Predigt zum 225-jährigen Jubiläum der Kirche in Grasberg

Predigt am 22. Juni 2014 über 1. Kön 8

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Festgemeinde,
225 Jahre Kirche auf dem Grasberg. Neun Meter über Normal Null steht sie hier – nicht eben viel - und doch ein weithin sichtbares Zeichen.

Heute hat sie sich, wie wir alle, festlich geschmückt. Meine herzlichsten Glück- und Segenswünsche für Sie hier in der Gemeinde Grasberg! Und auch für die Ortschaft Huxfeld, die im selben Jahr gegründet wurde, was wir nachher begehen können.

225 Jahre Kirche auf dem Grasberge. 1789, während anderswo in Europa die Welt ins Wanken geriet, während sich in der Fran-zösischen Revolution eine völlig neue Zeit ankündigte, kam hier in Grasberg der beinahe achtzigjährige Generalsuperintendent Pratje aus Stade angereist und weihte die Kirche ein.

Die Kirche hat ja einen berühmten Erbauer, den Moorkommissar Jürgen Christian Findorff, der das Moor urbar gemacht hat und für viele Menschen eine zunächst sehr bescheidene, aber doch zuverlässige Existenzgrundlage geschaffen hat. Er hatte, wie wir heute sagen, ein beeindruckend ganzheitliches Bild vom Menschen. Er kümmerte sich bis in die Details um Häuser und Kanäle, um Landwirtschaft und Torfabbau. Die ersten Siedler für die neuen Hofstellen suchte er persönlich aus, „Säufer, Prozessgänger und Arbeitsscheue“ hatten keine Chance – es war ja doch eine verflixt harte Aufgabe, der sich die Menschen zu stellen hatten. Aber Findorff sah eben auch den Menschen als Ganzes. Um Enzelne soll er sich in großer persönlicher Anteilnahme gekümmert haben. Und er baute eben auch Kirchen, weil das zwingend dazu gehörte für eine Heimat der Menschen. Sogar an der Auswahl der Pastoren beteiligte sich Findorff. Die Kirchen von Worpswede, Gnarrenburg und eben Grasberg verdanken wir ihm.

Die Kirche in Gnarrenburg trägt die schöne Widmung „Gloria in desertis deo“, „Ehre sei Gott in der Einöde.“ So war das damals hier, man kann nur ahnen, wie unglaublich hart unsere Vorfahren dem Moor den Lebensraum abgerungen haben – und auch den Bau einer solchen Kirche. Umso dankbarer können wir im Gedenken an unsere Vorfahren heute Jubiläum feiern.

Für Grasberg wurde besonders wichtig, dass Jürgen Christian Findorff Orgeln in den Kirchen für unverzichtbar hielt. Zitat: „Zu den Notwendigkeiten bei einem Kirchbau rechne ich die Anschaffung einer Orgel, ohne welche der Gesang, der ein erheblicher Theil der öffentlichen Gottesdienste ist, gemeiniglich sonderlich bei Landgemeinden auf eine recht erbärmliche Art und Weise geführt zu werden pflegt" Das ist heute in Grasberg natürlich ganz anders. Aber es war eben doch eine wunderbare Fügung, dass man damals an ein günstiges Gebrauchtinstrument herankam aus einem Waisenhaus in Hamburg, das geschlossen wurde – und so kam Grasberg an seine wunderbare Orgel von Arp Schnitger, die heute eine weit überregionale Bedeutung hat.

4000 Menschen waren angeblich ja zur Einweihung gekommen – auch darin sieht man die überragende Bedeutung. Da reichte die Kirche doch nicht aus, die für immerhin 1200 Menschen gebaut ist. Und damit es sich lohnte, gab es insgesamt vier Predigten – keine Sorge, da müssen Sie heute nicht durch. Eine der Predigten ging über das Gebet des Königs Salomo bei der Einweihung des Tempels in Jerusalem. Der Tempel in Jerusalem, bis heute ein Urbild jedes Gotteshauses, stand Pate bei der Einweihung. Ich lese Auszüge aus 1. Könige 8:

Salomo spricht: Und Salomo trat vor den Altar des HERRN ange-sichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen.
Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, damit du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir: Lass deine Augen offen stehen über diesem Hause Nacht und Tag, über der Stätte, von der du gesagt hast: Da soll mein Name sein. Du wollest hören das Gebet, das dein Knecht an dieser Stätte betet. …
Und als Salomo dies Gebet und Flehen vor dem HERRN vollendet hatte, stand er auf und trat hin und segnete die ganze Gemeinde Israel mit lauter Stimme und sprach: Gelobet sei der HERR, der seinem Volk Israel Ruhe gegeben hat, wie er es zugesagt hat. Der HERR, unser Gott, sei mit uns, wie er mit unsern Vätern gewesen ist. Er verlasse uns nicht und ziehe die Hand nicht ab von uns. Mögen diese Worte, die ich vor dem HERRN gefleht habe, nahe sein dem HERRN, unserm Gott, Tag und Nacht, dass er Recht schaffe seinem Volk Israel alle Tage, damit alle Völker auf Erden erkennen, dass der HERR Gott ist und sonst keiner mehr!


Dass der Herr Gott ist und sonst keiner mehr! Salomo zitiert hier das Glaubensbekenntnis des Volkes Israel, das übrigens der reguläre Predigttext für diesen Sonntag ist: Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein. Der Herr ist Gott und sonst keiner mehr. Dafür steht der Tempel. Dafür steht diese Kirche. Darauf weist schon ihre Widmung. Geweiht „Gott dem Schöpfer“ („sacrum deo creatori“). Ein Bekenntnis in nur drei Worten, mehr braucht es nicht: Es ist der eine Gott, Schöpfer des Himmels und der Erde, der hier angebetet wird.

Warum war die Kirche damals so wichtig? Ja nicht nur, weil der Weg zu den anderen Kirchen in Lilienthal, Worpswede oder Ottersberg so weit war. Sondern weil die Kirche eine wichtige, eine unverzichtbare Dimension des Lebens zum Ausdruck brachte. Dem Schöpfer zu Ehren wurde diese Kirche errichtet.

Geht man hinaus aus der Kirche und dem Dorf, so steht man ja in der herrlichsten Schöpfung, in dem berühmten „magischen Licht“, das dann auch die Künstler anzog. An wie vielen Punkten lohnt es sich, im Teufelsmoor stehen zu bleiben, im „bewundernden Anschauen der Natur“, wie es der Maler Fritz Mackensen ausgedrückt hat: „Im bewundernden Anschauen“ sich ansprechen lassen von der Pracht und Macht der Schöpfung. Das kann man hier gut. Die Kirche erinnert daran, dass hinter dem allen der Schöpfer steht, der mit Kreativität und Liebe dies alles hervorgebracht hat.

Wozu ist das wichtig, eine Kirche, die an Gott den Schöpfer erinnert? Einmal, weil sie daran erinnert: Die Natur gehört nicht uns. Sie ist Schöpfung Gottes. Die Natur ist nicht einfach Masse zu unserer Verfügung. Wir wissen, wie sehr die Menschen in 225 Jahren gelernt haben, die Natur zu beherrschen, in einem grandiosen Siegeszug von Naturwissenschaft und Technik. Das hat einen unglaublichen Fortschritt an Wohlstand und Lebensqualität gebracht, nicht von Ferne hätten die Vorfahren im Moor sich das vorstellen können, von denen allzu viele im Kindesalter oder sehr früh starben. Was kann die Medizin, was kann die Technik heute! Es gibt keinen Grund zu einer romantisierenden Pauschalkritik an Naturwissenschaft und Technik, ich halte auch sie für eine gute Gabe Gottes des Schöpfers.

Aber wie mit allen Gaben muss man auch mit ihnen verantwortlich umgehen. Um die gewaltigen Gefährdungen wissen wir alle. Wir sind verpflichtet zu einem behutsamen und nachhaltigen Umgang mit der Natur. Sie ist uns anvertraut vom Schöpfer. Die Erinnerung an den Schöpfer erinnert an Grenzen, die wir einzuhalten haben, etwa in der medizinischen Verfügung über Leben. Wir sind Geschöpfe und nicht Gott.

Ein weiteres: Die Gott dem Herrn gewidmete Kirche erinnert daran, wer die Macht hat: der HERR ist Gott und sonst keiner mehr! Damals, zu Zeiten von Findorff, müssen die Menschen dem Moor mit großer Ehrfurcht und großem Respekt gegenüber gestanden haben. Weite, Nebel, Lichter und Irrlichter: Zahlreiche Geschichten und Legenden von Geistern, Kobolden und dunklen Kräften rankten sich um das Moor. Es ist ja kein Zufall, dass es den Namen Teufelsmoor trug. Ein unheimlicher Ort war das auch.

Gott dem Schöpfer geweiht. Diese Kirche war und ist ein Zeichen gegen alle dunklen Mächte. Neun Meter über NN wurde damit ein Zeichen aufgerichtet: Es gibt zwar viele Kräfte und Mächte in der Welt, aber es gibt nur einen Gott, der alle überragt und der Herr ist über alle anderen Mächte. Der eine Gott, der uns in Christus nahe gekommen ist und uns unendlich liebt. Nur ihm gilt es zu gehorchen und zu vertrauen. So überragt das Bekenntnis zu dem einen Gott der Liebe das dunkelhell leuchtende Moor, so steht es als Verheißung hoch über den Gräbern des Friedhofs.

Natürlich leben wir heute in aufgeklärten Zeiten, die düsteren Geschichten von Geistern und Dämonen, mit denen die Menschen hier einst lebten, bergen für uns heute höchstens noch Gruselpotential für kinderschöne Abendstunden. Aber Mächte, die über Menschen herrschen, gibt es noch immer. Mächte der Angst, der Sorge zu versagen, des Schreckens vor der Einsamkeit. Dämonen des Leistungsdrucks, die Menschen quälen. Teufel, die Zwietracht in Familien sähen und dazu führen, dass Angehörige nicht mehr miteinander reden. Irrlichter, die uns auf Wege führen, von denen wir doch ahnen, dass sie falsch sind, dass sie dem Leben nicht gut tun. Kobolde, die uns die Angst um uns selber einflüstern und uns vorgaukeln, wir müssten immer zuerst an uns selbst denken, anderen müssten wir mit Vorsicht begegnen, Flüchtlingen zum Beispiel und Migranten. Geister schließlich, die uns den Glauben schwer machen und die fröhliche Zuversicht der Kinder Gottes nehmen wollen.

Unsere angeblich so herrlich aufgeklärte Welt ist voller Geister und Dämonen. Und deshalb ist und bleibt die Kirche ein unverzichtbares Zeichen. Es gibt nur einen Gott, dem wir vertrauen sollen, nichts anderes darf einen letzten Anspruch auf unser Leben haben. Selbst Menschen, die mit dem Glauben für sich nichts anfangen können, müssen ein Interesse daran haben, dass die Stelle Gottes nicht von anderen angenommen wird, von Menschen oder Ideologien – der Letztanspruch von Menschen über Menschen hat immer zur Inhumanität geführt.

Die Kirche auf dem Grasberge erhebt sich nicht nur neun Meter über NN, sondern hebt unsere Seele über alles drum herum hinaus. Weil es nur den einen Gott für uns gibt, können wir uns losreißen von allem, was uns beherrschen will – und Gott allein singen und anbeten.

Braucht man dafür eine Kirche? Schon Salomo hat in seinem Gebet zur Tempelweihe so gefragt: „… sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun,…“ Keine Frage: Gott ist größer als alle Häuser, und seine Gegen-wart ist nicht an ein Gebäude gebunden. So ist es theologisch richtig, gerade für uns Protestanten, dass vor Gott erst einmal alle Räume, Zeiten und Orte gleich sind. Es gibt keine aus sich heraus heiligen Räume. Und doch: Kirchen sind besondere Räume. Sie sind nicht in sich heilige Räume, aber es sind Räume, die uns zum Glauben helfen.

Ein jüdischer Rabbi hat das einmal sehr anschaulich über seine Heilige Stadt Jerusalem gesagt: Selbstverständlich ist Gott überall gegenwärtig. Aber mit ihm ist es wie mit dem menschlichen Puls. Der ist auch überall, aber man fühlt ihn deutlicher an besonderen Stellen.

Man fühlt ihn deutlicher an besonderen Stellen. Unsere Kirchenräume, diese Kirche auf dem Grasberge ist mehr und ist anderes als normale Räumlichkeit. Unser christlicher Glaube gründet nicht auf Äußerlichkeiten, aber ohne Äußerlichkeit kann er auch nicht gedeihen. Wir bauen unseren Glauben nicht nur von innen – vom Herzen, von der Seele – nach außen, sondern Herz, Seele und Glauben werden auch von außen her auferbaut.

Kirchen sind durchbetete Räume. Seit 225 feiern Menschen hier Gottesdienste, haben Gemeinschaft mit Christus und miteinander in der Feier des Abendmahls, begehen die hohen Feiertage, hören den Konzerten zu. HIer begehen Menschen Geburt und Tod, bringen Menschen ihre Freude wie ihr Leiden, ihre Sehnsüchte und ihre Angst im Gebet vor Gott, loben Gott oder ringen auch mit Gott. Diese Kirche ist ein Haus, in dem der Glaube Gestalt gefunden hat. Diese Kirche erzählt vom Glauben. Fulbert Steffensky, der feinfühlige evangelische Theologe katholischer Herkunft, sagt: Eine Kirche ist nicht schon dann eine Kirche, wenn sie fertig gestellt und eingeweiht ist. Eine Kirche wird eine Kirche mit jedem Kind, das darin getauft ist; mit jedem Gebet, das darin gesprochen wird, und mit jedem Toten, der darin beweint wird. Sie ist kein Kraftort, aber sie wird ein Kraftort, indem sie Menschen heiligen mit ihren Tränen und mit ihrem Jubel.

So ist die Kirche ein Ort, in dem Menschen eine Heimat für ihren Glauben finden. Und für alle ist die Kirche mit ihrem Turm ein stiller, aber beharrlicher Hinweis auf den Himmel. Die Kirche hat eine Symbolsprache, die auf den einen Gott weist, den Schöpfer, der stärker ist als andere Mächte.

Dafür steht die Kirche auf dem Grasberge, neun Meter über NN. Ein solches Zeichen möge sie auch in Zukunft sein. Ein Zeichen der Gegenwart des einen dreieinigen Gottes. Eine Einladung, ihm zu vertrauen und daraus Zuversicht und innere Stärke zu gewinnen. Mit der Bitte um seinen Segen für Sie alle, wie sie Salomo in seinem Gebet sprach, möchte ich schließen: Der HERR, unser Gott, sei mit uns, wie er mit unsern Vätern gewesen ist. Er verlasse uns nicht und ziehe die Hand nicht ab von uns.
Amen.