Predigt zur Eröffnung der Synodentagung

am 25. November 2014 in der Henriettenstiftung in Hannover

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Ich habe genau aufgepasst, liebe Gemeinde. Ich bin bei der Einfahrt nach Hannover durch kein Tor gekommen. Stadttore sind out. Nirgends musste ich sagen: Tut euch auf, Ihr Türen. Als Torersatz könnte man vielleicht die Paläste der Versicherungen ansehen, die sich in Lahe links und rechts der Straße erheben. Oder eher noch die Brücken mit den Schildern der eletronischen Verkehrslenkung. Tore, die sich öffnen, braucht es nicht mehr, aber die Verkehrsmassen müssen in der heutigen Stadt gesteuert werden, sonst sind bald alle Pforten dicht. Die moderne Form der Einlassliturgie: Überholverbot für LKW, Tempo 80 für alle.

Mit einer alten Einlassliturgie haben wir es beim Psalm 24 zu tun: Ein Zug von Pilgern auf dem Weg ins Heiligtum. Ein aus drei Teilen zusammengewachsener Psalm. Wo die Liturgie ihren historischen Ort hat, wie genau man sich das vorstellen muss, lassen die Gehlehrten offen, aber dass Pilger auf dem Weg zum Tempel sind, scheint klar. Ich habe kurz überlegt, analog dazu diesen Gottesdienst als Pilgergottesdienst zu gestalten, mit einer Prozession von Station zu Station. Aber es gab gewichtige logistische Gründe, das nicht zu tun; draußen ist es zu kalt, im Krankenhaus hätten wir den Sicherheitsdienst auf den Plan gerufen.

I.
Aber wir können uns ja auf eine gedankliche Pilgertour machen. Ich lade sie ein zu einer virtuellen Wanderung mit Psalm 24. Zunächst durch den Innenhof ins Krankenhaus. Als erstes in den OP (da müssten sich alle einmal komplett umziehen – Sie ahnen die logistischen Probleme). Da sehen wir, wie mit moderner High-Tech-Medizin operiert wird, ohne große Schnitte in den Körper, minimal-invasiv. Mit großen Bildschirmen gehen die Chirurgen zu Werke. Ich habe das letztes Jahr am eigenen Leibe erlebt mit einem eher harmlosen Blinddarm. Man ist nach kürzester Zeit wieder mobil. Aber Menschen werden von Krankheiten geheilt, nicht immer, aber immer öfter, an denen man noch vor einer Generation starb. Eine faszinierende Welt.

Dann könnten wir da im OP den ersten Teil der Liturgie sprechen: Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Ein hymnischer Einstieg in den Psalm. Das Ganze ist des Herrn. Auch die Hightech im OP.

In seinem Buch „Warum es die Welt nicht gibt“ hat der Bonner Philosoph Markus Gabriel über die Grenzen der Erkenntnis geschrieben. Es gibt keine Perspektive, in der man die Welt als ganze erkennen könnte, schreibt er – darum gibt es „die Welt“ nicht. Gleichzeitig hat er in diesem Buch definiert: Gott, das ist „die Idee, dass das Ganze sinnvoll ist, obwohl es unsere Fassungskraft übersteigt.“ Das ist nicht die Sprache von Psalm 24, aber der Gedanke kommt ihm nahe: Das Ganze ist des Herrn. Darum ist es gut. Gott hat es fest gegründet über dem Chaos, stets gefährdet gewiss, und doch in seiner Hand. Auch die faszinierende Welt moderner Medizin ist Gottes. Auch was uns in Wissenschaft und Technik begegnet. Und wenn wir morgen mit dem Ministerpräsidenten über Kirche und Politik sprechen, der Psalm stimmt uns ein: Sie sind des HERRN, der Erdkreis und die darauf wohnen. Deshalb können wir nicht nur auf uns schauen, darauf schauen, dass wir mit unserem Kirchenschiff halbwegs über die Runden gekommen. Deshalb sind wir gewiesen an die Welt, an die Menschen, an die Politik. Wir sind ans Ganze gewiesen, denn die Erde ist des Herrn und die darauf wohnen.

II.
Wir ziehen weiter und kommen vielleicht in die Onkologie, wo Schwerstkranke liegen, für die es Heilung nicht mehr geben wird. Und treffen Angehörige, Ärzte, eine Seelsorgerin, die mit ernstem Gesicht besprechen, was zu tun ist. Was ist medizinisch möglich, was ist der Wille des Kranken, was ist erlaubt, was ist ethisch geboten? Und wir spüren, wie ernst und schwer die Fragen sind, mit denen auch der Bundestag derzeit ringt. Noch einmal sprechen wir das Wort: Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Wir gehören nicht einfach uns selbst, sind nicht Herren über Leben und Tod, wir sind des Herren im Leben und Sterben.

Deshalb können wir organisierte Formen der Sterbehilfe und des assistierten Suizids nicht bejahen. Deshalb hat ein jeder Mensch ein Recht auf medizinische und seelsorgliche palliative Begleitung so gut wie eben möglich, das lässt die allermeisten Wünsche nach einem aktiv herbeigeführten Sterben verstummen. Aber gewiss würden wir die vollmundige Liturgie dort leise sprechen, tastend. Es gibt manche Lebenssituation, da können Menschen nur ringen um den richtigen Weg, da ist es nicht so leicht zu sehen, dass und wie alle des Herrn sind auf dem Erdkreis.

III.
Im Krankenhaus selbst hätten wir dann lange genug gestört und würde weiterziehen Richtung Synode. Im Synodenbüro ist Ruhe vor dem Sturm, so hoffe ich. Die Aktenstücke sind raus, jetzt wird dort abgewartet, was die Synodalen so produzieren.

So können wir das Team, das schon so viel gearbeitet hat, mitnehmen auf dem Weg zurück in die Kirche. Im Innenhof läuten wir die Glocken und sprechen den Psalm einmal – der Reichtum der Liturgie lebt von Wiederholung. Und bleiben dann stehen am Fuß der Treppe. Tatsächlich, ein klein wenig ist sie wie ein Abbild des Weges hinauf zum Tempel. Aus der Tiefe führt der Psalm hinauf zum Heiligtum. Dafür gibt uns die Kirche der Henriettenstiftung mit ihrem Aufgang eine gewisse Anmutung, und lenkt unseren Blick jetzt sogar hinauf zum neuen Jerusalem mit den geöffneten Toren.

Aber noch ist es nicht so weit. Vor dem „Macht hoch die Tür“ steht in dem Psalm der 2. Teil: Eine Vorbereitungsliturgie. Vielleicht ein Gespräch unter Pilgern, vielleicht ein Wechsel zwischen Gemeinde und Priestern: Was ist eigentlich zu bedenken, um dem Heiligtum Gottes nahe kommen zu dürfen? Frage: Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Antwort: Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug und nicht falsche Eide schwört: der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heiles.

Da bin ich innerlich rasch auf den reformatorischen Barrikaden. Ist das nicht Werkgerechtigkeit? Und in er Tat, ich bin dankbar für die Gewissheit: Zugang zum Heiligen, Segen vom HERRN und besonders Gerechtigkeit von Gott empfangen wir nicht aufgrund unseres Tuns, sondern um Christi willen. Es gibt keine moralische Einlasskontrolle, keine ethischen Türsteher, die nicht hereinlassen, die nicht richtig sind. Auch wenn zu Weihnachten wieder die Massen kommen. Sie dürfen alle kommen, die Frommen und die Distanzierten, die Suchenden und die Zweifelnden.

Aber es ist eben auch nicht beliebig, wie wir kommen. Wer mit zu viel Ballast beladen ist, wird wenig erleben. Loslassen befreit. Es ist kein veraltetes Relikt, dass die Adventszeit eine Zeit der Buße ist. Das muss man überhaupt nicht ausspielen gegen die Freuden des Weihnachtsmarktes. Es geht nicht um zwanghafte Askese. Aber der Mensch erhebt sich, wenn er Lasten abwirft. Wer hinauf will auf den Weg der Gotteserfahrung, wird manches hinter sich lassen, manchen Irrweg, manchen Lärm, manche Geschäftigkeit. Glauben und Leben müssen zusammenpassen, wo Menschen heilsame Erfahrungen machen wollen mit dem Heiligen.

IV.
Schließlich gehen wir die Treppe hinauf zur Kirche. Die verschlossene Tür öffnet sich. Wir ziehen ein. Hierher gehört der dritte und älteste und bekannteste Teil des Psalms.

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Streit. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR Zebaoth; er ist der König der Ehre.

Die Tore haben sich geöffnet. Aber eben nicht nur für den Zug der Pilger, sondern für niemanden anderen als den Herren der Herrlichkeit. Wie muss man sich das vorstellen? Man hat lange gemeint, dass die Pilger die Bundeslade mitführten, die für die Gegenwart Gottes steht, für sie hätten die Tore sich geöffnet. Aber da winken die Ausleger heute ab.

Egal. Die Tore öffnen sich für keinen anderen als Gott selbst. Das ist zu Recht zum Urbild des Advent geworden. Wörtlich heißt es: Tut euch auf, ihr Tore. Die Tore sollen sich selbst öffnen. Gott verschafft sich selber Eingang. Er selbst lässt die Tore aufspringen, er selbst lädt Menschen ein, ihm auf dem Weg des Lebens zu folgen. So lasst uns Gottes oft unvermutete Ankünfte in unserem Leben zulassen und wahrnehmen, lasst uns die verwandelnde Kraft seiner Gegenwart an uns wirken lassen. Lasst uns adventliche Menschen sein, Pilger, die davon leben, dass Gott selbst sich ihrem Pilgerzug anschließt, bei uns einkehrt und mitgeht auf unseren Wegen durch diese Zeit.

Und lasst uns adventliche Kirche sein. Kirche, die ihre Tore öffnet und damit rechnet, dass Gott selbst einziehen will. Gewiss, das kann man so nicht in die Tagesordnung der Synode scheiben. Darauf stehen die sorgfältig vorbereiteten Aktenstücke. Alle Beteiligten sind zu recht froh, dass der dicke Haushaltsplan fertiggestellt wird. Aber wie bleibt eine Institution - oder auch Organisation - offen für das Kommen Gottes? Im Haushaltsplan sind viele Dinge sehr festgezurrt, anders kann das nicht sein, wenn man verantwortlich mit Geld umgehen muss. Und das lässt sich auch nicht dadurch dynamisieren, wie alle synodale Erfahrung zeigt, dass man im Plenum noch einmal eine Detaildebatte anstößt über Teilergebnishaushalt xy auf Seite 227.

Um den Haushaltsplan ist ja auch theologisch intensiv gerungen worden. Aber lasst uns gerade deshalb die Erinnerung offen halten: Der Haushaltsplan ist kein Zweck in sich, sowenig wie alle Strukturen und Regelungen, sondern sie sind ein Tor, ein Tor für das Kommen Gottes. Lasst uns als adventliche Kirche damit rechnen, dass der Herr selbst bei uns einziehen will, immer noch einmal neu und anders, dass er Menschen mit überraschenden Gaben oder frischen Ideen ausstattet, vielleicht sogar ohne Zustimmung des LSA oder gar unter Umgehung des Bischofsrates.

Öffnet euch, ihre Türen. Lasst unsere Pläne solche Pforten sein und nicht Tore der Verkehrssteuerung, die das Kommen Gottes auf Tempo 80 herunterbremsen oder Überholverbot verhängen, wo uns – wer weiß - der kommende Gott doch vielleicht allemal links oder rechts überholen will.

Es gibt erfreulich viele Beispiele für kleine Aufbrüche in unserer Kirche, viele kleine und große Fresh expressions of church, oft wenig sensationell. In vielen Gemeinden geschieht zurzeit etwa ganz viel, indem Ehrenamtliche Flüchtlinge unterstützen und ihnen in der Gemeinde die Türen geöffnet werden. Das ist vielleicht eine Nagelprobe darauf, wie sehr wir reinen Herzens unsere Tore öffnen. Vielleicht will Gott zurzeit gerade mit dem Pilgerzug der Flüchtlinge bei uns einziehen. Und dann höre ich etwa aus Winsen/Luhe: Durch das ehrenamtliche Engagement für Flüchtlinge sind viele Menschen aus der Distanz neu hinzugekommen, und mancher entdeckt mit der Zeit die Gemeinde und den Glauben neu als Heimat. Das diakonische Engagement wird zum Gemeindeentwicklungsprojekt. Machet die Tore weit, dass der König der Ehre einziehe.

Er kommt, er zieht ein, der Herr der Herrlichkeit. Und das in der überbietbaren Spannung: Dieser Herr der Herrlichkeit, groß und mächtig im Streit, er kommt in dem Menschen Jesus von Nazareth, der nach Jerusalem einzieht auf dem Weg zum Kreuz. Und in dem Kind, dessen Geburt die Menschen wieder faszinieren und verzaubern wird in den kommenden Wochen. Jesus Christus ist die Ankunft Gottes, der göttliche Advent in Person.

Darum lasst uns einstimmen in das Lob des kommenden Gottes, bei dem der Psalm seinen Ausgang und sein Ziel hat: Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!
Amen.