"Frieden schaffen" - Predigt am Volkstrauertag

Predigt in der Reihe "Reformation und Politik" am 16. November in der Stader St. Wilhadi-Kirche

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Meine Freunde im Kriegsrock! … Ihr lebt und Ihr werdet Rache nehmen an dem falschen Menschengeschlechte, bei welchem Feigheit und Hinterlist herrschen. Gott selber wird Euer Schwert führen... Auf zum heiligen Kriege! Der Herr hilft kämpfen … Ja, trotz all dem Furchtbaren und Schweren, dass der Krieg mit sich bringt, es ist gut, gut für uns, hier im Land; gut für Euch, draußen im Felde... Möchten Eure Herzen erwärmt werden von dem Gefühl, dass Euer Heldentum auf den Schlachtfeldern, in den Schützengräben und auf den Wachtposten ein Stück Gottesdienst ist, für das wir Euch aus tiefster Seele dankbar sind‚ und für das Euch der segnen wird, der ein treu Soldatenblut liebt…. Ich lege jedem ein Stück Mettwurst bei… Nun behüte Euch Gott, meine lieben Jungen. Ihr seid unser Stolz und unsere Hoffnung.“ 1

Diese Worte, liebe Gemeinde, stammen von einem Pastor aus unserer Gegend zu Beginn des Jahres 1915. Er schreibt „seinen“ jungen Männern im Felde. Als mustergültig abgedruckt wurde der Brief im hannoverschen Pfarrvereinsblatt.

In diesem Jahr 2014 gedenken wir des Ausbruchs dieses Krieges vor 100 Jahren, der 17 Million Menschen das Leben kostete und zur Urkatastrophe Europas für das 20. Jahrhundert wurde. Wir wissen heute, dass die Kriegsbegeisterung nicht überall so groß war, wie allgemein behauptet wurde; da war auch viel Propaganda dabei.

Umso schwerer wiegt es, dass die Kirche kräftig mitgeholfen hat, die Kriegsbegeisterung anzustacheln. Die Worte, die wir gehört haben, sind typisch. Der Krieg wurde religiös aufgeladen.

Ohnehin hatten viele den Krieg erwartet, gar erhofft. Er sollte Reinigung bringen von der Dekadenz der Zeit, einen Neuaufbruch. „Der Krieg musste es ja bringen“, so schreibt Ernst Jünger in seinen „Stahlgewittern“, „das Große, Starke, Feierliche. Er schien uns als männliche Tat. Ach, nur nicht zu Haus bleiben, nur mitmachen dürfen!“ 2

Und diese Stimmung wurde vielfach in der Kirche noch religiös gesteigert. Man war sich ganz sicher, dass Gott auf der eigenen Seite stehen müsse. Dass auch auf der anderen Seite, in England, in Frankreich Christen kämpften, das kam viel zu selten ins Bewusstsein, und dass diese Christen zu demselben Gott beteten.

Und die religiös übersteigerten nationalistischen Töne gab es in England oder Frankreich genauso: „Ihr seid die Kämpfer für die Sache Gottes und der Menschheit… Ihr kämpft mit Gott“,3 so predigte etwa ein französischer Bischof den französischen Soldaten. Auf beiden Seiten wurde Gott im wahrsten Sinne des Wortes „ins Feld geführt“.

Aber wollte Gott das? „Selig sind die Friedfertigen“ sagt Jesus. So haben wir es gehört. Wörtlich: Selig, die Frieden schaffen. „Beati pacifici“. Selig die Pazifisten, die Friedensmacher.

Und dazu ebenfalls in der Bergpredigt Jesu Aufruf zur Feindesliebe: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5,44f). Damit haben sich die Theologen natürlich herumschlagen müssen, die den Krieg so religiös verherrlichten. Ja, man wusste um Jesu Gebot der Nächsten- und Feindesliebe, und löste das Problem etwa so: „Die Engländer in ihrer Treulosigkeit haben die Nächstenschaft verwirkt. Wir müssen verlangen, dass die christliche Lehre zu einem rechtschaffenen Zorn gegenüber England fähig ist, und wir müssen uns wohl hüten, solchem Zorn mit der wehleidigen und deplatzierten Predigt von der Feindesliebe entgegenzutreten“. Schlimme Worte.

Ich halte inne. Was ist daraus zu lernen?

Einmal: Es ist bestürzend, wie sehr die Auslegung der Bibel vom Geist der Zeit geprägt ist. Damals war es der Geist des Krieges, der Verherrlichung von Gewalt und auch vom Sterben im Krieg. Ich möchte aber nicht nur mit dem Finger auf „die damals“ zeigen. Diese Erfahrungen sollten uns demütig machen auch im Blick auf eigene Positionen.

Wie sehr sind meine Urteile, sind die Urteile der Kirche wirklich Zeugnis des Glaubens? Sind sie wirklich verantwortlich der biblischen Botschaft abgerungen. Oder wo sagen wir nur mit religiöser Druckverstärkung, was alle sagen? Vorsicht ist geboten.

Nach zwei Weltkriegen, die Abermillionen Tote gekostet haben, ist uns Kriegsbegeisterung fremd. „Krieg soll nach Gottes willen nicht sein“, so hat der Ökumenische Rat der Kirchen kurz nach dem II. Weltkrieg 1948 in Amsterdam formuliert. Krieg bringt unendliches Leid über Menschen. Krieg zerstört Leben, zerstört Beziehungen, zerstört Kultur. Krieg ist eine monströse Macht der Vernichtung, das haben die beiden Weltkriege in furchtbarer Weise gelehrt. Krieg soll nach Gottes willen nicht sein.

Darüber, dass Kirchen den Krieg verherrlicht haben, können wir nur beschämt sein. Natürlich hat es in den Kirchen auch andere, zum Frieden mahnende Stimmen gegeben, das sei nicht verschwiegen.

Das 20. Jahrhundert hat uns auch andere Erfahrungen gebracht. Wir leben in unserem Land seit beinahe 70 Jahren im Frieden, Gott sei Dank. Das ist alles andere als selbstverständlich, es ist Grund zu großer Dankbarkeit und Grund, damit außerordentlich behutsam umzugehen.

Vor einer Woche haben wir des 9. November 1989 gedacht. Der erfolgreichen friedlichen Revolution in Deutschland. Auch zu ihr haben die Kirchen beigetragen. „Keine Gewalt“ – wir haben die Sprechchöre in den Fernsehbildern jetzt wieder gehört, gewiss auch eine Frucht der Kriegserfahrungen des Jahrhunderts.

Aber auch ohne die heilsame Sprengkraft der Seligpreisungen ist die friedliche Revolution kaum zu erklären. In dem Roman „Nikolaikirche“ von Erich Loest sagt ein ranghoher Stasioffizier, als er am 9. Oktober auf den Demonstrationszug in Leipzig schaut: „Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und Gebete.“

Auch das gehört zu unserer gemeinsamen Erfahrung: Es ist Veränderung friedlich möglich. Die Vision von Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit kann Realität werden. Die subversive Macht des Evangeliums, das für Gerechtigkeit und Frieden einsteht, ist nicht eine weltfremde Illusion.

Und heute? Ja, wir leben in Frieden – Gott sei Dank. Aber wir erleben in der Ukraine kriegerische Konflikte und einen Kampf um territoriale Ansprüche, wie wir es nicht mehr für möglich gehalten hatten in Europa.

Allemal sind wir erschüttert von den Bildern des Krieges des sog. Islamischen Staates. Enthauptungen, Kreuzigungen, Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung, kaum zu ertragen ist das. Und es ist für mich ein befremdliches Bild, wenn man im Fernsehen sieht, wie Kurden die Stadt Kobane verzweifelt verteidigen – und türkische NATO-Panzer stehen auf Sichtweite und schauen zu. Ist das weises Heraushalten aus einer unkalkulierbaren Eskalation oder ist das unterlassene Hilfeleistung in Lebensgefahr?

Was ist zu tun? Es gibt, wie Sie wissen, in der Evangelischen Kirche verschiedene Stimmen dazu. Die einen – prominent etwa Margot Käßmann - warnen vor Gewalt und Waffenlieferungen. Man müsse zivilen Wegen absolute Priorität geben. Etwa der Irakkrieg habe doch gezeigt, wie wenig militärische Gewalt zu einer zukunftsfähigen Lösung geführt habe – und das ist ja nun wirklich nicht zu bestreiten.

Andere sagen: Wir dürfen dem Morden nicht tatenlos zusehen. „Du sollst nicht töten und nicht töten lassen“4 hat Bischof Huber programmatisch formuliert. Das Töten nicht zulassen! Der neue EKD-Ratsvorsitzende Bischof Bedford-Strohm ist in den Irak geflogen und hat unter dem Eindruck dieser Erfahrungen für Waffenlieferungen an die Kurden votiert. Und er votiert sehr dafür, dass die Vereinten Nationen hier ihrer Rolle stärker nachkommen.

Mir selbst leuchtet diese Sicht am ehesten ein. Aber klar muss sein, Gewalt darf immer nur die allerletzte Lösung sein, um noch größeres Leid und Unrecht zu verhindern. Krieg und Gewalt bezeichnen ein Scheitern der Politik und der Vernunft, sie sind kein normales Mittel der Politik.

Es gibt auf dem Weg zum Frieden keinen Weg, auf dem man schuldlos bleibt. Oft genug stehen wir vor Konfliktsituationen, in denen man schuldig wird, was immer man tut. Das gilt im persönlichen Bereich wie im Politischen. Es gibt nicht einfach richtig und falsch, auch nicht auf dem Weg zum Frieden. Es gilt zu handeln, so verantwortlich wie möglich – und dann doch im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit, auch wenn ich schuldig werde.

Zweierlei will ich zum Politischen noch sagen. Erstens: Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Für 8,4 Milliarden Euro exportieren wir Waffen in alle Welt, und etliche landen auch in Krisen- und Kriegsgebieten. Auch dadurch wird man schuldig. Ich meine, dass Deutschland seine Exportpraxis überdenken muss. Die weltstärkste Exportnation muss sich doch noch mehr auf menschenfreundlichere Exportgüter hinbewegen können.

Zweitens: Zum Frieden im Mittleren Osten können wir unmittelbar wenig beitragen. Da empfinde ich mich auch als ohnmächtig. Aber auch Gebete sind eine Macht. Gebete für alle Opfer der Gewalt. Und für die verfolgten Christen allemal. Das können wir tun. Und: Wir können dort nicht helfen. Aber viele Flüchtlinge von dort kommen derzeit in unser Land. Ihnen so freundlich wie möglich zu begegnen – auch das ist ein Beitrag zum Frieden.

Als Christ, als lutherischer Christ, will ich noch einen Blick genauer hinschauen. Frieden lässt sich ganz offensichtlich nicht mit Appellen herstellen. Auch nicht mit christlichen Appellen. Das ist zu oberflächlich. Der Unfriede sitzt tiefer. Warum müssen schon kleine Kinder, wenn sie eben noch friedlich spielen, im nächsten Moment erbittert streiten und gar aufeinander einschlagen? Warum fangen Erwachsene Streit an, wenn sie Angst haben zu kurz zu kommen? Warum eskalieren Konflikte in Familien, in Betrieben, zwischen Staaten?

Offenbar ist auch eine tiefe Friedlosigkeit in uns Menschen angelegt. Oft beherrschen wir sie, manchmal bricht sie auf und entfaltet ein tief destruktives Potential. Die Bibel spricht vom Menschen als Sünder. Das ging schon los in jener Ursprungsgeschichte, in der Kain den Bruder Abel ermordete. Es ist eine Abgründigkeit in uns Menschen, die immer wieder Unfrieden stiftet.

Weil das so ist, ist es nötig, der Gewalt und dem Unfrieden zu wehren, mit allen politischen Mitteln, wenn es sein muss auch mit Gewalt. Aus lutherischer Nüchternheit halte ich Gewalt als letzte Möglichkeit für nötig – leider. Von Dietrich Bonhoeffer stammt das Bild: Wenn ein Wagen auf der Straße Menschen überfährt, dann kann es nicht nur unsere Aufgabe als Christen sein, die Verletzten zu versorgen. Dann muss man auch dem Rad in die Speichen fallen, der Gewalt wehren, zur Not auch mit Gewalt.

Es ist eine Abgründigkeit in uns Menschen als Sünder, dass wir zu Gewalt und Unfrieden fähig sind. Als Christen schauen wir aus dieser Not auf Christus. Wir vertrauen auf seine Vergebung, seine Versöhnung, auf seinen Frieden. Christus hat Frieden geschaffen zwischen Gott und Mensch. Menschen, die Gott auf ihrer Seite wissen, müssen nicht mit allen Mitteln für sich selber kämpfen.

Der Glaube kann eine innere Gewissheit geben, einen inneren Halt, der leichter fähig macht zum Frieden, so sehr wir immer auch fehlbare Menschen bleiben. Der Glaube ist eine Kraft der Versöhnung über Grenzen hinweg. So können Christen Menschen der Versöhnung sein, wo immer Streit herrscht.

Darum soll diese Predigt zum Frieden enden in der Ermutigung zum Vertrauen auf Christus. Er ist unser Friede (Eph 2,14)! Er hat uns einen Frieden verheißen, der tiefer reicht als menschlicher Friede. Bei Johannes sagt Jesus: Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch (Joh 14,27). Im Vertrauen auf ihn sind Christen gerufen und befähigt, Menschen des Friedens zu sein: Zum Frieden hat euch Gott berufen, so Paulus (1. Kor 7,15).

So lasst uns - in aller Bruchstückhaftigkeit - Menschen des Friedens sein, die einstehen für Versöhnung, für Gerechtigkeit, für Wege ohne Gewalt.

Der Glaube weiß: Hass und Gewalt, Unrecht und Vertreibung werden nicht das letzte Wort behalten. Er, der Überwinder, der Erlöser, stärkt uns, Botschafter und Akteure des Friedens zu sein. Denn Er ist unser Friede.

Und so ende ich mit einer Bitte des Paulus: Er aber, der Herr des Friedens, gebe euch Frieden allezeit und auf alle Weise (2. Thess 3,16)
Amen.

1. Zitiert nach: Anneus Buismann, Der Erste Weltkrieg im Spiegel des Hannoverschen Pfarrvereinsblatts, in: Hannoversches Pfarrvereinsblatt 119, 1/2014, 20-25, hier 21.

2. Ernst Jünger, In Stahlgewittern, Stuttgart 261961, 11

3. Martin Greschat, Der erste Weltkrieg und die Christenheit. Ein globaler Überblick, Stuttgart 2013, 23f.

4. FAZ vom 6.10.2014, 13.