Fusion der Kirchengemeinden St. Jürgen und Lilienthal

Predigt über Markus 8,31-38

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
wer zu einer Hochzeit eingeladen ist und als Festrede eine Leidensankündigung mitbringt, macht sich unbeliebt. Und ist vermutlich ein Zyniker.

Mir wäre Recht, heute nicht in dieser Rolle gesehen zu werden. Auch wenn der Predigttext für diesen Sonntag, den auch das Vorbereitungskommitee zu Grunde gelegt hat, als die erste Leidensankündigung überschrieben ist, genauer als "Die erste Ankündigung von Jesu Leiden und Auferstehung".

Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen.

Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.

Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.

Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.


Wir stehen am Übergang zur Passionszeit. Deshalb der Text, der zu Jesu Leiden und Tod hinführt. Es wird den meisten so gehen: Das ist sperrig, das ist widerständig. An Leiden und Tod werden wir nicht gern erinnert.

Muss das in unserer Religion wirklich so eine zentrale Rolle einnehmen? Da habe ich spontan Sympathie für Petrus, der Jesus widerspricht. Ich muss leiden und getötet werden, sagt Jesus. Und Petrus fing an ihm zu wehren. „Bloß das nicht, Herr“. Dafür kann man doch Verständnis haben.

Und allemal nun zur Feier der Fusion. Das ist ja schon eine Art Hochzeitsfeier, da gehören doch fröhliche Töne hin. Und gern sage ich Ihnen einen herzlichen und zuversichtlichen Glückwunsch im Namen unserer Kirche zu Ihrem Zusammenschluss.

Gewiss, es war nicht nur einfach. Und vielleicht sehen es manche, gerade hier in St. Jürgen, dann doch als einen passenden Kommentar an: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich. Keine Frage, für manchen wird das heute auch mit ein wenig Selbstverleugnung verbunden sein.

Ja, das mag kein einfacher Schritt sein. Eine so traditionsreiche Gemeinde wie St. Jürgen mit diesem wirklich wunderbaren kirchlichen Ensemble, das sicher zu den schönsten im ganzen Sprengel gehört, ist nun keine eigenständige Gemeinde mehr.

Und doch – auch wenn es manche vielleicht verständlicherweise heute ein wenig so empfinden – wir feiern heute keine Beerdigung, sondern eine Hochzeit. Die beiden Gemeinden Lilienthal und St. Jürgen nehmen gemeinsam ihre Zukunft in die Hand und gestalten sie.

Es liegt ja heute im Trend, dass die Paare bei Hochzeiten älter sind. Man heiratet nicht mehr mit zwanzig, sondern mit dreißig oder noch später. Unser heutiges Brautpaar allerdings ist ziemlich unschlagbar. Beide über 800. St. Jürgen gegründet etwa 1190, Trupe gegen 1200, verbunden dann mit dem 1262 gegründeten Zisterzienserkloster Lilienthal. Später haben sie sich unterschiedlich entwickelt. St. Jürgen blieb ländlich, ein persönliches Miteinander, klein aber fein. Lilienthal wuchs vor allem in den letzten 100 Jahren durch die Lage an den Verkehrswegen und die Nähe zu Bremen auf heute über 18.000 Menschen.

Wir kennen das aus der Lebenserfahrung. Wenn zwei nicht mehr ganz junge Partner sich zusammentun, dann erfordert das besonders viel Sensibilität und Verständnis, denn beide haben ja ihre eigenen Prägungen, die zu respektieren sind. Er legt nun mal seinen Rasierer immer dort ab, und sie hat eben so viele Schuhe, die ja auch irgendwo stehen müssen.

Aber gerade mit Lebenserfahrung kann man auch die gegenseitige Bereicherung dankbar erleben. Lilienthal bekommt eine wunderbare Kirche, ein herrliches Ensemble dazu und natürlich wunderbare Menschen. Und St. Jürgen bekommt Anteil an der lebendigen Kirchenmusik, an der Jugendarbeit, an den Gruppen und Kreisen, die es in der großen Gemeinde Lilienthal gibt.

Sie haben ja schon seit vielen Jahren vieles gemeinsam gemacht und bedacht. Und werden nun gemeinsam immer mehr als Einheit die Zukunft gestalten, in der doch auch jeweilige Eigenarten erhalten bleiben können. Und zu den ersten gemeinsamen Aufgaben der einen Gemeinde wird nun gehören die Wiederbesetzung der Pfarrstelle, nachdem Frau Ridderskamp – sozusagen im Zuge der Familienzusammenführung – verständlicherweise nach Ottersberg wechselt.

Sie warten, gerade in St. Jürgen, nicht ab, bis die Dinge immer schwieriger werden, besonders im Blick auf die Besetzung der Pfarrstelle. Das geht eben nur gemeinsam mit Lilienthal. Und so möchte ich Ihnen allen meinen großen Respekt aussprechen für die aktive und zukunftsorientierte Gestaltung, zu der sie sich entschlossen haben. Es ist dies der richtige Weg. Ich wünsche Ihnen Gottes reichen Segen für die eine Gemeinde.

Damit schaue ich noch einmal auf unseren Predigttext. Ich bleibe hängen bei dem Wort über Jesus: er redete das Wort frei und offen. Das ist der Auftrag Jesu: Das Wort Gottes verkündet er frei und offen. Das ist auch der Auftrag der Gemeinde Jesu. Das ist unser Auftrag als Kirche und auch als Kirchengemeinde Lilienthal.

Das zieht unsere Blicke nun weg von uns selbst. Gewiss, kirchliche Strukturen sind nicht unwichtig, und Sie haben sich in den letzten Jahren eine Menge Mühe damit gemacht. Aber kirchliche Strukturen und auch Gemeindegrenzen sind kein Selbstzweck. Gemeinden sind nicht dazu da, dass wir uns mit Gleichgesinnten wohlfühlen. Petrus möchte ja, dass sich nichts ändert an dem vertrauten Kreis der Jünger. Da findet Jesus harsche Worte gegen Petrus, der den status quo nicht verändern möchte: Hebe dich hinweg von mir Satan.

Nein, wir sind gerufen, das Evangelium frei und offen zu verkündigen. Dazu ist eine Gemeinde da. Man darf nicht die eine oder andere Gemeindestruktur unmittelbar mit dem Wort Gottes begründen – das wäre ganz unevangelisch. Aber alle Strukturen müssen sich darauf befragen lassen, ob sie dazu dienen, dass wir unseren Auftrag als Gemeinde besser erfüllen. Wenn ja, dann ist Veränderung nötig. Wenn nein, kann man es lassen. Selbstbeschäftigung mit Strukturen um ihrer selbst willen darf nicht sein, das gilt für eine Gemeinde ebenso wie für die Strukturverliebtheit mancher Kirchenoberen.

Sie redete das Wort frei und offen. Das ist der Auftrag an die Kirchengemeinde Lilienthal. Das ist Gottes Sendung. Darauf haben die Menschen einen Anspruch. Und darauf warten viele. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?, fragt Jesus weiter. Dafür sind wir da, Menschen vor Schaden an ihrer Seele zu bewahren oder zu heilen und zu trösten, wo Schaden ist. Wir haben eine Botschaft, die der Seele der Menschen gut tut, heute mehr denn je.

In dieser Woche stand in unserer Zeitung in Stade ein Bericht über den Wahlkampf in Hamburg – heute ist dort ja Wahl. Offenbar hat der Wahlkampf viele nicht so sehr elektrisiert. Als Beispiel ist ein Foto zu sehen von einer Strandbar am Elbstrand in Ovelgönne, da wo Hamburg ganz teuer ist. Man sieht die Strandbar, in der vermutlich nicht nur Prosecco, sondern gern auch Champagner geschlürft wird. Davor sitzen die beiden Betreiberinnen auf Stühlen. Und dann steht darunter der Text: „Die Leute reden über Religion, nicht über Politik“.

Liebe Gemeinde, das ist doch eigentlich unfassbar anfangs des 21. Jahrhunderts. Vor ein paar Jahrzehnten sagten viele vermeintlich Aufgeklärte, die Sache mit der Religion gehe zu ende. Und nun heißt es 2015 in einer Großstadt, die Leute interessieren sich nicht für Politik, sondern für Religion.

Da sind wir gefragt, das Wort frei und offen zu reden. Natürlich müssen wir die Fragen sehr wach wahrnehmen. Interesse an Religion ist noch lange kein Interesse an der Kirche. Und das Interesse an Religion hat ja auch sehr kritische Hintergründe: Die Rolle des Islam und – davon dringend zu unterscheiden – leider auch des Islamismus, der zweifellos eine der großen Geißeln unserer Zeit ist. Die Begegnung der Religionen, die Frage, wie toleranzfähig Religion ist. Die Frage, welche Rolle Gewalt spielt.

Gewiss, auch in der Bibel kommt Gewalt vor, auch Gewalt im Namen Gottes. Da müssen wir als Christen frei und offen Auskunft geben können, wie wir damit umgehen, nämlich etwa so, dass die Botschaft Jesu von der Feindesliebe und vom Frieden für uns im Mittelpunkt steht und wir alle anderen Aussagen nur von dieser Mitte her lesen wollen und dürfen.

Deshalb darf es keine Gewalt im Namen des Glaubens geben. Und wir müssen frei und offen darüber Auskunft geben können, dass wir als Christen selbstbewusst zu unserer Botschaft stehen, dass wir unsere Identität kennen und bewusst leben, und dass wir gerade auf diesem Boden tolerant auf andere Religionen zugehen und für Verständnis und Dialog eintreten.

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Deshalb gibt es eine Kirchengemeinde, weil sie Sorge um die Seele hat, weil sie Seel-Sorge betreibt. Weil sie die Menschen daran erinnert, dass das Leben mehr ist als Besitz und Karriere und das kleine alltägliche Glück oder Unglück.

Uns ist Gottes Wort anvertraut, das Wort von der Liebe Gottes, das Menschen zum Vertrauen auf Christus ruft und im Glauben einen inneren Halt, innere Stabilität und Orientierung gibt, die man sich nicht selber geben kann.

Diesen Weg gibt es nicht ohne Leiden, sagt Jesus. Das bleibt widerständig. Und zugleich weiß ich: Das Leben ist nicht anders, und der Weg des Glaubens auch nicht. Leiden lässt sich nicht vermeiden. Wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten, sagt Jesus.

Eine eigenartige Spannung und Dialektik: Wer den Weg zu sich selbst sucht, wird nicht den kürzesten Weg finden. Ich bin nicht bei mir und finde nicht zu mir, wenn ich nur auf mich schaue. Und gerade eine Gemeinde lebt von vielen Menschen, die auch von sich selbst wegschauen und für andere da sind mit Wort und Tat – so wie sich auch in dieser Gemeinde viele engagieren, in Besuchen, im Engagement für Flüchtlinge und in den vielen Aktivitäten hier. Und gerade sie machen vielfältig die Erfahrung, dass das Leben dadurch nicht ärmer, sondern reicher wird.

Das gilt für Christen, weil wir zu Jesus Christus gehören. Er, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist Grund und Mitte jeder christlichen Gemeinde. Durch ihn lebt eine Gemeinde, er will in ihr Gestalt gewinnen. Er, der uns zeigt, dass Gott an unserer Seite ist gerade in den schweren und dunklen Tagen unseres Lebens und deshalb den Weg ins Leiden gegangen ist. Er, der als der Auferstandene unter uns ist und in seiner Gemeinde lebt. Er segne die Evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Lilienthal heute und in Zukunft.

Amen.