Predigt zur Beauftragung von Prädikantinnen und Prädikanten

St. Wilhadi, Stade, 26. April 2014, Lk 24,13-35

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
der Weg der beiden Männer begann alles andere als fröhlich und festlich. Kein bisschen Osterfreude. Am Anfang standen Enttäuschung und Frust. Am Anfang von Ostern steht immer das Kreuz, auch am Anfang des Weges der beiden Jünger.

Alles, was sie mit Jesus erlebt hatten, das war zu Ende. Was sie gehofft hatten, geplatzt, bloße Illusion. Golgatha, das Kreuz, es steht für Ohnmacht, für enttäuschte Erwartungen, begrabene Wünsche, umsonst gelebtes Leben. Solche Erfahrungen bringen uns mit Gott überkreuz. Aber mit ihnen beginnt die Ostergeschichte.

Zu zweit machen sich die beiden auf den Weg. Irgendwie müssen sie das verarbeiten, diese Katastrophe. Wohl dem, der dabei nicht allein ist, sondern jemand hat zum Reden. Das macht den Weg dieser ersten Christen aus, und darum geht es in der Kirche immer auch bis heute: Mitgehen auf den schweren Wegen, Dasein zum zuhören und helfen und reden und beten. Christliche Gemeinde, das ist eine Gemeinschaft, in der man über Enttäuschungen und über das eigene Scheitern sprechen darf.

Wege nach Emmaus. Ich stelle mir vor, mancher Prädikant, manche Prädikantin kann den Weg mit den beiden mitgehen und hat manches zu erzählen: Mit wie viel Engagement habe ich die Ausbildung gemacht. Und dann lassen sie einen doch immer wieder spüren, dass man „nur“ ehrenamtlich ist, eher Aushilfe als vollwertiger Teil des Verkündigungsteams. Oder: Wie lange hat die Landeskirche gebraucht, bis nun auch Prädikantinnen und Prädikanten das Abendmahl leiten dürfen? Mancher hat das in der Vergangenheit als Kränkung empfunden.

Aber auch in unserem Verkündigungsdienst machen wir – und jetzt sage ich bewusst: Wir, alle, die wir ordnungsgemäß berufen sind, öffentlich zu predigen – auch im Predigen machen wir unsere Karfreitagserfahrungen: Manchmal sind es nur wenige im Gottesdienst. Gerade erzählte jemand von Gottesdiensten mit sieben und einmal mit vier Personen. Das kann einem schon zur geistlichen Anfechtung werden.

Warum gibt es so wenig Hunger nach dem Wort Gottes, nach dem Gottesdienst? Liegt es an uns? Liegt es an mir? Und auch oder gerade, wenn die Kirche besser gefüllt ist: Erreicht meine Predigt die Menschen? Finde ich die Worte, die Bilder die Menschen ermutigen und trösten? Manchmal vergebens.

Eine Predigt zu machen ist ein Kampf, und oft einer, bei dem ich mich nicht als Sieger empfinde. Spüre ich etwas davon, dass durch meine Predigt Gott sprechen will, dass Gott selbst Menschen erreichen will? Nicht weniger ist uns Predigerinnen und Predigern des Evangeliums ja verheißen. Bleibe ich da nicht allzu oft weit hinter zurück? – Ja, Ich glaube, es gibt viel zu erzählen, wenn wir mit den beiden traurigen Männern auf dem Weg nach Emmaus gehen.

Ein Fremder gesellt sich zu ihnen, ein Wanderer. Das kann ja oft hilfreich sein: Eine fremde Sicht, eine Perspektive von außen. Manchmal sagt einem auf diese Weise einer, was man selbst nicht mehr sieht. Auch im eigenen Predigen oder im eigenen liturgischen Auftreten, und deshalb sollten wir immer wieder um ein Feedback bitten. Ein Dritter sieht blinde Flecken, sieht aber auch Stärken und Gaben, die man selbst nicht sieht. Manchmal wundert man sich ja auch über eine Rückmeldung auf eine Predigt, welcher Gedanke so besonders tröstlich gewesen wäre – von dem man selbst gar nicht recht weiß.

Ein Fremder also an ihrer Seite. Er fragt die beiden: „Was sind das für Geschichten, die ihr da beredet?“ – „Mensch, das weißt du nicht?!“ Sie schütteln verständnislos den Kopf. Sie erzählen ihm „das mit Jesus von Nazareth“. „Wir waren ein tolles Team von zwölf Leuten, mit ihm an der Spitze. An jedem Tag öffnete sich der Himmel über den Wegen, die wir gingen.“ Und so weiter. Sie erzählen von ihrer Zeit mit Jesus. Und dann erzählen sie ihm von dem Kreuz und dem Ende und den Folgen. Dem Ende aller Hoffnungen.

Und dann erzählen sie noch eine weitere Geschichte, die sie gar nicht kapieren. Ein paar Frauen hätten erzählt, das Grab sei leer gewesen. Sie wären dorthin gegangen, aber sie hätten den Leichnam Jesu nicht gefunden und konnten ihre Mittel zur Leichenpflege nicht an den Mann bringen. Und Engel hätten gesagt, er sei weg, auferstanden. Das ist nun vollends unverständlich.

Besonders spannend finde ich, dass Lukas das so offen erzählt: Die Jünger kennen die Osterbotschaft. Aber sie bedeutet ihnen nichts. Das Grab ist leer, hören sie. Aber davon brennt einem nicht das Herz. „Der Herr ist auferstanden.“ Ja, und? Da stehen zwei fromme Menschen vor uns, denen die Tradition nichts bedeutet, obwohl sie sie kennen.

Und wir? Als Predigerinnen und Prediger stehen wir ja immer wieder auch vor den Aussagen der Bibel, vor den Formulierungen der christlichen Tradition. Und auch da geht es nicht darum, sie einfach zu wiederholen. Niemals kann eine Predigt das Vortragen theologischer Richtigkeiten sein, das Aufsagen von frommen Formeln, die uns im Grunde kalt lassen, die durch bloßes Wiederholen weder an Bedeutung noch an Verständlichkeit gewinnen. Zu Ostern wie zum Geschäft des Predigens gehört auch die Provokation, dass ich mir meiner Zweifel und meiner Skepsis im Blick auf christliche Formeln bewusst werde und mich ihnen stelle.

Keiner braucht so zu tun, als ob irgendetwas in ihm brenne, nur weil es vorgegeben ist. Zugleich – und das ist genauso wichtig – stehen wir als Predigende in einer besonderen Verantwortung. Wir predigen ja nicht uns selbst, unsere Gefühle oder Überzeugungen. Das wäre zu wenig. Die mir anvertraute Botschaft ist immer größer als mein eigener Glaube, mein eigenes Verstehen. Wir haben eine Verantwortung für diese wertvolle Tradition. Zu jeder Predigt gehört das Ringen darum, dass die Botschaft der Bibel, die Aussagen des christlichen Glaubens persönlich durchdrungen werden, erst für mich, dann – Gott gebe es – für die, die die Predigt hören.

Zurück auf den Weg nach Emmaus. Der Fremde hat den Jüngern lange und genau zugehört. Dann sagt er: „Soll ich euch einmal meine Version von dieser Geschichte erzählen? Ihr Toren. Ihr gebt widerstandlos die Geschichte mit Jesus auf und tretet die Flucht an, weil man euch euren Kinderglauben gestohlen hat? Niemand kommt unverletzt durchs Leben, auch nicht der Messias.“

Und dann stellt er die Geschichte noch einmal in ein anderes Licht. Und zwar aus der Bibel. Das ist das Beste, was auch in einer Predigt geschehen kann, dass aus der Bibel ein neues Licht auf unsere Situation fällt und alles verändert „Und er fing an, ihnen die ganze Schrift zu erklären, angefangen von Mose bis zu den Propheten.“

Er zeigt ihnen aus der Bibel, dass der Messias, der Gesandte Gottes gerade den Weg des Leidens gehen musste. Das Kreuz, das war nicht das Ende, es gehörte in den Plan Gottes mit Jesus hinein. Der Messias hat Frust, Enttäuschung und Tränen selbst durchgemacht. Das bedeutet: Gott ist uns gerade im Leiden und Schmerz nahe, weil er das selbst kennt. So hat Gott das gewollt, das Kreuz gehört dazu: „Musste nicht Christus das erleiden und so zu seiner Herrlichkeit eingehen?“

Die Gegenrede des Fremden war stark, aber sie reicht nicht. Noch haben die Jünger Jesus nicht erkannt. Sie sind zu sehr in ihrem Kummer gefangen. So schnell gibt man sein Weltbild nicht auf. Sie haben gehört. Aber was ihnen fehlt, ist die Erfahrung. Das persönliche Erleben, das Herz-Brennen.

Danach haben Menschen auch gerade heute Sehnsucht. Nicht etwas erklärt bekommen. Sondern leibhaftige Erfahrung, die echt ist, die mich betrifft, in der ich spüre, dass der Glaube mir hilft, mir gut tut. Menschen wollen etwas erfahren, was ihr Leben verändert, eine neue Perspektive eröffnet, eine neue innere Zuversicht gibt.

Soweit sind die zwei Jünger noch nicht. Aber sie bitten den Fremden zu bleiben. Seine Gesellschaft tut ihnen gut, das spüren sie. Er befasst sich mit ihrer Geschichte, nimmt sie ernst und führt sie doch weiter. So bleibt er zum Essen.

Gemeinsames Essen ist ja oft eine besonders intensive Form der Begegnung. „Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen.“ Er bricht ihnen das Brot. So wie an dem letzten Abend vor seinem Tod, als er sich mit den Seinen in Jerusalem versammelt hatte. Nun sollen sie schmecken und sehen, wie sich so das Tor zu ihrem Leben wieder öffnet. „Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn.“ Im Mahl erkennen sie ihn. Das Abendmahl öffnet ihnen die Augen. Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist ihnen nun zur persönlichen, leibhaftigen Erfahrung geworden. Im Abendmahl gibt sich der auferstandene Christus auf eine geheimnisvolle Weise zu erkennen. Er gibt ihnen damit Anteil an seinem Leben, gibt neue Lebenskraft. Er lässt sie spüren, dass seine Geschichte mit dem Kreuz nicht zu Ende war, sondern dass er mit ihnen geht, bei ihnen ist – als das Brot des Lebens. Im gemeinsamen Mahl ereignet sich Ostern.

„Und er verschwand vor ihnen.“ Dann ist Jesus nicht mehr da. Nicht mehr sichtbar. Und das muss er auch nicht. Nun können sie allein ihren Weg gehen. So machen sie sich auf, gehen zurück nach Jerusalem, an den Ort der Katastrophe. Sie erzählen den anderen, was sie erlebt haben. Sie werden zu Verkündigern. Zu Zeugen dessen, was sie erfahren haben. „Brannte nicht unser Herz, als er mit uns auf dem Weg war?“ Das bleibt kein bloßer Blick zurück, sondern gibt Mut nach vorn zu gehen. Jesus hatte in ihnen wieder Hoffnung und Neugier auf Leben geweckt.

Die Geschichte der zwei Jünger, die Lukas erzählt, ist hier zu Ende. Aber die Geschichte ging weiter, der Weg des Auferstandenen mit seinen Jüngerinnen und Jüngern geht weiter – bis heute.

Hier in St. Wilhadi hängt ein Bild von Theodor Herrmann aus dem Jahr 1908, einem Maler aus Stade, der zur Künstlerkolonie in Worpswede gehörte. Jeder und jede von Ihnen hat eine Karte bekommen zur Erinnerung an diesen Tag. Das Bild zeigt Jesus mit den beiden Jüngern. Und man sieht sofort, das spielt nicht bei Jerusalem, dort sieht es anders aus. Die Szene spielt in einer norddeutschen Heidelandschaft. Hier bei uns. Der Weg Jesu mit seinen Jüngern geht weiter bis zu uns.

Ich finde, das ist ein schönes Bild für eine gelingende Predigt. Der Weg nach Emmaus geht weiter bis Stade und Cuxhaven und Bremervörde. Die Geschichte wird gleichzeitig mit uns, spielt bei uns, wird versprochen mit unserem Leben, unseren Wegen, die Horizonte verschmelzen. Darum bemühen kann ich mich als Prediger. Machen kann ich es nicht. Es bleibt Wirken des Heiligen Geistes. Christus muss sich zuletzt selbst zu erkennen geben, darüber verfügen wir nicht, Gott sei Dank - das ist ja auch eine große Entlastung.

Aber unser Predigen steht unter der Verheißung, dass er das tun will, dass er sich selbst zu erkennen geben will, dass seine Geschichten uns gegenwärtig werden. In seinem Wort. Und eben im Abendmahl.

Sehr schnell haben die Christen begonnen, immer das Brot zu brechen, wenn sie sich in Jesu Namen versammelten. So wie er es ihnen aufgetragen hatte. Sie haben von ihm erzählt und seine Gegenwart gefeiert, indem sie Brot und Kelch teilten. So tun wir es bis heute. Sie wussten, so ist er gegenwärtig. So ist immer wieder neu Ostern, wenn sie das Brot brechen. Brannte nicht unser Herz. Das bleibt unverfügbar, aber das sagen die Emmausjünger, das sagen bis heute Menschen in der Nachfolge Jesu.

Gewiss, das ereignet sich nicht im Gottesdienst, auch nicht in jeder Abendmahlsfeier. Im Gegenteil. Für manche ist das Abendmahl mit einem mulmigen Gefühl verbunden. Vielleicht, weil es lange auch in unserer Kirche in einer bedrückenden und freundlosen Atmosphäre gefeiert wurde. Über Jahrhunderte musste man sich vorher persönlich anmelden oder sogar verbindlich beichten – das hat auch noch lange Zeit einen eher düsteren Ton zurückgelassen, der schwarze Anzug war angesagt, und oft auch nur zweimal im Jahr, bitte.

Die Emmausgeschichte aber zeigt uns: Das Abendmahl ist ein Freudenmahl. Ein Festmahl mit dem Auferstandenen. Ein Mahl, das Mut macht. Ein Mahl, das etwas vom Himmel vorweg nimmt. Ein Mahl auch zur Vergebung aller Schuld – ja. Aber auch das ist ja gerade ein Anlass zur Freude.

Wir selbst sind nun Einladende, Gastgeber in der Abendmahls-feier, aber natürlich nicht im eigenen Namen, sondern in seinem Namen, im Vertrauen darauf, dass er selbst die Seinen versammelt. Er bricht das Brot, um uns Kraft zu geben und uns auf den Weg zu schicken für das, was wir zu tun haben. So macht das Mahl Christus als den Lebendigen gegenwärtig. So wird die Oblate zum Brot des Lebens, so wird der Kelch zum Kelch des Heils.

So können auch wir als seine Zeugen uns immer neu auf den Weg machen. Gewiss nicht ohne Enttäuschungen und Karfreitagserfahrungen. Aber im Vertrauen auf den gegenwärtigen Auferstandenen, der uns und vielen anderen begegnen will. Und darauf, dass er auch unser Herz immer wieder brennen lassen wird.
Amen

In der Auslegung der Emmausgeschichte verdanke ich Gedanken und Formulierungen einer Predigt von Prof. Dr. Winfried Engemann.