Seminartag mit Vikaren in Loccum

Nachricht 12. März 2018

„Position beziehen – frech, fromm, frei“

Vikarinnen und Vikare aus dem Predigerseminar in Loccum beim gemeinsamen Seminartag mit Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr (Foto: F.Gartmann).

Wie mit Provokation umgehen? Wie den richtigen Ton bei strittigen Themen treffen? Wie seine Meinung verständlich zum Ausdruck bringen? Mit diesen Fragen beschäftigten sich am Donnerstag die Vikare und Vikarinnen in Loccum. Zum Seminartag „Position beziehen“ war Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr, die mit ihrer Kolumne in der ZEIT-Beilage Christ & Welt selbst wöchentlich zu aktuellen Themen aus kirchlicher Perspektive Stellung nimmt, im Vikarskurs Nr. 5 zu Gast.

„Wenn wir uns äußern, legen wir uns buchstäblich fest. Gerade gedruckte Texte sind ein Statement. Das ist ein Wagnis, das erfordert Mut. Aber genau das regt auch zur Diskussion an. Schreiben erweitert den Wirkungskreis.“, sagte die Regionalbischöfin aus Hannover in ihrem Eingangsreferat. „Auch im Pfarralltag kommen Anfragen auf Sie zu, etwa von der lokalen Presse. Was antworten Sie auf religiöse Fragen, wenn Sie bloß 1.500 Zeichen zur Verfügung haben? Wie sieht ihr Kommentar zur dieser oder jener aktuellen Diskussion aus?“, gab Bahr den angehenden Pastoren zu bedenken. Solche Gelegenheiten seien eine große Chance. Ziel sei es, eine Sprache zu finden, die Menschen verstehen, die nicht täglich mit Bibel und Kirche zu tun haben. Dabei gehe es nicht um Meinungsstärke, sondern um Urteilskraft. „Argumente und kluge Gedanken überzeugen und nicht die Lautstärke.“

Anhand von YouTube-Clips ethischer Diskussionen analysierten die Vikare gemeinsam mit der leitenden Theologin heikle Gesprächssituationen, etwa eine provozierende Frage eines Atheisten an Landesbischof Ralf Meister in einer Talkrunde. „Ob Sie wollen oder nicht: als Pastorinnen und Pastoren werden sie verhaftet für alles, was Kirche ist oder zumindest, was die Leute für Kirche halten.“ Darin liege aber auch die Chance, die eigene Position darzustellen, ohne sich auf Zuspitzungen einzulassen. „Zweimal durchatmen, freundlich bleiben – innerlich wie zum Gegenüber – und nicht dem ersten ärgerlichen Impuls folgen“, ist Bahrs Ratschlag an die Vikare, um gelassen auf gezielte Provokationen zu reagieren. Eine Vikarin verglich diese Herausforderung mit dem Prinzip asiatischer Kampfsportarten: „Die Angriffsenergie wird aufgenommen und wieder zurück auf den Gesprächspartner umgeleitet.“

Nach Bahrs Auffassung hilft beim Umgang mit Ressentiments Empörung allein nicht weiter. „Stellen Sie Rückfragen und versuchen Sie, zu konkretisieren.“, ermunterte sie den Pastorennachwuchs. „Doch auch als Pastorin können Sie nicht alles durchgehen lassen.“ Wenn es um Antisemitismus oder frauenfeindliche Äußerungen gehe, sei Parteilichkeit geboten. „Und es gibt Momente, da kann man gar nichts machen, als aufstehen und gehen.“ Letztlich könne man Situationen, in denen man perplex und irritiert zurück bleibt, nicht verhindern. „Da fallen einem erst hinterher 37 Sachen ein, die man noch hätte sagen können. Diese Reflexion im Nachhinein ist hilfreich und lehrreich.“, so Bahr.

Nach Ansicht der Regionalbischöfin ist eine entschiedene Haltung nicht nur für herausgehobene Ereignisse wie Zeitungskommentare oder Podiumsdiskussionen maßgeblich. Auch im Pfarralltag ergäben sich Gesprächssituationen, die nach klaren Antworten verlangen. „Sie werden auf Menschen stoßen, die an den großen Fragen interessiert sind und sich nach kompetenten Gesprächspartnern sehen. Oft auch gerade da, wo man es nicht erwartet, weit außerhalb der Kirchenmauern.“, so Bahr. Entscheidend sei ein Bewusstsein für die eigene Rolle: „Wo bin ich als Pastorin und Seelsorgerin gefragt, und wo als Theologin?“. Das mache die Besonderheit geistlicher Situationen aus – gerade in fremden Kontexten.

„Wir sind als Pastoren freie Geister in einer freien Kirche. Und bei aller Liebe für Gemeinschaft und Zusammenhalt: wir müssen im guten Sinne streitbar sein.“ Es lohne sich die eigenen Überzeugungen „frech, fromm und frei“ zu vertreten, gerade in einer Minderheitensituation, auf die die Kirche sich hinentwickelt. „Darin erweist sich unsere Christusnachfolge.“, hob Bahr abschließend hervor. Am Nachmittag waren die Vikare und Vikarinnen von Kurs 5 selbst aufgerufen, Position zu beziehen. Als Übungsaufgabe sollten sie einen kurzen Kommentar schreiben, natürlich zu einer provokanten Frage:  Ist der Sonntagsgottesdienst noch zeitgemäß?

Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr blickt erfüllt auf den gemeinsamen Seminartag mit den Vikaren zurück: „Wenn sie die heutige Diskussionsfreude bewahren, mache ich mir keine Sorgen um die Sprachfähigkeit und das leidenschaftliche Auftreten unseres pastoralen Nachwuchses.“

Text: F.Gartmann