Predigt zur Einweihung des Kloster Neuenwalde

Mt 7,24-27, 12. Oktober 2014

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
wie von einer Riesenhand hin gewürfelt sehen sie aus. Gewaltige Betonblöcke, groß wie halbe Häuser, sinnlos im Sand liegend, vergessen und aus der Zeit gefallen. Reste von Bunkern sind es. Den Atlantikwall bildeten sie im II. Weltkrieg an der dänischen Nordseeküste. Heute liegen sie wie Mahnmale im Sand. Mancher wird sie kennen, der am jütländischen Nordseestrand spazieren ging. 5.000 Bunker hat Nazideutschland allein entlang der dänischen Küste gebaut. An den Irrsinn einer barbarischen Ideologie erinnern sie. Sie hatten so wenig Bestand wie die Bunker, die sie verteidigen sollten. Buchstäblich auf Sand gebaut waren beide, die Bunker wie die Weltanschauung. Die Zeit hat sie weggeschwemmt, Wellen haben sie unterspült, Sand und Wind sie unbrauchbar gemacht.

An dieses Bild erinnert mich der Predigttext für heute: Matthäus 7,24-27:
Jesus spricht: Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Ein komplettes Gegenbild zu den auf Sand gebauten Bunkern haben wir heute vor Augen. Unser Kloster Neuenwalde steht hier fest gegründet seit vielen Jahrhunderten. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass es zuvor, 1219 in Midlum und 1282 in Altenwalde auf Sand gebaut war. Aber im Jahr 1334 hat man hier in „Nigenwolde“ soliden Grund gefunden, denn das Kloster existiert an dieser Stelle nun seit genau 680 Jahren. Manches musste es aushalten in diesen Jahrhunderten. Die Wellen der nahen Nordsee kommen zwar nicht bis hierher, aber immer wieder gab es Fluten von Angriffen und Übergriffen gegen das Kloster, etwa im Spätmittelalter. Etwas anderes war der Sturm der Reformation, dem eine tapfere Priorin sich lange widersetzte, bis das Kloster dann doch evangelisch wurde, nachdem der frische Wind der Wiederentdeckung des Evangeliums längst die ganze Region verändert hatte. Das furchtbare Gewitter des Dreißigjährigen Krieges hat die Gründung des Klosters auf eine harte Probe gestellt, mehr noch der große Brand im Jahr 1629. Dann kamen wechselnde Stürme in der Schwedenzeit, bis das Kloster 1683 in den Besitz der Bremischen Ritterschaft kam, die dankenswerterweise seither dazu beiträgt, dass das Kloster auf seinem festem Grund fest stehen bleibt, trotz manchem Platzregen, etwa während der Zeit Napoleons, als das Kloster für einige Jahre aufgehoben war. Das Kloster steht und lebt bis heute. Wie wunderbar erstrahlt es heute! Auch für ein Haus auf festem Grund ist ein solider Hausherr ein Segen.

Ein Haus, das auf festem Grund gebaut ist, erlebt Veränderungen. Gerade auf einem festen Fundament kann es ihnen gut Stand halten. Das hat das Kloster Neuenwalde immer wieder gezeigt. Aus dem Nonnenkloster der Benediktinerinnen ist ein evangelisches Damenstift geworden, lange nur für „adeliche Jungfrauen“, später auch für nichtadelige Damen. Gegründet war das Kloster „zum Gedächtnis für die Seelen nicht nur unserer lebenden Landsleute, sondern auch der Vorfahren und unserer Nachkommen“, damals meinte man im Kloster etwas für sein Seelenheil zu tun, praktischerweise auch noch generationsübergreifend. Damit war mit der Reformation Schluss: In das Kloster zog die Gewissheit ein, dass wir den festen Grund unseres Lebens nicht in unserem Tun haben, unserer Leistung, unserer Frömmigkeit, sondern allein in Gottes Gnade.

Mit diesem Tag beginnt wiederum Neues auf dem alten Grund. Und ich freue mich sehr darüber. Das Kloster wird verbunden mit dem Evangelischen Bildungszentrum Bad Bederkesa, es wird ein Ort der Bildung, des Dialogs, der Reflexion. Ein besonderer Ort wird es sein für das Bildungszentrum, an dem eine andere Form des Gesprächs, der Bildung, der Selbstbesinnung möglich werden soll.

Damit beginnt etwas Neues im Kloster, das zugleich an das Alte anschließt, an die ureigenste Bestimmung eines Klosters: Ein Ort der Besinnung zu sein, der Distanz zum Alltag der Welt schafft, ein Ort der Spiritualität. Solche Orte haben auch in unserer evangelischen Kirche in den letzten Jahrzehnten sehr an Bedeutung und Anziehungskraft gewonnen, ganz besonders auch Klöster.

Kloster auf Zeit, Oasentage, Urlaub im Kloster oder evangelische Exerzitien, das alles erfreut sich großer Beliebtheit. „Spiritualität in Klöstern boomt“, so schrieb vor einiger Zeit der SPIEGEL. Vielleicht haben wir Protestanten zu lange und zu stark auf den Verstand und das nüchterne Wort gesetzt und die Dimension sinnlich erfahrbarer Spiritualität vernachlässigt. Danach aber gibt es eine große Sehnsucht. Im Kloster hat diese Sehnsucht einen Ort. „Alles beginnt mit der Sehnsucht“, sagt Nelly Sachs.

Wir haben in Niedersachsen einen Schatz an evangelischen Klöstern, die oft eine große Ausstrahlung haben. Ich freue mich sehr, dass das Kloster Neuenwalde, das einzige erhaltene evangelische Kloster im Elbe-Weser- Raum, nun seine neue, seine neue alte Bestimmung aufnimmt. Ich freue mich auf einen Ort spiritueller Ausstrahlung für den Sprengel und darauf, dass Neuenwalde einen Ton in das Konzert der Klöster einbringen wird, den es noch nicht gibt. Ein Kloster als Außen-Ort einer renommierten und bestens vernetzten kirchlichen Bildungseinrichtung, das ist etwas ganz Neues.

Wenn wir heute dieses Neue beginnen, dann ist das ein Tag des Dankes. Dank an alle, die dies möglich gemacht haben, zuförderst der Ritterschaft und ihrem Präsidenten, lieber Herr von Reden–Lütcken: Dank für Ihr Engagement und auch Ihr Vertrauen in die Kooperationspartner. Wenn wir hier Neues beginnen, gilt der Dank auch allen, die vor uns gebaut und gewirkt haben in diesem Haus: Denen, die es erbauten und immer wieder neu bauten in allen den Stürmen und Platzregen.

Dank gilt denen, die das Kloster gefüllt haben mit ihrem Leben, ihrem Gesang, ihren Gebeten. Das alles klingt fort in den Räumen des Klosters und der Kirche, und gerade das macht diesen Ort zu einem besonderen Ort: Es sind mit Gesang und Gebet erfüllte Mauern. Dank gilt auch denen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten das Kloster bewohnt und mit Leben gefüllt haben, den Damen, die mit Liebe und Engagement das Kloster vielen nahe gebracht haben. Sie gehören zum Kloster, es ist selbstverständlich, dass Sie weiter in großem Respekt und guter Nachbarschaft hier ihren Ort haben.

Schließlich: Der Dank an diesem Tag richtet sich zuerst und zuletzt an Gott, der Grund und Fundament unseres Lebens ist und auch dieses Kloster bis heute erhalten und getragen hat. Gott ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz, so können wir dankbar sagen mit Psalm 62.

Ein Kloster ist ein Ort, an dem Antworten gesucht und gegeben werden. Vielleicht ist es heute vor allem ein Ort, an dem Fragen möglich sind, Fragen, die wir in der Hektik des Alltags kaum zulassen. Was ist mein Leben, wo stehe ich, wo will ich hin? Gibt es in all dem einen Grund, auf dem mein Lebenshaus sicher steht? Gibt es ein Fundament, eine Orientierung?

„Auf diese Steine können Sie bauen“ – die Werbung der Bausparkasse können wir alle mit pfeifen. Fürs Eigenheim mag das gelten. Aber worauf baue ich mein Lebenshaus, auf welche Steine kann ich da bauen? Was gibt Halt, wenn Stürme und Unwetter über das Lebenshaus hereinbrechen? Wenn einem unter den Füßen der Boden buchstäblich weggeschwemmt wird, auf dem er bisher stand? Wenn der Sturm einer Krise kommt in der Ehe, wenn ein Gewitter die Gesundheit tief ins Wanken bringt. Und wie schnell hat man durch eigene Fehler buchstäblich etwas „in den Sand“ gesetzt. Fällt unser ganzes Lebenshaus zusammen und es bleiben nur noch Ruinen auf dem Sand liegen? Oder ist da ein Fundament, das uns auch dann noch trägt?

Im Kloster Bursfelde an der Weser gibt es regelmäßige Kurse für Führungskräfte, etwa von VW und Mercedes. Benedict for Management heißt es dort – auch dort ein Benediktinerkloster. Eines der Themen lautet: Sich selber treu bleiben. Viele leben ja in hoher Geschwindigkeit und unter großem Veränderungsdruck, um auf der Karriereleiter nicht ins Stolpern zu geraten. Sie fragen: Wo bleibe ich da selbst? Wer bin ich eigentlich zwischen Firma und Fitnessclub, zwischen Familie und Verein, zwischen Freun-den und Fernweh? Ist modernes Leben nicht manchmal zersplittert in lauter Fragmente? Wie bleibt man sich da treu? Wo ist da ein roter Faden? Wo ist Grund und Halt in all den Veränderungen? Im Kloster öffnen sich ganz säkulare, mit der Kirche nicht vertraute Menschen auf solche Fragen hin sehr schnell, und nehmen auch die Tagesrituale an, wie man Andachten dort etwas neutraler nennt. Übrigens bezahlen sie für drei Tage ohne mit der Wimper zu zucken 1.200 Euro.

Unser Kloster wird nicht einfach dasselbe machen. Aber auch dieses Kloster soll ein Ort der Besinnung sein, eine Oase der Entschleunigung, ein Ort der Stille auch, wo grund-legende Fragen Raum haben. Und wo in Erinnerung kommt, was Menschen im Glauben an den Gott der Bibel immer wieder erfahren haben: Gott ist mein Fels, meine Hilfe und mein Schutz, dass ich nicht fallen werde.

Martin Luther hat schön beschrieben, welchen Weg ein Ort der Stille für die Suche nach dem Fundament und nach Gott haben kann: „Gleichwie die Sonne in einem stillen Wasser gut zu sehen ist und es kräftig erwärmt, kann sie in einem bewegten, rauschenden Wasser nicht deutlich gesehen werden. Darum, willst du auch erleuchtet und warm werden durch das Evangelium, so gehe hin, wo du still sein und das Bild dir tief ins Herz fassen kannst, da wirst du finden Wunder über Wunder.“

Das Haus auf dem Felsen. Im griechischen steht für Haus das Wort oikia bzw. oikos. Das ist uns aus vielen Zusammenhängen vertraut: Ökumene, Ökonomie, Ökologie. Ein Haus ist ein Ort, an dem Gemeinschaft gelebt wird. Es geht nicht nur – so wichtig das ist – um unser persönliches Leben und den Halt dafür, sondern um unser Zusammenleben, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, mit der Natur - Themen, die unser Bildungszentrum besonders bearbeitet: Wo ist das tragende Fundament für unsere Gemeinschaft, für unsere Gesellschaft, für unser Land? Auf welchem Fundament steht unser gemeinsames Haus? Wir spüren deutlich, dass das, was unser Zusammenleben stärkt und begründet, gekräftigt werden muss. Vereinzelung gibt es viel, Eigeninteressen, die Zersplitterung wird größer. Wo gibt es einen gemeinsamen Grund, gemeinsame Werte? Ohne ein gemeinsames Fundament kann ein Haus nicht bestehen, es wird zusammenbrechen. In einer pluralen Gesellschaft ist dieses Fundament etwas, das immer wieder miteinander diskutiert und ausgehandelt werden muss. Aber ich bin überzeugt, dass wir als Christen dazu Wichtiges beizutragen haben und dass unsere Gesellschaft das dringend braucht. Dafür möge dieses Kloster ein Ort sein.

Der feste Felsgrund für das Haus. In dem Jesuswort ist das nichts anderes als das Wort Jesu. Wer diese meine Rede hört und tut sie, der hat auf Fels gebaut, sagt Jesus. Allein mit dem, was in den Worten der Bergpredigt Jesu gesammelt ist, lassen sich Seminare für ein paar Jahre machen: Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Kinder heißen. Mancher steile Anspruch Jesu ist in dieses Felsfundament eingemauert: Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen. Aber vor allem ist da auch ein großer Zuspruch: Selig sind die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden. Oder: Sorget nicht. Gott weiß, was ihr braucht.

Unser Lebenshaus ist nie fertig, sondern bleibt immer eine Baustelle. Irgendetwas ist immer zu renovieren und auszubessern. Manchmal ist nur Farbe über kaputte Stellen gemalt und man ist froh, dass andere nicht zu genau hinein schauen. Vielleicht träumt mancher auch von einem großen Umbau. Und ein anderer weiß nicht, ob das ganze Haus nicht zusammenbricht. In jedem Fall: Es ist nötig, auf ein festes Fundament bauen zu können. Diesen Grund will der Glaube legen, der auch dieses Kloster gegründet hat. Gott als Grund und Halt unseres Lebens, dafür steht das Kloster. Einen andern Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus.

Dieses Kloster möge ein Ort sein, der Menschen gute Antworten finden lässt nach dem Grund ihres Lebens und unserer Gemeinschaft. Dazu möge der seinen Segen geben, der Himmel und Erde gegründet hat und auch unser Leben trägt in Zeit und Ewigkeit.
Amen.