Ostfriesische Altäre erzählen die Passion

Nachricht Emden, 14. Februar 2018

Zehn Jahre Passionsandachten im Ostfriesischen Landesmuseum Emden

„Wir freuen uns sehr, dass wir jetzt schon im zehnten Jahr in Folge im Ostfriesischen Landesmuseum in Emden gemeinsam mit den lutherischen Gemeinden Emdens und dem Sprengel Ostfriesland-Ems die Passionszeit gestalten“, sagte Dr. Annette Kanzenbach, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Museum, in ihrer Begrüßung. Vor zehn Jahren war der Passionszyklus von Hans II van Connixloo besprochen worden, der dauerhaft im Landesmuseum gezeigt wird. Diese zehn Bilder werden seitdem nach und nach durch die Kollekten der Passionsandachten restauriert. Acht davon sind bereits samt ihrem mit Goldleiste versehenen Zierrahmen restauriert worden, freut sich Dr. Kanzenbach und dankte dafür. In den folgenden Jahren wurden dann weitere Kunstwerke aus dem Landesmuseum, Gemälde von Hermann Buß und Uwe Appold und historische Meisterwerke etwa von Tizian, Cranach und Rembrandt besprochen.

„Für die zehnte Reihe der Passionsandachten sind wir nach Ostfriesland zurückgekehrt und haben gemeinsam Altäre aus lutherischen Kirchen in Ostfriesland ausgewählt“, so die Kunsthistorikerin. Das diesjährige Thema lautet: „Christus begegnen. Ostfriesischen Altäre erzählen die Passion.“

„Ich freue mich auf die Passionsandachten“, sagte Landessuperintendent Dr. Detlef Klahr, der vor zehn Jahren diese Idee der Kombination von kunsthistorischer und theologischer Auslegung von biblischen Themen zur Passionszeit in Emden einbrachte. „Angesichts der Thematik von Leiden und Tod in der Passionszeit klingt es vielleicht seltsam, dies so zu sagen, aber die Passionszeit auf diese Weise gemeinsam zu begehen, freut mich sehr. Dafür danke ich dem Landesmuseum, dass dies möglich ist“, sagt der Regionalbischof für den Sprengel Ostfriesland-Ems.

Kuss in der Nacht – die Gefangennahme Jesu

Die erste Andacht der diesjährigen Reihe hatte unter der Überschrift „Kuss in der Nacht“ den Verrat Jesu durch Judas zum Thema.

„Gemeiner kann es gar nicht sein. Ausgerechnet aus den eigenen Reihen, wird jemand zum Verräter und Handlanger. Der Kuss als Ausdruck größter Vertrautheit und Freundschaft wird zum Zeichen des Verrats. Jesus wusste, dass Judas ihn verraten würde. Er ließ es geschehen. Diese nächtliche Szene des Kusses führt zur Gefangennahme und bringt den Stein um den Prozess Jesu ins Rollen“, sagte Landessuperintendent Dr. Klahr.

Und weiter: „Ausgerechnet diese Szene wird der Gemeinde des Klosters in Ihlow vor Augen gehalten. Und heute der Gemeinde in der Auricher Lamberti-Kirche: Vergesst nicht, wie leicht es ist, Christus zu verraten. Nicht von denen, die fernstehen und ihn loswerden wollen, sondern von denen, die zu ihm gehören.“

Zuvor habe Jesus selbst mit dem, der ihn durch einen Kuss verraten werde, das Brot und den Wein geteilt und auch zu ihm gesagt: „Für dich gegeben zur Vergebung deiner Sünde.“

„Es kann manche Nacht der Schuld und des Todes für einen Menschen geben: Christus wird immer den Seinen vergeben. Was zählt und bleibt, ist die Liebe Gottes zu seinen Menschen, wie sie in Christus sichtbar geworden ist“, sagte Klahr.

Der Ihlower Altar in der Lambertikirche in Aurich

Dr. Annette Kanzenbach verlas einen Text von Professor em. Dr. Karl Arndt, der aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein konnte. Darin gab Professor Arndt eine Einführung in die Thematik anhand des Ihlower Altar aus Aurich. Das Altarretabel in der Lambertikirche sei in der Reihe der diesjährigen Andachten das Prächtigste.

Das späte Mittelalter, die Zeit zwischen 1480 und 1520 war in Europa die Zeit prächtiger, großer Altarretabel. Das Altarretabel in der Lambertikirche in Aurich ist eine typisch spätmittelalterliche Kunstform und stammt aus der Kirche des Zisterzienserklosters in Ihlow. Etwa um 1500 – 1510 geschaffen, war es dort 20/30 Jahre zu sehen, bis die durch Martin Luther 1517 eingeleitete Reformation Ostfriesland erreichte und mit ihr die Aufhebung der Klöster erfolgte. Mit der Reformation wurde auch die bildliche Ausstattung der Kirchen und damit der Altäre völlig oder teilweise in Frage gestellt. Die Anhänger Calvins ließen in ihren Kirchen keine Bilder zu. Luther aber sah, dass Bilder biblische Inhalte mit besonderer Eindringlichkeit erzählen können.

Nach Aufhebung des Klosters in Ihlow ließ der Landesherr, Graf Enno II., den Altaraufsatz zunächst in seine damalige Nebenresidenz Aurich bringen, wo dieser vermutlich in der Kapelle der Burg aufgestellt wurde. Etwa 100 Jahre später schenkte Graf Ulrich II. das Retabel der Auricher Gemeinde für die Lambertikirche. Als die mittelalterliche Kirche dann 1835 durch einen klassizistischen Neubau ersetzt wurde, platzierte man das kostbare Werk am heutigen Platz gegenüber der Eingangstür.

Das Ihlower Altarretabel ist ein Werk aus Antwerpen, die Stadt, die um 1500 die führende Handels- und daher auch Kunstmetropole im Nordwesten Europas war.

Im 19. Jahrhundert war mit der Predella, die den Altaraufsatz trägt, ein deutliches Zeichen lutherischen Bekenntnisses hinzugekommen. Dieser „Wort-Altar“ im Kleinen, der in vielen lutherischen Kirchen Ostfrieslands zu sehen sei, präsentiert die Einsetzungsworte des Abendmahls.

Die Gefangennahme Jesu auf einem der Seitenflügel sei eine Malerei ganz in der Tradition der altniederländischen Kunst des 15. Jahrhunderts, die sich durch eine sehr feine Malweise und einen Realismus bis ins kleinste Detail auszeichne. Damit einher gehe eine dramatische Bildsprache, die jeden Betrachter, jeden Gläubigen ganz unmittelbar berühre. Auch sei es für die spätmittelalterliche Malerei üblich, dass mehrere aufeinander folgende Geschehnisse gleichzeitig zu sehen seien, stellte Professor Arndt fest. Diese ebenfalls noch vorgestellte Tafel der Gefangennahme Jesu war der Ausgangspunkt für die Andacht des Regionalbischofs zum Thema „Kuss in der Nacht“.

 

Die nächste Passionsandacht

Die nächste Passionsandacht findet statt am Mittwoch, den 21. Februar 2018, um 18.15 Uhr bis 19 Uhr im Rummel des Ostfriesischen Landesmuseums. Unter dem Thema „Mit Dornen gekrönt“ wird Jesu Geißelung und Verspottung besprochen. Sarah Byl von der Galerie Amuthon-Art in Emden erläutert das geschnitzte Passionsretabel aus der St. Florian-Kirche in Funnix aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Pastor Wolfgang Ritter aus Emden legt die dazugehörige Bibelstelle aus dem Johannesevangelium aus (Joh 19,1-5).