Reformationstag: Regionalbischöfin diskutiert Umgang mit antijüdischen Bibeltexten

Nachricht 01. November 2018

"Mit Tipp-Ex kommen wir nicht weiter"

Pastor Bertram Sauppe (li.) mit Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr und dem Kirchenvorstandsvorsitzenden Berthold von Knobelsdorff (re.). Justin Hibbeler, Schauspieler von der Hochschule für Musik, Theater & Medien, trug eine Zusammenstellung von antijudaistischen Texten aus dem Neuen Testament vor (Foto: F. Gartmann).

Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr hat zu einem reflektierten Umgang mit judenfeindlichen Texten im Neuen Testament aufgerufen. „Es gibt keinen leichten Ausweg. Mit Tipp-Ex kommen wir nicht weiter.“, sagte die Regionalbischöfin am Reformationstag in Hannover. „Die Auseinandersetzung mit der verhängnisvollen Wirkungsgeschichte christlicher Judenfeindschaft gehöre zu den Grundelementen theologischer Selbstreflexion nach 1945“, erklärte Bahr vor rund 250 Besuchern in der Lister Markuskirche. Nach Bahrs Ansicht hätten antijudaistische Texte, wie etwa die Spätschriften Martin Luthers, die rasante Infektion der Gesellschaft im späten 19.Jahrhundert mit antisemitischen Gedanken befördert. „Die Ideologie des Antisemitismus fiel bei vielen Christinnen und Christen auf fruchtbaren Boden.“, so Bahr.

"Zurück zu den Quellen"

Der christliche Antijudaismus entspringt nicht der Reformation, seine Wurzel liegt im Neuen Testament, sagte der Pastor der Markuskirche, Bertram Sauppe. (Foto: F. Gartmann)

Die Entscheidung für den Reformationsfeiertag habe nicht zuletzt wegen der judenfeindlichen Schriften Martin Luthers zu heftiger Kritik geführt, hob Pastor Bertram Sauppe in seiner Begrüßung hervor. „Unter dem reformatorischen Motto ‚zurück zu den Quellen‘ möchten wir heute einen Schritt weitergehen. Denn das Übel des christlichen Antijudaismus hat ja seinen Ursprung nicht in der Reformation. Seine Wurzel liegt bereits im Neuen Testament.“, fasst Sauppe die Grundidee der Veranstaltung zusammen.

Im Gespräch bleiben und weiter miteinander streiten

Es gibt keinen leichten Ausweg beim Umgang mit judenfeindlichen Versen im Neuen Testament, sagte Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr am Reformationstag in der Lister Markuskirche in Hannover (Foto: F. Gartmann).

In ihrem Vortrag über antijudaistisches Gedankengut in der Bibel legte Bahr unter anderem Verse aus dem Johannesevangelium aus, in der die Juden von Jesus als Teufelskinder bezeichnet werden. Einerseits müssten judenfeindliche Texte in ihrem historischen Kontext verstanden werden. „Im Neuen Testament ist von ‚den‘ Juden in ganz unterschiedlicher Weise die Rede. Der Ausdruck meint keine einheitliche Gruppe.“, so die leitende Theologin. Zudem müsse man sich klarmachen, dass die Streitgespräche zwischen Jesus, einem Juden, und anderen Juden geführt wurden. „Anderseits müssen wir ertragen, dass uns biblische Texte anvertraut sind, die isoliert betrachtet, als Referenz für unfassbares Unrecht genommen wurden.“ Bahr sieht es daher als bleibende Aufgabe, miteinander im Gespräch zu bleiben und weiter über den Umgang mit den problematischen Versen zu streiten. „Doch wir müssen aufhören so zu tun, als gäbe es diese Texte nicht.“

Menschliches Erzählen von Gott ist fehlbar und uneindeutig

Der Einladung der Markuskirche in Hannover zu Gottesdienst und Vortrag unter dem Titel "Spurensuche am Reformationstag" waren 250 Besucherinnen und Besucher gefolgt. Pastor Sauppe war hocherfreut über die positive Resonanz. "Wir haben eine Besucherzahl irgendwo zwischen 20 und 200 erwartet." (Foto: F. Gartmann).

Im vorangegangenen Gottesdienst thematisierte Pastor Sauppe das reformatorische Verständnis der Heiligen Schrift. Nach seiner Ansicht müsse man sich von der Vorstellung befreien, dass alles, was in der Bibel steht, eins zu eins Gottes Wort sei. „Auch im Lesen der Bibel müssen wir Gottes Wort suchen. Wer einfach nur behauptet: ‚steht doch da!‘, täuscht eine Eindeutigkeit vor, die der Bibel selbst fremd ist.“, erläuterte der Seelsorger der Markuskirche in seiner Predigt. Da die Bibel mit menschlichen Worten und damit fehlbar und uneindeutig von der Menschliebe Gottes erzähle, besteht nach Sauppe die Pflicht, miteinander fragend und kritisch prüfend nach dem zu suchen, was Gottes Wille ist. Leitend sei Luthers Formel „was Christum treibet“, die als Prüfstein der biblischen Quellen zu gelten habe. „Das Kriterium ist die Liebe, die sich in Christus zeigt, und uns anstecken will.“, hält Sauppe am Ende seiner Predigt fest.

Schauspieler Justin Hibbeler von der Hochschule für Musik, Theater & Medien in Hannover, trug eine Zusammenstellung antijudaistischer Texte aus dem Neuen Testament vor. Landessuperintendentin Dr. Petra Bahr forderte auf, sich dem problematischen Erbe zu stellen: „Wir müssen aufhören so zu tun, als gäbe es diese Texte nicht." (Foto: F. Gartmann)

(Text: F. Gartmann)