Predigt zur Eröffnung der Allianzgebetswoche 2013

Predigt zur Eröffnung der Allianz-Gebetswoche
über Phil 2,5-12 am 13. Januar 2013
Gemeindehaus der Stadtkirche, Rotenburg

Liebe Gemeinde,
unterwegs mit Gott, so das Thema der diesjährigen Allianz-Gebetswoche, festgelegt von der europäischen evangelischen Allianz. Das passt gut zum Anfang des neuen Jahres: Wir machen uns in ein neues, unbekanntes Land auf, unterwegs mit Gott. Das passt auch gut zu unserer Jahreslosung: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Die Wanderschaft gehört zum Wesen der Christenmenschen, hier in dieser Welt und bis in Ewigkeit: Unterwegs mit Gott.
Wohin soll denn die Reise gehen? Das haben wir in den guten Wünschen in den letzten 14 Tagen ja hinreichend oft gehört und einander gewünscht: Ein gutes, ein gesundes Jahr. Zufriedenheit, Erfolg. Bei den Empfängen dieser Woche habe ich ungezählte solche Wünsche gehört. Als Christen wünschen wir uns Gottes Segen. Und auch das meint ja Gutes, meint Fülle des Lebens, dass sich das Leben entfaltet. Wer wünscht sich oder anderen schon Misserfolg – es sei denn der Konkurrenz, und dass ist nicht besonders anständig. Man würde eine Beziehung ziemlich belasten, wenn man sich zum neuen Jahr gute Misserfolge wünscht.
Aufwärts also soll es gehen. Vorwärts. Ich habe einmal bei Amazon nachgeschaut. Wenn man dort „Wege zum Erfolg“ eingibt, stößt man auf 5030 Nennungen. Der Weg zum erfolgreichen Unternehmer, Judo – der Weg zum Erfolg. Träume wagen – der mentale Weg zum Erfolg. Richtig bewerben – der Weg zum Erfolg. Ratgeber ohne Ende: Erfolg beim Abnehmen und in der Liebe, bei der Führerscheinprüfung und in der Kindererziehung, und ganz besonders natürlich in der Karriereplanung. Wenn man „Weg nach oben“ eingibt, kommt man sogar auf 10.752 Treffer. Nach oben wollen alle. Klar, wer will auch nach unten. Fußballfreunde wissen das (die Fans vom FC St. Pauli besonders): Aufstieg ist gut, den feiert man. Abstieg ist schlimm, der bedeutet Jammer und Tränen. Niemand wünscht sich Abstiege oder gar Abstürze. Ich will sie auch nicht, ganz bestimmt nicht.
Und doch gibt der vorgegebene Predigttext noch einmal eine andere Richtung vor für unser Unterwegssein. Ich lese Philipper 2:
Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erschei-nung nach als Mensch erkannt. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Eingestimmt werden wir auf unsere Wanderung mit einem Lied. Einem alten Christuslied. Wahrscheinlich hat Paulus es schon vorgefunden und in seinen Brief eingebaut. Es besingt Jesus Christus in seiner Göttlichkeit. Aber hier geht die Bewegung nicht nach oben, sondern nach unten. Es ist eine Abstiegsgeschichte. Er war in göttlicher Gestalt, Gott gleich. Aber er hielt daran nicht fest. Er hielt das Gottsein nicht gierig fest, so wie ein Dieb den Beutel Geld ganz fest in seinen Händen hält. „Er hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein,“ übersetzt Luther. Sondern er entäußerte sich, wurde niedrig, ein Mensch, sogar ein Knecht. Er gab alle seine Vorrechte auf und wurde einem Sklaven gleich. Er wurde ein Mensch in dieser Welt und teilte das Leben der Menschen. Da haben wir das Geheimnis von Weihnachten noch einmal. Gott kommt in unsere Niedrigkeit, an unsere Seite. Und Paulus sieht die Krippe mit dem Kreuz zusammen. Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Diese letzten Worte hat Paulus selbst wohl dem älteren Lied hinzugefügt.
Gott als Mensch. Der König als Knecht. Einfach ist das nicht zu verstehen. Der legendäre Herrscher Harun al Raschid hat sich im achten Jahrhundert als Bettler unter das Volk gemischt, um zu wissen, was sein Volk so denkt, auch über ihn. Ein König undercover. Oder: Diese Woche war ich bei der Einweihung der neuen Justizvollzugsanstalt in Bremervörde. Dort gibt es Ende Januar, ein paar Tage, bevor die echten Gefangenen kommen, ein Probeliegen. Da sind ehrenwerte Menschen der Gesellschaft eingeladen, einen Tag Gefängnis zu erleben. Man bekommt offenbar tatsächlich Häftlingskleidung an, und man wird für eine Nacht eingeschlossen. Auch das ist ja ein Abstieg, eine Selbstentäußerung. Aber am nächsten Tag ist man wieder frei, jedenfalls ist das fest zugesagt. Mit Jesus ist das anders. Bei ihm ist das keine Verkleidung, kein Spiel, keine Neugier. Herrscher im Alltagsgewand haben alle den Schlüssel zu ihren Palästen in der Jackentasche. Der Dreck der Straße wird dann locker abgespült, um anschließend im flauschigen Bademantel die Reise in eine andere Welt bei einem Glas Wein Revue passieren zu lassen. Der Knasti für eine Nacht steigt am nächsten Tag wieder aus und hat in der Freiheit etwas zu erhählen. Das ist bei Jesus anders: Für ihn öffnet sich keine Tür, wenn er will. Er beendet das Spiel nicht. Hinter ihm schließt sich die Kerkertür, ob er will oder nicht. Jesu Abenteuer in der Welt des Menschlichen endet nicht mit duftenden Ölen auf der Haut und teuren Weinen auf der Zunge, sondern mit dem Geschmack von Essig, Blut und Tränen. Bei Jesus ist es ernst. Todernst. Auch die Einsetzung in die göttliche Macht ändert daran nichts. Sie gehört dazu, ja: Die Überwindung des Todes, der Niedrigkeit. Aber auch der Auferstandene und erhöhte Herr trägt die Wundmale. Der Herr des Himmels und der Erde ist und bleibt der der Gekreuzigte, der sich zu uns herabbeugt.
Das ist das Geheimnis der Liebe Gottes zu uns Menschen. Sie leuchtet auf im Licht über der Krippe. Sie kommt an ihr Ziel im Kreuz, wo Gott in unsere tiefste Tiefe kommt. Unterwegs mit Gott? Zu allererst ist Gott unterwegs zu uns. Seine Größe zeigt sich darin, dass er klein wird. Wir Menschen neigen dazu, nach oben zu wollen, Gott will nach unten. Er beugt sich herab zu uns.
Und was bedeutet das? Wie tief auch immer Du in der Tiefe sitzt: Gott ist da. Er ist an Deiner Seite. Er erniedrigte sich selbst – bis hinab zu Dir. Keine Traurigkeit kann so tief sein, keine Schuld so groß, dass Jesus Christus nicht dort wäre. Gott begegnet uns auf Augenhöhe. Kein überlegener Herrscher, sondern ein Gott, der uns liebevoll anschaut.

Wir haben vor ein paar Wochen die Kirche im Kloster Loccum neu eröffnet. Sie feiert dieses Jahr 850. Jubiläum, eine Reise lohnt sich. Es gibt darin nun eine neue Skulptur: Bernhard von Clairveaux, der berühmte Ordensgründer der Zisterzienser, kniet vor Christus. Und Christus, der am Kreuz hängt, beugt sich zu Berhard vom Kreuz herab und schließt ihn in seine Arme. Ein anrüherndes Bild, das es oft im Zisterzienserorden gibt. In dem Exemplar in Loccum aber kniet nicht nur Bernhard, sondern neben ihm auch Martin Luther. Gemeinsam werden sie von Christus umarmt. Ein wunderbares Bild für die Ökumene. Vor allem aber: Darum geht es: Christus beugt sich herab, um uns liebevoll in seine Arme zu schließen. Und so wie Luther dort kniet, kann jeder sich selbst dort hinzudenken. Das ist eine gute Meditation zu Philipper 2.
Was heißt das nun für unser Unterwegssein mit Gott? Genau darum geht es Paulus. Für ihn ist das Christuslied eine Anleitung für unseren Weg. Deshalb leitet er das alte Christuslied ein mit den Worten: Seid so unter euch gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht. So übersetzt Luther. Das heißt: Lasst Euch hineinnehmen in die Bewegung, die Christus begonnen hat. Lasst Euch von ihm bewegen, von seinem Geist bestimmen. Seid so mit ihm unterwegs, in seiner Nachfolge.
Konkret: in Demut achte einer den andern höher als sich selbst. Für Menschen, die mit diesem Gott unterwegs sind, führt der Weg also auch nicht einfach nach oben. Das neue Testament lässt keinen Zweifel daran: Ihr sollt als Christen nicht übereinander herrschen, sondern geschwisterlich miteinander leben. Ihr sollt eure Gaben nicht einsetzen, um zu bestimmen, sondern um einander und der Ge-meinde zu dienen.
Demut – das war für die Zeitgenossen des Paulus ein Unwort, irgendwo zwischen Kriecherei und Kleinmut und Schäbigkeit. Paulus macht es von einem Unwort zu einem Leitwort. Der Grund liegt im Kreuz Christi. Es begründet eine Umwertung aller Werte. Der Weg Gottes geht nach unten, in diese Bewegung lassen wir uns als Christen mit hinein nehmen. Darum ist es gut, einander zu dienen, nicht über die Schwächeren zu triumphieren, sondern ihnen aufzuhelfen. Die ganze christliche Kultur der Barmherzigkeit hat hier ihren Grund.
Gewiss – an dieser Stelle ist keine Selbstzufriedenheit angesagt. Oft genug hat die Kirche doch Herrschaft ausgeübt. Oft genug hat sie in ungute Weise Macht praktiziert. So bleibt die Wegbeschreibung des Paulus über das Unterwegssein mit Gott immer auch ein Anlass zur Selbstkritik. Und das gilt gerade für Menschen wie mich, denen eine leitende Aufgabe übertragen wurde. Es gilt für alle, die leitend ein Amt wahrnehmen, in der Gemeinde wie anderswo. Es geht nicht ohne Leitung, wo viele Menschen zusammen sind. Und wo Leitung ist, ist auch Macht, das soll man nicht kaschieren. Und doch bleibt die Frage: Dient die Leitung dem Aufbau der Gemeinde? Dient sie dem Evangelium? Dient sie den Menschen? Wenn es nicht so ist, dann ist das gerade nicht die Weise, die der Gemeinschaft in Christus entspricht. Ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient, sagt Paulus. Das gilt für leitende Leute besonders.
Unterwegs mit dem Gott, der sich zu uns herabbeugt. Das höre ich nicht nur als eine Ermahnung zur Niedrigkeit, zur Demut. Sondern ich höre es auch Ermutigung zu einem lebensfreundlichen Lebensstil. Ihr könnt loslassen. Ihr müsst nicht hinter dem Erfolg her rennen um jeden Preis. Ihr müsst nicht mitmachen beim schneller – höher – weiter. Wer das macht, der ist am Ende erschöpft und ausgebrannt, das ist ja an der Tagesordnung. Wer lassen kann, loslassen kann, sich Gott überlassen kann – der wird besser leben. Wer verzichten kann, wird reicher. Christa Wolf erzählt von der Seherin Kassandra das Wort: „Wenn ihr aufhörn könnte zu siegen, wird diese eure Stadt bestehn“. (2x) Christen müssen nicht ständig siegen. Weil Christus längst für sie gesiegt hat, Ihn hat Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.
Ein letztes: Unterwegs mit Gott: Paulus geht es vor allem um eines: Seid gemeinsam unterwegs. Macht meine Freude dadurch vollkom-men, dass ihr "eines" Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid. Wie schön, dass das auch bei der Allianzgebetswoche geschieht. Wie schön, dass wir hier als Christen verschiedener Kirchen und Prägungen doch eines Sinnes verbunden sind. Und es ist gut, dass wir verbunden sind gerade im Gebet, in dem was alle Christen miteinander verbindet. In der Fürbitte füreinander und für unsere Welt. In der Fürbitte besonders auch für die verfolgten und bedrängten Christen in aller Welt. Das ist ein wichtiger Dienst der Allianz, an sie immer wieder zu erinnern.
Wenn wir uns in Gottes Bewegung mit uns und zu uns hineinnehmen lassen, sind wir am Ende besonders verbunden vor allem im Lob Gottes, im anbetenden Bekenntnis zu Christus. Denn darauf zielt Gottes unterwegs sein mit uns ja: dass alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Amen .