Predigt am 14. Sonntag nach Trinitatis

Gottesdienst am 21. September 2014 in der Stader St. Wilhadi-Kirche, 1. Thessalonicher 5, 14-24

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
heute im Anschluss an den Gottesdienst ist Gemeindeversammlung der St. Wilhadi-Gemeinde. Zu einer Gemeindeversammlung, zu der alle Gemeindeglieder eingeladen sind, können Eingaben gemacht werden, die dann verhandelt werden sollen. Ob für heute Eingaben eingereicht wurden, entzieht sich meiner Kenntnis – vermutlich nicht. Eine Eingabe aber ist bei mir angekommen – vom Apostel Paulus. Ich lese den Predigttext für heute aus 1. Thess. 5:

Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.
Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.
Seid allezeit fröhlich,
betet ohne Unterlass,
seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch.
Den Geist dämpft nicht.
Prophetische Rede verachtet nicht.
Prüft aber alles und das Gute behaltet.
Meidet das Böse in jeder Gestalt.
Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.
Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.


Es gibt, liebe Gemeinde, Eingaben zu Versammlungen, die sind hilfreich und willkommen. Es gibt aber auch solche, die erscheinen etwas nervig. Vor allem, wenn jemand immer wieder mit derselben Leier kommt, die man schon lange kennt, oder aber wenn jemand gar nicht zum Ende kommt mit seinen wichtigen Anregungen.

Wie ist das mit Paulus? Um ehrlich zu sein – das ist ein bisschen viel auf einmal, finde ich. Alles wichtige Gedanken, aber stark gehäuft. Nicht weniger als 14 Imperative reiht er aneinander. Die Neigung, gut gemeinte Ratschläge in solcher Fülle anzunehmen, ist bei Menschen durchaus unterschiedlich stark ausgeprägt. Ich vermute, dass das bei der Gemeinde in Thessaloniki nicht so ganz anders war.

Paulus hatte diese Gemeinde gegründet, er kennt sie. Es lief eigentlich nicht schlecht dort. Aber mit der Zeit macht sich bei manchen Glaubensmüdigkeit breit, manche verlieren die Hoffnung, es kommt auch mal Streit untereinander auf. Es menschelt.

Paulus schreibt einen Brief – wir sind im Jahr 50 oder 51 –, nimmt zu einer Reihe strittiger Fragen Stellung und kommt dann zum Schluss. Da will er die Gemeinde ermutigen im Blick auf die konkrete Lebensgestaltung aus dem Glauben. Unsere Verse stehen ganz am Schluss – da sagt Paulus noch einmal alles, was ihm wichtig ist. „Was ich noch zu sagen hätte“, sozusagen. Und dann kommen diese 14 Imperative.
Ratschläge, Imperative.

Heute ist das ja ausgesprochen en vogue. Die Bestseller in der Ratgeberliteratur enthalten Imperative jede Menge. Das lassen sich die Menschen gefallen und geben auch noch viel Geld dafür aus. „Simplify your life“ zum Beispiel, Vereinfachen Sie ihr Leben! Räumen Sie ihren Schreibtisch auf! Optimieren Sie ihre Zeiteinteilung! Pflegen sie ihre Partnerschaft und ihre Beziehungen! Bleiben sie trotz Zeitmangel körperlich fit! Ernähren sie sich gesund, und möglichst vegetarisch und eigentlich natürlich vegan! Bringen sie gleichzeitig ihr Leben ins Gleichgewicht! Und seien Sie authentisch dabei! In jedem Fall: Machen Sie was aus sich!

Puh. Da ist mir dann doch viel lieber „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen.“

Ist Paulus nun die christliche Variante der Ratgeberliteratur, eine Art spirituelle Selbstoptimierung, geistliches Coaching zur erfolgreichen Gemeinde? „Optimize your church-life!“?

Ich glaube das nicht. Ich denke, man muss die Verse von hinten lesen. Da schreibt Paulus am Schluss: Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch. Beinahe habe ich den Eindruck, Paulus ist selbst erschrocken über seine 14 Aufforderungen. Was schreibe ich da, scheint ihm in den Kopf zu schießen. Was sollen diese armen Christen denn noch alles hinkriegen. Als ob alles von uns, von unserem Tun, von unserem Können abhänge. So ist es doch nicht, nein, das habe doch gerade ich immer anders vertreten: Allein auf Gottes Gnade kommt es an. Deshalb schreibt er: Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.

Nicht ihr selbst heiligt euch, macht euer Leben Gott gemäß. Nein: Er heilige euch durch und durch. Paulus ist – Gott sei Dank – nicht nur der große Mahner, er weiß, dass das richtige Leben eine Quelle braucht, eine Kraftquelle. Und die kann nur Gott selber sein. So endet Paulus nicht mit einem Appell, sondern mit einem Segenswunsch, und das ist ein gewaltiger Unterschied. Und dann auch mit der Zusage dazu: Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.

Das ist ein ganz anderer Blick auf eine Gemeinde. Wir leben nicht zuerst von dem, was uns gelingt oder nicht gelingt, nicht von der Kraft der Ehrenamtlichen und der Begabung der Pastoren. Wir gehen auch nicht in die Knie an unseren Schwächen und Defiziten. Wir leben als einzelne und als Gemeinde aus dem Segen Gottes. Er heilige euch, Er bewahre euren Geist samt Seele und Leib – den ganzen Menschen – unversehrt. Er ist treu er wird’s auch tun.

Gemeinde, die aus dem Segen lebt. Darauf zielt Paulus. Dazu Sätze von Fulbert Steffensky: „Der Segen ist die dichteste und die dramatischste Stelle der christlich-jüdischen Glaubensäußerung. Dort wird inszeniert, was Gnade ist: nicht erringen müssen, wovon man wirklich lebt; sich nicht bannen lassen durch die eigenen Zweifel und durch die Zersplitterung des eigenen Lebens. Ich muss nicht nur ich selbst sein. Ich stürze mich in den Abgrund des Schoßes Gottes… Segnen und Gesegnetwerden ist das große Spiel der Freiheit von allen Selbstherstellungszwängen, von allen Zwängen der Selbstrechtfertigung. Der Segen nennt Gott. Wer Gott nennt, braucht nicht selber Gott zu sein…. Wir sind nicht die Garanten des Lebens ... Wir müssen nicht immer stark, gesund, unfehlbar und unanfechtbar sein.“

Also: Keine Anleitung zur Selbstoptimierung, sondern Leben aus dem Segen. Das große Spiel der Freiheit von allen Selbstherstellungszwängen. Grundlage für mein Leben und für jedes Nachdenken über Gemeinde. In dieser Freiheit und für diese Freiheit aber sind Paulus‘ Ratschläge nun natürlich sehr ernst gemeint. Einige nur kann ich herausgreifen.

Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann.

Paulus, stelle ich mir vor, lässt seinen Blick in Gedanken schweifen über die Menschen in der Gemeinde. Er erinnert sich an Gespräche und Begegnungen, und so kann es jeder von uns auch hier bei uns tun. Da gibt es die „Unordentlichen“, die, die sich schwer einpassen können. Die Frau, die schnell Aufgaben übernimmt, aber dann nicht erfüllt, Der, der gern mal viel zu spät kommt. Der Jugendliche, der vereinbarte Regeln nicht einhält. Paulus sagt nicht: „Ist doch egal, ignoriert sie“. Schon gar nicht: „Schickt sie weg“, sondern „Weist die Unordentlichen zurecht“, redet mit ihnen, bindet sie ein in die Gemeinde. Gleich am Anfang etwas Anstrengendes.

Dann geht der Blick weiter auf die Kleinmütigen. Die, die sich sorgen machen, persönliche Sorgen, aber auch schwere Gedanke um die Kirche. „Wir werden immer weniger, wir überaltern. Wie sollen wir das bloß alles schaffen - Wo wir heute nur noch eineinhalb Pfarrstellen haben und früher viel mehr? Und es wird auch immer schwerer, Ehrenamtliche zu finden!“ (was übrigens nach allen Untersuchungen nicht stimmt). Tröstet die Kleinmütigen, sagt Paulus. Ermutigt sie, hört ihnen zu und redet ihnen gut zu.

„Tragt die Schwachen“ – Der Blick fällt auf viele in der Gemeinde aller Zeiten. Da ist der Mann der Krebs hat und die Frau, deren Seele von dunklen Wolken umschattet ist. Da ist die alleinerziehende Mutter, die nicht genug Geld hat für die Klassenfahrt ihrer Tochter. Und da ist die Mitarbeiterin in der Gemeinde, der alles zu viel geworden ist. Tragt die Schwachen. Mit Geduld, mit Barmherzigkeit. Der Umgang mit den Schwachen ist ein Ernstfall jeder christlichen Gemeinde. Wer bei Jesus eintaucht, sagt Paul Zulehner, taucht bei den Armen und Schwachen wieder auf.

Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Die verbindende Überschrift darin ist: Habt acht aufeinander. Schaut aufeinander. Auf die etwas Chaotischen, die Niedergeschlagenen, die Hilfsbedürftigen – und all die anderen auch.

Ja, es geht menschlich und allzu menschlich zu – bei wem von uns denn nicht? Aber mit genau solchen Menschen baut Gott seine Gemeinde. Und wo Christen als Gemeinde zusammenleben, wird es nicht anders gehen, als dass man aufeinander achthat. Eine „Kultur des Wegschauens“ geht nicht in der Gemeinde – und in unserer Gesamtgesellschaft ja auch nicht.

Eine zweite Reihe nur noch aus der Fülle der Ratschläge: Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen.

Natürlich sind wir nicht alle allezeit fröhlich. Und natürlich kann man fröhlich sein nicht verordnen. Es gibt Lebenssituationen, in denen einem alles aus den Händen fällt. Lachen hat seine Zeit, und Weinen hat seine Zeit.

Aber hier geht es noch um etwas anderes: Eine tiefe Zuversicht des Glaubens. Sie ist für Paulus ein Kennzeichen des Christenlebens: Wer glaubt, steht in Verbindung zu Gott: Betet ohne Unterlasse, seid dankbar in allen Dingen. Überseht doch nicht, was er Euch ständig Gutes getan hat und tut. Und dazu gehört eine grundlegende Haltung der Freude und Fröhlichkeit – selbst da, wo die Wege schwer sind.

In der vorletzten Woche waren wir mit Menschen aus der Landwirtschaft und der Kirche zu Gast im neuen Hospiz in Bremervörde. Das war für alle bewegend, ein Ort, an dem das Sterben auf der Tagesordnung steht. Was besonders beeindruckend war: Bei allem Ernst vermittelten die Mitarbeiterinnen eine große Heiterkeit. Der Umgang mit dem Sterben und mit manchen sehr traurigen Geschichten führt nicht zu einer melancholischen oder gar depressiven Stimmung. Sondern zu einer getrosten ernsthaften Fröhlichkeit.

Noch ein Beispiel: Ein Pastor, der für meinen eigenen Weg sehr wichtig war, pflegte beim Abschied immer zu sagen: „Bleib fröhlich“. Das war ein geflügeltes Wort: Bleibt fröhlich. Er hat das dann auch in sein Testament geschrieben, das bei seiner Beerdigung gelesen wurde. Da schrieb er: „Vor und über allem steht der Dank an unseren Herrn für dieses reiche und gesegnete Leben, das ich trotz oder wegen aller meiner Fehler, Schwächen, Sünden und Unterlassungen geführt habe…. Verabschiedet euch und mich mit dem Wort ‚Lasst uns fröhlich bleiben‘. Dann erzählt Geschichten und lacht.“ So haben wir es dann auch gemacht.

Zu unserem Glauben passen Miesepetrigkeit und Stimmungsgrauschleier nicht. Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen. Und das alles in dem Vertrauen: Treu ist Gott, der uns ruft. Er wird’s auch tun. Amen.