Predigt am Pfingstmontag, 21. Mai 2018, St. Wilhadi-Kirche, Stade

Epheser 4, 11-15


Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

eine Radtour am vergangenen Wochenende: Schon von weitem sehen wir die gewaltige Klosterkirche im Land östlich von Magdeburg. Als wir sie erreicht haben entdecken wir, dass sie nach einer Seite hin offen ist, die ganze Nordmauer ist nicht mehr da. Dafür fliegt im Dachgewölbe eine Taube durch die Kirche. „Der Heilige Geist ist auch da“, sagt mein Freund, mit dem ich unterwegs bin. „Der Heilige Geist ist auch da.“ Das ist uns zugesagt, das ist Gottes Verheißung für uns, für unsere Kirchen, zu Pfingsten und auch an allen Tagen.

Eine Taube – seit alters Symbol für den Heiligen Geist – haben wir heute nicht in der Kirche, und das ist auch gut so. Keine Idee daran, an der schön sanierten Wilhadikirche eine ganze Seitenmauer herauszunehmen. Immerhin habe ich inzwischen gehört, dass es Kirchen gibt, die ein „Heilig-Geist-Loch“ haben, also eine Öffnung in der Decke, durch die zu Pfingsten eine Taube herabgelassen wurde.

Pfingsten ist ja ein sehr wenig sinnliches Fest. Schon Berthold Brecht dichtete ziemlich spitz: „Pfingsten / sind die Geschenke am geringsten / während Ostern, Geburtstag  und Weihnachten / was einbrachten“. Ja, Weihnachten, das ist auch sonst wirklich sinnlich und damit emotional anrührend: Bäume, Gebäck, Lichter, Gerüche. Auch Ostern ist immerhin noch ein wenig sinnlich, mit den Ostereiern, hier in der Kirche mit den vielen Lichtern und mit der Feier der Osternacht, in der wir den Übergang vom Dunkel ins Licht und  ins Leben spürbar und erfahrbar feiern. Das rührt das Herz an, und das ist ja wichtig. Da haben wir Protestanten Defizite, die Sinnlichkeit des Glaubens so zu leben, dass Gefühle, Affekte, der Körper auch beteiligt werden. 

Da sind solche Heilig-Geist-Löcher, von denen ich bisher noch nie gehört hatte, wie ich zugebe, eine schöne Sache. An manchen Orten wurden sie schon zu Himmelfahrt genutzt. Durch sie wurde im Mittelalter eine Christusfigur nach oben gezogen, um Jesu Abschied sichtbar zu machen. Auch nach der Reformation wurde daran festgehalten. In einer alten evangelischen Kirchenordnung heißt es: „Beim Fest der Himmelfahrt soll da wo es Übung gewesen, das Spectaculum der Himmelfahrt des Herrn bleiben; denn solche Spektakel sein gute Erinnerung der Jugend und den Unverständigen“. Und dasselbe Loch wurde dann zu Pfingsten genutzt, um eine Taube herabzulassen. Im Mittelalter waren es manchmal wirklich lebendige Tauben, da war richtig was los. Später wurde dann symbolisch eine hölzerne Taube durch die Öffnung in die Kirche hinabgelassen und schwebte über den Köpfen der Gottesdienstbesucher. Seit der Aufklärung verschwand das dann aber. Der Protestantismus wurde stärker zur Kopf-Religion. Und die Kirche wurde noch ein wenig mehr zur Institution, zu einem manchmal etwas trägen und behäbigen Dampfer. Da brauchen wir Löcher für den Heiligen Geist. Da muss man vielleicht auch mal eine ganze Wand herausnehmen, damit der Wind des Geistes ordentlich durchpusten kann.

Aber – wenn wir nun eine Taube hätten: Wofür würde sie stehen? Was würde sie uns erzählen, wie unsere Kirche beleben? Ganz ohne Worte kommt das Symbol doch nicht aus.

So hören wir auf den Predigttext für den Pfingstmontag aus Epheser 4 (11-15): Christus hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, andere als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Menschen, zum vollen Maß der Fülle Christi, damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch das trügerische Würfeln der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.

Das ist nicht wirklich leicht zu verstehen, ziemlich kompakt, weder sinnlich noch anschaulich. Da wäre so ein anschauliches Symbol nicht schlecht. Ich greife vier Gedanken heraus.

1. Die Vielfalt der Gaben

Christus hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, andere als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer. Ich will diese einzelnen Aufgaben in den ersten Gemeinden jetzt gar nicht analysieren. Aber eins ist klar: In einer lebendigen Gemeinde, in der der Geist Gottes wirkt, gibt es verschiedene Gaben, viele Menschen, die sich mit ihren Begabungen und Kompetenzen einbringen. Wir sind Haushalter der mancherlei, der bunten Gnade Gottes (1. Petr 4,10). Gottes Gnade ist reich, sie ist vielfältig, sie ist bunt. Gott ist kein Langweiler. Er steht nicht für graues Einerlei, sondern für reiche Vielfalt. Daran haben wir Anteil, und das drückt sich aus auch in einer Vielzahl von Gaben und Begabungen, die Gott gibt.

Die Vielfalt der Gaben, sie hat auch große Konsequenzen für eine Kirchengemeinde. Eine Gemeinde muss die Vielfalt der Gaben entdecken und fördern. Das ist geradezu ein Grundgesetz des Gemeindeaufbaus, der Gemeindeentwicklung. Wenn man möchte, dass eine Gemeinde sich weiterentwickelt: Das ist ausgeschlossen, wenn das an wenigen hängt. Es ist komplett ausgeschlossen, wenn es an dem Pastor und der Pastorin hängt.

Natürlich haben die Pastorinnen und Pastoren in unserer Kirche eine besondere Bedeutung für die Menschen – das hat die letzte Mitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche klar gezeigt. Die Pastoren haben ein wichtiges Amt, das Amt der Verkündigung, der theologischen und geistlichen Leitung der Gemeinde und besonders in der Begleitung von Ehrenamtlichen. Aber: Wehe, wenn eine Gemeinde nur auf ein Amt, eine Gabe zugeschnitten ist. Und das wird noch mehr gelten, wenn wir in den kommenden Jahren Mangel an Pastoren haben werden. Ihre Kräfte und ihre Begabungen sind in jedem Fall genauso begrenzt wie die der anderen Hauptamtlichen, des Kirchenvorstandes und der besonders engagierten Ehrenamtlichen. Entscheidend ist es, dass sich viele Menschen mit ihren Gaben einbringen und dass die Gemeinde ermöglicht und fördert, dass dies geschieht.

Wenn der Geist einbricht, wenn er ein Loch in unsere Kirchenburg reißt oder gar mal eine Wand herausbricht, dann wird er viele Menschen ansprechen und begeistern, die eigenen Begabungen und Fähigkeiten zu entdecken und sich mit ihnen einzubringen.

2. Erwachsen sein im Glauben

Lasst uns gelangen zum vollendeten Menschen, damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen …

Wo Gottes Geist weht, da wachsen Menschen dazu, erwachsen im Glauben zu stehen. Und erwachsen heißt hier, wie im sonstigen Leben auch: Verlässlich für etwas einzustehen. Nicht einen Tag so, einen Tag anders, von jedem Windzug des Zeitgeistes hierhin und dorthin gepustet. Wo der Heilige Geist eindringt, da wird es lebendig. Aber es wird nach dem Epheserbrief nicht einfach nur spontihaft und beliebig. Zum erwachsenen Glauben gehört, dass Menschen für ihren Glauben einstehen. Wohlgemerkt für den eigenen Glauben, niemand soll einfach nachsprechen, was andere ihm vorgeben. Aber dann doch verlässlich und berechenbar. In der Familie. Auch in der Öffentlichkeit. Auch im Gespräch mit allen Religionen – das ist nicht einfach alles dasselbe. Auch wenn blöde Sprüche gemacht werden über Juden oder über Ausländer. Von Erwachsenen muss man erwarten, dass sie da mit Klarheit und Nüchternheit und  Augenmaß gegenhalten.

3. Wahrhaftig sein in der Liebe.

Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe. Da kann ich nun nicht anders und muss die Vorlage aus der königlichen Hochzeit von vorgestern aufnehmen.

Der ganze Gottesdienst war ja ein kleines Pfingstereignis in diesem sehr traditionellen und förmlich-steifen Umfeld: Eine stimmige Liturgie, Musik aus ganz verschiedenen Traditionen, lebendige Ökumene, Weiße und Farbige, Männer und Frauen (was bei uns schon Alltag ist), eine großartige, mitreißende Predigt, auch noch vom I-Pad. Jemand schrieb bei Twitter: „Das ist Kirche für das 21. Jahrhundert“. Nur ein ganz Frecher schrieb zur Predigt: „Der echte Pfarrer saß vermutlich geknebelt im Keller.“ Das war jedenfalls ein großes pfingstliches Loch in der Kirchenwand, das wir immer wieder brauchen.

Aber auch die Botschaft der Predigt hatte es in sich: „Wir müssen die Kraft der Liebe entdecken, die erlösende Kraft der Liebe. Und wenn wir das tun, werden wir aus dieser alten Welt eine neue Welt machen. Denn Liebe ist der einzige Weg“, so zitiert Bischof Curry aus Chicago Martin Luther King. Und dann: „Die Quelle der Liebe ist Gott, wo uns wahre Liebe begegnet, da begegnet uns Gott. Und Jesus selbst hat die größte revolutionäre Bewegung der Weltgeschichte auf den Weg gebracht, die Bewegung der Liebe, die in Gottes unbedingter Liebe für die Welt gründet.“ Und das heißt für ihn konkret „Stellt euch eine Welt vor, in der Liebe der Weg ist. Stellt euch unsere Häuser und unsere Familien vor, wenn Liebe der Weg ist. Stellt euch unsere Nachbarschaften und unsere Orte vor, wenn Liebe der Weg ist. Stellt euch unsere Regierungen und Nationen vor, wenn Liebe der Weg ist, auch Wirtschaft und Handel.“ Und so weiter, eine große Utopie der Liebe ist das: „Wenn Liebe der Weg ist, wird kein Kind jemals mehr hungrig ins Bett gehen, dann wird Armut zu Ende sein.“

Da sind wir nicht. Aber in diesem Licht gilt die nüchterne und alltägliche Ermutigung: Lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe. Liebe ist ein einzigartiges Kennzeichen des Heiligen Geistes. Und sie trägt ein unglaublich utopisches Potential in sich. Der Heilige Geist kann nicht nur Kirchenmauern einreißen, er kann auch diese Welt verändern – und bei uns damit anfangen.

Schließlich:

4. Wachsen auf Christus hin

Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus. Das ist zum Schluss eine sehr tröstliche Beschreibung dessen, wie der Heilige Geist wirkt: Lasst uns wachsen. Wachsen, das kann man nicht machen. Das muss man nicht machen. Nicht erzwingen, auch nicht durch Anstrengung. Da werden auch müde Leute nicht überfordert. Wir erleben es doch gerade in diesem herrlichen Mai, wie alles wächst, ohne dass wir etwas dazu tun können oder müssen. Die Blätter, die herrlichen Blüten, sie kommen wie von selbst, aus den Wurzeln, aus Luft und Sonne.

Wachsen geht nicht durch Anstrengung. Das gilt auch für uns und für unsere Kirche. Nicht durch Projekte, nicht durch Optimierungsprozesse. Die sind ja en vogue, individuell, in der Wirtschaft, auch in der Kirche. Selbstoptimierung ist angesagt, eigentlich braucht jeder seinen persönlichen Coach. Das mag an bestimmten Orten sein Recht haben. Die Weise des Heiligen Geistes aber ist Selbstoptimierung nicht. Er lässt uns wachsen auf Christus hin. Wir müssen es nur zulassen, wir müssen Gott nur wirken lassen. Dazu allerdings ist nötig, dass wir aus unseren Wurzeln leben, aus den Wurzeln des Glaubens, aus den Quellen unserer Frömmigkeit. So wie wir es auch gleich tun, wenn wir gemeinsam Abendmahl feiern.

Vielleicht ist es gut, manchmal ein dickes Loch in die Kirchenwand zu bohren. Und manchmal muss der Geist Gottes vielleicht auch eine ganze Wand in der Institution Kirche einreißen, damit der Laden in Bewegung bleibt. Aber der Heilige Geist findet seine Wege, auch leise und verborgen, und lässt uns wachsen auf den hin, der das Haupt ist, Christus. So soll es sein. Amen.