahr der Reformation besonders erinnern, hat das aufgegriffen und gesagt: „Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen. Kehr’s auch um: Mitten in dem Tode sind wir vom Leben umfangen“. Das gilt seit Ostern. Das ist die neue Bewegung: „Mitten in dem Tode sind wir vom Leben umfangen“.

Natürlich, das sagt auch Luther immer wieder, steht der Osterglaube der natürlichen Erfahrung entgegen. Tot ist tot.

Deshalb benutzt Luther, wie Paulus in der Bibel auch schon, Bilder für das Sterben und die Auferstehung. Ein besonders schönes ist das Bild von der Geburt: Es geht hier zu, wie wenn ein Kind aus der kleinen Wohnung in seiner Mutter Leib mit Gefahr und Ängsten geboren wird in diesen weiten Himmel und Erde, das ist unsere Welt: Ebenso  geht  der  Mensch  durch  die  enge  Pforte  des Todes  aus  diesem Leben. Und obwohl der Himmel und die Welt, darin wir jetzt leben, als groß und weit angesehen werden, so ist es doch alles gegen den zukünftigen Himmel so viel enger und kleiner, wie es der Mutter Leib gegen diesen Himmel ist. Darum heißt der lieben Heiligen… Sterben eine neue Geburt. So muss man sich auch im Sterben auf die Angst gefasst machen und wissen, dass danach ein grosser Raum und Freude sein wird.

Man kann das Bild von der Geburt einen Moment meditieren. Genau so, sagt Luther ist es mit der Auferstehung. Sie überschreitet jede Vorstellung, weil sie eine andere Wirklichkeit eröffnet. Deshalb behalten Sterben und Grab seinen Schrecken. Aber dahinter leuchtet seit Ostern doch schon eine ganze andere, göttliche Wirklichkeit. Mitten im Tod sind wir vom Leben umfangen! Oder, mit Luther: So muss man sich auch im Sterben auf die Angst gefasst machen und wissen, dass danach ein grosser Raum und Freude sein wird.

Ein „großer Raum und Freude“. Auch bei Matthäus machen sich die Frauen auf den Weg, so heißt es, mit Furcht und großer Freude. Mit gemischten Gefühlen also. Mit Furcht und großer Freude. Beides gehört zusammen in unserem Leben. Aber die Freude hat das letzte Wort. Sie gingen und liefen mit Furcht und großer Freude. Furcht wird uns bleiben, solange wir auf dieser Erde sind. Seit Ostern aber müssen unsere Wege nicht mehr ohne eine noch größere Freude sein. Der Tod hat nicht das letzte Wort.

Die Universität Glasgow hat gewarnt vor der Geschichte der Kreuzigung. „Erschütternd“, „potentiell beunruhigend“. Wer meint, das alles sei mit Ostern nun nicht mehr nötig, der irrt. Wer die Dynamik der Osterschichte kapiert, muss davor mindestens genauso warnen: Die Osterbotschaft kann Sie aus ihrer Ruhe herausbringen und aus Ihrer Lethargie. Sie kann in Bewegung setzen und neuen Mut geben. Wer sich mit dem Grauschleier des Missmuts gut arrangiert hat, hat von Ostern schwere Beunruhigung zu erwarten. Die Osterbotschaft kann aus Wutbürgern Mutbürger machen, Menschen, die sich von der Botschaft des Lebens anstecken lassen und anfangen loszugehen. Wer Ostern ernst nimmt, wird vom Grab weggehen und auf neue Erfahrungen mit Gott zugehen, auf neue Erfahrungen mit dem Lebendigen und mit dem Leben.

Amen.