Predigt zur Eröffnung der hannoverschen Synode November 2022

22. November 2022, Offenbarung 3, 14-22
Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Für die Predigt schaue ich schon einmal nach vorn, auf den Predigttext für den kommenden 1. Advent. Es ist eines der Sendschreiben aus der Offenbarung des Johannes.

Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes: 15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach dass du kalt oder warm wärest! 16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. 17 Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts! und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. 18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest. 19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße! 20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir. 21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron. 22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde,

„Du bist zum Kotzen.“ Einen Workshop in kirchenleitender Sprache hat der Verfasser der Johannesoffenbarung erkennbar nicht gemacht. Sonst hätte er gesagt: „Ich bin irritiert darüber, dass Du manchmal etwas unklar bist.“ Oder auch: „Ich würde mir wünschen, dass Du etwas deutlicher kalt oder warm erkennbar bist.“

Aber nein: Du bist lau und weder kalt noch warm, ich werde dich ausspeien aus meinem Munde. Wörtlich steht da im Griechischen. „Du bist zum Kotzen.“ Schöne Bescherung, so zum Synodenauftakt nach dem Mittagessen.

Was fangen wir damit an? Warm und kalt wäre gut, lau ist schlecht. Das erinnert an das, was Herbert Wehner mal geringschätzig über Willy Brandt gesagt hat. „Der Herr badet gern lau.“ Was fangen wir an damit, in unserer hannoverschen Kirche, die doch bekannt ist für ihr mildes Luthertum. Immerhin nannte Gerhard Uhlhorn, von dem das Wort stammt, das Klima in unserer Kirche als „ein bestimmtes und klares, aber mildes und jedem Extrem abholdes Luthertum". Mild ist dann doch hoffentlich etwas anderes als lau, nämlich „bestimmt und klar“.

Laodicea ist damals eine große und wohlhabende Stadt. Eine Stadt der Banken und Handelshäuser, reich und bedeutend, so wie heute Frankfurt oder Zürich. Die Textilherstellung ist berühmt, medizinisch ist man ganz vorn, besonders die Augenheilkunde ist auf hohem Niveau. Man ist wer, und man weiß das. Als die Stadt im Jahr 61 durch ein Erdbeben schwer beschädigt wird, bietet Rom Hilfe an. Aber man lehnt ab: Man komme schon allein zu recht. Und Laodicea schafft es auch.

Die christliche Gemeinde dort hat ganz Anteil am Selbstbewusstsein der Stadt. Sie halten sich für eine gute und lebendige Gemeinde. Und die kriegen vom Verfasser der Johannes-Apokalypse aber mal so richtig einen eingeschenkt. Von allen sieben Rundschreiben an Gemeinden ist es deutlich das Kritischste. Du sprichst: Ich bin reich und habe mehr als genug und brauche nichts! und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß. Euer Christentum ist zum Kotzen. Ihr laviert herum zwischen Christus und Kaiserkult, lau, lasch. Ihr habt es zu etwas gebracht, aber ihr habt Gott vergessen. Ihr seid stolz auf eure Textilindustrie. Aber schaut euch an, ihr seid in Wahrheit nackt, lasst euch doch endlich von Christus weiße Kleider anziehen. Ihr seid stolz auf eure Augenheilkunde. Aber ihr seid in Wahrheit blind, lasst euch im Glauben Augensalbe schenken, die euch wirklich Gott und den Nächsten sehen lässt.

Eine harte Bußpredigt: So sei nun eifrig und tue Buße! Bei der Perikopenrevision ist dieser Predigttext vom Buß- und Bettag zum 1. Advent gewandert. Harte Christentumskritik: Christentum zum Ausspeien.

Ist uns das fremd? Leider wohl nicht. Nur nicht aus der Bibel, sondern aus der Zeitung. Aus den Diskussionen dieser Tage. Auch wenn es weh tut, das so hart zu formulieren. Es gibt derzeit nicht so wenige Menschen, die finden christliche Kirche zum Kotzen. Die Missbrauchsskandale sind schrecklich und Konfessionsunterschiede ändern daran gar nichts. Die Austritte sind auf Rekordniveau, der Mitgliederschwund auch. Auch sonst sind die Zeiten nicht leicht. Die Nachfrage nach den vertrauten christlichen Amtshandlungen ist stark zurückgegangen, das Mitfeiern bei normalen Gottesdiensten nach Corona auch nochmal. Die Zahl derer, die das Theologiestudium beginnen, ist im zweiten Jahr in Folge erschreckend niedrig.

Christentumskritik in Laodicea. Ich befürchte, unsere Kirche kann sich da erschreckend gut reindenken. Vielleicht mit einem Unterschied. Damals hielt die Gemeinde sich offenbar für ziemlich klasse. Deutliche Selbstüberschätzung. Ein überhöhtes Selbstbild. Ist das unser Problem? Das nun vielleicht eher nicht. Ich erlebe viele, die doch ziemlich kleinmütig sind oder müde. Die Unerfreulichkeiten, die ich eben aufgezählt habe, gehen ja nicht spurlos an uns Leuten in der Kirche vorbei. Das schlägt schon manchmal aufs Gemüt, ja, das wird auch zur geistlichen Anfechtung. Wir geben uns doch alle redlich Mühe – und sehen scheinbar so wenig Früchte – so sehr es die auch gibt.

Nein, Selbstüberschätzung ist es eher nicht. Vielleicht ist unser Problem mehr, dass wir in unserem Apparat so weitermachen, als sei doch alles ziemlich in Ordnung. Wir befassen uns mit dem, was halt dran ist, das gilt für meinen Terminkalender ebenso wie für unsere Routine-Sitzungen wie für die Tagesordnung der Landessynode. Business as usual – was sollen wir denn auch machen? Aber kann es sein, dass wir an unseren Kleidern ein bisschen herumzuppeln und ein paar Flecken entfernen, und wir merken gar nicht, dass wir für manche schlicht nackt sind? Sorry, aber wenn man Offenbarung 3 ernst nimmt, kommt man an harten Fragen nicht vorbei. Der verstorbene Soziologe Ulrich Beck (der mit der Risikogesellschaft) hat in einem nachgelassenen Buch „Die Metamorphose der Welt“ dargelegt, dass Institutionen in Übergangsituationen ein spezifisches Problem haben: Sie funktionieren hervorragend in ihrem gewohnten Setting, in ihrem alten Bezugsrahmen. Aber sie sind nicht mehr tauglich, wenn es um grundlegend neue Veränderungen geht. Da versagen sie schlicht. Es sei typisch für Institutionen in Metamorphosen, dass sie gleichzeitig funktionieren und versagen. Kann es sein, dass unsere Kirchen an genau diesem Problem Anteil haben, sofern sie noch wie Institutionen funktionieren - und nicht längst schon auf andere Weise, als Organisation oder auch als Bewegung? An diesen Stellen müssten wir uns dann auch sagen lassen: Du sprichst: Ich bin reich und habe einen ganz ordentlichen Haushalt und die Tagesordnungen meiner Sitzungen sind gut gefüllt, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist.

Am meisten im Ohr geblieben ist mir das Wort: Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.

Das ist die große Zusage an die bedrängte und angefochtene und oft auch so wenig überzeugende Gemeinde und Kirche. Ich stehe vor der Tür und klopfe an und will Gemeinschaft mit dir. Gerade in deiner Schwäche. Da steht kein Richter, keiner der die Schwächen unbarmherzig vorführt. Sondern da steht Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, Gottes Liebe in Person. Er will herein zu uns.

Das ist für mich das Evangelium, die frohe, ermutigende Botschaft in diesem sonst harten biblischen Wort und in dieser nicht so leichten Situation für unsere Kirche. Christus klopft an und möchte Gemeinschaft mit uns. Wir feiern sie gleich im Abendmahl. Er klopft gerade bei der Gemeinde an, der vorher so kräftig der Kopf gewaschen worden ist. Mieser Zustand ist nichts, auf dem man sich ausruhen soll, aber es ist schon lange kein Grund, dass Christus nicht anklopft. Ganz im Gegenteil.

Wir machen uns derzeit viele Gedanken über die Zukunft. Wir wissen, dass große Metamorphosen anstehen, und wir wollen von weither dafür Ideen einsammeln – die Beteiligungsplattform ist geöffnet. Ich bin sehr gespannt darauf. Es wäre zu banal zu fragen: Wie kommt Christus selbst eigentlich auf die Plattform, wie soll er sich registrieren, wenn er anklopft, wo ist seine Kachel? Das ist zu simpel. Ich glaube, es macht viel mehr Sinn, dass wir bei allen Inspirationen und Werkräumen und KonKreationen immer die Frage mitführen: Durch welche dieser Ideen, auf welche Weise klopft Christus an? Wie kann er neu Raum gewinnen? Wie kann er durch alle Ideen aufs Neue in unsere Kirche hineinkommen und neu zu den Menschen? Wenn das gelingt, dass im Zukunftsprozess Christus anklopft und wir einige Punkte finden, wo wir neu „Herein“ rufen und ihm Raum schaffen, dann ist viel gewonnen.

Der tschechische Priester und Theologe Tomáš Halík hat während der Corona-Zeit an ein Wort erinnert, das Papst Franziskus am Vorabend seiner Wahl zum Papst gesprochen hat: Christus steht an der Tür und klopft an. Heute jedoch – fügte Kardinal Bergoglio hinzu – klopft Jesus von innen an die Kirchentür und will hinausgehen – und wir müssen ihm folgen. Tomáš Halík führt das weiter: „Ich verstehe dieses Bild als eine mutige Aufforderung, die bisherigen institutionellen und mentalen Grenzen des Christentums zu überschreiten, aus dem christlichen Glauben einen wirklichen Sauerteig der Welt zu machen, eine geistliche Lebenskraft der Globalisierung, ein universales Angebot und eine inspirierende Vision. Ist das gegenwärtige Christentum bereit, diesen Schritt zu tun, hat es dazu genug Mut und Vitalität?“

Ja, das ist eine große Frage, wie wir mit unserer Botschaft aufs Neue zu den Menschen kommen, in den Sozialraum, ins Gemeinwesen. Ich finde gut, dass wir das zurzeit so stark bedenken. Es ist doch ein starkes Bild dafür: Christus klopft an die Kirchentür und will hinausgehen. Gehen wir mit!

Und doch, ein wenig Vorsicht empfinde ich auch. Christus will raus? Bin ich mir denn so sicher, dass er schon drin ist? Könnte das nicht gerade unsere Versuchung sein, unsere Fehleinschätzung à la Laodicea, dass wir uns zu sicher sind, dass Christus immer schon drin ist? Klar: Wir machen doch seit 2000 Jahren nichts Anderes und seit 1517 allemal. Aber kann es nicht auch sein, dass Christus längst nicht mehr so selbstverständlich drin ist in allem geschäftigen Treiben? Ich entdecke bei mir immer wieder Räume, wo er schon länger nicht mehr war, und Worte, in denen er zu wenig eine Rolle spielt. Und ich entdecke das in unserer Kirche auch sonst.

Christus steht vor der Tür und möchte herein. Und er klopft sogar. Wer klopft, der will nicht überrumpeln. Wer klopft, der will nicht beschämen und jemanden in ungünstiger Situation erwischen. Wer klopft, der bittet um Einlass. Christus bittet. Und wer klopft, wartet auf Antwort. Lasst uns diese Adventszeit aufs Neue als eine Zeit der Antwort nutzen. Und diese Tage der Synode auch.

Amen.