Predigt am Ostersonntag 2013

St. Wilhadi-Kirche, Stade, 31. März 2013

Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy

Predigt über Johannes 20,11-18

Gnade sei mit euch von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

eine der schönsten Geschichten im Neuen Testament ist uns heute als Predigttext gegeben, eine der intimsten und zartesten Geschichten. Die Geschichte lässt uns eine trauernde Frau auf ihrem Weg begleiten, Maria Magdalena. Die Geschichte beginnt mit Tränen.

Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, schaute sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Soweit zunächst.

Es ist früh am Morgen. Sie war wach vor den anderen, hatte das Nötigste an Kleidung übergestreift und war losgegangen. Maria Magdalena macht sich auf den Weg. Sie will alleine sein. Sie geht die Straßen der dunklen Stadt bis in den Garten, wo das Grab für Jesus liegt. Wenigstens frische Luft atmen und das Gras und den Tau an den Füßen spüren. Das wird ihr guttun. Und sie kann ungestört weinen, dort an dem Grab mit dem Stein davor.

So geht Trauer. Noch einmal hingehen, immer wieder hingehen zu dem Ort. Den Tränen Raum geben, den Erinnerungen, dem Schmerz. Man muss den Tränen Zeit lassen, damit sie irgendwann auch weniger werden und schließlich versiegen können. 

Übrigens: Diese Ostergeschichte zeigt uns, wie wichtig es ist, dass die Trauer einen Ort hat. Sie braucht einen Ort. Eine Platte, einen Stein, einen Namen. Wo die Bestattung anonym ist, wo die für die Urne ausgestochenen Kanten im Rasen verschwunden sind nach dem ersten Regen, da verliert sich das Verlorene noch einmal. Die Trauer wird namenlos und ortlos. Ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Auch darüber weint Maria Magdalena.

Wir wissen nicht, wo sie sind, unsere Toten. Aber wir wissen, wo wir sie hingelegt haben. So gehen sie uns in aller Verlorenheit nicht ganz verloren. Ein Trost, nicht mit Geld zu bezahlen. Diesen Trost sucht Maria Magdalena an diesem Morgen in diesem Garten. Aber Jesu Leichnam ist nicht mehr da in dem Grab. Sie kann Jesus nicht finden, das macht ihren Schmerz noch größer und ihre Trauer noch tiefer. Sie weint und weint.

Was weinst du? Eine genaue Frage bekommt sie dort gestellt, im Garten am Grab. Was meinst du, wenn du weinst, Maria Magdalena? Weinst du um ihn, um dich, um euch, um das Gestern, das Morgen?

Maria, so versuche ich zu verstehen, weint um Jesus. Und zugleich um das, wofür er stand, was er ihr bedeutete. Er hatte sie einst geheilt von einer mysteriösen Krankheit. Eine Lebenswende war das gewesen. Und dann war sie ihm gefolgt – über alle Konventionen hinweg. Sie war ihm treu geblieben bis zum Ende. Sie war eine der Frauen, die unter dem Kreuz standen, die es dort aushielten. Mit ihm waren für sie alle Hoffnungen gestorben, die sich mit ihm verbanden. Hoffnungen auf eine neue Gottesfreundlichkeit. Auf ein neues Miteinander von Männern und Frauen in seiner Gemeinschaft. Der neue Weg, der auch für Maria begonnen hatte, er war nun zu Ende. Ein ganzer Lebensentwurf war mit ihm auch für Maria gestorben.

Was weinst Du? Viermal ist vom Weinen die Rede am Anfang dieser Ostergeschichte. Tränen gehören zu unseren Wegen. Auch zu unseren Glaubenswegen. Der Auferstandene fragt nach ihnen. Jesus interessiert sich für Marias Tränen und auch für deine und meine Tränen.

Tränen gehören zur Ostergeschichte, Jesus fragt nach ihnen. Tränen um Lebensentwürfe, die geplatzt sind. Tränen um berufliche Wege, die im Niemandsland endeten. Tränen um Familien, die Brüche erlebt haben und von denen manchmal nichts mehr heil blieb. Tränen am Krankenbett, Tränen am Grab. Tränen enttäuschter Hoffnung auch über manches, was in unserer Kirche nicht gelingt..

Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo du ihn hingelegt hast; dann will ich ihn holen. 

Maria Magdalena wendet sich irgendwann wieder ab vom Grab. So geht Trauer. Man kann ja nicht am Grab bleiben. Die Tränen versiegen irgendwann doch. Und man muss ja irgendwann  in den Alltag zurück. Der Alltag begegnet auch Maria Magdalena. Denn das kann ja nur der Gärtner sein, der hier nach dem Rechten sieht. Vielleicht weiß er ja, wo der Verlorene ist, dann kann man den noch einmal ins Grab legen, diesmal endgültig. So geht Trauer doch. Das Leben muss ja weitergehen. Maria Magdalena ist schon vorbei an diesem vermeintlichen Gärtner – man muss sich diese Szene plastisch vorstellen – , sie will hinaus auf die Straße, zurück in die Stadt. Da dreht sich der Gärtner um und

Jesus spricht zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister!

Erst hält Maria ihn für den Gärtner. Dann spricht Jesus sie an, und erst so erkennt sie ihn. Was für eine anrührende Szene, was für ein Gespräch! Zwei Worte nur. „Maria“ – „Rabbuni“,  „mein Meister, mein Lehrer“. Mehr ist nicht nötig.

Diese Begegnung verändert alles. Maria erkennt den Auferstandenen. Sie vollzieht die Wende vom Tod zum Leben. Er lebt, versteht sie, und mit ihm seine Lehre, das, wofür er gestanden hat. Der Lebensentwurf wird wieder ins Recht gesetzt, der gestorben schien. Der Weg, den Jesus eröffnet hatte, geht weiter. Die Tränen werden getrocknet. Es gibt einen neuen Weg in die Zukunft.

Wenn um Ostern diskutiert wird, dann geht es immer mal um die Frage des leeren Grabes: War das Grab wirklich leer? Kann man das, muss man das glauben als aufgeklärter Mensch? Oder soll man das nicht so wörtlich verstehen, sondern symbolisch? Unsere Geschichte zeigt: Diese Frage ist komplett unwichtig. Das Grab ist leer, Jesus ist nicht da. Aber das bedeutet gar nichts. Das hilft Maria kein bisschen. Sie haben Jesus weggetragen und irgendwo versteckt, meint sie.

Was ihr hilft, ist einzig und allein, dass Jesus ihr begegnet. Das allein ändert alles. Historische Auskünfte über das, was da geschehen ist, helfen wenig. Fromme Formeln zu wiederholen bringt gar nichts, und das muss auch niemand. Was ihr hilft ist allein, dass der Auferstandene sie anspricht mit ihrem Namen. Maria! So bringt er sie auf einen neuen Weg. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Diesem Ruf zu folgen, die Beziehung zum Auferstandenen, das ändert alles. Der Trauerweg wird zu einem Weg ins Leben, zu einem Weg mit einem großen Auftrag und einer noch größeren Verheißung.

Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen...

Berühren darf sie Jesus nicht, nicht ihn umarmen. „Noli me tangere“. Sein Körper ist nicht mehr von dieser Welt, seine Körperlichkeit ist eine verwandelte. Wie Maria haben auch alle anderen Jünger ihn deshalb nicht in seinem Körper erkannt. Die Gegenwart des Auferstandenen ist etwas anderes, sie ist Neuschöpfung, neue Kreatur, Ostern ist Einbruch der Wirklichkeit des Himmels in unsere Welt.

Berühre mich nicht. Noli me tangere. Der Auferstandene ist nicht greifbar, nicht verfügbar. Niemand „hat“ ihn. Nicht Maria, nicht die Kirche, keine Kirche, kein Pastor. Niemand verwaltet ihn. Ja, er ist da, er zeigt sich, er begegnet und spricht uns an. Aber von sich aus, unverfügbar. Verwalten und darüber verfügen kann niemand. Aber erwarten können wir es, erhoffen, erbitten. In seinem Wort, in Brot und Wein, im Wasser der Taufe, im Feier des Gottesdienstes, beim Gespräch am Krankenbett, im Gebet mit den Kindern vor dem Schlafengehen, am Friedhof…

Der Gekreuzigte lebt und weist Maria Magdalena auf einen neuen Weg. Sie wird die erste Zeugin von Ostern. Eine Frau, ungewöhnlich genug damals. Sie wird zur „Apostelin der Apostel“. Ein großer Blickwechsel ist vollzogen. Statt des toten Leichnams hat Maria den lebendigen Jesus gefunden, der zu Gott auffährt und mit seinem Geist nun überall in der Welt wirkt. Maria macht sich neu auf den Weg. Sie hat einen Auftrag. Maria von Magdala geht und verkündigt…

Ostern bewirkt einen großen Perspektivwechsel. Es macht uns zu Zeugen seiner Auferstehung, zu Zeugen des Lebens.

In diesen Tagen erhielt ich den Brief eines Pastors. Darin schreibt er: „Ich bin 85. Das Ende rückt also spürbar näher. Und dass meine Frau und ich dabei trotz unserer Altersgebrechen noch so vergnügt sind, dass hängt sicher mit unserem Auferstehungsglauben zusammen, der uns schon in unseren Kindertagen ins Herz gesät worden ist und nun im Alter voll aufgeht:
Jesus lebt, mit ihm auch ich.
Tod, wo sind nun deine Schrecken?
Er, er lebt und wird auch mich
Von den Toten auferwecken.
Er verklärt mich in sein Licht.
Dies ist meine Zuversicht.

Diese fröhliche Zuversicht wünsche ich Ihnen zu Ostern.“ Und dann kommt er auf ein Projekt, für das er sich engagiert und für das er Geld einsammeln möchte.

Das ist Leben im Licht von Ostern. Da weiß einer um sein nahes Ende und spricht ohne Angst oder Verdrängung davon. Und lebt zugleich „vergnügt“ seine Tage und engagiert sich, hat Anteil an dem Auftrag, den der Auferstandene seinen Jüngerinnen und Jüngern gegeben hat: Zeugen des Lebens zu sein.

Ostern, Fest der Auferstehung, Fest des Lebens. Es wird schon heute etwas spürbar davon, dass Gott einmal alle Tränen abwischen wird von unseren Augen. Aus dem Weinen ist Zuversicht geworden, aus dem traurigen Blick zurück ist ein mutiger Blick nach vorn. Wo alles zu Ende schien, ist der Weg in die Zukunft wieder frei. Aus Lähmung ist Aufbruch geworden.

So war es die Erfahrung der Maria Magdalena. Solche Ostererfahrungen wünsche ich auch uns.

Amen                                                                                                               

 

Wichtige Anregungen verdanke ich: Kathrin Oxen, StichWort zum Ostersonntag (31.3.2013), Zentrum für evangelische Predigtkultur Wittenberg, http://www.ekd.de/zentrum-predigtkultur/download/20130313_stichwort.pdf.