Predigt beim Praxistag Gottesdienst Verden 2023

Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy
Predigt über Lukas 14, 16–24

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

ich lese den Predigttext nach Lukas 14:

Jesus erzählte ihnen ein Gleichnis: Ein Mann veranstaltete einen großen Gottesdienst mit Abendmahl und lud viele Gäste ein.17Als das Fest beginnen sollte, schickte er seinen Diener los und ließ den Gästen sagen: „Kommt, jetzt ist alles bereit!“18Aber einer nach dem anderen entschuldigte sich.

Der erste sagte zu ihm: „Ich habe einen Acker gekauft. Jetzt muss ich unbedingt arbeiten. Bitte, entschuldige mich!“ Ein anderer sagte: „Ich habe gerade erst geheiratet. Wir brauchen jetzt Zeit für uns – und am Sonntagvormittag frühstücken wir in Ruhe. Ich kann deshalb nicht kommen. Bitte, entschuldige mich!“ Einer sagte: „Gottesdienst. Es tut mir leid, das ist mir fremd. Gesänge, die ich nicht kenne, Formeln, die ich nicht verstehe. Ich bitte dich: entschuldige mich.“ Und wieder einer sagte: „Als ich Konfirmand war, da war ich nicht freundlich eingeladen. Da musste ich kommen – seitdem ist mir das verleidet. Bitte entschuldige mich.“

Ich unterbreche. Sie haben natürlich gemerkt, liebe Gemeinde, dass das nicht so ganz wörtlich aus dem Lukasevangelium ist, ich habe schon ein wenig Deutung zum Thema dieses Tages eingebaut. Lassen Sie uns auf den ganzen Text hören, diesmal wörtlich nach der Basis-Bibel:

Erzählerin: Jesus war bei einem großen Essen eingeladen.

Einer der Gäste sagte:

GAST Glückselig ist, wer im Reich Gottes am Mahl teilnehmen darf!«

Erz.: Jesus antwortete:

JESUS: Ein Mann veranstaltete ein großes Festessen und lud viele Gäste ein.17Als das Fest beginnen sollte, schickte er seinen Diener los und ließ den Gästen sagen:

DIENER: ›Kommt, jetzt ist alles bereit!‹)

Erz.: Aber einer nach dem anderen entschuldigte sich. Der erste sagte zu ihm:

1 Geladener: Ich habe einen Acker gekauft.

Jetzt muss ich unbedingt gehen und ihn begutachten. Bitte, entschuldige mich!‹

Erz: Ein anderer sagte:

2. Geladener: Ich habe fünf Ochsengespanne gekauft und bin gerade unterwegs, um sie genauer zu prüfen. Bitte, entschuldige mich!‹

Erz: Und wieder ein anderer sagte:

3. Geladener: Ich habe gerade erst geheiratet und kann deshalb nicht kommen.‹

Erz.: Da kam der Diener zurück und berichtete alles seinem Herrn.
Da wurde der Hausherr zornig und sagte zu seinem Diener:
HAUSHERR:  Lauf schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt. Bring die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Gelähmten hierher.‹
ERZ: Bald darauf meldete der Diener:
DIENER: Herr, dein Befehl ist ausgeführt, aber es ist immer noch Platz.‹
Da sagte der Herr zu ihm:
HAUSHERR Geh hinaus aus der Stadt auf die Landstraßen und an die Zäune. Dränge die Leute dort herzukommen, damit mein Haus voll wird!‹24Denn das sage ich euch: Keiner der Gäste, die zuerst eingeladen waren, wird an meinem Festessen teilnehmen!«

„Damit mein Haus voll wird!“ Der Hausherr will, dass sein Haus voll wird. Habe ich recht getan, dass ich das in meiner Einleitung so eindeutig auf den Gottesdienst bezogen habe? – Ich glaube, man darf das. Denn das ist das Großartige an den Gleichnissen Jesu, dass sie Geschichten aus dem Alltag erzählen, die etwas sagen über das Reich Gottes – aber in einer großen Offenheit, gerade nicht so, dass man sie genau eins zu eins (allegorisch) übertragen kann auf eine ganz bestimmte Deutung.

Ich nehme mir die Freiheit – und ich meine, dass diese Freiheit den Geschichten von Jesus zu eigen ist -, das Gleichnis heute auf den Gottesdienst zu beziehen. Wir möchten, dass das Haus voll werde, wir möchten, dass Menschen gern mit uns Gottesdienst feiern. Und wir glauben, dass es Gott selbst ist, der einlädt, der uns in seinem Wort und in seinem Mahl begegnen möchte. Deshalb ist es so schade, wenn nur wenige kommen.

Eins allerdings hat sich sehr geändert. Die Geschichte gibt ja denen die Schuld die nicht kommen. Die entschuldigen sich aus ökonomischen Gründen, weil ihnen Geschäfte wichtiger sind. Das wird sehr klar kritisiert, der Hausherr ist gar nicht gut auf die zu sprechen, die ihm absagen.

Aber wenn Leute nicht zum Gottesdienst kommen: Geben wir denen die Schuld? Vor Jahrzehnten war das vielleicht noch so. Da gehörte es vielleicht zu einem anständigen christlichen Leben, dass man zum Gottesdienst geht. Da erzählte man sich von Pastoren, die von der Kanzel schimpften auf die, die nicht kommen (was natürlich immer die Falschen traf). Das ist lange vorbei. Wir machen niemandem Vorwürfe.

Nein – geben wir die Schuld heute nicht eher uns selbst? Ich ringe bei jeder Gottesdienstvorbereitung: Ist das wirklich einladend genug? Kannst Du nicht lebendiger, alltagsnäher, anschaulicher predigen? Wird die Gottesdienstgestaltung die Menschen anrühren? Also: Wenn die Leute nicht kommen mögen, ist das nicht meine Schuld? Sind unsere Gottesdienstformen einladend und vielfältig genug? Haben wir nicht tatsächlich die Konfis aus dem Gottesdienst getrieben, durch die Pflicht, an Gottesdiensten teilzunehmen, die nicht jugendgemäß sind? Es ist leider durch Umfragen bewiesen, dass es vielfach so ist.

Zurück zur Geschichte. Der Hausherr ist beleidigt. Gerade im Orient ist es eine soziale Blamage, wenn eine Einladung ausgeschlagen wird. Er hatte die Einladung ja frühzeitig ausgesprochen – „save the date“ nennt man das heute. Als das Festmahl dann steigen soll, lädt er nochmal aktuell ein – und alle sagen ab. Eine tiefe Kränkung. Und ja, wenn man mit Liebe und Sorgfalt einen Gottesdienst vorbereitet, und dann kommen nur ganz wenige: Das ist manchmal kränkend, das kann wehtun. Und das muss ernstgenommen werden.

Auch der Hausherr reagiert emotional. Er wird zornig. Aber dabei bleibt er nicht stehen. Er wird aktiv. Wir wissen: Man darf Kränkungen nicht einfach überspielen – auch gottesdienstliche Kränkungen nicht. Aber sich auf ihnen auszuruhen, das führt auch zu nichts. Ich sage es pointiert: Dass wir in unseren ziemlich leeren Kirchen sitzen, ganz viele Agende I – Gottesdienst zur selben Zeit machen und gekränkt den Leuten die Schuld geben, dass sie nicht kommen, das ist Unfug!

Der Hausherr bleibt nicht bei seinem Frust sitzen. Er wird kreativ, und das ist für mich die eigentliche Pointe der Geschichte. Er lädt anders ein. Er lädt andere ein. In der ersten Runde schickt er seinen Diener, um die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Gelähmten einzuladen. Diejenigen also, die nicht dazu gehören, die sozial oder körperlich bisher ausgeschlossen waren. Die Geschichte ist unerhört inklusiv. Nach Jesus müssen unsere Gottesdienste immer inklusiv sein. Auf jeden Fall ganz buchstäblich: Haben wir Formen für Menschen mit Behinderungen, mit leichter Sprache? Und kommen in unseren Gottesdiensten eigentlich die Armen vor, oder sind wir in der sog. Mittelschicht unter uns? [Ein tolles Beispiel finde ich die sog. Vesperkirchen, bei denen es in der Kirche Essen und Trinken für Bedürftige gibt, dazu Kultur, Gesang, geistliche Impulse und Gespräche. Eine Vesperkirche gibt es m.W. bei uns im Sprengel noch nicht, vielleicht eine gute Idee. Ich komme gern zur ersten Vesperkirche.]

Nach der ersten großen Einladeaktion des Hausherrn ist das Haus nicht mehr leer, aber auch noch nicht voll. Nicht alle Kirchen sind so groß, wie dieser wunderbare Dom. Aber man muss schon ganz schön weit einladen, damit das Haus voll wird. Jedenfalls geht die Kreativität und Menschenfreundlichkeit des Hausherrn noch weiter, sie überwindet Grenzen: Geh hinaus aus der Stadt auf die Landstraßen und an die Zäune. Dränge die Leute dort herzukommen, damit mein Haus voll wird!

Geh hinaus aus der Stadt: Wie können wir mit unseren Gottesdiensten Grenzen überschreiten? Wir können wir andere einladen, anders einladen, andere als bisher erreichen? Ich glaube, dass wir dazu aus vertrauten Pfaden raus müssen, neue Wege gehen, kreativ werden, wie unser Hausherr. Wir haben schon im Vortrag heute Morgen viel dazu gehört. Und das kann keine Gemeinde allein – das wäre eine totale Überforderung. Es darf niemand überfordert werden von uns, die wir für den Gottesdienst verantwortlich sind.

Zurzeit laufen ja in ganz vielen Regionen Gespräche über die künftige Zusammenarbeit in den Regionen. In welchen Strukturen soll das geschehen? Durch Arbeitsteilung, als Kirchengemeindeverband oder Gesamtkirchengemeinde usw.? Ich wünsche mir, dass überall auch gefragt wird: Wie wollen wir in der Region Gottesdienst feiern? Wie schaffen wir eine einladende Gottesdienstlandschaft in einem größeren Raum? Wo ist um 10.00 Uhr Gottesdienst (aber bitte nicht überall gleichzeitig)? Und mit welcher Musik? Wo mit Orgel, wo mit Band, wo gemischt? Wo ist für die Region der jugendgerechte Gottesdienst, gerade für die Konfis? Wo ist Abendgottesdienst in meditativer Form oder nach Taizé? Wann und wo ist Gottesdienst am Werktag? Im Freien? An besonderen Locations, im Schützenzelt, auf dem Sportplatz, in der Kneipe? Das alles, um anders und um andere einzuladen. Aber auch, um mit unseren Kräften gut umzugehen. Niemand kann und muss alles! Für solche Gesprächs- und Beratungsprozesse gibt es Methoden; wir werden in der Konferenz der Superintendentinnen und Superintendenten demnächst darüber beraten.

Ich bin sicher, wir brauchen eine Menge Veränderung. So wie der Hausherr sehr kreativ und radikal Neues unternommen hat. In Sachen Gottesdienst brauchen wir eine gewisse Radikalität im Mut, Neues zu tun und Altes zu lassen.

Ist das nicht doch alles sehr anstrengend? Vergessen wir nicht: Jesus erzählt seine Geschichten um zu zeigen, wie es mit dem Reich Gottes ist. Der erste Satz lautete: Glückselig ist, wer im Reich Gottes am Mahl teilnehmen darf! Unsere Gottesdienste sind ein kleiner, ein bescheidener Abglanz vom Reich Gottes. Mehr müssen sie nicht sein. Der Einladende aber ist Gott selbst. Und: Wir sind zuallererst selbst Eingeladene. Eingeladen zum großen Mahl im Reich Gottes. Wir sind Empfangende. So wie in diesem Gottesdienst, wenn wir Abendmahl miteinander feiern.

Deshalb können wir mit Gelassenheit und Gottvertrauen an die Gestaltung von Gottesdiensten gehen. Wir sind und bleiben immer zuerst Empfangende, Empfangende, durch die Gott wirken will. Darauf vertraue ich. Durch meine sehr unvollkommenen Predigten, durch Konzepte, die nicht perfekt sind. Auch durch die unvermeidlichen liturgischen Pannen, die immer wieder vorkommen. Durch das alles hindurch ereignet sich Gottes Menschenliebe, der möchte, dass sein Haus voll wird. Im Kapitel nach unserem Abschnitt erzählt Jesus vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Sohn. Gott möchte nicht, dass auch nur einer oder eine verloren werde. Gotte Liebe geht jedem und jeder nach, auch Dir. Deshalb feiern wir Gottesdienst. Deshalb laden wir ein.

Letztes Jahr waren wir mit einer Gruppe im Ruhrgebiet in einem Hotel, hinter dem ein originelles soziales Projekt steht und das den schönen Namen „Unperfekthaus“ hat. Ich glaube, das ist auch ein guter Name für unsere Kirche: Unperfekthaus. Ein Haus für unperfekte Menschen. Auch für unperfekte Gottesdienste (gibt es den perfekten Gottesdienst überhaupt?) Ein Haus aber, das etwas widerspiegelt von Gottes Liebe und Barmherzigkeit. Ein Ort, der der Erbarmungslosigkeit und Gnadenlosigkeit unserer Zeit etwas entgegensetzt. Im Namen der Gnade Gottes.

Ja, wir sollen und wollen tun, was wir können. Durch schön gestaltete Gottesdienste. Auch durch gute Konzepte in der Region und viele neue Ideen – hinaus zu den Landstraßen und Zäunen! Aber noch mehr lasst uns Gott zutrauen, der Menschen durch sein Wort und sein Sakrament anspricht, Orientierung schenkt und Trost. Und dieses Wort und dieser Trost und diese Ermutigung - sie gelten uns selbst zuerst.

Amen