Predigt zur Eröffnung der X. Tagung der 25. Landessynode

Predigt über Jer 23,16-29 zur Eröffnung der Landessynode, Kirche des Henriettenstifts Hannover, 30. Mai 2018

Landessuperintendent Dr. Hans Christian Brandy

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

„So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch.“ So beginnt der Predigttext für den kommenden Sonntag, Jeremia 23 über wahre und falsche Propheten.

„Falsche Propheten, falsche Fährten“, so beginnt ein Kommentar dazu. Der Kommentar stammt nicht von einem Alttestamentler, sondern von der Deutschen Presseagentur dpa. Sie berichtet unter der Überschrift „Falsche Propheten“ jüngst von der Mega-Welle der Fake News und was man dagegen tun kann.[1] Falsche  Nachrichten, falsche Propheten sind das Thema der Stunde. Das Wort „Postfaktisch“ war 2016 das Wort des Jahres, 2017 wurde „alternative Wahrheiten“ zum Unwort des Jahres ernannt. Falsche Propheten haben Hochkonjunktur.

Da kommt uns Jeremia gerade recht. Ich lese gekürzt aus Jer 23:  

So spricht der HERR Zebaoth: Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen –, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. … Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt? spricht der HERR. Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und sprechen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt. Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weissagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem andern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal? Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen? spricht der HERR. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der HERR, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? (Jeremia 23,*16-19)

Ein Hammer-Text! Falsche Propheten – wahre Propheten. Träume und Eingebungen gegen das klare Wort Gottes.

Und das ist in der Zeit von Fake News und jeder Menge falschen Propheten. Wir hören es bei Jeremia ja deutlich: Lüge und falsche Propheten, das ist kein bisschen  neu. Neu aber ist die Möglichkeit, dass eine falsche Nachricht in kürzester Zeit durch die elektronischen Medien eine unerhörte Reichweite gewinnt. Als 2016 das Attentat in München war, bei dem ein Schüler neun Menschen erschoss, wurde binnen kürzester Zeit eine Fülle „gefaketer“ weiterer Tatorte in München über Facebook und Twitter veröffentlicht, am Ende zählte die Polizei 71 solche Phantomtatorte, die es nie gab. Durch die mediale Hysterie gerieten Menschen in Panik oder flohen, dabei wurden 31 Menschen verletzt.[2]

Das Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat 2017 in einer Studie eine unerhörte Menge an falschen Nachrichten in den sozialen Netzwerken gefunden. Und eine falsche Nachricht verbreitet sich im Durchschnitt sechsmal so schnell wie eine wahre. Das Negative und Sensationelle wird „gehypt“. Vermutlich hat uns dafür sogar die Evolution vorbereitet: es ist nun mal viel wichtiger, die Gefahr sofort zu erkennen, also den bedrohlichen Löwen, anstatt die Schönheit der Lüneburger Heide zu genießen. Deshalb springen wir auf „bad news“ schneller an. Was sind die Gründe für Fake News-Verbreitung? Unfug, Wichtigtuerei, aber immer öfter auch blanker Hass und die Absicht, andere zu schädigen. Da ist dann schnell eine Nachricht mit dem Bild einer brennenden Kirche ins Netz gesetzt: „Flüchtlinge zünden Kirche an“. Nur: Das Bild war alt und zeigte, wie eine Silvesterrakete ein Feuer entfacht hatte. Aber die Richtigstellung, die kriegen dann viel weniger Menschen mit. Darum: „Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch.“

Ich bleibe noch einen Moment in der Gegenwart. Moderne Propheten, das sind nicht nur Fake-News-Verbreiter. Propheten befassen sich ja auch ganz seriös mit den Fragen des Lebens. Wie sollen wir leben? Worauf kommt es an? Worauf sollen wir uns einstellen? Prophetie hat Hochkonjunktur, sie heißt heute meist nur anders: Trendforscher, Politikberater, Wirtschaftsweise, Marktforscher… Alle sagen uns, was zu tun ist. Und in aller Regel tun sie es mit großer Überzeugung. 

Mein Mathematiker-Sohn hat mir zur Lektüre des Bestsellers „Schnelles Denken, Langsames Denken“ des Psychologen Daniel Kahneman verholfen, der Nobelpreisträger für Wirtschaft ist. Der entlarvt über 600 Seiten äußerst erhellend eine Fülle von Irrtümern und Fehlschlüssen unseres Denkens. Unter anderem hat er auch die modernen Propheten wissenschaftlich analysiert. Es wurden etwa 300 ausgewiesene Experten gebeten, über politische und wirtschaftliche Entwicklungen der nächsten Zeit Vorhersagen zu machen. Heute würde man fragen: Wird Trump wiedergewählt? Bleibt der Euro die nächsten drei Jahre stabil?, usw. Das Ergebnis war niederschmetternd. Die Ergebnisse, die man später auswertete, waren schlechter, als wenn die Weisen einfach nach dem Zufallsprinzip ihre Einschätzungen beliebig verteilt hätten. Kahneman resümiert: „Menschen, die ihre Zeit damit verbringen – und ihren Lebensunterhalt damit verdienen -, sich gründlich mit einem bestimmten Sachgebiet zu beschäftigen, erstellen schlechtere Vorhersagen als Dartpfeile werfende Affen.“[3] Und ganz konkret: Falls Sie gern mit einzelnen Aktientiteln handeln. Sie sollten sich nicht auf die Ratschläge hochbezahlter Finanzberater verlassen, sondern lieber würfeln. Das bringt nachweislich mehr Rendite. Sagt der Wirtschafts-Nobel­preis­träger. Kahneman nennt das „Kompetenzillusion“. Solche „Vorhersagefehler“ seien faktisch kaum vermeidbar. Und der Grund sei ganz einfach: Die Welt ist einfach nicht vorhersagbar.[4] Die Kirchliche Welt übrigens auch nicht. Wo liegen wohl unsere Kompetenzillusionen? „Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie betrügen euch.“

Ein höchst aktuelles Bibelwort also zur Medienkritik und zur Prophetenkritik. Nun muss ich aber doch noch etwas sorgfältiger auf Jeremia hören und auf diesen Hammer-Text. Ist mein Wort nicht wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt? Ach ja, wenn wir einen solchen Hammer des Wortes Gottes doch öfter hätten. If I had a hammer… Wenn wir doch ein klares prophetisches Wort hätten, das die Menschen aufrüttelt, das die Welt verändert, das Glauben weckt. Wie oft erlebe ich meine Worte doch auch ziemlich kraftlos, sie versenden sich ohne großen Nachhall. If I had a hammer… Da ist vielleicht die Erinnerung gut: Der Hammer ist das Wortes Gottes, nicht meines. Es gilt hier ein striktes Gewaltmonopol Gottes, besser sollte ich wohl sagen, ein Machtmonopol Gottes. Es ist seine Kraft, die in diesem Wort wirksam wird. Sie geht durch uns hindurch, aber bleibt doch für uns unverfügbar. Wir sind Zeugen seines Wortes, nicht mehr und nicht weniger.

Dabei aber geht es um viel. Bei Jeremia geht es um eine schroffe Scheidung der Geister, um den Kampf zwischen Lüge und Wahrheit. Wir sollen Zeugen der Wahrheit Gottes sein. Dass wir bloß nicht Lügenpropheten sind.

Aber: Wie geht das? Gewiss, es gibt Lebensbereiche, da ist ziemlich deutlich, wo ein klares Wort auch im Namen der Kirche, auch im Namen des Wortes Gottes angesagt ist. Wo ein neuer Nationalismus um sich greift. Wo Feindschaft und Hass gesät werden. Wo in unserem Land Antisemitismus wieder ernsthaft gesellschaftsfähig zu werden droht. Doch, da sind klare Worte nötig. Da müssen wir es doch wohl riskieren, wie ein Prophet zu sagen: „So spricht der Herr: Das darf nicht sein!“

Und am wichtigsten ist doch wohl: Wir haben in einer ziemlich gottvergessenen Welt die Wirklichkeit Gottes zu bezeugen. Wir haben von Jesus Christus zu sprechen, der selbst die Wahrheit ist. Das ist unser prophetischer Auftrag: Christus zu bezeugen. Seine Wahrheit in das undurchsichtige Gemisch von Lüge und Wahrheiten hineinzusprechen. Seine Barmherzigkeit in eine Welt voller Unbarmherzigkeit. Seine Bewegung der Nächstenliebe in eine Welt der Ellenbogen…

Und doch: Wenn das nur immer so einfach wäre mit der Unterscheidung von wahren und falschen Propheten. Jetzt sollte ich ja wohl Kriterien nennen. Was ist wahre Prophetie Gottes, was sind Lügen und Träume? Aber damit tue ich mich schwer. Das ist doch immer wieder ein mühsames Ringen und  Suchen. Und keineswegs frei von Fehlern und Irrtümern. Und zu meinen, die falschen Propheten, das sind immer die anderen, das glauben wir uns ja selbst nicht. Also: Höchste Vorsicht vor zu steilen Ansprüchen an den eigenen prophetischen Auftrag.

Oft sieht man richtig klar erst im Nachhinein, was Wahrheit war und was Lüge, beim Blick in die Vergangenheit. Dass die Mütter und Väter der Barmer Theologischen Erklärung auf der Seite der Wahrheit standen und die Deutschen Christen nicht – das ist uns heute klar und wir nehmen deshalb Barmen auch in unsere Verfassung auf. Das war ein prophetisches Wort von bleibender Bedeutung. Aber so klar sind die Fronten heute eben oft nicht. Was ist  unsere Kirche in den letzten Jahrzehnten für Wege und Irrwege gegangen in der Einschätzung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften? Oder: In den Fragen um Anfang Ende des Lebens. Im Umgang mit dem Islam. Was sind da die richtigen Wege? Wir suchen, tasten, fragen. Irrtum nicht ausgeschlossen.

Da mag es trösten, dass bei Jeremia auch keinesfalls alles klar war. Auch da stand zunächst Aussage gegen Aussage. Auch da war erst im Nachhinein klar, wer der wahre Prophet war, nämlich Jeremia. Das ist erst jetzt in unserem Text klar, den Schüler des Jeremia, ein Redaktionsteam, aufgeschrieben haben in der Zeit des Exils. Jetzt war es klar: Jeremia hatte recht gehabt mit seinen Warnungen, und das Volk hatte auf falsche Propheten gehört, die es in Sicherheit wiegten. Nun hatten sie die Quittung, in der Katastrophe des Exils. Aber man ist eben erst hinterher schlauer. Allgemeingültige Kriterien sind leider nicht auf dem Markt.

Es ist schon viel gewonnen, wenn wir uns von Jeremia in Erinnerung rufen lassen: Es besteht ein Unterscheid zwischen Wahrheit und Lüge. Es ist nicht alles gleich wahr, es ist nicht alles beliebig. Religion bedeutet immer auch Ringen um die Wahrheit. Das ist in diesen Tagen gar nicht so selbstverständlich.

Und da können wir als Kirche selbstbewusst auftreten. Wir dürfen und wir müssen als Kirche prophetisch reden – wenn es in dieser Rede nicht um uns selbst geht, schon gar nicht um die Überhöhung der eigenen Meinung, sondern darum, Menschen zur Umkehr und in die Nachfolge Christi zu rufen. Menschen suchen doch bei uns Orientierung. Lasst uns darum ringen und darum beten, im Gewirr der unterschiedlichen Stimmen die andere Stimme Gottes, sein Wort zu hören und auszurichten. Und damit immer wieder auch unserer Zeit voraus zu sein.

Nötig ist eine Unterscheidung der Geister, das prüfende und nachdenkende Unterscheiden. Von „unterscheiden“ kommt bekanntlich das Wort „Kritik“. Wir brauchen einen kritischen Glauben, einen fragenden, aufgeklärten, unterscheidenden Glauben. Diese Kritik wird zuerst immer wieder auch Selbstkritik sein. Und eine Kritik, die sich am Wort Gottes, an der Bibel abarbeitet. Das Wort Gottes, das ist der Maßstab bei Jeremia.

Und: Ich erinnere an den Anfang: Fake News und falsche Prophetie verbreiten sich rasant schnell. Dann ist es vielleicht schon ein wichtiger Schritt, sich Zeit zu lassen für Urteile. Zeit für das sorgfältige Wägen der Worte, selbst wenn die Medien drängeln. Seriöse Medien haben das auch schon selbst erkannt. Sie haben eine Rubrik: „Was wir wissen – und was wir nicht wissen.“ Sie wissen, dass der verantwortliche Umgang mit der Wahrheit sich dem Zeitdruck entziehen muss. Mit dem Tempo der Verfasser von Fake-News können seriöse Medien eh nicht mithalten. Gründliche Recherche braucht Zeit. Also: Weil die falschen Propheten ganz schnell sind: Lasst uns Mut zur Langsamkeit haben. Sie ist ein Gehilfe der Wahrheit.

Eine Gebrauchsanweisung für wahre Prophetie gibt es nicht. Aber wir dürfen gewiss sein, dass Gott selbst durch uns und zu uns reden will. Wer euch hört, der hört mich. Gott will uns durch seinen Geist immer wieder in alle Wahrheit leiten und uns als seine Zeugen gebrauchen in dieser Welt. So dass wir uns in der Überfülle der Wörter immer wieder finden in seinem Wort, das Christus selbst ist.

Ich schließe mit Worten von Rose Ausländer:

Ich verliere mich
im Dschungel der Wörter.

finde mich wieder
im Wunder
des Worts.

Amen.

[1] http://opennetwork.dumont.de/?p=389

[2] SZ 8.3.2018, www.sueddeutsche.de/wissen/social-media-so-verbreiten-sich-falsche-nachrichten-im-internet-1.3898291

[3] Daniel Kahneman, Schnelles Denken, langsames Denken, München 122012, 270.

[4] Ebd., 273.