Andacht zum Karfreitag 2020

Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Dies ist mein Bild zur Karwoche 2020. Es stammt aus der Kirche San Giuseppe in Seriate bei Bergamo in der Lombardei. In dieser Gegend liegt der Brennpunkt der Corona-Krise in Norditalien. Erschreckend viele Menschen sind hier schon gestorben und sterben weiterhin. Aus diesem Grund hat man die Kirche umfunktioniert und viele Särge dort aufgestellt. Die Kirche als Totenhaus – ein hartes Bild. Auch die Bilder und Geschichten aus den Krankenhäusern erschüttern uns.

Eine ganz andere Daramatik ist das in Italien als bei uns – die aber mit ein Grund dafür war, dass bei uns frühzeitig konsequente Maßnahmen ergriffen wurden, so dass uns solche Bilder in Deutschland hoffentlich – noch weiß es niemand genau – erspart bleiben. Aber auch bei uns ist es sehr ernst. Im Johannisheim sind jetzt, da ich am Samstagbend diese Zeilen schreibe, zwei Bewohnerinnen am Coronavirus gestorben. Das bewegt mich sehr.

Für mich das Bild dieser Karwoche. Eine Fülle von Särgen in der Kirche. Hoch darüber hängt der Gekreuzigte. Es ist kein klassisches Kruzifix-Bild. Der Gekreuzigte ist nur klein zu sehen, man muss genau hinschauen. Im Vordergrund stehen beinahe übermäßig dominant die Särge

Vielleicht passt das genau zu diesen Tagen: Die Krise steht im Vordergrund. Sie verändert unseren Alltag so stark wie nichts seit Jahrzehnten. Auch wenn es vielen von uns verglichen mit anderen Ländern ja noch ziemlich gut geht: Unsere Freiheitsrechte sind stark eingeschränkt, viele machen sich unmittelbar existentielle Sorgen, unsere Wirtschaft leidet schwer. Und wir können und dürfen noch nicht einmal miteinander Gottesdienst feiern. Nicht zu Gründonnerstag, nicht am Karfreitag, nicht zu Ostern. Das kommt viele von uns hart an. Auch ich empfinde das als großen Schmerz.

Beinahe könnte man den Gekreuzigten übersehen, wie auf diesem Foto. Man muss genau hinschauen. Dann aber ist das Bild des gekreuzigten Jesus umso klarer zu sehen. Und das ist gut so und erinnert mich an den Sinn dieser Karwoche. Der Gekreuzigte steht gerade dafür: Gottes Sohn geht den Weg in die Tiefen des Menschseins, ins menschliche Leiden, in Krankheit, Trauer und Sterben. Da ist Gott, wo wir ihn am wenigsten erwarten. Gerade dort zeigt er: Gott ist an deiner Seite. Du bist nicht ohne Gottes Kraft, Gottes Trost, ohne eine Hoffnung, die weiterreicht. Das Kreuz steht für Gottes Solidarität mit dem leidenden Menschen. Selten in meiner Lebenszeit sprach dieser Gedanke so in eine Situation hinein wie in diesem Jahr.  

Schon immer war das Kreuz auch ein tiefer Grund für tätige Solidarität mit denen, die leiden. Gerade in diesen Tagen erleben wir das. Viele engagieren sich für andere in den Gemeinden, Seelsorge sucht sich neue Wege, Nachbarschaftshilfe wird großgeschrieben. Im Bereich der Medizin, der Pflege und der Versorgung der Menschen wird Großes geleistet. Danke dafür!

Und wenn ich nach Italien schaue: Dort sind auch viele Pfarrer, die bei den Infizierten blieben, betroffen. Über 70 Priester sind dort schon am Corona-Virus verstorben. Das geht mir in ökumenischer geschwisterlicher Verbundenheit sehr nahe. Besonders berührend fand ich die Geschichte von dem 72-jährigen Priester, für den extra ein Beatmungsgerät beschafft wurde. Er hat dann darauf aber verzichtet zugunsten eines jüngeren Menschen und ist gestorben. Ein stellvertretendes Opfer. Was für ein Zeichen der Hingabe, was für ein Schritt, Jesus gleich zu werden.

In diesem Jahr müssen wir vielleicht noch etwas konzentrierter und gezielter hinschauen auf Christus, auf die Botschaft dieser Woche. Eine geistliche Übung für diese Tage. Dann aber ist er da, so wie auf diesem Bild.

Auf dem Bild ist der Gekreuzigte behutsam angestrahlt. In diesem Licht ist das Passionsbild zugleich schon ein Osterbild:  Der Gekreuzigte erscheint in einem neuen Licht, im Licht von Ostern. Durch Ostern und nur durch Ostern ist das Kreuz Symbol der Hoffnung: Da wo Menschen leiden, ist Gott da. Und Gott ist stärker als das Leiden und weist darüber hinaus. Daraus erwächst eine Hoffnung auch da, wo Wege auf dieser Welt zu Ende gehen.

Das biblische Wort, der Wochenspruch für die Karwoche: „Der Menschensohn muss erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.“ (Johannes 3, 14b-15) „Erhöht werden“ – das meint bei Johannes beides: Die Erhöhung am Kreuz, den Tod Jesu. Und zugleich schon die Auferstehung, den Weg Jesu zum Vater. In dieser Einheit leuchtet uns das Kreuz und steht für Gottes Gegenwart gerade in dieser Zeit.

Gott gebe, dass es uns besonders in diesen Tagen leuchtet und Kraft gibt. Ein wenig hinschauen müssen wir schon.

Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy