Predigt zur Eröffnung der Ausstellung „ ... noch bist du da“

St. Paulus, Buxtehude, 9. Januar 2022 - Regionalbischof Dr. Hans Christian Brandy

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Der Tod ist das Persönlichste und das Allgemeinste, liebe Gemeinde. Das Allgemeinste ist der Tod: Alles Lebendige muss sterben. Jede und jeder von uns wird sterben. Zugleich ist der Tod das Persönlichste. Niemand stirbt allgemein. Jeder stirbt für sich allein. Jede stirbt ihren eigenen Tod. Wir alle können sehr persönliche Geschichten über Begegnung mit dem Tod erzählen.

Das Persönlichste und das Allgemeinste. Das bringt auch diese Ausstellung zum Ausdruck. Ganz persönliche Erfahrungen und Sichtweisen eines bedeutenden Malers, Uwe Appold - und ich finde eindrücklich, wie der knapp 80-jährige Maler über seine persönliche Auseinandersetzung mit der Endlichkeit spricht. Gedichte großer Autorinnen und Autoren, die jeweils auf sehr eigene Weise über Alter, Endlichkeit und Tod sprechen. So entsteht in der Zusammenschau ein höchst inspirierendes Panorama über ein Menschheitsthema – das wieder herausfordert zur ganz persönlichen Auseinandersetzung.

Ich finde diese Ausstellung einen Glücksfall und danke allen, die sich dafür engagiert haben und die sie möglich machen, überregional und hier in Buxtehude.

Seitdem ich mich mit den Bildern und Gedichten näher befasst habe, bewegen sie mich und arbeiten in mir. Für die Predigt sortiere ich diese innere Arbeit der Bilder an mir in drei Kreise. Und ich höre dazu im Dialog mit der Ausstellung in der Bibel auf den Apostel Paulus. Unser Tageblatt hat am 4. Januar getitelt: „St. Paulus macht den Tod zum Thema“. Das nehme ich doppelt wörtlich, im Blick auf die Ausstellung, aber auch, indem ich auf den Apostel Paulus höre.

Der erste Kreis meiner Gedanken dreht sich um das Thema Endlichkeit. Schwarze Grundfarbe – ernste Töne. Die Ausstrahlung erinnert uns an ein Thema, an das wir alle nicht so gern erinnert werden: Wir sind endlich. Wie werden sterben. Das ist keine leichte Sache. Und es passt damit in die Zeit der Pandemie, die unserer Gesellschaft den Tod ganz neu vor Augen geführt hat.

Schwarze Farbe – ernste Töne. Schwarz – das ist zuerst die Farbe der Trauer, des Todes. Der Tod mag manchmal eine Erlösung sein, ja. Oft ist er es aber auch nicht. Der Tod bleibt die Verneinung des Lebens, das Ende des Lebens, das Ende von Beziehungen. „O weh, wohin sind entschwunden alle meine Jahre?“, so schon die ersten Zeilen von Walter von der Vogelweide, und man sieht dazu jetzt den Strom, mit dem sie entschwunden sind, viel schwarz, ein wenig blau nur. Der Blick auf den Tod ist ernst und auch schmerzhaft: er „erschreckt uns“, so Friedrich Gottlieb Klopstock, und „er bleibt fürchterlich“. Der Tod beendet das Leben, und der Rückblick kann erschreckend nüchtern sein, so bei Hans Sahl: „Was bleibt von all dem, das ich tat und lebte? Nur eine Kleinigkeit: Ein Mensch fand statt.“ Eine der härtesten Aussagen, beinahe schockierend. „Ein Mensch fand statt.“ Mehr bleibt nicht? Ein nüchterner, ein nihilistischer Blick auch auf den Menschen. Kein ungewöhnlicher Blick in unserer Zeit wohl.

Auch der christliche Glaube malt den Tod nicht schön. Uwe Appold zitiert in seinem Text Paulus aus 1. Korinther 15 (V.26): „Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod.“ Es ist eben der letzten Feind. Kein Freund. Auch kein Bruder. Wenn der Tod verharmlost und verniedlicht wird – das entspricht nicht dem christlichen Glauben. Auch der Tod Jesu war alles andere als harmlos und harmonisch. Jesus selbst hat im Garten Gethsemane wirkliche Todesangst durchgemacht; mit diesen Gethsemane-Erfahrungen übrigens hat Uwe Appold sich ebenfalls auseinandergesetzt, er war neun Tage in diesem Garten und hat dort gemalt. Christlicher Umgang mit dem Sterben nimmt die Endgültigkeit des Todes ernst. Da sind keine schnellen Worte und Antworten gefragt. Da ist manchmal nur Schweigen möglich, da ist einfühlsame Begleitung angesagt. Da kann man manchmal nur in Bildern sprechen.

Damit zum zweiten Kreis meiner Gedanken, die an den Bildern und Gedichten entlanggehen. Rettung. Beim Ernst und bei der Endgültigkeit des Todes kann ich nicht stehen bleiben. Paulus jedenfalls tut es nicht – ich meine den Apostel. Und das wurzelt für ihn in der Auferweckung Jesu. Durch diese Erfahrung der ersten Christen ist alles anders – auch der Blick auf den Tod. Paulus weiß: Die ersten Christen waren nach dem Tod Jesu völlig am Ende gewesen. Auch für sie war sein Tod erstmal das Ende, das Ende aller Hoffnungen. Dann aber war Jesus den Jüngern lebendig begegnet. Am Anfang den Frauen, dann vielen anderen. Paulus nennt eine ganze Liste von über 500 Namen. Aus dieser Ostererfahrung erwächst die Zuversicht und Hoffnung des Glaubens angesichts des Todes für Paulus: „Gott hat Christus auferweckt und wird auch uns auferwecken durch seine Kraft“ (1. Kor 6,14). Und so kann Paulus am Ende des großen 15. Kapitels des 1. Korintherbriefs, in dem er über Tod und Auferstehung spricht, sagen: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Kor 15,55)

Hoffnung auf Rettung. Wie findet sie sich in den Bildern und Gedichten? Zurückhaltend, ahnend eher, tastend. Über „das kleine Licht der Sphären“ lese ich bei Marie Luise Kaschnitz und sehe es bei Uwe Appold. Das kleine Licht!

Kleines Licht erscheint für mich aber auch durch die Worte, die in jedes Bild gezeichnet sind. Das Schwarz bleibt nicht wortlos. Der Tod bleibt nicht sprachlos. Es sind nur einzelne Worte, aber es sind Worte. So wie der christliche Glaube Worte zu finden versucht angesichts des Todes – in jeder Trauerfeier tun wir das. „Das Wort“ so steht es ausdrücklich im Bild zu Adelbert von Chamisso. Bei Joseph von Eichendorf lese ich „Lenz“, und es verweist auf den „Lenz, der nimmer endet“, den ewigen Frühling Gottes. Und in diesem Bild sehe ich viel Licht und weniger schwarz. „Mein Thema ist Versöhnung zwischen zwei unversöhnlichen Zuständen: Leben und Tod“, so schreibt Uwe Appold.

Am meisten angerührt hat mich das Bild zu Klopstock. „Retter“ steht da. Im Gedicht heißt es: „Es erschreckt uns, unser Retter, der Tod!“ Ja, er erschreckt, erst ganz am Ende führt er bei Klopstock „zur Vollendung“ und „in der Erkenntniße Land“. Das Wort „Retter“ hat Uwe Appold ins Schwarz geschrieben. Aber: Er hat es spiegelverkehrt getan. Der Retter ist nicht einfach da, die Rettung ist nur gebrochen zu sehen.

Das kommt meiner Erfahrung von Tod sehr nahe. Und das passt eben auch zum Kern unseres Glaubens, wo die Rettung gerade darin liegt, dass wir – jetzt zu Weihnachten – auf ein unscheinbares Kind in einer Krippe schauen, und dann auf den gekreuzigten Christus. Der Tod wird nicht martialisch und triumphal besiegt –Menschen leiden ja noch genug unter ihm. Er ist so besiegt, dass ich darauf vertraue, dass der gekreuzigte und auferstandene Christus an meiner Seite ist, auch auf schweren Wegen und auch im Sterben. Und dass ich bei ihm in Ewigkeit geborgen bin.

Der „Retter“, spiegelverkehrt. Das passt zu Paulus: „Unser Wissen ist Stückwerk.“ Erst „wenn das Vollkommene kommen wird, wird das Stückwerk aufhören“ (1. Kor 13,9f). Und dazu fällt mir Martin Luther ein: Gott ist bei uns verborgen, so hat er gesagt, unter seinem Gegenteil. Da wo man Gott nicht erwartet, da ist er. Im Kind in der Krippe, im Mann am Kreuz. Gott unter seinem Gegenteil, sub contrario. Aber gerade so da, wo Menschen ihn am nötigsten brauchen.

Mein dritter Gedankenkreis: Leben aus Hoffnung. Zum Gedicht von Erich Fried ist das Wort „Hoffnung“ ausdrücklich ins Bild geschrieben: „… vom Glück der Hoffnung auf Glück“, heißt es da.

Früher gab es eine richtiggehende Kunst des Sterbens, auch als literarische Gattung. Heute ist das aus der Mode gekommen. In manchen neuen gesellschaftlichen Entwicklungen entdecke ich aber etwas von einer neuen ars moriendi, einem bewussten Umgang mit dem Sterben. Das ist eine gute Entwicklung. Etwa, wenn in der Palliativ- und Hospizbewegung sehr bewusst mit dem Sterben umgegangen wird. Aber auch diese Ausstellung mit all den wichtigen Veranstaltungen im hochkarätigen Begleitprogramm ist ein Beitrag zu dieser Kunst.

Es gibt eine wunderbare Schrift von Martin Luther dazu, von der Bereitung zum Sterben, damals 1519 ein Bestseller. Darin gibt er zunächst ganz profane Hinweise: Man soll rechtzeitig seine Schulden bezahlen, man soll sein Erbe regeln, und – ganz wichtig – seine Beziehungen in Ordnungen bringen. Und schließlich spricht er von der Zuversicht des Glaubens, der nicht auf den Tod starrt, sondern auf Christus, und so getrost sterben kann, in der Hoffnung auf das ewige Leben bei Gott. Schau nicht auf den Tod! Ein starker Satz von Luther: "Suche dich nur in Christus und nicht in dir, so wirst du dich ewig in ihm finden."

Leben aus Hoffnung. Zum Blick auf den Tod gehört für Christenmenschen auch ein Schuss Humor. So wie zu Ostern das Osterlachen gehört. Ich habe ein Buch mit originellen Traueranzeigen. Da steht schon mal „aus die Maus“ über einer Todesannonce. Von Herzen kommt: „Es ist echt zu bitter.“ Nicht erfunden ist auch eine Anzeige für einen 82-Jährigen, der zehn Tage nach seiner Frau verstarb: „Wie im Leben – Oma rief – Opa kam.“ Genauso originell ist auch das Studium alter Grabinschriften. In früheren Zeiten hatte man da oft einen eher derben Charme, etwa: „Hier liegen meine Gebeine, ich wollt‘, es wären Deine“. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof kann man lesen: „Du stehst noch hier, und ich bin hin. Bald bist du dort, wo ich schon bin.“ Aber auch Pastoren kann es treffen: „Den Pfarrer Sedulim verschließet dieses Grab. Gott, gib den Schlummer ihm, den er den Hörern gab.“

Darf man so über den Tod reden? Ich meine ja. Christen sehen den Tod in seinem ganzen Ernst und Schmerz. Und sie sehen ihn zugleich in der Perspektive der Auferstehung. Deshalb hat der Tod nicht das letzte Wort und man kann auch einmal über ihn lachen. Die Welt ist mir ein Lachen, Mit ihrem großen Zorn hat Paul Gerhardt gedichtet, und damit hat er auch den Tod gemeint.

Die Kunst des Sterbens wieder etwas mehr zu lernen, bedeutet gerade nicht, dass wir uns die Freude am Leben durch trübe Gedanken an den Tod rauben lassen. Im Gegenteil. Zur wirklichen Freude am Leben gehört innere Freiheit, und die hat gerade nicht, wer den Tod verdrängt, sondern wer sich bewusst damit auseinandersetzt und ihm standhält.

Der Soziologe Harald Welzer hat gerade ein originelles Buch veröffentlicht: „Nachruf auf mich selbst.“ Harald Welzer, der genauso alt ist wie ich, hat einen Herzinfarkt nur knapp überlebt. Dadurch, so sagt er, habe er einiges verstanden, was auch moderne Menschen kapieren müssen: In unserer aufgeklärten Welt gibt es dieses „Andere“, Grenzen der Wissenschaft, den Tod, die eigene Endlichkeit. Und Welzer sagt: „Das Bewusstsein, dass mein Leben endlich ist, mehr noch, ganz direkt, von einem Moment auf den anderen zu Ende sein kann, ist kolossal wichtig dafür, was ich mit ihm mache.“ Und empfiehlt: wir alle sollten einen Nachruf auf uns selbst schreiben: Wie möchte ich, dass nach meinem Tod über mich geredet wird? Was soll von meinem Leben bleiben? Damit stellt sich die Frage: Lebe ich eigentlich so? Oder wo sollte ich mein Leben ändern? Das ist eine moderne ars moriendi, eine Kunst des Sterbens. Zu dieser Kunst möge mit Gottes Segen auch diese Ausstellung beitragen.

Amen.

Sonja Domröse, Pressesprecherin Sprengel Stade