Dialogpredigt am 2. September 2017

im ökumenischen Gottesdienst zur Wiedereinweihung der St. Wilhadi-Kirche Stade und zum Abschluss der ökumenischen Aktion „Worte bewegen“

Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy und Ökumenereferentin Dr. Dagmar Stoltmann-Lukas

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
 

Dr. Brandy:
Welche Hausnummer hat eigentlich Gott? Unter welcher Postadresse ist Gott anzutreffen? Die Antwort ist ganz klar, liebe Gemeinde: Wilhadikirchhof Stade, Nr. 12. Ich hab es erst ja gar nicht geglaubt, aber die Wilhadikirche hat tatsächlich eine Hausnummer, die 12. Und ich bin mir sicher: Hier am Wilhadikirchhof 12 wohnt Gott. Hier ist die richtige Adresse. Deshalb und nur deshalb ist die Freude so groß, dass wir die Kirche heute wieder in Gebrauch nehmen können. Ich freue mich sehr über die Wiedereinweihung. Ich gratuliere der Gemeinde herzlich und danke allen, die mit großem Engagement für die Sanierung gearbeitet und auch gespendet haben, den Planern, den Handwerken, allen Spenderinnen und Spendern, dem Kirchenvorstand. Stellvertretend für viele nenne ich Herrn Holst vom Amt für Bau- und Kunstpflege, der mit großem persönlichen Einsatz den Bau begleitet hat sowie Superintendent Dr. Kück, der sich mit großer Energie für dieses Projekt engagiert hat. Und ich danke Gustav Viebrock, ohne den dieses Werk so nicht gelungen wäre.

Natürlich hat diese Kirche eine große Tradition, natürlich ist sie ein Wahrzeichen - wir können uns unsere Hansestadt  Stade ohne die Silhouette von St. Cosmae und St. Wilhadi nicht vorstellen. Aber wir feiern eben keine Einweihung eines Museums. Wir feiern die Wiedereinweihung eines Hauses, in dem lebendige Menschen dem lebendigen Gott begegnen. Ein Haus, in dem Menschen Gottes Wort hören, ihn loben durch Gesang und Musik, in der Taufe in Gottes Bund mit den Menschen aufgenommen werden, im Abendmahl Gemeinschaft mit ihm und untereinander feiern. Als Zeichen dafür haben wir eben Bibel und Osterkerze, Taufschale und Abendmahlskelch in die Kirche hereingetragen: Symbole der Gottesbegegnung, Symbole des Lebens.

Aber es ist mir eine besondere Freude, dass wir diesen Gottesdienst ökumenisch feiern. So kann ich meine katholische Kopredigerin, Frau Dr. Stoltmann-Lukas, fragen: Lässt mich die Einweihungseuphorie über das Ziel hinausschießen? „Gott wohnt am Wilhadikirchhof“ - darf man das sagen, liebe Dr. Stoltmann-Lukas? „Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“
 

Dr. Stoltmann-Lukas:
Lieber Hans Christian, als Katholikin würde ich einem regionalen Bischof ja niemals widersprechen, oder nur so, dass man es nicht sofort merkt. Und ich will natürlich keineswegs die Freude über die Wiedereinweihung dieser wunderbaren Kirche trüben. Im Gegenteil, ich freue mich von Herzen mit und gratuliere herzlich im Namen des Bistums Hildesheim.

Aber die Frage ist natürlich berechtigt. Wohnt Gott in einem Haus? Hat Gott eine Adresse?

Wir haben diese sehr alte Frage vorhin schon gehört in der biblischen Lesung. Da ging es ja um eine biblische Einweihung: Der Tempel in Jerusalem wird geweiht. In den Kapiteln davor wird beschrieben, wie der Tempel unter dem König Salomo gebaut wird – ein gewaltiges Projekt. Und dann wird er eingeweiht. Dazu spricht König Salomo selbst ein Gebet. Und dieses Gebet, das in der Form, in der wir es heute lesen, aus späterer Zeit stammt, denkt sehr spannend und eigentlich sehr modern über die Frage nach: Wo wohnt Gott? Und es stellt eben die Frage, die Du schon zitiert hast. „Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“ So heißt es in der katholischen Einheitsübersetzung. Und bei Luther: „Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?“

Und die Antwort kann nur doppelt sein. Ja, Gott verbindet sich in besonderer Weise mit einer solchen Kirche. Aber nein, natürlich ist Gott nicht begrenzt auf ein Haus, nicht auf den Tempel, nicht auf diese wunderbare Kirche, noch nicht einmal auf den Hildesheimer Dom.

Salomo selbst spricht es aus in seinem Gebet. Siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich nicht, wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe. Gott ist unendlich viel größer als jedes Haus, als jedes Gebäude. Nach der Bibel braucht Gott gar kein Haus. Im Neuen Testament sagt Paulus bei seiner Rede in Athen (Apg 17,24): „Der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind,“ Gottes Gegenwart ist nicht an ein Gebäude gebunden.
 

Dr. Brandy:
„Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“ Gewiss, einfangen lässt er sich nicht. Er ist immer größer als alle unsere Kirchen. Und auch als unsere Vorstellungen und Bilder von ihm.

Und doch: Gott will wohnen unter uns, will wohnen auf der Erde. Davon erzählt die Bibel an vielen Stellen. Sie kann das auf unterschiedliche Weise beschreiben. Gott will sich nicht auf eine Weise festlegen, wie er unter uns wohnt. Auch nicht – nicht nur – auf die Adresse Wilhadikirchhof.

Das Wichtigste: Gott will unter uns wohnen – in Christus. Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Gott wurde Mensch und wohnte unter uns. „Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“ fragt Salomo in seinem Gebet. Und die Antwort: Ja, er will bei euch wohnen, als Bruder an Eurer Seite, in Christus. Damit in aller Menschlichkeit, in aller Niedrigkeit Gott an Eurer Seite ist.

Wo einer denkt: Mein eigenesHaus ist komplett gottverlassen, ich kann Gott darin nicht sehen: Gott will auch darin wohnen. Christus ist da. Und wenn eine meint: In meinem Haus ist es viel zu unaufgeräumt, viel zu chaotisch: Gott wurde Mensch und wohnte unter uns… Gerade da will Gott wohnen, in unserem Leben, wo es unaufgeräumt ist oder wo die Verhältnisse sehr bescheiden sind.

„Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“ Eine weitere Antwort der Bibel dazu: Gott will nicht zuerst in Häusern wohnen, sondern in Menschen. Gott will in uns zur Welt kommen, in Menschen mit all ihren Fehlern, in der Gemeinde, wie großartig oder bescheiden sie auch immer sein mag. Noch einmal Paulus: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid“ (1. Kor 3,16), sagt Paulus. In Euch ist Gott gegenwärtig, in Euch soll er auch für andere erkennbar sein, in den Christen in Stade und Buxtehude und Hildesheim oder wo immer. Wo Ihr aufeinander Acht habt, wo Ihr eine Kultur der Barmherzigkeit lebt, wo Ihr Zeugen von Gottes Menschenfreundlichkeit seid, da ist der Tempel Gottes.

Aber, liebe Dr. Stoltmann-Lukas, was ist denn nun mit diesem Haus am Wilhadikirchhof? Was ist mit all unseren Gotteshäusern? Gerade als Katholikin musst Du doch ein gutes Wort auch zu unseren Kirchengebäuden und zu dieser Kirche haben?
 

Dr. Stoltmann-Lukas:
Das habe ich auch, lieber Hans Christian, und das haben wir, meine ich,  auch gemeinsam. Sicher, wir Katholiken empfinden vielleicht etwas mehr, dass Gott konkret und fassbar in dieser Welt wohnen will. Es ist ja kein Zufall, dass wir Katholiken uns zum Altar hin verneigen, wenn wir eine Kirche betreten. Da wohnt Gott – ganz real. Ihr Protestanten betont vielleicht ein wenig mehr, dass Gott frei ist und frei bleibt, dass er in seinem Wort und in seinem Geist wirkt, wo immer er will.

Aber das ist kein prinzipieller Unterschied, es sind nur unterschiedliche Akzente. Auch als Katholiken glauben wir nicht, dass  Gebäude von sich aus heilig sind, sozusagen herausgehoben aus dieser Zeit. Vor Gott sind erst einmal alle Räume, Zeiten und Orte gleich. Es gibt keine aus sich heraus heiligen Räume.

Aber: Kirchen sind besondere Räume. Sie sind Räume, die uns zum Glauben helfen. Wir brauchen Orte, an denen wir uns der Nähe Gottes in besonderer Weise vergewissern können. In Salomos Gebet heißt es: „die Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein.“

Ein jüdischer Rabbi hat das einmal sehr anschaulich gesagt über seine Heilige Stadt Jerusalem: Selbstverständlich ist Gott überall gegenwärtig. Aber mit ihm ist es wie mit dem menschlichen Puls. Der ist auch überall, aber man fühlt ihn deutlicher an besonderen Stellen.
 

Dr. Brandy:
Ein starkes Bild: „Man fühlt ihn deutlicher an besonderen Stellen.“ Unsere Kirchenräume, diese Wilhadikirche ist mehr und ist anderes als eine normale Räumlichkeit. Unser christlicher Glaube gründet nicht auf Äußerlichkeiten, aber ohne Äußerlichkeit kann er auch nicht gedeihen. Wir bauen unseren Glauben nicht nur von innen – vom Herzen, von der Seele – nach außen, sondern Herz, Seele und Glauben werden auch von außen her auferbaut.

So ist die Kirche ein Ort, der unserem Glauben hilft. Hier finden Menschen eine Heimat für ihren Glauben. Kirchen haben eine Symbolsprache, die auf Gott weist. Die Kirche mit ihrem klobigen Turm ist ein stiller, aber sehr beharrlicher Hinweis auf den Himmel. Sie erinnert daran, dass es noch eine Wirklichkeit gibt über das hinaus, was wir sehen. Kirchen sind Rastplätze der Seele.

Und: Kirchen sind durchbetete Räume. Seit 1000 Jahren an diesem Ort, seit 700 Jahren feiern in dieser Kirche Menschen Gottesdienste, haben Gemeinschaft mit Christus und miteinander in der Feier des Abendmahls, begehen die hohen Feiertage, hören den Konzerten zu. Seit undenklich langer Zeit begehen Menschen hier Geburt und Tod, bringen Menschen ihre Freude wie ihr Leiden, ihre Sehnsüchte und ihre Angst im Gebet vor Gott, loben Gott oder ringen auch mit Gott. Diese Kirche ist ein Haus, in dem der Glaube Gestalt gefunden hat. Diese Kirche erzählt vom Glauben. Fulbert Steffensky, der feinfühlige evangelische Theologe katholischer Herkunft, sagt: Eine Kirche ist nicht schon dann eine Kirche, wenn sie fertig gestellt und eingeweiht ist. Eine Kirche wird eine Kirche mit jedem Kind, das darin getauft ist; mit jedem Gebet, das darin gesprochen wird, und mit jedem Toten, der darin beweint wird. Sie ist kein Kraftort, aber sie wird ein Kraftort, indem sie Menschen heiligen mit ihren Tränen und mit ihrem Jubel.
 

Dr. Stoltmann-Lukas:
Mit gefällt für unsere Kirchen das Bild des Gasthauses: Wir sind als Gemeinde Gastgebende, laden ein, kümmern uns. Gasthäuser öffnen ihre Türen, reagieren zuvorkommend auf Gäste, selbst auf die, die nur einmal oder höchst selten kommen. Gasthäuser müssen auch manchmal die Speisekarte ändern. Das heißt nicht sofort, die Spezialitäten des Hauses aus dem Programm zu nehmen. Es braucht auch Erkennbarkeit und Verlässlichkeit. Um diese Spannung halten zu können, pflegen die meisten Gasthäuser ihren Ruhetag. Der Tag, an dem die Gastgeber selber Gast sind, ist lebenswichtig. Wir sind bei Gott zu Gast und werden von Gott mit seinen guten Gaben gestärkt. Nur so werden wir überhaupt in die Lage versetzt Gastgebende zu sein.
 

Dr. Brandy:
„Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“ Ja, er will wohnen in seiner Kirche, und jetzt spreche ich von der Gemeinschaft der Christinnen und Christen, in der katholischen Kirche und der evangelischen und in allen anderen.

Deshalb ist es so wunderbar, dass wir diese Kirche in einem ökumenischen Gottesdienst wieder einweihen – das ist in dieser Form ziemlich einzigartig. Wir erinnern uns: Schon Jahrhunderte vor der Reformation wurde in dieser Kirche das Evangelium gepredigt und wurde Gott gelobt. Und heute können wir es wieder gemeinsam tun. Recht verstanden verbinden uns unsere alten Kirchen. „Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“ Ich glaube, er tut es besonders, wo wir als christliche Kirchen ihn gemeinsam bezeugen.

Wir sind gemeinsam von Gott in diese Welt gesandt. Das ist in den letzten zwei Jahren sehr schön zum Ausdruck gekommen durch das Projekt „Worte bewegen“. Ich fand das eine wunderbare Idee: Das 500. Reformationsjubiläum 2017 wurde mit dem 1200. Jubiläum des Bistums Hildesheim im Jahr 2015 verbunden.

Bis heute finde ich wirklich das Motto Eures Bistumsjubiläums genial: „Ein heiliges Experiment“. 1200 Jahre – ein Experiment. Ein Motto mit Augenzwinkern, das gefällt mir. Es heißt doch: Alles was wir als Kirche und als Kirchen tun, ist vorläufig, ist Versuch, ist fehlerhaft. Die Kirche, jede Kirche braucht immer neu Reformation – ein evangelischer wie ökumenischer Leitsatz. Aber doch: ein heiliges Experiment. Denn Gott will darin wohnen, Gott will wirken durch seine Kirche, durch unsere Kirchen. Er erhält sie und gebraucht sie. Darauf vertrauen wir gerade in Zeiten, die für unsere beiden Kirchen nicht ganz einfach sind.
 

Dr. Stoltmann-Lukas:
Ich bin sehr froh, wie unsere Kirchen ökumenisch gut miteinander auf dem Weg sind, gerade auch in dieser Region. Und gemeinsam sind wir ja auch auf dem Weg, immer wieder neue Experimente zu versuchen. Fresh expressions of church, frische Ausdrucksformen von Kirche, suchen wir. Schon vor Jahren sind wir gemeinsam in England gewesen, um uns Beispiele anzuschauen, wie Kirche heute noch einmal ganz anders aussehen kann, um das Evangelium zu den Menschen zu bringen: Kirche in der City, Kirche in einer Kneipe, Kirche für junge Leute auf einer Skaterbahn. Gemeinsam haben wir als Bistum und Landeskirche das ökumenische Projekt  Kirche²  ins Leben gerufen, das bundesweit einzigartig ist. Letztes Jahr hatten wir einen großartigen gemeinsamen Werkstatttag dazu. Und ich finde prima, dass Ihr hier in Stade tatsächlich ein Projekt gestartet habt in dem neuen Stadtteil Riensförde, in dem in ganz neuer Weise versucht wird, als Kirche bei den Menschen zu sein.
 

Dr. Brandy:
„Wohnt denn Gott wirklich auf der Erde?“ Er ist immer größer als alle unsere Wohnungen. Aber Gott will unter uns wohnen aus Liebe zu seinen Menschen. Er will in uns wohnen in Christus, will wohnen in unseren Herzen, will leben in unseren Kirchen.
Was für eine Würde ist uns gemeinsam geschenkt!
 

Dr. Stoltmann-Lukas:
Und er will wohnen in dieser Kirche. Am Wilhadikirchhof in Stade.
Möge sie vielen Menschen zum Segen werden in den kommenden Jahren.

Amen.