Predigt am Pfingstsonntag - St. Cosmae-Kirche, Stade

8. Juni 2014 - Römer 8, 1-2. 9-11

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

I.
Der Geist des Lebens und der Geburtstag der Kirche. Beides zusammen, liebe Pfingstgemeinde, macht Pfingsten aus. An Pfingsten werden die ersten Christen, in all ihrer Verschiedenheit, ihrem Sprachgewimmel, zu einer Gemeinde, in der sie sich stützen und tragen. Das wirkt der Geist des Lebens. Nicht, weil es so großartige Menschen waren oder alle sich von Anfang an so sympathisch fanden, sondern durch die geheimnisvolle, aber unwiderstehliche Kraft des Heiligen Geistes. Er machte die Einzelnen lebendig und gab ihnen die Gelassenheit, sich auf die anderen einzulassen. Ich denke kaum, dass das stressfrei war: Man stelle sich vor, ein Gewusel von Sprachfetzen. Das aber ist Pfingsten: lebendige Kirche von einander fremden Menschen.

Daher sprechen wir zu Pfingsten bis heute vom Geburtstag der Kirche. Jesus ist nicht mehr sichtbar auf dieser Welt, aber sein Geist führt Menschen zusammen, die sich in seinem Namen versammeln, die von ihm erzählen, die darauf vertrauen, dass er unter ihnen gegenwärtig ist, und die sich davon in Bewegung setzen lassen, zu den Menschen, in die Welt.

Geburtstag der Kirche. Bei einem Geburtstag fragt man höflicherweise den Jubilar, wie es ihm geht. Und hört dann Verschiedenes, je älter man wird zumindest Differenziertes: „Muss ja“, oder: „Wenn einem morgens beim Aufwachen nichts mehr weh tut, weiß man, dass man tot ist“.

Wie geht es der alten Mutter Kirche? Knappe 2000 Jahre ist ein hohes Alter, keine Frage. Und man wird auch nicht be-streiten können, dass sie eine ganze Menge Runzeln und Falten angesetzt hat und in manchem Körperteil ein Ziehen und Drücken nicht zu übersehen ist. Bisweilen humpelt sie auch mal ganz beachtlich. Aber irgendwie hat sie immer wieder auch erhebliche Erneuerungskräfte.

Eine Reihe von schweren Gebrechen hat sie im Lauf der Jahrhunderte gehabt – und ist immer wieder auf die Beine gekommen. Manchmal hat man sie schon tot gesagt. Und dafür ist sie dann heute doch erstaunlich lebendig und wirkt immer wieder auch sehr jung und dynamisch. Wenn ich in die Gemeinden reise, erlebe ich davon eine Menge.

Wie geht es unserer Mutter Kirche? Was würden Sie sagen, wenn Sie jetzt gefragt werden?

Unsere evangelische Kirche will das tatsächlich wissen und macht seit 50 Jahren alle zehn Jahre eine große repräsentative Umfrage, bei der sehr differenziert gefragt wird.

Folgt man dieser neuesten Kirchenmitgliedschaftsumfrage der Evangelischen Kirche in Deutschland, so sieht man: Unsere Kirche verbindet auch heute Menschen, die – bildlich gesprochen – kaum dieselbe Sprache sprechen. Die einen sind in der Kirche, weil sie sich richtig stark für ihren Glauben engagieren möchten, weil sie zu leben versuchen, was sie glauben, sich ehrenamtlich engagieren.

Und gerade solche Menschen, zeigt die Umfrage, sind auch sonst in der Gesellschaft aktiv, sie engagieren sich auch außerkirchlich besonders häufig im Bereich Ehrenamt oder Politik. Interessant ist: Diese Gruppe, die sich eng mit der Kirche verbunden weiß und sich auch engagiert, sie ist größer geworden in den letzten Jahren. Immerhin.

Andere hingegen sind gar nicht sehr daran interessiert, über den gelegentlichen Besuch von Hochzeits- oder Trauerfeiern, über Heiligabend oder vielleicht mal einen besonderen Gottesdienst hinaus, noch intensiveren Kontakt zum Leben in der Kirchengemeinde zu bekommen. Sie halten Kirche für wichtig, besonders wenn sie sich für Bedürftige engagiert. Dazu wollen sie beitragen. Aber persönlich finden sie religiöse Fragen nicht besonders vordringlich.

Ganz neu ist das nicht, was sich aber verstärkt hat, ist eine gewisse Polarisierung. Deshalb nennt die EKD ihre Veröffentlichung dazu „Engagement und Indifferenz“. Die Pole werden stärker, das Feld dazwischen wird kleiner. Das kann uns nicht unbedingt beruhigen. In der Breite wird kirchliche Bindung geringer. Und unter jüngeren Menschen nimmt sie ab. Keine besonders schöne Botschaft zu Pfingsten.

Und doch hat da die Pfingstgeschichte etwas Tröstliches: In der Kirche waren schon immer sehr verschiedene Menschen verbunden, die sehr unterschiedliche Sprachen sprechen. Die einen haben im Glauben ihr Zuhause gefunden, sie leben in vielen Kreisen mit Schwung, was sie glauben. Viele haben eine deutlich losere Bindung. Wir sind eine Kirche aus Fragenden und Gewissen, aus Distanzierten und stark Engagierten.

Und: Es gibt innerhalb unserer Kirchen auch eine große Pluralität von Einstellungen und Glaubenshaltungen. Auch das zeigt die Umfrage.

Bisher hat man gedacht, es gebe außerhalb der Kirche viel bunte Religiosität. Das stimmt statistisch nicht sehr. Die meiste Religion wird gelebt innerhalb der Kirchen oder in ihrem Umfeld. Und damit haben wir in der Kirche eine erhebliche Buntheit an Überzeugungen. Schwerlich glauben zwei unter uns genau dasselbe – und schon gar nicht einfach das, was „Lehre der Kirche“ ist. Und das darf auch so sein. Es ist Pfingsten: wir sind alle Christinnen und Christen. Denn das ist Pfingsten, gelebte Vielfalt, heute – und damals! Der Heilige Geist verbindet uns in unserer Vielsprachigkeit und lässt uns gemeinsam singen und beten. Das ist Pfingsten, gelebte Vielfalt, heute – und damals!

Gleichwohl, auf die Frage: „Wie geht es Dir, Geburtstagskind Kirche?“, kann man nur sehr differenziert antworten. So ein einfaches „gut“, das würde nicht stimmen. Deshalb ist es gut, dass zum Geburtstag nicht nur die Frage nach dem Ergehen gehört, sondern auch der Zuspruch. Man wünscht sich Gutes, sagt Ermutigendes.

II.
Diese Rolle kann heute der Bibeltext für den Pfingstsonntag übernehmen, Römer 8. Weil das recht kompliziert formuliert ist, erst einmal ein Vers (11): Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat: Pfingsten, das ist Fortsetzung von Ostern. Der Heilige Geist verbindet uns mit dem Gott, der den Tod überwunden hat. Der Heilige Geist ist der Geist des Lebens, Pfingsten ein Fest des Lebens.

Das gilt für jeden und jede von uns. Mancher spürt unseren sterblichen Leib ja schmerzlich. Der Geist ist der Geist des Lebens, der Geduld schenken kann, Kraft zum Tragen, Trost in Trauer, Leben in Zeit und Ewigkeit. Gott wird eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist.

Diese Zusage höre ich auch für die ganze Kirche. Wenn da manches verschlafen oder krank ist oder manchmal beinahe tot. Da gilt die Zusage: Gott macht eure sterblichen Leiber lebendig durch seinen Geist.

Auch den Leib der Kirche. Gott schenkt immer wieder neues Leben. Seit 2000 Jahren. Er lässt die Kirche nicht vermodern, sondern weckt sie immer wieder wach, manchmal auch schmerzhaft oder nach großen Fehlern. Wir gehen zu auf 500 Jahre Reformation im Jahr 2017. Das war damals ein großer Weckruf, der die Kirche und die Welt verändert hat. Gott macht eure sterblichen Leiber lebendig durch seinen Geist.

Vor wenigen Wochen hat die Evangelische Kirche in Deutschland im Ruhrgebiet einen großen Zukunftskongress veranstaltet. Ich habe besonders in Erinnerung eine Andacht auf dem Dach des Wissenschaftsparks in Gelsenkirchen, in der Nähe des Stadions von Schalke 04. Der Superintendent von Gelsenkirchen erzählte uns, dass an dieser Stelle früher Schwerindustrie gestanden hatte, ein Stahlwerk. Das war irgendwann geschlossen worden. Und inzwischen war nun eine Umgestaltung erfolgreich vollzogen wie an vielen Stellen im Ruhrgebiet. Statt einer Industrieruine steht dort ein moderner Wissenschaftspark mit vielen neuen Arbeitsplätzen. Auf diesem Gebäude hielten wir nun eine Morgenandacht in der Morgensonne. In den Stadtteilen im Umfeld, so hörten wir, ist der Anteil der Migranten bei ca. zwei Drittel. Wir sahen u.a. einen evangelischen und einen katholischen Kirchturm. Beide sind als christliche Kirchen nicht mehr in Betrieb, erzählte der Superintendent. Das ist ernüchternd. Zugleich erzählte er von neuen Projekten in diesem Umfeld, vom Engagement der Gemeinden, von diakonischen Angeboten für Kinder aus Migrantenfamilien. Auch davon, wie mehrere Gemeinden in einer Region jetzt mit vereinten Kräften zusammenarbeiten.

Bei uns sind die Verhältnisse nicht so drastisch. Aber auch für uns gilt: Kirche wird sich verändern, so wie sich die Industrielandschaft im Ruhrgebiet transformiert hat. Aber sie bleibt Kirche. Der Geist Gottes macht lebendig, immer neu. Auch wenn die Bedingungen schwierig sind.

„Wenn alles so bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern“, heißt es in Tomaso di Lampedusas Roman „Der Leopard“. Lebendigkeit ist nie statisch, sondern bedeutet auch Veränderung. Aber sie ist das Gegenteil von Tod, Gott lässt seine Kirche nicht zur Ruine werden, sondern erfüllt sie immer neu mit Leben. Durch Menschen, auch durch uns. Gott macht eure sterblichen Leiber lebendig durch seinen Geist.

Soweit das eine gute Wort zum Geburtstag der Kirche. Ein weiteres noch aus dem Predigttext.

III.
So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

Geburtstag ist ja immer auch ein Anlass, sich seiner eigenen Identität zu vergewissern. Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her, was macht mich aus, wo will ich hin? Die evangelische Kirche kommt von dieser Botschaft: Der Geist, der lebendig macht in Jesus Christus, hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes. Der Glaube schenkt Freiheit, Freiheit vom Gesetz, immer funktionieren zu müssen, vom Gesetz, schön und jung sein zu müssen.

Als evangelische Kirche kommen wir von dieser Einsicht her: von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade, dem großen Ja Gottes zu jedem Menschen. Und dieses gute Wort zum Geburtstag hat auch eine mahnende Dimension – manchmal muss man sich zum Geburtstag ja auch mal ein ernstes Wort sagen. Diese Botschaft muss auch in die Mitte unserer Kirche. Buntheit und Pluralität gehören zur Kirche allemal zu Pfingsten. Aber es darf keine beliebige Pluralität sein. Sie muss sich auf diese eine Mitte beziehen, auf die freimachende Botschaft von Christus.

Manchmal heißt es, diese Botschaft interessiere heute niemanden mehr. Ich glaube das nicht in unserer Leistungsgesellschaft. Erleben nicht viele einen gewaltigen Druck zu funktionieren, immer schneller, immer flexibler. Im Beruf erleben das viele Menschen. Ich höre solche Klagen häufig, leider auch in der Kirche. Sogar in der Freizeit läuft man Gefahr, diesem Druck zu folgen: Schneller laufen, fit bleiben. Man macht Kreuzworträtsel nicht etwa, weil es Spaß macht, sondern um das Gehirn zu trainieren. Da spricht natürlich gar nichts gegen. Aber wehe vor dem Gesetz, dem wir so leicht folgen: leistungsstark sein, funktionieren. Das ist ein Gesetz, das schnell Druck macht und Angst.

Dagegen steht das gute Wort: Bei Gott musst Du nicht funktionieren. Du musst nicht perfekt sein, denn du bist von Gott schon unüberholbar geliebt. Du bist mehr als die Summe deiner Leistungen und Gott sei Dank deiner Fehlleistungen. Das kann zu einer großen Gelassenheit ermutigen, zu einer großen inneren Freiheit. Der Geist, der lebendig macht, hat dich frei gemacht vom Gesetz der Sünde und des Todes.
Unser zerbrechliches, erlöstes Leben in all seiner Buntheit: Das Band Jesu Christi, das Band des Glaubens und des Gebets verbindet uns: Der Geist Christi ist in uns lebendig, miteinander lebendig. Diese Lebendigkeit schenke uns Gott: Daher: Gesegnete Pfingsten. Amen.