Predigt zum 50. Jubiläum der Michaelskirche Rotenburg, 30. November 2014

Offenbarung 12,7-12

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Ich lese aus Offenbarung 12 das Wort, das auch bei der Einweihung der Kirche vor 50 Jahren Pate stand:

Und es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Und der Drache kämpfte und seine Engel, und sie siegten nicht und ihre Stätte wurde nicht mehr gefunden im Himmel.

Und es wurde hinausgeworfen der große Drache, die alte Schlange, die da heißt: Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt, und er wurde auf die Erde geworfen, und seine Engel wurden mit ihm dahin geworfen.

Und ich hörte eine große Stimme, die sprach im Himmel: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus; denn der Verkläger unserer Brüder ist verworfen, der sie verklagte Tag und Nacht vor unserm Gott. Und sie haben ihn überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt bis hin zum Tod. Darum freut euch, ihr Himmel und die darin wohnen!

Freut euch, ihr Himmel!
Freut euch, liebe Mitglieder der Michaelsgemeinde in Rotenburg.
50 Jahre - beinahe auf den Tag genau - ist die Michaelskirche geweiht. Herzlich gratuliere ich. Gemessen am weiten Bogen von 2000 Jahren Kirchengeschichte sind 50 Jahre beinahe noch ein Kindergeburtstag.

Aber für ein Menschenleben ist es viel. 1964 - da wurde in der UdSSR Leonid Breschnew Nachfolger von Chruschtschow. Ein gewisser Cassius Clay - später nannte er sich Mohammed Ali - wurde Boxweltmeister. In Südafrika kam Nelson Mandela ins Gefängnis im Widerstand gegen die Apartheid und in den USA standen auf den Plätzen 1 bis 5 der Hitparade Titel einer Band: der Beatles. Und in Rotenburg weihte mein Vorvorvorgänger Hoyer vor 50 Jahren und 2 Tagen die Michaelskirche. Mit dem Bibelwort aus Offb 12: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus.

Freut euch ihr Himmel, freut Euch, Ihr Gemeindeglieder der Michaelsgemeinde! 50 Jahre gibt es hier ein lebendiges Gemeindeleben. Wir haben heute Nachmittag schon viel davon gehört. Großer Dank gilt allen, die dazu beigetragen haben. Ungezählten Ehrenamtlichen, die sich engagiert haben. Den Kirchenvorständen damals und heute. Den Hauptamtlichen. Und den Pastoren.

Ich hatte das noch nie, dass eine Gemeinde auf der ersten Pfarrstelle bei einem 50-jährigen Jubiläum nur zwei Pastoren hatte, Pastor Sundermann und Pastor Sievers. Natürlich gab es zwischenzeitlich eine zweite Pfarrstelle, u.a. mit Pastor Hagedorn. Es ist besonders schön, dass dieses Fest so gemeinsam begangen werden kann. Dank Ihnen allen für Ihr Engagement.

Unser Bibelwort aber weist uns weiter. Der erste und größte Dank an diesem Jubiläum gilt unserem Gott. Um seiner Botschaft willen existiert diese Kirche, die nach dem Erzengel Michael benannt ist. Michael ist im Namen Gottes der Sieger über die Mächte des Bösen. Dafür steht diese Kirche: Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus. Oder in einer neueren Übersetzung: Jetzt ist der Sieg errungen! Gott hat seine Macht unter Beweis gestellt, die Herrschaft gehört ihm. Von jetzt an regiert der, den er als König eingesetzt hat, Christus.

Eine Kirche – benannt nach einem Engel. Abgebildet an der Kirche, ohne Waffen und ohne Flügel. „Gottes Engel brauchen keine Flügel“, so hieß damals ein berühmtes Buch (Claus Westermann). Gottes Engel – das sind auch Menschen in einer Gemeinde. Wie viele Menschen in der Michaelsgemeinde sind für andere zum Engel geworden, zum Helfer und Beistand.

Michael – Mi ka el: Wer ist wie Gott. Der Engel verweist auf Gott. Das ist sein Beruf, die Aufgabe aller Engel. Mit den Engeln tun wir Protestanten uns ja eher schwer. Das gilt insbesondere seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Der Himmel wurde leergeräumt von den Wesen und Mächten, die bisher dort tätig waren.

Ein Theologe spottete Anfang des 19. Jahrhunderts über Engel als „metaphysische Fledermäuse“ (Karl von Hase). Eine rein innerweltlich-naturwissenschaftliche Weltsicht konnte natürlich mit Engeln gar nichts anfangen, man sprach z.B. ironisch von „Gasförmigen Wirbeltieren“. Und der Staatsatheismus der DDR sprach statt von Engeln von „geflügelten Jahresendfiguren“.

Aber seit der Einweihung sind die Zeiten für Engel eher besser geworden. Seit den 80er Jahren beschäftigt man sich auch in der evangelischen Kirche wieder viel mehr mit Engeln. Man konnte jetzt buchstäblich „Die Flügel der Engel wachsen hören“, wie jemand sagte. „Die Wiederkehr der Engel“, so hieß eine Schrift 1991 (Uwe Wolff). Das muss doch eine Freude für Michael gewesen sein. Manchmal wurde das übertrieben und geriet zu Recht unter Esoterikverdacht.

Entscheidend ist: Engel sind kein Thema an sich, sozusagen Untergötter mit einem Eigenleben. Engel sind Boten und Zeugen und Werkzeuge Gottes. Mit und ohne Flügel. So aber gehören sie auch zur evangelischen Frömmigkeit. Ich erinnere etwa an den berühmten Morgen- und Abendsegen von Martin Luther. Am Abend und am Morgen betet er: Dein Heiliger Engel sei mit mir, dass der böse Feind keine Macht an mir finde.

Und auch im 20. Jahrhundert: wir alle kennen das Lied von Dietrich Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen – und ganz gewiss an jeden neuen Tag. Bonhoeffer war im Gefängnis, in großer innerer Anfechtung, als er das schrieb. Und doch konnte er an seine Verlobte schreiben: „Ich habe mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. […] Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: ‚zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken‘, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsene heute nicht weniger brauchen als die Kinder.“

Engel sind Werkzeuge, Boten und Gehilfen Gottes, gute Mächte, am Abend und am Morgen. Und dabei spielt Michael eine besondere Rolle.

Er ist im Namen Gottes der Sieger über die Mächte des Bösen. Und wurde so übrigens seit der Schlacht auf dem Lechfeld 955 auch der Schutzpatron der Deutschen. Deshalb wurde er auch hier der Namenspatron – weil damals so viele deutsche Flüchtlinge neu nach Rotenburg gekommen waren. Ob Michael da nicht heute gerade der Schutzpatron der vielen Flüchtlinge sein müsste, die nach Rotenburg kommen? Ob wir in Erinnerung an die eigene Geschichte nicht besonders auf diese Menschen zu gehen müssten – und ihnen zum Engel werden?

Jetzt ist der Sieg errungen! Von jetzt an regiert der, den er als König eingesetzt hat, Christus. Christus regiert. Er ist der Sieger. Das ist die Überschrift über 50 Jahren Leben dieser Gemeinde. Wie viele Menschen haben hier Kraft und Zuversicht für ihr Leben gewonnen. Wie viele Kinder sind hier getauft worden unter der Zusage: Du gehörst in den Bereich der Herrschaft Jesu Christi, du sollst nicht verloren gehen. Wie viele Konfirmationen unter dieser Zusage, wie viele Trauungen. Und wie viele Menschen haben beim Abschied von einem Menschen diese Zusage von Ostern her gehört. Christus hat die Herrschaft, aus seiner Hand kann uns selbst der Tod nicht reißen.

Christus regiert. Und das tut er gerade auch durch Menschen. Noch einmal Dietrich Bonhoeffer. Er hat formuliert: „Christus als Gemeinde existierend. Er selbst, seine Herrschaft gewinnt Gestalt in der Gemeinde. Und so ist für mich all das Leben in der Gemeinde hier eine Erscheinungsform des Christus.

Der Eine-Welt-Laden und der Frühstückstreff für Senioren, die Arbeit im Kirchenvorstand und der KU4-Unterricht oder die Kirche mit Kin-dern. Das Leben der Gemeinde gibt Zeugnis von Christus, von der Menschenfreundlichkeit Gottes. Auch die Photovoltaikanlage auf dem Dach.

Nun ist – bei aller Jubiläumsfreude – so eine Gemeinde auch nicht der Himmel auf Erden. Jedenfalls wäre dies die erste hier (das kann natürlich sein). Keineswegs immer fühlen wir uns als Sieger.

Das ist nun in unserem Bibelwort aber auch so: Der Sieg und die Herrschaft Christi sind alles andere als selbstverständlich. So muss Michael einen harten Kampf kämpfen gegen den Satan und ihn schließlich aus dem Himmel werfen. Apokalyptische Bilder sind das, endzeitliche Visionen, Schlachtengemälde eines abschließenden Kampfes zwischen Gut und Böse, die uns fremd sind. Obwohl – in Zeiten von Star Wars und Star Treck ist das alles so fremd vielleicht gar nicht.

In jedem Fall: der Erzengel Michael hat einen harten Kampf zu kämpfen: Es entbrannte ein Kampf im Himmel: Michael und seine Engel kämpften gegen den Drachen. Wer sich mit Engeln beschäftigt, stellt fest: Sie stehen für das Heil Gottes. Aber sie tun das auch mit dem Blick in den Abgrund.

Wer von Engeln redet, muss den Blick auf die dunklen Seiten aushalten.
Wenn der Erzengel Michael und die Gemeinde Michael für den Sieg Christi stehen, dann nicht ohne Kampf. Wieviel Kämpfe gehören auch zum Leben einer Kirchengemeinde? Wieviel innere Kämpfe um Menschen und in Menschen? Da ist die Familie, die zerbricht, sie stehen nur noch vor den Trümmern ihres Miteinanders. Da ist der junge Mann, in den die Mutter so viel investiert hatte – und er entgleitet ihr, geht Wege, die nicht gut sind. Was für innere Kämpfe... Und da ist die Familie, die gleich zwei Schicksalsschläge verkraften muss: Erst stirbt die Ehefrau, dann eine Tochter. Was bedeutet das für den Ehemann, aber auch für den Pastor, für die Gemeinde? Ja, manchmal kämpfen wir gegen Drachen, Drachen der Traurigkeit und Resignation. Manchmal fühle ich mich ganz und gar nicht als Sieger.

Aber diese Michaelskirche erinnert an Christus. Er ist Sieger. Die entscheidende Schlacht der Weltgeschichte ist geschehen im Kreuz Jesu und in seiner Auferstehung. Überwunden durch des Lammes Blut, heißt das in der Sprache von Offenbarung 12.

Gerade das Kreuz steht dafür: Christus ist Sieger, auch wenn man es manchmal nicht spürt und nicht sieht. Der Sieg Gottes ist unter seinem Gegenteil verborgen. Noch nicht sichtbar. Aber doch gewiss, schon jetzt ein Grund für Zuversicht und Mut gegen alle großen und kleinen Alltagsdrachen. Auch wenn es dunkel erscheint: Die Mitte der Nacht ist der Anfang des Tages. Michael ist der große Zeuge gegen alle Resignation: Die Macht des Todes ist schon besiegt. Von jetzt an regiert der, den er als König eingesetzt hat, Christus.

Auch als Gemeinde musste Michael immer wieder kämpfen und wird es auch weiter müssen. Mit den Finanzen ist es immer schwierig. Ich weiß nicht, vielleicht empfinden es manche als Kampf, dass eine Gemeinde heute nicht einfach für sich sein kann, sondern in einer Region kooperieren muss. Veränderungen wird es auch in der Zukunft immer wieder geben müssen.

Und auf jeden Falls stehen wir als Kirche heute in manchen Kämpfen: Der Kirche weht der Wind ziemlich entgegen. 1964 wuchs die Zahl der Menschen und der Christen in Rotenburg, so dass man neue Kirchen baute, Michael, später auch Auferstehung. 2014 nimmt die Zahl der Christen spürbar ab. Und auch unser Glaube ist vielen nicht einleuchtend, er ist fremd. Da sind manche Kämpfe nötig. Ich glaube, die wichtigste Herausforderung ist, dass wir unseren Gauben so leben und ausdrücken, dass er einladend ist und ausstrahlungskräftig. Da sind wir alle gefragt, als Engel tätig zu sein, als Boten und Zeugen Gottes – soweit ich hier sehe, weitestgehend ohne Flügel. Dass wir im Alltag und im Leben der Gemeinde fröhliche Zeugen von Gottes Menschenliebe sind. Ein Jubiläum ist nicht nur Anlass zu großem Dank, sondern auch eine kräftige Erinnerung an unsere Sendung, unseren Auftrag.

Und das unter einer großen Zusage, für die der Engel Michael der Zeuge ist: Christus ist Sieger. Zu ihm gehören wir. Jeder einzelne und wir die Gemeinde. Gott sei Dank. Lasst uns aus dieser Zuversicht leben. Und lasst uns diese Zuversicht in die Welt tragen. Seid als Michaelsgemeinde wie der Engel Michael Zeugen des Sieges Christi. Nun ist das Heil und die Kraft und das Reich unseres Gottes geworden und die Macht seines Christus.
Amen