Predigt am 2. Weihnachtstag 2021 in der Stader St. Wilhadi-Kirche

Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Predigt über „Hört der Engel helle Lieder“

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

die Zeiten sind schwer. Ich habe mich für ein leichtes Lied entschieden. An den Weihnachtstagen lege ich jedes Jahr eines unserer Weihnachtslieder der Predigt zu Grunde. In diesem Jahr habe ich ausgewählt „Hört der Engel helle Lieder“. Das ist ein leichtes Lied, das einen hellen Glanz verbreitet. Kein komplizierter Text ist auszulegen. Ein Lied mit einer beschwingten Melodie und dem eingängigen Refrain: Gloria in excelsis deo: Ehre sei Gott in der Höhe.

Weil man diese Stimmung mit Worten unmöglich erzeugen kann, lassen Sie uns die erste Strophe singen: 54,1

Singen Strophe 1

Dieses schöne, beschwingte Weihnachtslied stammt aus Frankreich. Vermutlich ist es im 18. Jahrhundert entstanden, erstmals gedruckt findet man es 1842. Nach dem 2. Weltkrieg entstanden mehrere Übersetzungen bei uns in Deutschland. Die Fassung von Otto Abel, die in unserem Gesangbuch steht, wurde 1954 veröffentlicht in einem Buch mit „Europäischen Weihnachtsliedern“. Das kommt uns heute selbstverständlich vor, so kurz nach dem 2. Weltkrieg war es das aber gar nicht. Bis vor Kurzem hatten viele nur auf das Deutsche geschworen. Jetzt den Reichtum der Lieder anderer Länder auch bei uns fruchtbar zu machen, war schon in sich ein Zeichen von Versöhnung, 1954. Jedenfalls wurde das Lied in dieser Fassung mit drei Strophen so populär.

Der kurze Text führt uns mitten hinein in die Weihnachtsgeschichte. Er führt uns auf die Felder bei Bethlehem. Da, wo in der Nacht die Hirten ihre Herden hüten. Man soll sich das ja nicht zu idyllisch vorstellen. Das war kein Weihnachtsspiel, sondern harter Arbeitsalltag. Unsere Hirten heute haben ja zunehmend mit dem Wolf zu kämpfen – das war damals nicht anders. Und die ständige Gefahr durch Wölfe war beileibe nicht die einzige. Also, wir sind bei Leuten, die Mühen und Plackerei kennen. Und dass sie besonders religiös waren, ist auch nicht anzunehmen. Auch das also wie heute. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Wir sind mitten in der Weihnachtsgeschichte, in der Nacht, auf den Feldern bei Bethlehem. Im mühsamen Alltag – so wie bei uns auch.

Dann ist da ein Engel, der den Hirten erzählt von dem Kind, das geboren ist: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude; denn euch ist heute der Heiland geboren. Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln, in eine Krippe gelegt. Und dann kommen mehr Engel, ein großer Chor: Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens. So der Gesang der Engel. Genau darauf werden wir jetzt durch einen Sprecher, einen Boten hingewiesen. „Hört hin“, sagt er.

Hört, der Engel helle Lieder
klingen das weite Feld entlang,
und die Berge hallen wider
von des Himmels Lobgesang:
Gloria in excelsis Deo (Ehre sei Gott in der Höhe).

„Hört hin“! Offenbar kann man den Gesang der Engel überhören, wenn man nicht aufmerksam ist. Vielleicht sind unsere Ohren mit so vielem voll. Mit Nachrichten und Musik und Geräuschen. Wenn man nicht aufpasst, kann man den Gesang der Engel überhören: Aber wenn man hinhört, dann klingen der Engel helle Lieder das weite Feld hinab und hallen sogar von den Bergen wieder. Dann ist die ganze Welt ein weihnachtlicher Lobgesang. Das ist eine Einübung von Weihnachten: aus der Vielzahl der Geräusche und Melodien den Klang der Engel er-hören.

Was aber sollen die Hirten damit anfangen? Friede auf Erden? Sollen sie diesen Worten wirklich trauen? Längst geben sie nichts mehr auf große Parolen. Aber diese Stimmen, das Leuchten vor Augen und in den Herzen lässt sie die Arbeit unterbrechen und loslaufen. Was sie dann sehen, stellt alles auf den Kopf: Ein Kind zeigt ihnen Gott. Und sie begreifen irgendwie: So kommt Gott in die Welt, zu uns Menschen, mitten in unseren Alltag. Damit wir nie und nirgends gott-los sind.

Jedenfalls lassen sich die Hirten anstecken von dem Gesang der Engel. Das erfahren wir in der zweiten Strophe, in der wir in einen Dialog mit den Hirten eintreten: Hirten, warum wird gesungen? fragen wir.

Hirten, warum wird gesungen?
Sagt mir doch eures Jubels Grund!
Welch ein Sieg ward denn errungen,
den uns die Chöre machen kund?
Gloria in excelsis Deo.

Lassen Sie uns die 2. Strophe singen.

Singen Strophe 2

Jetzt singen die Hirten also auch. Sie jubeln. Sie haben sich anstecken lassen von der himmlischen Musik. All unser Gesang, all unsere Musik, all unsere irdischen Gottesdienste – sie sind ein Abbild der himmlischen Liturgie der Engel. Wenn wir singen, auch zu Weihnachten, lassen wir uns mitreißen von der Musik der Engel.

Die Hirten jedenfalls haben sich anstecken lassen, und zwar so begeistert, dass es nur ein Sieg sein kann, den man so besingt.

In der dritten Strophe geben die Hirten Antwort auf die Frage nach dem Warum:

Sie – (die Engel) - verkünden uns mit Schalle,
dass der Erlöser nun erschien,
dankbar singen sie heut alle
an diesem Fest und grüßen ihn.
Gloria in excelsis Deo.

Wir singen die 3. Strophe.

Singen Strophe 3

Dass der Erlöser nun erschien – die Hirten geben wieder, was der Engel ihnen gesagt hatte: euch ist heute der Heiland geboren. Ja, es ist ein Sieg, der Sieg Gottes über alle Mächte der Dunkelheit, alle Mächte, die das Leben schädigen möchten. Weil Gott selbst hineinkommt in das Dunkel des menschlichen Lebens. Diesen Sieg besingt einzigartig der Schlusschoral von Bachs Weihnachtsoratorium: Christus hat zerbrochen,
was euch zuwider war. Tod, Teufel, Sünd und Hölle sind ganz und gar geschwächt; bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.

Und dann vereinigt sich alles in dem großen Gesang: Gloria in excelsis deo. Darin läuft alles zusammen. Ehre sei Gott in der Höhe. Strahlend, jubelnd, immer wieder wiederholt. Das jubelnde Lob Gottes ist ein Grundklang von Weihnachten. Jauchzet, frohlocket!

Über dieses gloria in excelsis deo möchte ich noch einen Moment nachdenken. Warum ist es gut und richtig, Gott zu loben? Warum ist das so ein elementarer Ausdruck von Weihnachten, dass wir in das jubelnde Lob Gottes einstimmen? Darauf gebe ich fünf ganz kurze Antworten.

1. Wir danken Gott für das Wunder von Weihnachten. So wie schon die Hirten: dankbar singen sie heut alle an diesem Fest und grüßen ihn, den neugeborenen Sohn. Weihnachten feiern wir das Geschenk Gottes schlechthin. Was ist da natürlicher als zu danken. Ehre sei Gott in der Höhe.

2. Es ist gut, Gott zu loben, weil es uns daran erinnert, dass wir Menschen Geschöpfe sind. Wir haben unser Leben nicht aus uns selbst, es ist Geschenk. Indem wir Gott und nur Gott die Ehre geben, erinnern wir uns daran. Wir erinnern zugleich daran, dass wir selbst nicht Gott sind und nicht sein müssen. Diese Einsicht hat etwas sehr Befreiendes. Wir müssen uns unser Leben nicht verdienen und wir können es nicht. Es ist Geschenk. Jeder von uns ist unendlich mehr als die Summe der eigenen Leistungen und Fehlleistungen. Gerade dafür steht Weihnachten. Deshalb ist es gut, dass wir einmal von uns wegschauen, von unseren Leistungen und Anstrengungen und Fehlern. Genau das geschieht, wenn wir Gott loben. Wir lassen uns befreien, lassen von allzu viel Verkrampfung und dem ständigen Funktionieren-Müssen. Freisein vom Druck zu Leistung, von der reinen Zweckmäßigkeit. Dafür steht das Lob Gottes: Ehre sei Gott in der Höhe

3. So erinnert es uns auch daran, dass der Mensch nicht das letzte Maß aller Dinge ist. Wo Menschen zu viel Ehre erhalten, da wird es gefährlich, das haben wir in unserer Geschichte erlebt, wenn Menschen „Heil“ zugerufen wird. Diktaturen zeigen, wie unmenschlich es wird, wenn Menschen für sich die letzte Ehre verlangen. Nein, der Mensch darf nie die letzte Instanz über den Menschen sein. Daher ist das „Gott allein die Ehre“ eine heilsame Begrenzung für allen Anspruch von Menschen über Menschen. Das Lob Gottes begründet Humanität.

4. Das Lob Gottes steht gegen verbreiteten Pessimismus und miese Stimmung. Viele Menschen haben ja den Eindruck, es wird immer alles schlimmer. Den kann man derzeit vielleicht auch haben. Ich empfinde das manchmal auch. Es stimmt aber nicht. Soviel auch im Argen liegt, es gelingt eine Menge, es scheint doch, dass wir Menschen weniger oder bessere Fehler machen.

Es ist so schnell wie noch nie ein wirksamer und verträglicher Impfstoff gegen eine Pandemie erfunden worden – davon hätten viele Generation nur träumen können. Die Arbeitslosigkeit sinkt trotz Corona. Trotz der Pandemie ist die Lebenserwartung so hoch wie noch nie. Die Zahl der Verkehrstoten ist so niedrig wie nie. Auch die weltweite Kindersterblichkeit hat gottlob einen historischen Tiefststand erreicht, auch wenn es noch immer zu viele sind. Es ist auch nicht wahr, dass die Menschen immer egoistischer werden. Es wurde 2021 in Deutschland so viel gespendet wie noch nie – besonders für die Opfer der Flutkatastrophe. Man kann diese Liste fortsetzen.

Nein, es ist nicht alles gut. Aber es ist auch falsch, sich den Blick verstellen zu lassen auf das, was gelingt oder was uns geschenkt ist. Es ist schlicht undankbar. Und es lähmt. Der allgemeine Grauschleier tut uns nicht gut. Es ist viel besser, einen nüchternen Blick zu haben für Probleme und Herausforderungen, zugleich aber auch dankbar wahrzunehmen, was dank Gottes Hilfe möglich ist. Da ist das Lob Gottes ein gutes und heilsames Korrektiv. Es zieht uns weg von unserer Problemverliebtheit.

5. Damit hängt schließlich zusammen: Gott zu loben, tut uns gut. Besonders, wenn wir es singen. Musik, Singen verwandelt uns, Musik lässt es uns besser gehen. Das haben viele gespürt in den letzten Monaten, wenn man nicht singen durfte. Und: Durch das Singen, durch die Musik kann man noch einmal etwas ganz anderes und viel tiefer sagen als durch Worte. Musik erreicht uns viel tiefer als Gedanken. Deshalb ist es gut, wenn wir uns von den Engeln anstiften lassen und das Lob Gottes singen. Und deshalb ende ich die Worte und wir singen noch einmal das ganze Lied: Hört, der Engel helle Lieder

Amen