Andacht zur Einweihung der Manzke-Dialogecke

Ev. Bildungszentrum Bad Bederkesa, 25. Oktober 2013

Meine Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,
schön, dass wir an diesem Vormittag beisammen sind in diesem großen Kreis.

Die meisten der hier Anwesenden haben lebendige Erinnerungen an Karl Manzke – wir werden davon hören. Ich selbst habe ihn leider nie persönlich kennengelernt, aber immer wieder Berührungspunkte zu ihm und seinem Wirken gehabt. Bis heute werde ich auf keinen meiner Vorgänger als Landessuperintendent so häufig angesprochen wie auf ihn, bis heute wird von keinem so viel erzählt. Von seinen eindrücklichen Besuchen, seiner seelsorgerlichen Zuwendung, seiner geistlichen Nähe zu den Menschen, vor allem von seiner Präsenz im Sprengel, besonders auch im öffentlichen Raum.

Eine ganz frühe Erinnerung: In meinem ersten Semester, 1977/78, habe ich für die Pastoralpsychologische Arbeitsstelle in Celle Interviews geführt zur Evaluierung des sog. Celler Modells, in dem der Kirchenkreis als Handlungsebene erprobt wurde, so wie wir das heute kennen. Da war Karl Manzke prägend gewesen, wie ich immer wieder hörte, Manzke selbst war in diesem Jahr nach Stade gegangen. Ich hatte nie wieder von dieser Auswertung gehört und habe jetzt einmal nachgesehen. Ich stoße auf eine Dissertation von 1982 über das Celler Modell. Darin ist zu lesen, dass Superintendent Manzke der Motor der Erprobung neuer Strukturen war. Und: er hat die Strukturen explizit theologisch begründet. Sie standen für ihn gegen kirchlichen Zentralismus und für die Mündigkeit des einzelnen Christen.

„Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben“ – so sagt es die Bibel im Hebräerbrief (Hebr. 13,7). Heute gedenken wir eines Lehrers und Pastors, der bleibende Spuren hinterlassen hat durch sein Wirken, Spuren des Segens. Durch seine Tätigkeiten als Pastor in Hechthausen, als Studiendirektor auf der Erichsburg, als Superintendent in Celle und von 1977 bis 1992 als Landessuperintendent für den Sprengel Stade und auch noch im Ruhestand. Dankbar gedenken wir dieser Segensgeschichte und danken Gott für diesen Zeugen des Evangeliums.

Karl Manzke hat mit Leidenschaft den Glauben vertreten, das spürt man allen seinen Texten ab. Er hat den Glauben über Grenzen hinweg ins Gespräch gebracht. Deshalb war die Idee so gut, eine Dialogecke zum Gedenken an Karl Manzke zu errichten.

Sie kann an keinem anderen Ort sein als hier in Bad Bederkesa. Dieses Haus lag ihm wie wenig anderes am Herzen, ohne ihn wäre es so nicht entstanden. Nicht durch Zufall hat er seine Verabschiedung mit dem zehnjährigen Jubiläum der damaligen Evangelischen Heimvolkshochschule verbunden.

Und es liegt in hohem Maß in der Linie des Wirkens von Karl Manzke, dass ein Ort des Dialoges, der Begegnung an ihn erinnern wird. Schon ganz früh, 1961 in der ersten Gemeinde in Hechthausen, machte er etwas damals hoch Ungewöhnliches: Eine Befragung der Gemeinde. Er ging also zusammen mit dem Kirchenvorstand in den Dialog mit den Menschen, die schon damals im Land Hadeln nicht so oft im Gottesdienst waren. Auf Stimmzetteln votierten sie dann in großer Mehrheit für den Erhalt ihrer Kirche und einem eigenen finanziellen Beitrag dazu.

Dialog blieb sein Thema. Wie oft hat er im öffentlichen Raum gesprochen, als hoch geschätzter Redner, mit einer beeindruckenden Bildung, vor allem in historischer Hinsicht, belesen in der Lyrik wie in aktuellen wissenschaftlichen Diskursen. Und zugleich sprach er immer klar aus seinem christlichen Glauben heraus, aus der Perspektive des Evangeliums und christlicher Gebote und Normen. Vor den Parteien hat er gesprochen, vor Handwerkern und Unternehmern, vor Gewerkschaftern und Soldaten. Der Dialog mit der Landwirtschaft lag ihm, dem Bauernsohn aus Pommern, besonders am Herzen. Bis heute berühmt sind seine Meditationen zu den Predigttexten des Erntedankfestes – und wie manches lebt Gott sei Dank diese Dialog-Tradition, bis heute fort in unserem Sprengel. Karl Manzke ging es darum, den Glauben über Grenzen hinweg plausibel und verstehbar zu machen.

Der Dialog war immer auch ein Dialog zwischen den Zeiten, zwischen der aufgeklärten, säkularen Welt Europas und dem Galiläa Jesu von Nazareth, zwischen der Gestaltungskraft des Evangeliums für unsere Gesellschaft – und dem Leben als „Wanderprediger“, auf das eigene Gewissen vor Gott gestellt. Ein Zitat: „Die Kirche soll im Dorf bleiben. … Eines ist sicher, die Kirche wird nur im Dorf bleiben, wenn das Evangelium, wenn das Wort Gottes gehört wird und Glauben findet. Das Evangelium aber wird nur gehört werden, wenn es eine Beziehung zu unserer Wirklichkeit hat und wenn wir diese Beziehung des Evangeliums zu unserem alltäglichen Leben entdecken.“

Gerade als ein Mann des Dialogs war Karl Manzke auch ein selbstbewusster, ein streitbarer Christenmensch, ein Mann mit Ecken und Kanten. Als Erinnerung daran ein Bibelwort aus Matthäus 10 für diese Andacht:

Jesus spricht: Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Karl Manzke hat dieses Bibelwort zitiert unter anderem in einem Vortrag in Celle über die Zukunft Europas im Jahr 2002. Um eines ging es ihm dabei nicht: um eine Infragestellung der Ehe und der Familie. Nein, das war ein Thema, das ihm immer wieder am Herzen lag. Ehe und Familie sind ihm wichtig als Ort von Verlässlichkeit und Vergebung, als ein Ort, an dem „Ich“ und „Du“, Individualität und Gemeinschaft in eine gute Balance kommen. Nein, Familie und Ehe waren ihm wichtig und man spürt seine Sorge über Erosionsprozesse auf diesem Feld. Das neue EKD-Papier hätte ihm schwerlich zugesagt.

Nicht deshalb zitiert er dieses Wort von der Nachfolge Jesu, die wichtiger ist als Vater und Mutter und Familie. Sondern weil er darin eine „besonders für die damalige Zeit unglaubliche Individualisierung“ sieht. Das Bibelwort steht für die „Freiheit und Würde des einzelnen“, in die Jesus ruft.

Freiheit war eines der großen Themen für Karl Manzke. Da ist er Lutheraner. „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand Untertan.“ Er hat Ideologien der Unfreiheit erlebt. „Als ich zur Schule ging, lernte man: ‚Du bist nichts, dein Volk ist alles‘. Das konnte nur scheitern.“ Später, während seiner Zeit als Landessuperintendent konnte er dann den Sieg von Freiheit und Selbstbestimmung in Deutschland erleben und hat ihn immer wieder eindrücklich reflektiert.

Am Vorabend der Wiedervereinigung Deutschlands, am 2.Oktober 1990, hat er im Stader Rathaus die Festrede gehalten. Im Januar darauf hat er bei der jährlichen Harzreise des Rotary-Clubs Stade eine denkwürdige Andacht gehalten, als zum ersten Mal wieder der Brocken bestiegen werden konnte. Als ich vor drei Jahren in den Club kam, wurde ich auf diese unvergessene „Bergpredigt“ angesprochen, in der Karl Manzke über die Grundlagen der Deutschen Nation nachdachte und über die Verpflichtung zum Frieden. Vom Frieden in Freiheit sprach er, vom Frieden, der Aufgabe sorgfältigen politischen Handelns ist und zugleich viel mehr, ein Geschenk.

Freiheit meint auch die Selbstbestimmung des Einzelnen gegenüber den Institutionen, gegenüber Staat, Kirche, sogar gegenüber der Familie. Nach allem, was ich weiß, war das typisch für Karl Manzke, auch für seinen Charakter, eine große Unabhängigkeit gegenüber Institutionen, ganz besonders auch gegenüber landeskirchlichen Autoritäten in Hannover – darüber werden wir hoffentlich heute noch das eine oder andere hören. Freilich war diese Autonomie für ihn nicht uneingeschränkt. Es ist keine unbedingte Freiheit, sondern eine bedingte. Freiheit ist gebunden an die Suche nach Wahrheit. Manzke erinnert an das Jesuswort: „Die Wahrheit wird euch frei machen“.

Freiheit ist aber vor allem auch bedingt, weil sie begrenzt ist durch die Liebe. Um Balance von Autonomie und Liebe geht es.

Wer sein Leben behalten will, der wird's verlieren; wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden. Das ist ein Wort großen Ernstes, das Christen in die Nachfolge ruft. Es ruft Menschen dazu, sich für das Gemeinwesen einzusetzen. Ohne ein solches Engagement kann eine Gesellschaft nicht leben, davon war Manzke überzeugt. Beim 100. Jubiläum des Roten Kreuzes etwa hat er dieses Wort zitiert.

Dialog lässt sich ein auf den Partner, macht sich kundig, versetzt sich in den anderen, lässt sich in Frage stellen und auch verändern. Wahrer Dialog ist aber auch nur möglich, wo jemand für seine Sache steht. Beides war typisch für Karl Manzke. Er stellt mit Ernst Bloch die Frage: „Kann man die Religion beerben, ohne den Glauben an Gott zu übernehmen?“ Karl Manzke sieht und beschreibt Früchte der christlichen Religion für den modernen und säkularen Staat. In dem Vortrag über die Werte Europas etwa die Trennung von Staat und Kirche. Gerade diese Trennung hält er für eine Errungenschaft des christlichen Glaubens und erinnert an Jesu Wort: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“

Er bejaht die Autonomie der säkularen Welt und ist zugleich davon überzeugt: Sie braucht den christlichen Glauben. Gerade wenn man die Freiheit stark macht, gilt doch, „dass ohne die Bindung an Gott die Person, das Ich zerfällt.“ Mit einem Gedicht von Gottfried Benn – wie so oft – macht er die Zerrissenheit des modernen Subjektes deutlich, das für ihn seine Einheit nur in der Gottebenbildlichkeit finden kann. Und nicht nur der einzelne, auch die Gemeinschaft braucht die Orientierung an Gott. „Ohne Gewissensbindung und Gewissensbildung wird es nicht gehen. An dieser Stelle ist unsere Demokratie in einer Krise.“

Und zu dieser Krise trägt für ihn auch die Kirche bei, da kriegt unsere Zunft ihr Fett ab: „Als Predigthörer habe ich den Eindruck, dass die Botschaft Jesu zu oft reduziert wird auf die Aussage, dass Gott jeden so annimmt, wie er ist. Das ist einmal die halbe Wahrheit, wenn man nicht sofort hinzufügt, dass er niemanden so lässt, wie er ist. … Eine freie Demokratie setzt eine ihre Aufgaben sorgfältig wahrnehmende Kirche voraus.“

Gerade in den späteren Texten lese ich auch manche skeptischen, zivilisationskritischen Töne bei Karl Manzke. Und gewiss: Die Universalität der europäischen Werte, die Universalität des christlichen Glaubens ist in eine Krise gekommen. Mein Eindruck ist, einen so universalen Anspruch des Glaubens vertreten viele heute nicht mehr so wie Karl Manzke vor 20, 30 Jahren. Die Prozesse der Differenzierung und auch Säkularisierung sind weiter fortgeschritten. Wir tasten, so empfinde ich für mich, wie wir hier im Dialog den Glauben für unsere Zeit zur Sprache bringen. Von Karl Manzke lerne ich ein sehr bewusstes Wahrnehmen der Zeit wie ein selbstbewusstes Eintreten für die Wahrheit und Freiheit des Glaubens.

Bei aller Skepsis gegenüber manchen Entwicklungen, größer ist bei Karl Manzke immer sein Vertrauen. Seine Hoffnung auf die Kraft des Evangeliums, auf die Kraft des Glaubens. Diese Hoffnung mag uns auch an diesem Tag inspirieren und erfüllen.

Die Wahrheit wird euch frei machen. Das möge gelten für alle Dialoge in der neuen, an Karl Manzke erinnernden Ecke. Wer sich einlässt auf den anderen, wer sich riskiert im Dialog, wer sich einlässt auf das Abenteuer des Glaubens, dem gilt die große Verheißung Jesu: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.“
Amen