Predigt am 20. September 2020

Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Predigt über Gen 2,4-9.15:

Gnade sei mit euch von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

eine Erinnerung an den allerersten Anfang ist uns heute als Predigttext gegeben. Eine Erinnerung an den allerersten Anfang, als all das noch nicht da war, was wir heute als Welt und als Schöpfung kennen. So lesen wir im 2. Kapitel der Bibel, 1. Mose 2:

4b Es war zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. 5 Und alle die Sträucher auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen. Denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war da, der das Land bebaute; 6 aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte das ganze Land. 7 Da machte Gott der HERR den Menschen aus Staub von der Erde und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. 8 Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. 9 Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.

Eine Erinnerung an den allerersten Anfang. Drei kurze Gedanken dazu:

1. Eine Erinnerung als Lebensdeutung
2. Eine Erinnerung als Verpflichtung
3. Eine Erinnerung als große Zusage

1. Eine Erinnerung als Lebensdeutung

Eine Erinnerung an den allerersten Anfang. Eine Erinnerung, die eine Deutung ist. Deshalb erzählt die Bibel diese alten Geschichten. Sie sind ja keine Beschreibungen im naturwissenschaftlichen Sinne. Das haben die Menschen auch damals schon gewusst, deshalb gibt es in der Bibel gleich zwei Schöpfungsgeschichten. Im ersten Kapitel die berühmte Erzählung von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen. Und im zweiten Kapitel unsere, noch ältere zweite Geschichte: Am Anfang ist trockenes Land. Und dann bringt Gott Wasser dazu, so entsteht der Garten Eden. Das Paradies. In den setzt Gott den Menschen, damit er ihn bebaut und bewahrt. Gartenliebhaber wissen jetzt, warum sie das so gern machen: Die ursprünglichste Tätigkeit des Menschen ist die des Gärtners. Gott setzt den Menschen in den Garten Eden.

Keine wissenschaftliche Beschreibung. Die Naturwissenschaftler haben ihre eigenen Geschichten zur Entstehung des Weltalls und unserer Welt – über viele Milliarden Jahre. Unser Landesbischof war neulich hier und hat vorgelesen und erzählt zur Entstehung des Kosmos. Für mich sind das unterschiedliche Perspektiven auf die Sache. Die Astronomen und Physiker beschreiben die Entstehung, hoch faszinierend. Die biblischen Schöpfungsberichte beschreiben nicht gegenständlich den Vorgang der Schöpfung, sondern sie deuten unsere Welt und unser Leben. Erinnerung an die Schöpfung als Lebensdeutung.

Die erste und wichtigste Lebensdeutung: Wir verdanken uns nicht uns selbst. Keiner von uns hat sich selbst hervorgebracht, und die Mitschöpfung um uns herum auch nicht. Wir verdanken uns den Menschen, die vor uns waren. Und: Gott haucht dem Menschen den Lebensatem ein, das macht ihn zum Menschen. Warum gibt es mich? Weil Gott die Menschen und auch mich will. Kurt Marti dichtet: „Ich wurde nicht gefragt bei meiner Geburt. / Niemand wurde gefragt außer dem Einen / und der sagte Ja.“

Gott hat Ja gesagt zu dir. Eine unerhört wichtige Lebensdeutung. Niemand darf dich und deinen Wert in Frage stellen. Denn Gott hat dich gewollt. Niemand darf den Wert irgendeines Menschen in Frage stellen. Nicht in Konflikten, nicht in einem Flüchtlingslager, nicht auf einer Palliativstation. Der Eine hat ja gesagt. Niemand darf meinen und deinen Wert in Frage stellen. Auch ich selbst nicht, auch wenn ich „durchhänge“, auch wenn ich mich sehr schwach fühle, oder wertlos.

Ganz kurz nur: wir hören diesen zweiten Schöpfungsbericht nur in Teilen. Die Deutung geht in dieser Schöpfungsgeschichte weiter.

Erst ist ein Mensch geschaffen. Aber Gott sieht: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Deshalb schafft er ihm eine Gefährtin, die ihm entspricht. Er schafft Mann und Frau – das wäre ein ganz eigenes Thema, und was für eins, mit welchen Glanzpunkten und welchen Dramen!

Und dann: Im Garten Eden steht auch der Baum der Erkenntnis. Da ahnt man schon die Tragödie: Den sollen Adam und Eva nicht anrühren, tun sie aber doch. Und seitdem leben wir nicht mehr im Paradies, sondern „jenseits von Eden“. Das ist die gesamte Lebensdeutung dieser Geschichten: Das Leben ist nicht einfach nur paradiesisch, sondern höchst zwiespältig. Ja, ich erlebe immer noch viel Erinnerung an das Paradies. Die Schönheit der Spätsommersonne, das Blühen der Rose, der Zauber eines Musikstückes, die Liebe eines Menschen. Aber ich lebe auch die Abgründe des Lebens. Die Schöpfung ist auch nicht nur wunderbar, sondern sie beherbergt auch Krebszellen und tödliche Viren. Das Leben ist beides: schön und schwierig, wunderbar und mühsam, von unfassbarer Liebe und abschreckender Grausamkeit. So leben wir: Jenseits von Eden und doch immer noch in Erinnerung an das Paradies, die immer wieder in unser Leben hineinleuchtet.

2. Eine Erinnerung als Verpflichtung

Gott setzt den Menschen in den Garten um ihn zu bebauen und zu bewahren. Dieses Konzept ist in der Neuzeit kritisiert worden. Gerade auch, weil es im ersten Schöpfungsbericht heißt: Macht euch die Erde untertan. Die Kritik sagt: Ihr seht, was mit diesem Konzept, mit dieser Weltdeutung gemacht worden ist. Macht euch die Erde untertan: Die Erde wird ausgebeutet. Die Erde ist ökologisch an den Rand dessen gebracht worden, was sie verkraften kann. Der Klimawandel ist die dramatischste Konsequenz. Die derzeitigen Bilder von den riesigen Feuern in den USA sind geradezu ein Gegenbild zum Bild des Gartens Eden. Heiße, zerstörte, trockene Erde, auf der nichts mehr leben kann – statt des von Flüssen gewässerten fruchtbaren Garten Edens. Keine Frage, dazu haben wir Menschen tüchtig beigetragen.

Die Geschichte dahin ist lang, auch das Christentum spielt eine Rolle darin. Nur – die biblische Weltdeutung der Schöpfungsgeschichte kann dafür nicht in Anspruch genommen werden. Die Ausbeutung der Erde hat andere Ursprünge. Der Philosoph Descartes etwa bezeichnet den Menschen als „Beherrscher und Besitzer“ der Erde. Das hatte weitreichende Folgen, bis heute.

Das biblische Bild ist anders: Die Erde, Pflanzen und Tiere sind unsere Mitgeschöpfe. Sie sind Gaben Gottes, die uns anvertraut sind. Hier ist die Erinnerung an die Schöpfung eine große Verpflichtung. Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. Martin Buber übersetzt: „Gott setzte den Menschen in den Garten, um ihn zu bedienen und zu hüten.“ Bedienen und hüten, bebauen und bewahren! Das ist wörtlich zu nehmen. Gott würdigt uns, seine Partner zu sein in der Gartenpflege, in der Bewahrung der Schöpfung. Und das hat sehr konkrete Konsequenzen. Für meinen eigenen Lebensstil, für meine Fortbewegung, meinen Energieverbrauch. Und das hat Konsequenzen für die Politik. So wie wir gelernt haben, dass es eine soziale Marktwirtschaft braucht, die Menschen schützt, auch durch Gesetze, so brauchen wir eine ökologische Marktwirtschaft, und zwar möglichst weltweit, die alle verpflichtet, pfleglich mit der Schöpfung umzugehen.

Ich zitiere dazu einige Worte von Dorothee Sölle, die ein sehr pointiertes Bekenntnis zu Erde geschrieben hat. „Ich glaube an Gottes gute Schöpfung - die Erde. Taste sie nicht an! Sie gehört nicht Dir! Und keinem Konzern! Wir besitzen sie nicht wie ein Ding, das man kauft, benutzt und wegwirft. Sie gehört einem anderen. Wie könnten wir von Gott reden, ohne die Blumen, die Gott loben, ohne den Wind und das Wasser, die im Rauschen von ihm erzählen. Ich glaube an Gottes gute Schöpfung - die Erde. Sie ist für alle da, nicht nur für die Reichen, sie ist heilig, jedes einzelne Blatt, das Meer und das Land, das Licht und die Finsternis, das Geboren Werden und das Sterben. Alle singen das Lied der Erde. Wir wollen ihren Rhythmus bewahren und ihr Glück leuchten lassen. Sie beschützen vor Habsucht und Herrschsucht.”

3. Eine Erinnerung als große Zusage

Die große Zusage lautet: Sorgt euch nicht! So sagt es Jesus. Im Evangelium dieses Sonntags haben wir gehört, wie er uns an die Schöpfung erinnert: Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Deshalb gilt das Wort Jesu: Sorget nicht. Sorgt euch nicht um euer Leben. Schaut doch auf Gottes gute Schöpfung. So sorgt Gott für die seinen!

Ist das zu leichthin? Natürlich gibt es genug Gründe, sich zu sorgen, und zwar sehr gute, vom Klimawandel bis zur Wahl in den USA, von persönlichen Krisen bis zur Corona-Pandemie. Natürlich. Aber die Erinnerung an die Schöpfung erinnert an die Schöpfermacht Gottes. Darum: Sorgt euch nicht! Martin Luther sagt: Wirf dein Herz mit seinen Sorgen Gott auf seinen Rücken, denn er hat einen starken Hals und Schultern, dass er es wohl tragen kann.

Gott sorgt für die Vögel und sogar für die Feld­blumen, dann doch auch für euch, sagt Jesus. So erinnert er an die Schöpfung und an den Schöpfer. Vertraut ihm doch, dass eu­er Leben in seiner Hand steht. Mitsamt unseren Sorgen, die uns nun einmal drücken. Mitsamt dem, was uns belastet. Aber diese Sorgen haben dann auch nicht das letzte Wort. Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Du bist nicht allein mit deinen Sorgen. Da ist einer, in dessen Hand du stehst mitsamt deinen Sorgen. "Er sorgt für euch". Wir haben einen fürsorglichen Gott, der die ganze Welt in seinen Händen hält. So wie er es vom allerersten Anfang an tat.

Amen.