Österliche Zeitenwende

Andacht von Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Zeitenwende – dieses Wort ist oft zu hören seit dem Tag, an dem das russische Militär die Ukraine überfallen hat und seither einen brutalen Eroberungsfeldzug führt. Unser Bundeskanzler sprach es im Bundestag nur zwei Tage später aus: Wir erleben eine Zeitenwende. Ein völkerrechtswidrig begonnener Krieg tobt in Europa, den viele so nicht mehr für möglich gehalten hatten. Zivilisten werden gezielt erschossen. Millionen Menschen aus der Ukraine sind auf der Flucht. Kaum zu ertragen, das alles.

Zeitenwende. Wir diskutieren seither in neuer Weise über das politische System in Europa, auch über Fehler der Vergangenheit. Es wird anders gesprochen über Verteidigung, Rüstung und Sicherheit. Wir spüren, wie wenig selbstverständlich unser Leben in Frieden und Wohlstand ist. Nicht nur die Bilder von Krieg und Mord, auch die Unsicherheit vor der Zukunft machen vielen Menschen Angst.

In diesem Jahr feiern wir Ostern in dieser besonderen Situation. Ostern – das steht ja für eine ganz andere, für eine göttliche Zeitenwende. Mit Jesus Christus beginnt eine andere Zeit, das Jahr Null. Wir zählen seither „nach Christi Geburt“, und wir tun das nur, weil die ersten Christinnen und Christen die Erfahrung von Ostern gemacht haben. Indem Gott selbst die Macht des Todes mit der Auferweckung Jesu von den Toten gebrochen hat, hat er ein für allemal ein Zeichen gesetzt: Das Leben siegt über den Tod.

Leicht zusammen zu kriegen ist das nicht in diesem Jahr, finde ich. Die Bilder des Todes sind mächtig und lassen mich nicht so leicht los. Und doch: Die Osterbotschaft stand schon immer gegen die Bilder des Todes. Ostern gibt es nie ohne die Passion, ohne Schmerzen, Tränen und Tod. Passionserfahrungen sehen wir dieses Jahr genug.

So kann die Osterbotschaft gerade in diesem Jahr Hoffnung geben. Damit wir nicht irre werden an den Bildern aus Butscha, damit wir nicht den Kräften von Zerstörung und Hass verfallen. Es gilt dieses Jahr an Ostern vielleicht noch stärker als sonst: Gottes Wort ist ein Wort des Friedens. Zwischen Gott und den Menschen und unter den Menschen. So gibt Ostern Mut, für den Frieden einzutreten, wo immer wir können. Und es gibt Kraft zu helfen, wo jetzt praktische Hilfe nötig ist für die vielen Menschen, die auf der Flucht vor dem Krieg zu uns kommen.

Und: Ja, es ist nötig, den Realitäten ins Auge zu sehen, Aggression und Kriegsverbrechen klar beim Namen zu nennen und auch die Notwendigkeit, der aggressiven Gewalt mit Waffen und Gewalt entgegenzutreten. Aber trotzdem: Hass ist keine Option. „Wir werden der kriegslüsternen Herrscherclique in Russland nicht das Geschenk machen, ihr Volk zu hassen“ (Annette Kurschus). Christinnen und Christen verweigern sich dem Hass. Denn die christliche Gemeinde lebt schon immer in einer Zeitenwende.

„Khrystos Wosskress – Christus ist auferstanden“, so beten Menschen auf Ukrainisch und auf Russisch und auf Deutsch. Wir lassen uns die Zeit nicht nur von Aggression und Krieg ansagen, sondern vom Gott der Liebe. Nüchtern auf die Wirklichkeit zu schauen und dabei doch der öffnenden Kraft Gottes vertrauen zu können, das wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, an diesem Osterfest.

Regionalbischof
Dr. Hans Christian Brandy, Stade