Predigt beim Generalkonvent am 1. Juni 2016

Predigt über Eph 2,17-22 beim Generalkonvent

Stadtkirche Rotenburg, 1. Juni 2016

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer." So das bekannte Zitat von Antoine de Saint-Exupéry, liebe Schwestern und Brüder.

Sie kennen auch die andere Geschichte: Drei Bauarbeiter behauen Steine. Da kommt ein Kind vorbei fragt den einen: „Was tust du?“ „Siehst du das denn nicht?“, meint der, „Ich behaue Steine.“ „Und was tust du da“ fragt das Kind den zweiten. Er antwortet: „Ich verdiene Geld für meine Familie.“ Das Kind fragt auch den dritten. Dieser blickt mit strahlendem Gesicht in die Höhe und antwortet: „Ich baue eine Kathedrale!“

Worte, die uns hinführen zum Nachdenken über die Baustelle Kirche. Wir alle werden im Lauf unseres Dienstes ja wohl oder übel auch zu Fachleuten fürs Bauen. Von Pfarrhausrenovierung bis zur Sanierung der Friedhofskapelle, von der Gemeindehausheizung bis zur großen Sanierung einer Kirche, irgendwann erwischt es jeden, und manche entwickelen Lust und beachtliche Kompetenz. Dass in die Theologische Ausbildung Kurse wie „Einführung in die Architektur“ oder noch wichtiger vielleicht „Grundzüge des Projektmanagements Bau“ aufgenommen werden, davon habe ich allerdings noch nichts gehört.

Aber auch die Bibel hält Pläne fürs Bauen bereit, und da sind wir Experten. So ist es auch im Predigttext für den kommenden Sonntag, den 2. Sonntag nach Trinitatis, Epheser 2, 17-22:

Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, er­baut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.

„Ich baue eine Kathedrale!“ Tempelbau als Metapher für die Gestaltung der Kirche. Der Epheserbrief verwendet die Sprache der Architektur, um das Wesen der Kirche zu beschreiben. Eine neuere Tübinger Dissertation von Annemarie Mayer[1] hat das untersucht, und dazu noch die Metaphorik des Bauens im Neuen Testament und in der Antike.

Platon etwa kann die Gestaltung des Staates mit einem Bau vergleichen, und natürlich ist im Alten Testament der Bau des Tempels immer ein Vorbild und Abbild. Kirche als Baustelle, heute in Grußworten gern bemüht – das ist also ganz alt. Während bei Paulus bei der Metapher des Baus noch die einzelne Gemeinde im Blick war, ist es jetzt im Epheserbrief die Gesamtkirche. Das passt zum Generalkonvent.

Zunächst geht es um eine sehr präzise Einzelfrage in der Baubeschreibung, nämlich um die Frage: Wie ist es mit Heidenchristen und Judenchristen? Die Abgrenzung der Perikope verbirgt diese sehr klare Frage. Die Antwort: Wir sind jetzt eine Kirche aus Juden- und Heidenchristen: In Christus sind die Heiden in den Bund Gottes mit seinem Volk hineingenommen. Die einst fern waren, die Heiden, „ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels“, sie sind nun nahe. Denn „Christus ist unser Friede, der aus beiden – also Juden und Heiden - eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war.“

Alle sind Gottes Hausgenossen. Im göttlichen Bauplan gibt es keine Trennwände und Zäune. Christus hat Frieden gestiftet, Eirene, Schalom. Historisch traten in der Gemeinde wohl die ehemals judenchristlichen Wurzeln zurück, die Judenchristen gerieten in die Minderheit. Die Heidenchristen waren die Jüngeren, die Dynamischeren, sie bildeten zunehmend die Mehrzahl. Das gab Reibungen. Wie in unseren Gemeinden analog auch gern einmal.

Der Autor des Epheserbriefes betreibt Konfliktbearbeitung. Er nimmt die Aufgabe der Ordinierten wahr, für die Einheit zu wirken, und votiert gegen eine Missachtung der älteren judenchristlichen Gruppe. Und zwar so, dass er beide Seiten an das erinnert, was sie verbindet, an Christus. Er ist der Eckstein, vielleicht auch der Schlussstein im Gewölbe, der den ganzen Bau zusammenhält. Baukunst an der Organisation Kirche muss ihren Ausgang immer bei Christus nehmen und immer auf ihn zielen. Kirche lebt aus ihrer Christusbeziehung. Durch ihn allein werden wir alle zu einer Wohnung des Heiligen Geistes und zu seiner Kirche. Göttliches Baumanagement. Wenn wir im Abendmahl gleich unsere Gemeinschaft feiern, die durch den gegenwärtigen Christus begründet ist - vielleicht ist das der wichtigste Bauabschnitt dieses Tages.

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. Die politische Aktualität dieser Aussage ist mit Händen zu greifen, und sie wird mit Sicherheit in den Predigten am Sonntag ihre Rolle spielen. Natürlich denken wir an die ungezählten „Gäste und Fremdlinge“, die in unser Land gekommen sind.

Ja, das hat die Architektur unserer Gemeinden und Ortschaften verändert - was hat sich da getan seit unserem letzten Generalkonvent. Ich bin sehr dankbar, wir engagiert Sie sich dieser Umbaumaßnahme angenommen haben. Christus, der den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war. Das kann man kaum hören und die neuen Zäune ertragen, die um Europa gebaut werden. Nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger.

Klar, hieraus ergibt sich für uns die Verpflichtung zu einer Kultur des Willkommens. Das gilt für alle. Und gilt in anderer Weise noch einmal für die Migranten, die Christen sind oder werden wollen – auf sie werden wir besonders Acht haben als Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.

Aber Vorsicht. Eine präzise biblische Baubeschreibung darf man nicht einfach pauschal verallgemeinern. In den Göttinger Predigtmediationen proklamiert eine Überschrift „Die Welt ohne Zäune“. Ich weiß nicht… Wenn Christus einen bestimmten Zaun niedergerissen hat, bedeutet das, dass alle Zäune unnütz sind?

Als wir am Sonntag mit einer Gruppe zum Elbmarschengottesdienst in Wischhafen geradelt sind, kamen wir an einer Wiese vorbei: „Achtung Bullenweide – Lebensgefahr“. Gut, dass da ein starker Zaun war, und offensichtlicher Unfug, daran zu erinnern, dass Christus doch alle Zäune niedergerissen habe. „Die Welt ohne Zäune“? Pauschale Generalisierungen machen jede Aussage unsinnig. Hier braucht es hermeneutische und theologische Sorgfalt.

Ein Leben ohne Grenzen und Schutzzäune ist nicht möglich. Menschliches Leben braucht Grenzen. Es braucht Schutzzäune z.B.  gegen wütende Alleinherrscher – nicht nur auf Wiesen und Weiden. Es braucht Schutzräume des Privaten. Es braucht Grenzen der Arbeit für jeden von uns. Auch und gerade eine offene Kirche braucht Grenzen, um ihr Profil zu bewahren. Es muss jeweils ethisch diskutiert und begründet werden, wo Grenzen und Zäune nötig sind und wo nicht. Auch in der Flüchtlingsfrage, in der wir mit guten Gründen skeptisch gegenüber Zäunen um Europa sind. Das ist aber nicht einfach dieselbe Bauzeichnung wie im Epheserbrief.

Kirche als Baustelle. Ein wenig will ich dem Bauplan von Eph 2 noch nachspüren: Er hat Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. Wer sind in unseren Gemeinden die Fernen und die Nahen? Die Nahen kennen wir, die sich treu zur Gemeinde halten. Die Botschaft unseres Textes ist sehr klar: Achtet diese Leute. Ohne sie gibt es Gemeinde gar nicht.

Aber wissen wir auch, wer die Fernen sind? Und warum sie fern sind? Wo sind die Angehörigen der Jugendkultur? Wo sind die kritischen Intellektuellen der mittleren Generation? Und wo haben die Harz IV Empfänger in unseren Gemeinden ihren Ort? Das sind schon ein paar Fragen an die Architektur.

"Baustelle Kirche - Betreten erwünscht", „Wegen Umbau geöffnet“, „Bauhaus Kirche“, „Wenn der Herr das Haus baut…“. Das waren Überschriften an dem Baustellentag in unserem Sprengel, den wir vor zwei Wochen nicht weit von hier in Waffensen hatten. Da haben wir mit 300 Menschen an einem „Werkstatttag“ nachgedacht über die Baustelle Kirche. Auf dem Gelände der Firma Holzbau Cordes, die u.a. die Achterbahn Collossos im Heidepark Soltau gebaut hat, bei einer Firma also, die aus dem ganz alten und ursprünglichen Werkstoff Holz moderne High Tech baut. Das fanden alle sehr inspirierend für ein Nachdenken über die Baustelle Kirche, in der wir mit dem alten Evangelium Kirche für heute und morgen gestalten.

Da gab es viele Bauvorschläge. Manche eher exotisch, die Gottesdienste im Tattoo-Studio, die unser Gemeinschaftsprediger Björn Völkers aus Visselhövede anbietet, sind ja inzwischen schon berühmt; da ist die Milieuüberschreitung mit Händen zu greifen. Aber es gab auch viele eher unspektakuläre Projekte: Klimaschutz im Gemeindehaus, Andacht durch Laien ohne Pastor, Flüchtlingskaffee, Glaubenskurse, eine kirchliche Woche in Osterholz-Scharmbeck, die fitte Kirche in Bremerhaven. Es gibt ungeheuer viele Umbau- und Neubauprojekte, die gerade nach denen Ausschau halten, die fern waren.

Frieden den Fernen und den Nahen. Wie ist das unter uns? Gibt es unter uns auch Ferne und Nahe? Ist auch da mancher manches Mal innerlich fern, fern von der Kirche, fern vom Glauben, über den wir doch dauernd Auskunft geben müssen, fern von Gott? Innerlich fern geworden trotz oder wegen des ständigen professionellen Umgangs, fremd durch Enttäuschungen an der Kirche. Fern, weil die Spannung von Privatleben und Familie zum Dienst belastet. Der Einheit der Kirche, die Christus begründet hat, würde es da entsprechen, dass wir sehr sorgfältig und behutsam aufeinander Acht haben. Und aufpassen, dass keiner und keine herausfällt.

Und was in uns selbst, in dem eigenen inneren Team? Gibt es da auch Ferne und Nahe? Gibt es nicht auch da z.B. den Begeisterten und den Ermüdeten, die Fromme und die Skeptikerin? Und dann sind da schließlich auch noch die Schattenseiten, Figuren im inneren Team, die die Ordnung stören, manchmal zerstören. Manchmal braucht es da Schutzmauern, manchem Störenfried muss man die Tür weisen.

Aber Gottes Bauplan ist der Plan für ein Haus des Friedens und ein Haus der Versöhnung. Das gilt für unser Miteinander. Und es gilt auch für das innere Team, die verschiedenen Gefühle und Gedanken in mir. Auch die ferneren inneren Gesellen brauchen ihren Raum. Mitbürger und Hausgenossen sind auch sie.

Der Bau an der Kirche als einem Haus des Schalom kann nicht in innerem Unfrieden geschehen und auch nicht in ständiger Überlastung. In Waffensen gab es in der Eröffnungsveranstaltung eine Aktion. Wir wollten den Holzbetrieb ja auch erleben. Zwei Auszubildende haben ein Kreuz gebaut, das dann den Werkstatttag bestimmt hat. Das Kreuz haben sie gebaut durch Wegnehmen. In zwei Holzplatten wurden Lücken gesägt und dann wurden sie zu einem Kreuz zusammengestellt. Christus wurde sichtbar nicht durch Mehr, sondern durch Weniger. Ob das ein Vorbild auch für unsere Kirche sein kann? Unser Bischof wird uns nachher erzählen von der Idee eines Jahres zum Aufatmen. Gottes Bauplan verlangt nicht immer größere Anstrengung von uns.

Denn: Christus ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt. Er ist unser Friede. Lassen wir uns hineinnehmen. Der Grund- und Eckstein ist längst gelegt. Ob wir den Bauplan immer richtig lesen und gar umsetzen, ist zweifelhaft. Das wird oft bruchstückhaft sein und das darf es auch. Wenn wir im Vertrauen auf Christus bauen, wird der Bau gelingen. Und Gott selbst wird darin wohnen.

Amen.

 

[1] Annemarie C. Mayer, Sprache der Einheit im Epheserbrief und in der Ökumene (Wiss. Untersuchungen zum NT 2 / 150), Tübingen 2002, S. 154-176.